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Tagesbericht

5. Oktober 1953
Information Nr. 1085

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

a) Industrie und Verkehr

Nach wie vor sind die Diskussionen über die neue Note der SU1 nicht so breit entfaltet, wie es der Bedeutung dieser Note zukäme. Breit und zugleich positiv diskutieren die Arbeiter in den Betrieben, in denen die Parteiorganisationen schnell reagierten und ihrerseits die Diskussionen entfalteten. Der größte Teil der Arbeiter in den Betrieben äußert sich also kaum; das ist sicher dadurch bedingt, dass diese Kreise der Betriebsarbeiter die Bedeutung solcher diplomatischer Schritte nicht erkennen. Für die tatsächlich geführten Diskussionen sind folgende Beispiele charakteristisch:

Ein parteiloser Arbeiter aus dem Dampfhammerwerk Großenhain/Dresden: »Es ist richtig, was die Note der SU bringt. Hoffentlich werden sich die Großmächte einmal einig, damit das Deutschland-Problem einmal gelöst wird.«

Ein parteiloser Arbeiter vom Kreisbauhof Pasewalk/Neubrandenburg: »Wieder einmal zeigt die SU, dass sie es mit der Einheit Deutschlands ehrlich meint. Aber die Westmächte gehen ja sowieso nicht darauf ein.«

Ein Angehöriger der technischen Intelligenz aus dem Elektroguss-Werken Leipzig: »Warum sollen wir die Note der SU nach Westdeutschland schicken. Wir bekommen den Inhalt der Noten der Westmächte, die an die SU gerichtet sind, auch nicht zu erfahren.«

Ein Wismut-Kumpel aus Schwarzenberg: »Die Russen schicken lauter Noten in die Welt; sie sollen doch selbst mal den Anfang machen, um eine gerechte Lösung der deutschen Frage zu finden. Wenn die Russen die Oder-Neiße-Grenze wegschaffen würden, wäre alles viel leichter und die Westmächte würden daran ihren guten Willen erkennen und zu Verhandlungen bereit sein.«

In den Bezirken Leipzig, Gera, Rostock und im Gebiet der Wismut AG diskutieren die Arbeiter in größerem Ausmaß über die Rückführung der verurteilten und begnadigten Kriegsgefangenen.2 Dafür folgende charakteristische Beispiele:

Ein parteiloser Arbeiter aus der Mathias-Thesen-Werft Wismar: »Ich begrüße die Rückkehr der verurteilten Kriegsgefangenen. Verschiedene sind aber das Entgegenkommen der SU gar nicht wert.«

Ein Arbeiter aus Pößneck/Gera: »Ich bin durch die Sache etwas deprimiert. Es hieß doch immer, dass sich in der SU keine Kriegsgefangenen mehr befinden. Jetzt, nachdem die Regierungsdelegation in Moskau war, kommen auf einmal wieder welche.« (Diese Meinung taucht sehr oft auf.)

Unzufriedene Stimmen über die Lebenslage im Zusammenhang mit der Durchführung des neuen Kurses werden nach wie vor in nicht geringem Ausmaße laut:

Ein parteiloser Arbeiter der Neptunwerft Rostock: »Der Lebensunterhalt bei uns in der DDR ist teuer. Ich muss wenigstens 400 bis 500 DM verdienen, um einigermaßen Leben zu können.«

Im Kraftwerk Klingenberg Berlin berichten BGL-Mitglieder in einer Sitzung über die Stimmung der Arbeiter u. a. Folgendes: »Die Kollegen wittern, dass mit der Abschaffung der Lebensmittelkarten die jetzigen Preise für rationierte Waren erhöht werden. Man solle die Rationierung erhöhen und auf keinen Fall durch Abschaffung der Karten die Preise erhöhen.«

In diesem Zusammenhang werden die häufigen Stromsperren heftig kritisiert. In Betrieben der Bezirke Karl-Marx-Stadt und Dresden sagen die Arbeiter, dass die Stromsperren zugenommen hätten, und dass dies unvereinbar sei mit dem neuen Kurs.3

Vereinzelt werden auch wieder Stimmen über den Tod Reuters4 laut. Einige Angehörige der technischen Intelligenz in der Berliner GASAG sahen in Reuter einen verdienstvollen Mann, »der hat auch für uns Ostbewohner viel getan, z. B. die Pakethilfe«.5

Im Reifenwerk Fürstenwalde wurde ein Brigadier, der seine Arbeiter mit den gleichen Argumenten zu beeinflussen suchte, von den Kollegen ausgelacht mit der Bemerkung: »Wenn Adenauer nur auch erst abgekratzt wäre.«

Ungeklärte Lohn- oder Normenfragen sind oft Anlass zu Unstimmigkeiten unter den Arbeitern. So bestehen bei Untertagearbeiten im Mansfeld-Kombinat ungerechtfertigte hohe Lohnunterschiede innerhalb der Brigaden.

