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Schwerer Grenzdurchbruch mit Todesfolge am 28.3.1971

31. März 1971
Information Nr. 274/71 über einen am 28. März 1971 erfolgten schweren Grenzdurchbruch DDR – Westdeutschland mit Todesfolge des Grenzverletzers

Am 28.3.1971, gegen 22.40 Uhr, erfolgte ca. 520 m südlich der Straße Behrungen – Sondheim, Kreis Meiningen, Bezirk Suhl, ein ungesetzlicher Grenzübertritt DDR – Westdeutschland durch den Fischer, Karl-Heinz,1 geboren 14.6.1934 in Meiningen, wohnhaft gewesen: Meiningen, [Straße, Nr.], bis 1.3.1971 beschäftigt im VEB Vereinigte Möbelwerke Röme/Meiningen, Abt. Versand.

Der Grenzverletzer löste bei Überwindung der pioniertechnischen Grenzsicherungsanlagen eine Minendetonation aus, wurde schwer verletzt und ist auf westdeutschem Territorium seinen Verletzungen erlegen.

Im Verlauf der bisherigen Untersuchungen durch die zuständigen Organe des MfS im Zusammenwirken mit dem Stab des Grenzregimentes 9, Hildburghausen, wurde folgender Sachverhalt ermittelt:

Der Grenzverletzer überstieg den Grenzsignalzaun, wobei er um 22.30 Uhr ein Signal und bei der Überwindung des Minenfeldes um 22.38 Uhr eine Minendetonation auslöste. Die Signalauslösung und die Minendetonation wurden im Führungspunkt der Grenzkompanie Behrungen sowie durch die eingesetzten Grenzposten wahrgenommen und umgehend die Einsatzgruppe zur Überprüfung und Feststellung der Ursache zum Einsatz gebracht. Nach einer zweistündigen Kontrolle stellte die Einsatzgruppe keine Anzeichen einer Grenzverletzung oder eines ungesetzlichen Grenzübertrittes fest.

Nach Mitteilung des Überprüfungsergebnisses durch den Kompaniechef Behrungen an den Stab des Grenzbataillons Römhild wurde durch den Stellvertreter für Politische Arbeit, der zu diesem Zeitpunkt das Grenzbataillon führte, der Entschluss gefasst, die Überprüfungsmaßnahmen abzubrechen.2

Am 29.3.1971, gegen 8.20 Uhr, wurden von einer Kontrollstreife der Grenzkompanie Behrungen ca. 520 m südlich der Straße Behrungen – Sondheim Spuren eines Grenzdurchbruches in Richtung DDR – Westdeutschland und einer Detonationsstelle in der 2. Minenreihe der pioniertechnischen Grenzsicherungsanalgen festgestellt.

Im Ergebnis der weiteren Untersuchungen der zuständigen Organe des MfS wurden in der Umgebung der Detonationsstelle Blutspuren und die Reste eines hohen Knöchelschuhes einer männlichen Person gefunden. Die Blutspur führte zum feindwärtigen Zaun der Grenzsicherungsanlagen, wo sich eine größere Blutlache befand.

Der feindwärtige Zaun wurde vom Grenzverletzer unterkrochen. Danach muss sich der Grenzverletzer unter erheblichem Blutverlust auf westdeutschem Territorium in Richtung der Ortschaft Sondheim bewegt haben. Hinweise auf den weiteren Verbleib des Grenzverletzers waren zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt. Gleichzeitig wurden noch keine Feststellungen über Bewegungen gegnerischer Kräfte im westzonalen Vorfeld dieses Grenzabschnittes getroffen.3

Durch die von den NVA-Angehörigen eingeleiteten Maßnahmen zur Beobachtung des gegnerischen Vorfeldes und der Sicherung der Durchbruchstelle wurden seit 8.50 Uhr zwei Angehörige der Bayrischen Grenzpolizei im betreffenden Grenzabschnitt festgestellt, die um 10.30 Uhr die Kriechspur des Grenzverletzers fanden und diese in Richtung Sondheim verfolgten. Die weitere Beobachtung der Handlungen der gegnerischen Kräfte, die ab 10.50 Uhr durch mehrere Angehörige des westdeutschen Zollgrenzdienstes und drei Personen in Zivil verstärkt wurden, ergab, dass durch diese um 11.17 Uhr, ca. 300 bis 350 m von der Staatsgrenze entfernt, der Grenzverletzer gefunden wurde. Nach Durchführung mehrerer Fotoaufnahmen wurde der Grenzverletzer mit einer Zeltplane abgedeckt, woraus entnommen werden konnte, dass er seinen Verletzungen erlegen war.

Unmittelbar danach forderten Angehörige der Bayrischen Grenzpolizei über Lautsprecherwagen, dass ein Offizier der NVA-Grenztruppen zu einem das Vorkommnis betreffenden Gespräch an die Staatsgrenze kommt.

Durch den Chef des Grenzkommandos Süd, Genossen Generalmajor Lorenz,4 wurde entschieden, dass zu den gegnerischen Kräften kein Kontakt aufgenommen wird.

Gegen 13.15 Uhr wurde am Fundort des Grenzverletzers ein Sarg abgeladen.

