Tagesbericht
17. Juli 1953
Information Nr. 1016
Stimmung der Bevölkerung
In den Buna-Werken haben die Arbeiter vom Bau C 44 und G 32 die Arbeit nicht aufgenommen. Arbeitsantritt war 7.30 Uhr. Diskussionsgruppen in Stärke von 10 bis 15 Mann diskutierten. Um 9.00 Uhr wurde im Bau G 32 bereits gearbeitet.
10.03 Uhr wurde die Arbeit im Bau C 44 wieder aufgenommen. Meister und Abteilungsleiter wurden in einer Besprechung mit der Werksleitung und Funktionären für ihre Abteilung verantwortlich gemacht, dies war der Grund zur Aufnahme der Arbeit. Die KVP wurde im Werk so untergebracht, dass sie nicht von jedem gesehen werden kann. Die wichtigsten Stellen des Betriebes sind durch Zivilkräfte gesichert. Den Arbeitern wurde klar gemacht, dass Auskünfte nicht erteilt werden, wenn gestreikt wird. Maßnahmen zur Verhinderung neuer Streikbewegungen wurden getroffen. Grund des Streiks im Bau C 44, an welchem sich 700 bis 800 Personen beteiligten, war, dass man eine Erklärung über die Festnahme des Kuzella, Karl, (ab 1941 NSDAP, 1922 SPD) verlangte. Kuzella wird beschuldigt, sich maßgeblich am Streik am 5.7.19531 beteiligt zu haben. In der Nacht vom 16.7. zum 17.7.1953 wurde eine weitere Festnahme getätigt.
In den Leuna-Werken wurde den ganzen Tag voll gearbeitet und es sind keine Anzeigen für Streiks vorhanden. Negative Diskussionen konnten im Betrieb nicht festgestellt werden. Im gesamten Bezirk Halle ist Ordnung. Kennzeichen negativer Art sind nicht vorhanden.
Nicht richtiges Verhalten eines Mitarbeiters des MfS im Betrieb NEMA Netzschkau, Kreis Reichenbach, Bezirk Karl-Marx-Stadt, führte zur Streikauslösung in diesem Betrieb:
Der Oberfeldwebel Schaarschmidt, der zzt. den Leiter der Kreisdienststelle des MfS in Reichenbach vertritt, begab sich am 9.7.1935 in das Werk NEMA Netzschkau, um den Provokateur [Name 1, Vorname] zu verhaften. Trotzdem [Name 1] der Aufforderung, zur BGL zu kommen, nicht nachkam und der Aufforderung des Betriebsschutzleiters, an das Tor zu kommen, nicht Folge leistete, begab sich Oberfeldwebel Sch. persönlich zu [Name 1], forderte2 diesen auf, mitzukommen und kein großes Aufsehen zu machen, sonst bekomme er etwas zwischen die Rippen gejagt. [Name 1] begab sich hierauf sofort mit in das Zimmer des Betriebssachbearbeiters.3 Inzwischen wurde von den Arbeitern, die diesen Ausspruch gehört hatten, die gesamte Halle »Bauer« mobilisiert, und geschlossen begab man sich vor das Verwaltungsgebäude. Hier forderten sie von der BPO und BGL [eine] Erklärung über das Auftreten des Oberfeldwebels Schaarschmidt. [Name 1], der sofort entlassen wurde, mischte sich in die Menge und erklärte nochmals die Aussprüche des Oberfeldwebels Schaarschmidt. In den anderen Abteilungen des Betriebes wurde die Arbeit niedergelegt und die Arbeiter begaben sich zu den auf dem Werkhof bereits Versammelten. Von Oberfeldwebel Schaarschmidt wurde eine Stellungnahme gefordert, in welcher dieser bestätigte, diese Aussprüche getan zu haben, was unter Johlen und Grölen von den Arbeitern aufgenommen wurde. Auf die Frage, warum [Name 1] vom Arbeitsplatz weggeholt wurde, erklärte er, wegen einer Befragung zu den Bränden4 in Foschenroda. Oberfeldwebel Schaarschmidt stellte eine Bescheinigung aus (wozu er angeblich gezwungen war), dass gegen [Name 1] nichts Belastendes vorliegt und derselbe nicht verhaftet wird. Die Bescheinigung befindet sich im Besitz von zwei parteilosen AGL. Von den Arbeitern wurde zum Ausdruck gebracht, dass, wenn [Name 1] verhaftet würde, sie sofort in den Streik treten würden.