Im VEB Funkbau Wöbbelin/Schwerin6 wird die Arbeit durch fehlende, technisch begründete Arbeitsnormen gehemmt. Ein Teil der Arbeiter kann seine Normen trotz größter Anstrengungen nicht erfüllen, andere erfüllen sie mit Leichtigkeit.

Andererseits werden Fälle bekannt, wo Arbeiter ungerechtfertigt niedrige Normen mit allen Mitteln zu halten versuchen, um ihren guten Verdienst nicht zu schmälern. In der Bau-Union Halle erfüllte eine Zimmererbrigade ihre Norm ständig mit 180–220 %. Als ihr neuerdings der Lohn nur nach einem normalen Normenstand ausgezahlt wurde, legte sie zweimal die Arbeit nieder und drohte mit einem zweiten 17. Juni.

b) Handel und Versorgung

Aus Rostock wird berichtet, dass die Versorgung mit HO-Butter schwierig wird, da für das IV. Quartal nur 24 t Butter zugewiesen wurden, der Bedarf aber bei 60 t liegt.

In den Bezirken Potsdam und Gera werden in Privatgeschäften Kartoffeln billiger verkauft als in HO und Konsum. Von der Bevölkerung wird darüber Unzufriedenheit geäußert.

In der DHZ Greiz/Gera wurden 7 t Pralinen aus der ČSR angeliefert. Durch die DHZ/Importlagerung Berlin wurde aufgrund der schlechten Qualität eine Preisminderung vorgeschlagen. Eine Anweisung durch das Ministerium der Finanzen erfolgte jedoch bisher nicht und es besteht die Gefahr des Verderbens.

Aus Karl-Marx-Stadt wird berichtet, dass sich in den letzten 14 Tagen ein Rückgang im Warenumsatz, besonders Textilien, bemerkbar machte. Unter der Bevölkerung wird diskutiert, dass in Kürze eine Preissenkung stattfinden soll, worauf dies zurückzuführen ist.

c) Landwirtschaft

Unter der ländlichen Bevölkerung zeigt sich, dass wenig Interesse für politische Tagesfragen vorhanden ist. Diskutiert werden hauptsächlich Dinge, die im unmittelbaren persönlichen Interesse liegen.

In den Bezirken Dresden, Neubrandenburg und Schwerin ist unter den Bauern eine gewisse Missstimmung über die durchgeführten Stromabschaltungen zu verzeichnen.

Im Bezirk Leipzig werden 40 % der benötigten Saatkartoffeln geliefert. Die fehlenden 60 % werden durch Umtauschkartoffeln 1: 1 abgegeben. Dazu äußern Bauern (in negativer Form), dass es ihnen nicht möglich sei, da sie angeblich keine Umtauschkartoffeln hätten.

In einem Rundschreiben der DHZ Chemie, Berlin, an die Kreiskontore für landwirtschaftlichen Bedarf im Bezirk Leipzig wird mitgeteilt, dass die Lieferung von Düngemitteln für das II. Halbjahr durch objektive Schwierigkeiten nicht erfolgen kann. Durch Bekanntwerden des Schreibens wird die Missstimmung über die mangelnde Zuweisung von Dünger vergrößert.

