Tagesbericht
4. Juli 1953
Information Nr. 1005
[Stimmung der Bevölkerung]
In Diskussionen mit Arbeitern in unseren Betrieben kommt immer wieder zum Ausdruck, dass die Missstimmung und Unzufriedenheit der Arbeiter, gefördert durch die Missstände in den Betrieben, der Hauptgrund der Vorkommnisse vom 17. und 18.6.1953 war. Die Ausschreitungen werden von jedem ehrlichen Arbeiter verurteilt und mancher bereut, durch seine Beteiligung gewissen Elementen Vorschub geleistet zu haben.
Wie in Erfahrung gebracht werden konnte, spricht der größte Teil der Arbeiter über die Ereignisse vom 17. und 18.6.1953 nicht mehr bzw. weicht jeder Diskussion aus. In der jetzigen Situation werden besonders rein betriebliche Dinge diskutiert, woraus zu ersehen ist, dass man Feststellungen trifft, ob die Fehler im Betrieb beseitigt werden. So sagt z. B.:
Der Arbeiter [Name 1] vom VEB ABUS: »Die Regierung ist bemüht, ihre Fehler wiedergutzumachen, aber wir müssen alle mithelfen.« Zur Frage der Normerhöhung äußerte er: »Mit den alten Maschinen können wir keine Normen erhöhen.« Zum Westen sagt er: »Die haben es gerade nötig, über unsere Maßnahmen zu reden, sie sollen erst mal bei sich Ordnung schaffen.«
Der Reparaturschlosser [Name 2] vom VEB ABUS: »Der 17. ist nun vorbei, jetzt wollen wir sehen, wie unser Weg im Betrieb in der Zukunft sein wird. Wir müssen im Betrieb jetzt die Fehler aufdecken, damit wir auch im Werk einen neuen Kurs einschlagen. Jetzt muss man nicht viel sprechen, sondern handeln.«
Der Werkzeugbauer [Name 3] vom VEB Wälzlager: »Wir haben einen zu großen Verwaltungsapparat im Betrieb, der mehr desorganisiert als organisiert. Dieser Apparat frisst das ganze Geld auf, was wir verdienen.«
Aus dem Berliner Bremsenwerk wird bekannt, dass die Kollegen die Arbeit voll aufgenommen [haben] und an ihrer Arbeit wieder voll interessiert sind, z. T. bestehen die Arbeiter darauf, dass die Normen, die sie freiwillig zum 1. Mai erhöht haben, bestehen bleiben. Im Allgemeinen versuchen die Arbeiter jedoch, jeder Diskussion auszuweichen, mit der Begründung: »Lass mich doch arbeiten und störe mich nicht schon wieder und damit den Produktionsablauf.«
Im VEB Trumpf werden die Maßnahmen der Regierung begrüßt, jedoch mit dem Vorbehalt: »Wir wollen Taten sehen.« Am meisten sind die Kollegen erfreut über die Rentenerhöhung und Nichtanrechnung von SV-Erholungsreisen1 auf den Jahresurlaub. Viele Arbeiter sind ungeduldig, sie glauben, dass, wenn heute von der Regierung der Beschluss über die bessere Versorgung mit Arbeitskleidung2 gefasst wird, morgen schon die fertigen Mäntel, Schürzen usw. im Betrieb sein müssen. Im Betrieb läuft das Gerücht um, dass bei zwei Kollegen, die am 17.6.1953 negativ diskutierten, Erkundigungen im Hause eingeholt wurden. Dadurch glauben die anderen, dass, wenn sie offen ihre Meinung sagen, sie persönliche Nachteile dadurch erleiden.