Der Provokateur [Name 1] agitierte und veranlasste Arbeiter des Betriebes dazu, die Mitgliedsbücher des FDGB abzugeben, ihren Austritt zu erklären und die von ihnen bis jetzt geleisteten Beiträge zurückzufordern.
[Ab hier Wiedergabe der ausführlicheren zweiten Textversion]5
Von dem in der Zwischenzeit eingetroffenen 1. Sekretär der SED-Kreisleitung Reichenbach wurde gefordert, dass eine Resolution an den Genossen Walter Ulbricht abgefasst wird, damit der Oberfeldwebel Schaarschmidt aus6 dem Staatsdienst entlassen wird und der Produktion der NEMA zuzuführen ist. Nachdem im Werk wieder Ruhe eingetreten war, wurde die Halle erneut alarmiert in der Form, dass ein Arbeiter rief: »Das Überfallkommando ist da!« Daraufhin begab sich die Belegschaft demonstrativ nach dem Werkseingang, wo das Überfallkommando des VPKA7 Reichenbach mit 15 VP-Angehörigen stand. VP-Rat Kretzschmar, der die Situation erkannte, gab sofort Anweisung zur Abfahrt des Überfallkommandos. Hierbei wollen einige Arbeiter festgestellt haben, dass zwei VP-Angehörige ihre Pistolen auf die Arbeiter richteten (entspricht nicht den Tatsachen). [Name 1] stellte sich zum Schluss nochmals der Belegschaft vor, dankte für die Unterstützung und forderte die Arbeiter auf, ihn weiterhin tatkräftig zu unterstützen. Die Arbeiter begaben sich wieder an ihre Arbeitsplätze und nahmen die Arbeit auf.
Am 9.7.1953 wurde von der BGL der NEMA ein Plan mit der neuen Arbeitszeit der einzelnen Abteilungen ausgehängt, da wegen der Stromspitzenzeiten Nachtschicht eingeführt werden muss. Dieser Plan wurde rege diskutiert und man forderte von der BGL sofort eine Versammlung, Termin 9.00 Uhr. Trotz der Aufklärung vonseiten der BGL, dass diese Versammlung erst um die Mittagszeit stattfinden kann, versammelten sich Punkt 9.00 Uhr die Arbeiter der Halle »Bauer«, sodass BGL und Betriebsleitung gezwungen waren, die Versammlung sofort durchzuführen. Von der Halle »Bauer« wurden alle anderen Hallen und Werke verständigt, worauf bis auf einige Ausnahmen alle Arbeiter, sogar Angestellte zur Halle »Bauer« strömten. Nach zweistündiger Diskussion war die Frage der Nachtschicht restlos geklärt. Am Ende der Diskussion verlangte man von Partei und BGL eine nochmalige Stellungnahme über das Verhalten des Oberfeldwebels Schaarschmidt. Der BGL wurde aus der Masse heraus zugerufen: »Dich Schwein müsste man verhaften« sowie andere provokatorische Äußerungen. Die Arbeiter setzten bei der BGL durch, dass sofort vonseiten der Partei ein ausführlicher Bericht über die Vorkommnisse am 9.7.1953 an Genossen Walter Ulbricht gesandt wird und verfassten aus der Versammlung heraus eine Resolution, die von der BGL formuliert werden sollte. Beide Schreiben will die BPO an Genossen Walter Ulbricht weiterleiten, wozu die Arbeiter äußern, wenn diese Forderung nicht erfüllt wird, dann fährt eine Delegation selbst zu dem Genossen Walter Ulbricht.
Um 11.30 Uhr wurde die Arbeit wieder aufgenommen. Personen, die aus der Masse mit provokatorischen Äußerungen forderten, die Resolution aggressiv zu gestalten, sind noch nicht bekannt. Von der BPO wurde ein Schreiben an den Genossen Walter Ulbricht gerichtet, indem die Vorkommnisse vom 9.7.1953 geschildert werden. (Nicht aufgezeigt wurde darin, dass es sich bei [Name 1] um einen Provokateur handelt.)8
Nachfolgend wird das Schreiben, welches von der Belegschaft des Betriebes, an Genossen Walter Ulbricht zu schicken, gefordert wurde, aufgeführt:
Werter Genosse Ulbricht!