Am 29.3.1971, gegen 17.00 Uhr, haben Angehörige des Bundesgrenzschutzes über Lautsprecherwagen einen Offizier der NVA-Grenztruppen zu einem Gespräch zwecks Überführung des Leichnams aufgefordert. Dabei wurden u. a. der Name des Grenzverletzers und seine Wohnanschrift mitgeteilt. Entsprechend den getroffenen Festlegungen erfolgt keine Kontaktaufnahme.

Weitere Aktivitäten und Maßnahmen der gegnerischen Kräfte in diesem Grenzabschnitt wurden bisher nicht festgestellt.5

Am 29.3.1971, um 15.20 Uhr, lief beim Rat des Kreises Meiningen ein Fernschreiben des Kommandeurs des BGS-Kommandos Süd, Brigadegeneral Grüner6 für den Kommandeur der 11. Grenzbrigade Meinigen, Oberst Reimann,7 auf.

In diesem Fernschreiben wird im Auftrag des Bundesministers des Innern Protest erhoben gegen die Verlegung von Minen innerhalb eines 50-m-Sicherheitsabstandes von der Staatsgrenze. Das Fernschreiben wurde nicht beantwortet.

Die im Ergebnis der Personifizierung des Grenzverletzers bisher durchgeführten Untersuchungen zu den Ursachen, Motiven und begünstigenden Bedingungen des ungesetzlichen Grenzübertrittes haben ergeben:

Der Grenzverletzer war verheiratet [Passage mit schutzwürdigen Infornationen nicht wiedergegeben].

In den 1950er-Jahren verkaufte er einen bis dahin in seinem Besitz befindlichen landwirtschaftlichen Betrieb [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben].

Fischer war mehrfach vorbestraft.

[Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben]

Fischer hatte erstmals 1956 die DDR über Westberlin ungesetzlich verlassen und kehrte 1958 zurück. Im Ergebnis eines Anfang 1959 aufgedeckten Diebstahls verließ er abermals ungesetzlich die DDR und kehrte am 4.11.1959 als Rückkehrer im 2. Durchgang in die DDR zurück.

Nachdem er in der Landwirtschaft, im Bergbau und Straßenbau mit häufigem Wechsel der Arbeitsstellen tätig war, nahm er 1968 eine Beschäftigung im VEB Möbelwerke Röme/Meiningen auf, die er am 28.2.1971 beendete.

Bisherigen Überprüfungen zufolge hatte er seit 1.3.1971 keine neue berufliche Tätigkeit aufgenommen.

[Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben]

Wie im Verlauf der bisherigen Untersuchungen erarbeitet werden konnte, verließ Fischer am 28.3.1971, gegen 17.00 Uhr, nach einer lautstarken, von Wohnungsnachbarn bestätigten Auseinandersetzungen mit seiner Ehefrau über finanzielle Probleme die Wohnung mit unbekanntem Ziel.

Nach Rekonstruktionen des Grenzdurchbruches muss sich der Grenzverletzer in der Folgezeit aus Richtung Rentwertshausen oder Berkach unter Umgehung der Ortschaft Behrungen der Staatsgrenze genährt haben.

Zum Zeitpunkt des ungesetzlichen Grenzübertrittes des Fischer war der betreffende Grenzabschnitt durch zwei Postenpaare gesichert, die sich 1 000 m südwestlich bzw. 1 500 m nordöstlich der Durchbruchsstelle befanden.

Die Nichtfeststellung der Grenzverletzung im Verlauf der ersten, unmittelbar nach der Auslösung des Grenzsignalzaunes durchgeführten Überprüfung im Grenzabschnitt sowie der Abbruch der Überprüfungsmaßnahmen wurden dadurch begünstigt, dass in der Vergangenheit bereits mehrfach der Grenzsignalzaun durch Wildwechsel ausgelöst wurde. Hieraus entwickelten sich offensichtlich eine gewisse Unterschätzung gegenüber derartigen Signalauslösungen und Routine der Überprüfungen dieser Vorkommnisse durch die NVA-Grenztruppen. Diese Tatsache sowie daraus resultierende Verzögerungen der Meldung des Vorkommnisses durch die NVA-Grenztruppen an die zuständigen Grenztruppen des MfS werden hinsichtlich ihrer Ursachen und Zusammenhänge weiter untersucht.

Im Ergebnis der getroffenen Feststellungen werden Maßnahmen zur Überwindung der erkannten Lücken und Mängel im Grenzsicherungssystem eingeleitet.8

Die Untersuchungen der zuständigen Organe des MfS zur umfassenden Aufklärung des ungesetzlichen Grenzübertrittes werden fortgeführt.

Der Grenzabschnitt wird durch Kräfte der NVA-Grenztruppen verstärkt gesichert.

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    2. April 1971
    Information Nr. 282/71 über ein Vorkommnis an der 19. Oberschule »Dr. Richard-Sorge« in Berlin-Johannisthal am 29. März 1971

  2. Zum vorherigen Dokument Schändung sowjetischer Friedhöfe im Bezirk Magdeburg

    31. März 1971
    Information Nr. 273/71 über die Schändung zweier sowjetischer Ehrenfriedhöfe in Magdeburg bzw. Eisleben, Bezirk Halle