Der Arbeiter [Name 4] vom VEB Mechanik Gaselan, wohnhaft in Kleinmachnow: »Durch die zzt. unterbrochene S-Bahnverbindung muss ich jeden Morgen um 5.30 Uhr mit dem Omnibus von Kleinmachnow nach Saarmund fahren. Von dort, nach ca. 25 Min. Aufenthalt, um 6.22 Uhr, besteht die Möglichkeit, in einem bereits überfüllten Zug, der von Potsdam kommt, weiterzufahren. Dieser Zug fährt über den Außenring (Kontrollpunkt Schönefeld). In Schönefeld hat er ebenfalls ca. 25 Minuten Aufenthalt, sodass er nach ungefähr 2½ bis 3 Std. nach Abfahrt von Kleinmachnow in Berlin eintrifft. Die Rückfahrt geschieht auf ähnliche Weise.« Kollege [Name 4] sagt: »Wenn ich um 16.45 Uhr das Werk verlasse, bin ich ca. gegen 19.30 Uhr zu Hause. Zu bemerken ist noch, dass wegen der Überfüllung auf dem Kontrollpunkt Schönefeld kaum eine Personalienkontrolle durchgeführt werden kann.«
Kollege [Name 4] macht folgende Vorschläge:
- 1.
Verlegung des Bahnhofes Düppel3 300 m in die DDR, damit der Zug evtl. ohne Anhalten auf den Stationen des Westsektors bis Berlin durchfahren kann.
- 2.
Wiedereröffnung des S-Bahnhofes Teltow, sodass auch von dort ein Zug ohne Halt im Westsektor bis zum Bhf. Friedrichstraße durchfahren kann.
- 3.
Kurz nach Abfahrt des Personenzuges von Saarmund kommt ein D-Zug vorbei. Er fragt an, ob die Möglichkeit besteht, diesen Zug halten zu lassen, sodass die Menschen ihn (ohne D-Zugzuschlag) bis nach Berlin benutzen können.
Kollege [Name 4] erklärte weiter, dass die Dinge von dem größten Teil der Bewohner der DDR diskutiert werden und sie auf eine Abänderung des bestehenden Zustandes warten. Es besteht der Eindruck, durch Ausbau der Bahnhöfe dieser Strecke, dass aus diesem vorübergehenden Zustand ein dauernder werden könnte und diese Dinge führen zu Missstimmungen in der Bevölkerung. Gleichzeitig nimmt die Bevölkerung gegen die Kolonnen von Personenkraftwagen eine feindliche Haltung ein, die zu dieser Zeit auf dem Umgehungsring nach Berlin hineinfahren.
Der Arbeiter [Name 5] vom Buna-Werk: »Dass es zu einer Demonstration kam, habe ich schon gewusst, denn die Arbeit der BGL war nicht so, wie sie sein sollte. Schon vor ca. einem Jahr habe ich dem 1. Vorsitzenden der BGL gesagt: ›Ihr habt die Bindung mit den Massen verloren, die Arbeiter stehen auf dem Standpunkt, dass sie solche Faulenzer nicht unterstützen werden.‹«
Der Schlosser [Name 6] von der Waggonfabrik Ammendorf: »Auf jeden Fall musste ich meinem Herzen Luft machen und marschierte mit nach Halle, um an irgendeiner Stelle die Forderung zu stellen, die bisher noch befolgt und erhört wurde. Das, was in Halle aber los gewesen ist, habe ich aber nicht gewollt, dafür bin ich nicht marschiert. Ich begrüßte die Schritte, die die Sowjetarmee und Volkspolizei unternommen haben.«
Nachfolgend aufgeführte Beispiele zeigen uns, dass die konsequente Durchführung der Regierungsbeschlüsse notwendig ist, um das Vertrauen der Massen wieder zu gewinnen.
[Name 7], [Name 8] und [Name 9] vom Konstruktionsbüro Ofenbau äußern sich folgendermaßen: »Das Schreiben Dibrowas an den Westkommandanten,4 ist eine Gemeinheit, alles auf den Kopf zu stellen.« [Name 7] meint dazu: »Die Amis werden die schon zur Raison bringen. Sie haben mit den Panzern in Berlin jetzt die ganze Welt gegen sich. Die Regierung gibt jetzt alles zu, um sich in dem Sattel zu halten.«
Am 3.7.1953 hat die Zimmerbrigade [Name 10] – Brigadier [Name 11] – die Arbeit nicht aufgenommen und hielten sich in der Baubude auf. Nach dem Grund befragt, äußern sich die Zimmerleute, sie kommen nur auf 85 %, da sie zzt. Abbund- und Schiftungsarbeiten durchführen. Es kümmere sich keiner um sie und eine Normerfüllung von 100 % wäre bei den jetzigen Preisen zu wenig Verdienst. Der TAN-Abteilung ist seit längerer Zeit bekannt, dass die Normen für Abbundarbeiten nicht den Tatsachen entsprechen und eine Revision notwendig ist.