Anbei übersenden wir Ihnen einen Bericht über den Vorfall, der am 9.7.1953 in unserem Werk hervorgerufen wurde durch das undisziplinierte Verhalten des Genossen Schaarschmidt vom MfS.
Die Kollegen verlangten in dieser Protestversammlung, dass ein Schreiben an den stellvertretenden Ministerpräsidenten Walter Ulbricht abgeschickt wird, indem zu dem Vorfall Stellung genommen wird. Sie bitten darum, dass die Angelegenheit untersucht und schnellstens ein Verfahren gegen den Genossen Schaarschmidt eingeleitet wird. Die Kollegen sind der Meinung, dass das nicht der neue Kurs der Regierung ist, indem man einfach Arbeiter grundlos vom Arbeitsplatz verhaftet und sie mit unflätigen Worten bedroht. Mit diesen Gestapo-Methoden sind sie nicht mehr einverstanden, sie lehnen dieselben konsequent ab. Sie verlangen, dass der Kollege Schaarschmidt aus den Reihen des Staatsapparates entfernt wird, bezeichneten ihn als Provokateur, denn mit seiner Methode hat er die Arbeiter nur aufgeputscht. Der Genosse Schaarschmidt muss dafür zur Verantwortung gezogen werden und [es] wünschen die Kollegen, dass Genosse Sch. sofort von seinem Posten entfernt wird.9 Diese Art von Demokratie wird von den Kollegen auf das Entschiedendste zurückgewiesen und den Organen der Staatssicherheit sollen derartige Unternehmen für immer untersagt werden.
Die Kollegen fordern weiterhin eine Untersuchung über die Vergangenheit des Genossen Schaarschmidt einzuleiten. Wie aus den Aussprüchen von verschiedenen Kollegen hervorgeht, wäre der Genosse Schaarschmidt selbst schon einmal aus der Verkehrspolizei entfernt worden, und aus der Masse wurde ausgeschrien, er sei sogar schon vorbestraft. Die Kollegen des Betriebes sind der Meinung, dass das Ansehen der Partei durch diese Vorkommnisse sich nicht gerade gestärkt hat. Sie verlangen auch den Urheber [sic!], warum man [Name 1] überhaupt verhaften wollte.
Unsere Belegschaft brachte klar zum Ausdruck, dass zu den Aufständen am 17. und 18. Juni 1953 in Berlin und in der Republik immer Ruhe und Disziplin gewahrt wurde und es erst durch diese Provokation zur Unruhe kam. Uns ist nun daran gelegen, so schnell als möglich wieder Ruhe und Ordnung im Betrieb zu haben, was aber nur geschehen kann, wenn der Fall schnellstens bearbeitet und dem Wunsche der Kollegen entsprochen wird.
Zu bemerken ist noch, dass die Betriebsparteiorganisation keinerlei Kenntnis von der Anwesenheit des Genossen Schaarschmidt im Betrieb hatte.
Die Betriebsparteileitung bittet den Genossen Walter Ulbricht, den geschilderten Vorfall und die Forderung der Kollegen zur Kenntnis zu nehmen und darüber zu entscheiden.
Mit sozialistischem Gruß | gez. Wendler | 2. Sekretär | gez. Lerchenmüller | BGL
Maßnahmen des Feindes
Im Bezirk Lichtenberg wurden in den Morgenstunden des 15.7.1953 massenweise Flugblätter des NTS10 in russischer Schrift aufgefunden. Es wurde festgestellt, dass die Flugblätter nicht nur auf der Straße, sondern auch auf den Dächern gelegen haben. Im Bezirk Friedrichshain wurden ca. 15 Stück und im Bezirk Weißensee ca. 100 Flugblätter in deutscher und russischer Sprache gefunden. Diese Flugblätter sind eine wüste Hetze gegen die SU, in welcher [die] KVP und sowjetische Soldaten aufgefordert werden, nicht zu schießen. Herausgeber11 bzw. Verfasser dieser Hetzschriften ist der NTS.
Im Bezirk Köpenick wurden 38 Flugblätter mit der Aufschrift »Nach dem Aufstand« (KgU)12 gefunden. Im Bezirk Treptow wurden ebenfalls Flugblätter gefunden, die ebenfalls von der KgU herausgegeben wurden. Diese Flugblätter sollen durch Flugzeuge abgeworfen worden sein. Auf diesen Flugblättern befindet sich eine Karikatur von Walter Ulbricht mit der roten Aufschrift: »Das Volk hat ihm die Faust gezeigt«. Auf der anderen Seite befindet sich die Aufschrift: »Weg mit den Spitzbart«.
