Lage auf dem Land
[Ohne Datum]
Bericht über die Lage auf dem Lande [Meldung Nr. 8/53]
Die in zahlreichen Betrieben der Deutschen Demokratischen Republik ausgelösten Streiks in Verbindung mit aggressiven Demonstrationen zeigen auch auf dem Lande Auswirkungen. Obwohl unsere Informationen über die Lage auf dem Lande ungenügend sind, weil unsere Mitarbeiter in den Städten sehr stark beansprucht werden, gibt es eine Reihe von Ereignissen auf dem Lande, die von uns beachtet werden müssen.
Vereinzelt wird gemeldet, dass Produktionsgenossenschaften auseinanderzufallen drohen bzw. Genossenschaftsbauern ihren Austritt aus der Produktionsgenossenschaft erklären. Im Bezirk Cottbus erklärten fünf Genossenschaftsbauern der LPG Turnow ihren Austritt.
In Neubrandenburg gibt es gegenwärtig nur einige Anzeichen, wonach Bauern aus den Produktionsgenossenschaften austreten wollen. Zu direkten Austritten ist es noch nicht gekommen, aber einige Bauern haben bereits solche Ausführungen gemacht.
In der LPG Callenberg, Kreis Hohenstein-Ernstthal, wurde am 17.6.1953 eine Vollversammlung inszeniert. Nach unseren Mitteilungen sollte hier die Auflösung der LPG vollzogen werden. Durch Instrukteureinsätze der Kreisleitung der SED sollte erreicht werden, dass die Bauern diesen Schritt nicht tun.
Aus den1 LPG [im] Kreis Kyritz sind von 93 Bauern 54 ausgetreten.
Im Kreis Meiningen sind in den Produktionsgenossenschaften Bibra, Stedtlingen, Hermannsfeld, Haina, Bettenhausen und Römhild ähnliche Auflösungserscheinungen gemeldet worden. In diesen Produktionsgenossenschaften sind schon seit einigen Wochen Unruhen, die durch die Lage in Berlin noch verstärkt wurden.
Im Kreis Geithain weigerten sich die Bauern der LPG Gießewald2 und Heinersdorf3 Milch abzuliefern. Die Bauern stehen auf der Straße und haben die Arbeit niedergelegt. Der Schwerpunkt ist in Heinersdorf zu sehen. Dort soll die neugegründete LPG aufgelöst werden.
Die LPG Gusow, Kreis Seelow, forderte eine 50%ige Sollverminderung. Neben diesen Erscheinungen auf dem Lande zeigen sich auch provokatorische Handlungen vonseiten großbäuerlicher Elemente.
Besonders in Jessen, Bezirk Cottbus, war dies am 17.6.1953 zu verzeichnen. Hier wurde eine Kundgebung vorbereitet, wo man die freigelassenen Bauern empfangen und wieder auf ihre Wirtschaften einweisen wollte. Die Genossen [Name 1] und [Name 2] von der Partei wurden tätlich angegriffen. Ein VP-Angehöriger wurde entwaffnet. Später nahm die Bewegung zu. Es waren zunächst 150 Großbauern mit deren Anhang. Diese Zahl wuchs auf 1 000 Personen an, die eine Demonstration mit folgenden Losungen durchführten:
»Freie und geheime Wahlen in ganz Deutschland«,
»Wir wollen Frieden«,
»Wir fordern die Freilassung der Bauern«.
Eine Abordnung stellte der Kreisverwaltung diese Forderungen. Die Demonstranten zogen dann durch die Stadt zur MTS und versuchten hier die Arbeiter zur Teilnahme an der Demonstration zu gewinnen. Sie rissen die Transparente von der MTS ab.4
Aus Potsdam wird berichtet, dass in Belzig Großbauern versuchten, die Jugend-MTS zu besetzen. Die Arbeiter der Bau-Union Belzig versuchten die Mitarbeiter der MTS Niemegk zu zwingen, mit ihnen den Streik am anderen Tage fortzusetzen.
Von Dabendorf5 in Richtung Rangsdorf6 demonstrierten gemeinsam Werktätige kleinerer Betriebe, Handwerker und Bauern bewaffnet mit Knüppeln und sonstigen Schlagwerkzeugen nach Westberlin zu.
Aus Mühlhausen wurden zahlreiche Bewegungen der Bauern gemeldet. Hier rotteten sich Groß- und Mittelbauern in den Dörfern um Mühlhausen zusammen, um auf Mühlhausen zu marschieren. Es wurde festgestellt, dass sich am 17.6.1953 eine große Anzahl Bauern von den Dörfern nach der Stadt Mühlhausen bewegten. In Mühlhausen bildeten sich Diskussionsgruppen von Bauern. Einige Bauern erklärten, dass sie sich mit den Streikenden in Berlin solidarisch erklären und endlich freie Bauern sein wollen. Der Genosse Ernst Schröder sprach auf dem Untermarkt zu den Massen. Man hat ihn niedergerufen. Ein Bauer sprang den Genossen Schröder von hinten an und schlug ihn mit der Faust auf den Hinterkopf. Er musste den Platz verlassen.
Aus dem Bezirk Rostock, Kreis Bergen, wird gemeldet, dass in der Nacht vom 17. zum 18.6.1953 in der LPG Vieregge7 alle Wasserhähne aufgedreht und die Pumpen abgeschlossen wurden. Die LPG steht unter Wasser. Die Täter waren zum Zeitpunkt der Meldung noch unerkannt.
Aus dem Bezirk Dresden, Kreis Görlitz, wurde gemeldet, dass in Arnsdorf von der BHG, von den Granit-Werken und von Großbauern ein Streik durchgeführt werden sollte. Es wurde ein Kommando KVP dorthin entsandt.
Aus dem Bezirk Karl-Marx-Stadt wurde aus dem Kreis Freiberg, Gemeinde Naundorf, gemeldet, dass auch hier Bauern sich gegenüber dem dortigen Bürgermeister drohend verhalten. Sie erklärten: »Was willst du Zigeuner hier, hau ab, sonst schlagen wir dir den Schädel ein. Wenn die anderen kommen sollten, dann sage ihnen, dass wir auch ihnen den Schädel einschlagen.«