Teilweise wird in den Bezirken noch immer eine Herabsetzung des Getreidesolls gefordert. Dabei muss berücksichtigt werden, dass Bauern durch Frostschäden und dergleichen eine schlechte Ernte haben, reaktionäre Elemente aber versuchen, durch Böswilligkeit ihren Verpflichtungen nicht nachzukommen. So äußerte z. B. ein werktätiger Bauer aus Friesack/Potsdam: »Durch die Frostschäden ist unsere Ernte sehr schlecht ausgefallen. Hier müsste die Regierung eine Einsicht haben und das Soll, welches wir doch nicht erfüllen können, herabsetzen.« Ein Neubauer aus Letschin/Frankfurt: »Erst kommt die Saat, dann das, was ich für mich brauche, dann das, was ich zum Futtern brauche, und wenn noch etwas übrig bleibt, kommt die Ablieferung.«

Aus dem Bezirk Potsdam wird berichtet, dass sich die organisierten Ernteeinsätze positiv auswirken. So befinden sich z. B. im Kreis Wittstock täglich 500 freiwillige Helfer auf den Feldern, wodurch die Hackfruchternte bereits bei 60 % liegt.

Stimmung der übrigen Bevölkerung

Über die Note der UdSSR an die Westmächte wird unter der Bevölkerung nur in ganz geringem Maße diskutiert.

Stärker wird über die Entlassung der verurteilten Kriegsgefangenen gesprochen. Wie aus den Berichten der Bezirke Rostock, Karl-Marx-Stadt, Gera, Magdeburg und Cottbus zu ersehen ist, nimmt dem Anschein nach ein größerer Teil der Bevölkerung in negativer Form dazu Stellung. So äußerte sich z. B. eine Hausfrau aus Karbow/Rostock: »Wenn man die Wahrheit hören will, muss man den RIAS oder NWDR hören. Was die Kriegsgefangenen im ›Ostzonensender‹ sprechen, soll man nicht glauben, denn sie müssen ja so sprechen.« Ein Arbeiter aus Klötze/Magdeburg: »Die Soldaten tun mir leid, denn der Russe hat sie behandelt wie die Hunde.«

Ein Entlassener aus Weida/Gera wurde von einer großen Anzahl der Einwohner mit Blumen vom Bahnhof abgeholt. Dabei wurden die Worte gerufen »endlich haben wir ihn« und »endlich ist er wieder da«. Zu bemerken ist, dass der überwiegende Teil der negativen Stimmen sich auf Kriegsgefangene, nicht aber auf verurteilte Kriegsverbrecher beruft. Von fortschrittlichen Personen wird zum Ausdruck gebracht, dass die Strafe viel zu milde gewesen sei. So sagt z. B. ein Traktorist aus Potsdam: »Die Strafe für diese Verbrecher war viel zu gering.«

Organisierte Feindtätigkeit

Flugblätter und Postwurfsendungen vereinzelt im Bezirk Neubrandenburg, stärker in den Bezirken Cottbus, Potsdam, Schwerin und Karl-Marx-Stadt. Im Bezirk Schwerin mehren sich die Drohbriefe der sogenannten »Widerstandsgruppe Mecklenburg«, in denen gegen die DDR im Allgemeinen und gegen führende Genossen des Bezirkes Schwerin gehetzt wird.

Stimmen aus Westberlin

Wie uns bekannt wurde, sind in Berlin-Moabit zahlreiche SPD-Genossen aus ihrer Partei ausgetreten.

Am 1. Oktober wurden an der Wechselstube Ringbahn ca. 80 Personen beobachtet, die Beträge bis über 1 000 DM in Westmark umtauschten. Es handelt sich in der Mehrzahl um Frauen, die sächsischen Dialekt sprechen.

Große Teile der Tempelhofer Einwohner machten nach dem Tod Reuters einen niedergeschlagenen Eindruck, viele trugen Trauerflore oder schwarze Krawatten. Viele Bewohner beteiligten sich an dem von der Westpresse inszenierten Kerzenrummel, auch einzelne Mitglieder der SED. In Westberliner Bevölkerungskreisen wird lebhaft über die Nachfolge Reuters diskutiert. Man tippt zuweilen auf Friedensburg.7

Einschätzung der Situation

Die Lage hat sich nicht wesentlich verändert. Ein großer Teil der Werktätigen verhält sich weiterhin abwartend und zeigt wenig Interesse für politische Fragen. Die teilweise negativen Diskussionen über die Entlassung der verurteilten Kriegsverbrecher zeigen wieder sehr deutlich in ihrer Argumentation, welche die gleiche wie im RIAS und der Westpresse ist, dass viele Menschen die westlichen Hetzsender hören und sich von ihnen beeinflussen lassen.

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