Anlage 1 vom 17.7.1953 zur Information Nr. 1016 (1. Expl.)
Information Nr. 1016a: Ergänzungsbericht zur Lage innerhalb der CDU
Wie bekannt wurde, fand zwischen Nuschke,13 Götting14 und Höhn (Pressereferent)15 erst kürzlich ein vertrauliches Gespräch statt. Nuschke rechnete Mitte Juni stark mit der Bildung einer neuen Regierung durch ihn. Betont wurde hierbei, dass Nuschke Leute wie Ulbricht nicht in die Regierung hineinnehmen kann. Weiter konnte in Erfahrung gebracht werden, dass im gleichen Personenkreis davon neuerdings gesprochen wird, dass Nuschke die Stelle als Außenminister einnehmen soll.
Im Allgemeinen konnte bei der Sitzung des politischen Ausschusses festgestellt werden, dass fast ausschließlich von dem leitenden Funktionärskörper der CDU eine Gegenstimmung gegen die SED herrscht. Zum Beispiel hat Nuschke im politischen Ausschuss am 23.6.1953 erklärt: »Leider habe die SED aus den Ereignissen vom 17.6. nichts gelernt. Sie will weiterhin alles allein machen. Ulbricht will Rache nehmen. Aus Schwachmütigkeit sei die Politik der SED vielfach aus Kreisen der CDU unterstützt worden.
Im politischen Ausschuss vom 7.7.1953 spricht Nuschke die Frage der Rechtssicherheit an und führte aus, dass die Einhaltung derselben unbedingt erforderlich sei.«
Nuschke sagte weiter: »Ich habe auch gegen das Verfahren in Waldheim protestiert.«16 Dabei haben ihm Burmeister (Minister)17 und Dertinger18 Hilfestellung geleistet. »Mit Butterzuteilung und Fahrpreisermäßigung sei nicht alles getan.«
Götting hat sich neuerdings auf den gleichen Kurs festgelegt, wie er von Nuschke durchgeführt wird. So führte Götting aus, dass es notwendig sei, Kader für erweiterte Funktionen im Staatsapparat bereitzustellen. Im politischen Ausschuss vom 23.6.1953 tritt Götting für die Überprüfung der Verhältnisse in den Gefängnissen ein. Er betonte, dass man Kommissionen zur Überprüfung einsetzen müsse. »Es gehe nicht an, dass der SSD19 (wörtlich zitiert) Vertrauensleute durch Erpressung gewinnt.«
In den letzten Tagen hat Götting einige Bezirke aufgesucht und in Versammlungen zu Mitgliedern und Funktionären der CDU gesprochen. In Gera erklärte er u. a. (am 9.7.1953): »Druck erzeugt Gegendruck. Der 17.6.1953 musste ausgelöst werden. Die Partei der CDU werde noch mehr als wie bisher mit konkreten Dingen an die Öffentlichkeit treten und nicht mehr warten, bis das ZK der SED einen Vorschlag in der Regierung macht. Um unsere Vorschläge zum Erfolg bringen zu können, müssen wir als Partei stark sein.« Vom 17. bis 30.6.1953 seien allein 3 000 neue Mitglieder zur Partei gekommen. Viele Mitglieder der SED haben um Aufnahme gebeten, aber da sollte man sehr vorsichtig sein.
