Stimmung in Berlin zu den Ereignissen vom 17. Juni
22. Juni 1953
Auswertung der Stimmungsberichte aus der Bevölkerung zu den faschistischen Provokationen [Meldung Nr. 21/53]
Insgesamt abgegebene Stellungnahmen: 26
davon positiv: 9
davon negativ: 17
Insgesamt ausgewertete Stellungnahmen: 20
davon positiv: 8
davon negativ: 12
Positive Stellungnahmen aus dem Gebiet von Groß-Berlin (demokratischer Sektor)
Staatliches Komitee für Kunstangelegenheiten: [Vorname Name 1] gibt ihre Meinung zum Ausdruck, indem sie sagt, dass wir den sowjetischen Truppen zu großen Dank verpflichtet sind und den Provokateuren dadurch einen großen Schlag versetzt haben.
DHZ Niederlassung: Das tadellose Auftreten der sowjetischen Soldaten wurde anerkannt und führte zum Teil zur Stärkung der Deutsch-Sowjetischen-Freundschaft.
DHZ Schnittholz: Einerseits wurde das Eingreifen der sowjetischen Truppen begrüßt, andererseits sind sie der Meinung, dass es für uns beschämend ist, dass sowjetische Freunde eingreifen müssen, um den Provokateuren das Handwerk zu legen.
DIA Bergbau: Es wurde ein Brief an die Regierung vorbereitet. Weiterhin wurde die Aufgabe gestellt, ein Dankschreiben und Blumen heute noch an die sowjetischen Freunde zu überreichen.
Deutsches Theater: Zum Geburtstag Walter Ulbrichts1 wird eine Wandzeitung mit Treueerklärungen zur Regierung ausgearbeitet.
VEB Anlagenbau: 14 ständige Agitatoren und fünf Freunde beantragen ihre Kandidatur in der SED.
VEB Starkstromanlagenbau Berlin: Am Mittwoch traten fünf FDJ-ler, die durch die Provokationen der faschistischen Elemente bestärkt in ihrer Ansicht wurden, dass ihr Platz in der Vorhut der Arbeiterklasse ist, in die Partei ein.
Verwaltung Berlin: Die Bonner Regierung braucht diesen Zwischenfall, um von der bevorstehenden dritten Lesung des Generalkriegsvertrages2 abzulenken und ebenso von der bevorstehenden Ermordung des Ehepaars Rosenberg.3 Wir haben die gleiche Situation zu verzeichnen wie seinerseits bei dem UGO-Putsch.4 Es wurde damals wie jetzt alles versucht, um die bevorstehenden Verhandlungen der vier Großmächte zu unterbinden.
Negative Stimmungen
Kollege [Name 2], Schmiedemeister VEG Falkenberg: »Ich bin sehr zufrieden, dass es endlich soweit ist, wir werden so lange kämpfen, bis das System beseitigt ist.«
Kollege [Name 3], Gärtner VEG Buch, SED: »Ich bereue es, dass ich Mitglied der Partei geworden bin, ich bin grundsätzlich gegen die asiatische Kultur und die Kolchoswirtschaft.«
[Name 4, Vorname], MGF,5 BGL-Mitglied: Die »Junge Welt«6 ist das reinste Witzblatt, alles steht drin, nur nicht das, was rein soll.
[Name 5, Vorname], Deutsches Theater als Schauspielerin: Sie sprach sich für die Absetzung der Regierung aus und für die Machtbefugnisse der westdeutschen Regierung in der DDR.
[Name 6, Vorname], [Tag, Monat] 1902, wohnhaft Berlin-Friedrichshagen, [Straße], Kraftwerk Klingenberg: »Es ist kein Wunder, wenn es soweit kommt. Wenn nur Gesetze erlassen werden, hinter denen steht, dass die Nichtdurchführung bestraft wird. Die Arbeiter werden bei nächster Ungerechtigkeit wieder demonstrieren.«
[Name 7, Vorname], [Tag, Monat] 1923, wohnhaft Berlin-Karlshorst, [Straße Nr.], Kraftwerk Klingenberg: »Eine Regierung, die solche Fehler macht, müsste in anderen Ländern abtreten. Auf jeden Fall ist dies für die Partei ein starker Vertrauensbruch.«
[Name 8, Vorname], Tonmeister bei der DEFA, Berlin-Karlshorst: »Im Falle eines Überfalles bin ich nicht für die Verteidigung des DEFA-Studios. Es ist sinnlos, sich zur Wehr zu setzen, die anderen sind ja doch viel stärker.«
Arbeiter im VEB Tiefbau: »Lasst nur erst die Russen weg, dann schmoren wir die Regierung. Der Klamauk geht bald wieder los, wir fangen wieder an.«
Kellnerin [Vorname] im Haus der Ministerien: »Die VP, die im Hause der Ministerien übernachtet, müsste man alle vergiften.«
[Name 9, Vorname], Schlachtermeister, ehemaliger Obersturmführer, in Prenzlauer Berg: Hat zwei Mädchen und einen Jungen, er ist 26 Jahre verheiratet, seine Frau hat noch nicht einmal gearbeitet. Nach dem Krieg hat sie mit Streichhölzern geschoben. Früher hatte er eine Schlachterei, hat sie aber nicht wiederbekommen, weil er 16 Kommunisten verhaftet hat. Er sagt: »Die werden sich wundern, die jetzt da oben sitzen und die, die sie unterstützen.«
[Name 10, Vorname], ca. 18 Jahre alt: »Was sagst du nun? Aber was jetzt war, ist noch nicht alles, lass man erst den Iwan wieder weg sein, dann geht’s rund.«
[Name 11, Vorname], Schönhauser Allee [Nr.]: »Lass bloß erst die Russen weg sein, jetzt sind die Menschen ruhig, damit die weggehen, dann geht’s noch mal los, aber schlimmer als Mittwoch, das kann ich dir sagen. Ich will ja nichts mit zu tun haben, ich gehe am 1. August nach Westdeutschland, Zuzug habe ich schon. Meine Sachen sind schon drüben. Was soll ich denn noch hier, bloß raus aus dem Scheißstall.«