Am 1.7.1953 kam in der Mittagspause im VEB Bergmann-Borsig ein Angehöriger der BGL und verlas ein Schreiben von Moskauer Kollegen. Nach Vorlesung forderte der Kollege auf, dass ein jeder sich äußern soll, wie der darüber denkt. Trotz wiederholter Aufforderung meldete sich längere Zeit keiner zu Wort. Bei der Versammlung am 2.7.1953 im gleichen Betrieb (im kleinen Gerüstbau) wurde die Grußadresse, die nach der SU geschickt werden soll, durchgesprochen. Wie in Erfahrung gebracht wurde, haben die Arbeiter gemeutert und Freilassung der verhafteten Kollegen gefordert.
Der Arbeiter [Name 12], Werk »7. Oktober«: »Dass mit den Fallschirmspringern5 ist ja alles Lüge, denn überall sind Tausende marschiert. Der FDGB ist ja nur ein Sprachrohr der Regierung, wogegen der DGB für die Arbeiter ist. Als der Generalvertrag6 unterschrieben wurde haben wir geschrien: ›Generalstreik!‹ Damit die Amis auf die Arbeiter schießen und wir schreien können: ›Die Amis schießen auf Arbeiter.‹ Was haben wir erreicht, gerade das Gegenteil. Bei uns brach der Generalstreik aus und die sozialistischen Sowjetsoldaten schossen gegen Arbeiter. Ja, ja, das sind Freunde.«
Im EAW »J. W. Stalin« hat die BGL aufgefordert, dass alle Kollegen ihre Wünsche und Beschwerden innerbetrieblicher Art ihrer zuständigen AGL zuleiten sollten. In der Kostenstelle 325 (Revisionsabteilung) kam es zu politischen Forderungen folgender Art:
- 1.
Freie Wahlen
- 2.
Freie Grenzen in ganz Deutschland
- 3.
Senkung der HO-Preise
- 4.
Normaler Verkehr auf allen Verkehrsmitteln
- 5.
Haushaltstag7 für alleinstehende Frauen
- 6.
Freilassung sämtlicher unschuldiger Häftlinge nach dem 17.6.1953 (sowie Grund der Verhaftung)
- 7.
Belieferung sämtlicher Privatgeschäfte, damit das Schlangestehen aufhört
- 8.
Erhöhung der Waisenrenten
- 9.
Witwenrente und Steuerermäßigung für Witwen sowie Beseitigung der Steuergruppe 1 für verheiratet mit erwachsenen Kindern
- 10.
Gleichstellung der Lebenslage für Bewohner der Randgebiete mit Berlin
Es unterschrieben 90 % der gesamten Abteilung. Die Ausarbeitung dieser Forderung wurde von dem Vertrauensmann zur AGL [Name 13] sowie dem Kollegen [Name 14] vorgenommen. Den Kopf schrieb die Werkstattschreiberin [Name 15]. Die Liste unterschrieben 63 Kollegen.
Frau [Name 16] (Westberlinerin), erklärte: »Wenn die Kontrollen an den Sektorengrenzen nicht bald aufgehoben werden, so wird das Volk bald wieder mürrisch.« Die Stimmung im Betrieb ist abwartend. Niemand spricht viel von Politik und dergleichen.
Die Stimmung im VEB »7. Oktober« ist so, dass die Arbeiter das, was in der Zeitung veröffentlicht wird, nicht glauben. Die Arbeiter wollen erst sehen, ob sie am Abrechnungstag tatsächlich mehr ausgezahlt bekommen. Verschiedene sagten, dass, wenn am 10.7.1953 zur Abrechnung das Geld nicht stimmt, sie ordentlich Krach machen werden.