In weiteren Ausführungen betonte Götting: »Wir sind mit Schuld, dass die Karre im Dreck steckt. Wir sind auch bereit, die Karre mit unseren Kräften aus dem Dreck zu ziehen. Aber wir werden zur gleichen Zeit dafür sorgen, dass sie nicht wieder in den Dreck gezogen werden kann.«
Götting erklärte am 13.7.1953, dass man in den Bezirken, vielfach in Kreisen der Mitgliedschaft über den Fall Dertinger Aufklärung verlangt. In Erfurt hat Götting auf die Frage, wie es mit dem Fall Dertinger stünde, erklärt, dass dieser Verrat getrieben hat und durch den neuen Kurs sei auch keine Veränderung seiner Angelegenheit zu erwarten, denn sein Verrat steht fest.20 Im Übrigen sei Otto Nuschke in Westberlin der Arbeitsplatz, der für Dertinger reserviert war, angeboten worden. Man habe Nuschke auch angeboten, eine Exil-Regierung zu bilden oder in Washington seine Memoiren zu schreiben. Nuschke habe aber dieses abgelehnt.21
Das Mitglied des politischen Ausschusses Wujciak22 aus [Halle] hat am 19.6.1953 in der erweiterten Sekretariatssitzung in Berlin erklärt, der Kreisverband Bitterfeld habe ihm berichtet, dass, als das Gefängnis des SSD gestürmt worden sei, man dort Gefangene stehend in stinkendem Wasser vorgefunden habe. Darauf sei die Bevölkerung an diesen Leuten vorbeigeführt worden. Weiterhin hat Wujciak erneut versucht, einen Schauerbericht am 23.6.1953 im politischen Ausschuss über den Kreis Artern bekanntzugeben. W. betonte: »Nach Einbruch der Sperrzeit jagen die Flitzer durch die Stadt, holen Leute ab und dabei werden Türen aufgebrochen.«
Über seinen Aufenthalt in den Bezirken berichtet Götting Folgendes: Fast ausschließlich wird von den Funktionären sowie Mitgliedern die Frage gestellt »Wann tritt die Volkskammer zusammen?« Außerdem berichtete Götting, dass sich verschiedene Funktionäre der SED sektiererisch verhalten; hierfür einige Beispiele:
Sektiererische Arbeit wurde durch den Vorsitzenden des Kreises Grevesmühlen, Kotzian,23 und den Bürgermeister von Hirschbach, Kreis Dippoldiswalde, SED, bekannt. Letzterer soll nach den neuen Regierungsbeschlüssen erklärt haben, falls republikflüchtige Bauern in seine Gemeinde zurückkehren, er für die Bestrafung sorgen würde.
Dr. [Name 1] aus Sonneberg hat sich über die Organe der Staatssicherheit in der Versammlung geäußert und betonte dabei, dass die dortigen Organe der Staatssicherheit nicht die Qualifikation besäßen, um richtige Maßnahmen durchzuführen. Bei dieser Versammlung ergriff der Kreisvorsitzende Maly aus Neuhaus das Wort und berichtete über eine durch die Organe der Staatssicherheit vorgenommene Verpflichtung des Unionsfreundes24 [Name 2]. Anschließend wurde in der Versammlung die Auflösung der Organe der Staatssicherheit gefordert.
In der Sekretariatssitzung am 13.7.1953 gab Götting einen zusammenfassenden Bericht über seine Eindrücke während der Besuche der Bezirksverbände in Sachsen und Thüringen. U. a. erklärte er: Wer da glaube, dass alles ruhig sei, irre sich gewaltig. Stellenweise würde schon wieder gestreikt. Die Bevölkerung glaube weder der Presse noch dem Rundfunk und, wer noch den Berliner Sender höre, wäre ein Idiot. Der 17.6.1953 sei nur eine Ouvertüre für die kommenden Ereignisse gewesen. Die Bevölkerung bereite sich schon auf den neuen Tag im August vor.
Götting erklärte weiter unter dem Siegel der Verschwiegenheit, dass Ulbricht abgelöst würde, das sei klar, Ungarn sei nur zuvorgekommen, man hätte nur noch nicht die nötige Argumentation. Auch das Außenministerium besetze die CDU wieder. Im ZK plane man drei gleichberechtigte Sekretäre einschließlich Ulbricht. Er hätte weiter festgestellt, dass alle unteren Dienststellen der Verwaltung und die Parteistellen der SED in keiner Weise von zentraler Seite gelenkt würden, die handeln alle »frei nach Schnauze«.
Nach dem er auch die falsche Presse und Rundfunkpropaganda scharf kritisiert hatte, erklärte Götting, wir hätten die Pflicht, aufgrund des freundschaftlichen und kameradschaftlichen Verhältnisses mit der SED, diese auf ihre Fehler aufmerksam zu machen. Sie müsse endlich von dem Standpunkt lassen, sie sei alleine die führende Partei. Wir hätten eine antifaschistische Ordnung, in der wohl die SED die führende Rolle als die Partei der Werktätigen spiele.
Die Ausführungen Göttings wurden zum Teil mit gewissem Schmunzeln aufgenommen, wobei bemerkt sei, dass in diese [sic!] Sekretariatssitzung sämtliche Referenten des Hauses teilnahmen.
Anlage 2 vom 17.7.1953 zur Information Nr. 1016 (1. Expl.)