Über die Auszeichnung des Genossen Walter Ulbricht als »Held der Arbeit« äußert sich der Transportarbeiter [Name 17]: »Ausgerechnet Walter Ulbricht, der an der ganzen Sache schuld ist.« Als im Betriebsfunk angesagt wurde, dass Unterschriften für die Deutsch-Sowjetische Freundschaft gesammelt werden, sagte er ([Name 17]): »So weit kommt es noch, Unterschriften dafür zu geben.«
Die Arbeiter im VEB Kalkwerk Hermsdorf erheben Forderungen nach Neuregelung von Renten für Hinterbliebene. So z. B. verunglückte in diesem Werk 1947 ein Grubenarbeiter tödlich und seine Hinterbliebenen erhalten keinerlei Unterstützung.
Der Arbeiter [Name 18], Lederwarenfabrik Bautzen: »Es herrscht noch keine Ruhe, sondern es gärt in den kommunistischen Ländern wie z. B. in Rumänien, in der ČSR und es wird auch in der SU nicht anders sein. Der ganze Laden wird zusammenfallen, die Arbeiter machen nirgends mehr mit dem Kommunismus mit, weil sie sehen, dass nichts wird.«
Aus den Diskussionen des WTBG III8 am 2. Juli 1953 (anwesend 350 Personen)
Diese Versammlung zeigt eine besonders feindliche Einstellung zu unserer Regierung und deren Maßnahmen. Der Vorsitzende der BGL, ein gewisser Klein, behauptete mehrfach in der Versammlung, dass er alter Berufssoldat sei, bei der »Legion Condor« in Spanien gekämpft habe, mit einem Wort, es handelt sich hier um ein äußerst feindliches faschistisches Element. Dass sich die Partei überhaupt nicht um die Zusammensetzung der BGL gekümmert hat, wird dadurch bewiesen, dass ein solches Element BGL-Vorsitzender sein kann. Er ließ dann die Abstimmung über das Redeverbot des Vertreters des Bundesvorstandes des FDGB nicht nur zu, sondern befürwortete und organisierte dieses. Die ganze Belegschaft ist ein einziger feindlicher Haufen, um dessen Zerschlagung man sich ernsthaft Mühe geben muss. Ein Teil muss durch geduldige systematische Parteiarbeit gewonnen werden, während die unbelehrbaren Feinde im Laufe der Zeit aus dem Betrieb entfernt werden müssen.
Als erster Diskussionsredner trat Kollege Stöhr (BV-Ingenieur)9 auf. Er sprach offen, zynisch und aufreizend. Er fing damit an, dass er sagte: »Wir haben nach der FDGB-Gruppenversammlung natürlich zusammen gesprochen und festgelegt, dass vorgebracht werden muss, damit nicht gesagt wird, dass eine Gruppe Agenten besteht, habe ich mir alle Punkte aufgeschrieben, von denen ich zuerst nur einige selbst erwähnen werde. Ich trete als erster auf, weil ich ledig bin. Vielleicht treten nach mir auch noch andere auf. Zuerst will ich die Frage stellen: Wie lange können wir frei reden? Nur heute, ein paar Tage oder wie lange? Wir müssen wissen, ob die Regierung es ehrlich meint, oder ob man uns die Redefreiheit nur als Zuckerbrot vorhält und uns nach einigen Tagen wieder das Zuckerbrot entzieht. Wir müssen wissen, ob wir frei reden können, ohne befürchten zu müssen, morgen verhaftet zu werden. (Diese Ausführungen wurden mehrfach durch allgemeine Zustimmung unterbrochen.) Ich komme nun zu meinem ersten Punkt, die Frage Salewski. Ich frage im Namen aller Kollegen und fordere die Beantwortung der Frage: Warum ist S. verhaftet? (Großer Beifall fast aller Kollegen, Händeklatschen.) Wir wollen wissen, was ihm vorgeworfen wird. (Beifall) Ich kenne S. als ruhigen und guten Menschen, der nichts Schlechtes getan haben kann. Der Regierungsvertreter soll sagen, warum nicht nur wir, sondern auch seine Frau nicht informiert wurde (Zurufe: Unerhört, Schande usw.). Die Ehefrau musste erst tagelang von einer Stelle zur anderen laufen, um endlich feststellen zu können, wo sich ihr Mann befindet. Sprechen durfte sie ihn aber nicht. (Wieder allgemeine Zurufe und Unruhe.) Wir fordern also nochmals genaue Auskunft über diesen Fall (erneuter Beifall). Ich komme nun zu meinem zweiten Punkt, den ich mir aufgeschrieben habe, die Frage der Entlassung des Kollegen [Name 19] und anderer Westberliner Kollegen. Kollege [Name 19] und auch die anderen entlassenen Kollegen waren gute Fachkräfte und haben sich nichts zuschulden kommen lassen. Durch die Entlassung ist sogar ein Verzug in der Arbeit eingetreten. Wir fordern auch hierüber eine Erklärung des Vertreters der Regierung.«
Anmerkung: Bei der Rede des Kollegen Stöhr merkte man deutlich, dass, wenn er offen aufreizende Formulierungen, die zum Teil in gehässiger Art vorgetragen wurden, brachte, sofort Beifall bei dem größten Teil der Anwesenden hatte.
Kollege Stöhr: »Wir wollen Volksvertreter, die unsere Interessen vertreten. Das Gleiche gilt auch für die Funktionäre des Bundesvorstandes des FDGB. Wenn sie unsere Vertreter sein wollen, so hätten sie, wie man jetzt sagt, für unsere berechtigten Forderungen eintreten müssen und von der Regierung verlangen müssen, dass diese eine von den Demonstranten gewählte Delegation empfängt. Da sie dies nicht getan haben, sind sie auch nicht unsere Vertreter. Außerdem muss ich nochmals die Frage der Vertrauenswürdigkeit der Erklärungen der Regierung anschneiden, da es doch auffällig ist, dass der Umschwung so plötzlich erfolgte. Ich habe keine Erklärung für diese Plötzlichkeit, oder hat die Regierung hierfür von irgendeiner Seite plötzlich Anweisungen erhalten? Ich bitte, dass der Regierungsvertreter auch hierzu Stellung nimmt.«
(Diese Ausführungen des Kollegen Stöhr wurden mit sich steigender Intensität durch Beifall, Händeklatschen und Zurufe unterstützt, woran sich fast alle Anwesenden beteiligten.)
Als dann der Kollege vom Bundesvorstand in ruhigen Worten die Zusammenhänge zwischen den Maßnahmen der Regierung und den Ereignissen vom 17.6.1953 und den Treibriemen des Gegners zur Herbeiführung des Tages X10 aufzeigte, wurde er immer wieder durch Zurufe unterbrochen. Es zeigte sich immer deutlicher, dass unter den Anwesenden sich mehrere Gruppen befanden, die von einigen Kollegen angefeuert wurden, ihr Missfallen zu äußern. Hierdurch wurden die anderen Kollegen immer wieder dazu hingerissen, bei jeder sachlichen Klärung durch den Referenten oder den Vertreter des Bundesvorstandes des FDGB gleichfalls Missfallen zu äußern. Es ging soweit, dass Kollege11 den Antrag stellte, dem Kollegen vom Bundesvorstand das Wort zu entziehen. Kollege Klein kam dem sofort entgegen und ließ über den Wortentzug abstimmen. Ergebnis: 20 Stimmen dagegen (fast alles Genossen), alle anderen dafür.
Sofort nach dem erzwungenen Abbruch der Ausführungen des Kollegen vom Bundesvorstand des FDGB zeigte sich, dass ca. 70–80 % der Anwesenden gar kein Interesse an einer sachlichen Klärung der Meinungsverschiedenheiten hatten. Schon wie bei der Betriebsversammlung am Vormittag des 17.6.1953 und bei den FDGB-Gruppenversammlungen zeigte sich, dass die Anwesenden nur Interesse an negierenden Äußerungen hatten und sofort auf von einzelnen Schreiern gegebenen Auftrag hin Missfallen äußerten, wenn erklärende oder die Maßnahmen der Regierung bekräftigende Äußerungen fielen.