Information Nr. 1016b: Brand im Martin-Hoop-Schacht IV (Besondere Vorkommnisse)
Am 17.7.1953, gegen 9.00 Uhr, wurde gemeldet, dass im 453 Ostquerschlag Feuer aus dem Stoß ausgebrochen sei. Gegen 9.15 Uhr wird gemeldet, dass in 453 I Querschlag Feuer bis 15 Meter an den 792 Kreuz ausgebrochen sei. Die Arbeiter der 10. Abteilung wurden zurückgezogen, ebenfalls die Arbeiter vom Blindschacht 24. Die Abwetter versuchten laut dieser Meldung nach 453 Querschlag über 453 Ostquerschlag vorzudringen. Es wird versucht, über den 7105 Abbau an den Brandherd heranzukommen.
Um 11.45 Uhr wurde gemeldet, dass nicht das 792 Fallort brennt, sondern das Kreuz am 453 I Querschlagverlängerung. Der Brandherd befindet sich am Kreuz, welches den Eingang der alten 12. Abteilung darstellt. Die Entstehungsstelle des Brandherdes steht noch nicht fest. Die am Kreuz noch stehende Kohle dient als Sicherungspfeiler für den Querschlag und das Kreuz. Zum Kreuz gelangt man lediglich über den 7106 Bunker, andere Frischwetterzufuhrwege sind nicht vorhanden. Die Brandstelle wurde lediglich von der Grubenrettungsmannschaft passiert und zwar aus folgenden Gründen: a) um Messungen am 792 Fallortkreuz durchzuführen, b) um Berge nach dem 7106 Bunker zu schaffen.
Der Transport dieser Berge wurde wegen CO-Entwicklung im Gerät durchgeführt. Die Berge wurden deshalb über den 7106 Bunker zu 7106 Abbau transportiert, um den Versatz in diesen Abbau nachzubringen. Gekohlt wurde dort nicht.
Bisher wurden folgende Maßnahmen eingeleitet:
- a)
Bildung einer Einsatzleitung unter Vorsitz des Werksleiters Seidel.
- b)
Grubeninspektor Rödel, Sicherheitsinspektor Günne und technischer Leiter Heinrich befinden sich in der Grube.
- c)
Sechs Rettungstrupps mit Geräten befinden sich zur Bekämpfung des Brandes in der Grube.
- d)
Zur Eindämmung des Brandes werden folgende Dämme gestellt: 453 I Querschlag, 453 Ostquerschlag, Unter dem Kreuz, 7106 Bunker. Unter Vorbereitung sind folgende Dämme: zwei in der alten 12. Abteilung und einer im 29. Blindschacht.
- e)
Der technische Leiter des Karl-Liebknecht-Werkes, Dipl.-Ing. Mauersberger, wurde von der Einsatzleitung angefordert, um die Brandbekämpfung fachmännisch zu leiten.
- f)
Der Hauptventilator auf Schacht 5, welcher die Hauptwetter abzieht, wurde durch VP und Elektriker gesichert, damit nicht durch feindliche oder technische Störungen der Hauptventilator außer Betrieb gesetzt wird.
- g)
Eine technische Kommission wird gebildet, welche die Ursachen des Brandes untersucht.
- h)
Von der TBBI und Arbeitsschutzinspektion wurden entsprechende Gutachten angefordert, da selbige sich mit unserem operativen Sachbearbeiter ebenfalls in der Nähe des Brandes aufhielten. An den Brandherd konnte man wegen allzu starker Rauch- und Hitzeentwicklung nicht gelangen.
- i)
Die Überprüfung der den Brandort passierenden Personen sowie der Grubenrettungsmannschaften werden durchgeführt. Durch den Brand musste vorläufig die 13. Abteilung wegen der CO25-Austritte stillgelegt werden. Die 12. Abteilung liegt durch den Brand am 30.6.1953 noch still, wodurch auch in der 10. Abteilung die Arbeit nicht wieder aufgenommen wurde.
Vom Martin-Hoop IV arbeitet zurzeit die 8. Abteilung. Es können nur ca. 30 % des Fördersolls an Steinkohle erfüllt werden. Dies sind ungefähr 250–300 t. Menschenleben sind nicht in Gefahr. Über die durch den Brand außer Betrieb gesetzten Geräte ist noch nichts bekannt. Die Ursachen des Brandes wurden noch nicht festgestellt.