Kollege [Name 20] sagt, auch er ist der Ansicht, dass Presse und Rundfunk nicht richtig arbeiten. »Was wir wissen wollen, bringen sie nicht. Ich kann ihnen die Schlagzeilen eines ganzen Monats – wenn es gewünscht wird – aufsagen. Presse und Rundfunk müssen vom RIAS lernen (großer Beifall), ich meine natürlich nur von der Art und Weise, die ist bestimmt besser und erfolgreicher, wenn man nicht sagen will raffinierter.«
Kollege [Name 21] sagte, er war am 17.6.1953 krank und wollte Nachrichten über die Ereignisse hören. Im Berliner Rundfunk hörte er nur spärlichen Unsinn, dagegen hätte – abgesehen von den westdeutschen Sendern – sogar der Schweizer Rundfunk klare und sachliche Nachrichten gegeben. Auch der tschechische Rundfunk hätte ausführliche Nachrichten gegeben, ausführlicher als der Berliner Sender. »Wir wollen schnell, richtig und aktuell unterrichtet werden, das können wir verlangen, dafür zahlen wir unsere 2 DM.« (Großer Beifall)
Stimmung von Rückkehrern in das Gebiet der DDR
In der Zeit vom 3.7.1953 bis 4.7.1953 kehrten dem Ministerratsbeschluss vom 11.6.195312 folgend insgesamt 137 Personen in das Gebiet der DDR zurück. Davon sind 14 Personen, die erstmalig in das Gebiet der DDR einreisen und um Aufnahme baten. In dem gleichen Zeitraum wurden 72 Personen republikflüchtig. Hieraus ist zu ersehen, dass gegenüber den vorhergehenden Tagen ein wesentlicher Anstieg der Zahlen von zurückgekehrten Personen zu verzeichnen ist. Demgegenüber hat die Zahl der republikflüchtigen Personen etwas nachgelassen. Bei einer zwanglosen und unbeeinflussten Unterhaltung wurden 15 Personen über die Stimmung der Flüchtlinge in Westdeutschland und die Aufnahme des Ministerratsbeschlusses bei diesen Personen befragt. Die befragten Personen setzen sich aus zwölf Arbeitern, einem Bauern, einem Geschäftsmann und einem Angestellten zusammen. Aufgrund der Angaben dieser Personen kann Folgendes berichtet werden:
1. Aufnahme des Ministerratsbeschlusses bei den Flüchtlingen in Westdeutschland und Westberlin
Die befragten Personen äußerten übereinstimmend, dass sie sehr erfreut über den Ministerratsbeschluss waren. Sie glauben auch fest an dessen Durchführung und sind deshalb wieder in ihre Heimatorte zurückgekehrt. Auch bei den Flüchtlingen in den Lagern in Westberlin und Westdeutschland, die sich nicht eines Verbrechens schuldig gemacht haben, sondern durch Kopflosigkeit die DDR verließen, wurde dieser Beschluss freudig begrüßt. Es kommt jedoch immer wieder zum Ausdruck, dass viele dieser Personen, beeinflusst durch die westliche Propaganda, dem Ministerratsbeschluss noch nicht ihr volles Vertrauen schenken. Sie nehmen darum noch eine abwartende Haltung ein und wollen erst sehen, wie es den Personen ergangen ist, die schon zurückgekehrt sind. Die zurückgekehrten Personen begründen ihre Rückkehr damit, dass sie, nachdem sie das Elend im Westen kennengelernt haben, wieder Vertrauen zu unserer Regierung bekommen haben.
So sagte der zurückgekehrte Bauer [Name 22, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1926, wohnhaft in Zschochau/West, Kreis Delitzsch, Folgendes: »Wenn die DDR so etwas beschließt, so kann sie nicht meinen, dass sie die Bauern herüberlockt und sie in die Zuchthäuser sperrt, sondern ich bin der Meinung, dass sie es offen und ehrlich mit uns meint.«
2. Stimmung und Hemmungen der Flüchtlinge bei ihrer Rückkehr in die DDR
Die Stimmung unter den Flüchtlingen in den Lagern in Westdeutschland und Westberlin ist als nicht besonders gut zu bezeichnen, besserte sich aber, nach dem Bekanntwerden des Ministerratsbeschlusses. Da viele der Flüchtlinge hierdurch die Möglichkeit sahen, endlich wieder in ein geregeltes und geordnetes Leben eintreten zu können.
Trotzdem, dass die Zustände oft unhaltbar sind, schlechte Wohnungen, ungenügendes Essen und oft ohne Arbeit, ist die Furcht bei vielen Personen in die DDR zurückzukehren noch stärker. Diese Personen fielen auf die Hetzpropaganda des Westens herein und sind sich nun unschlüssig, was sie machen sollen. Den meisten der Flüchtlinge bleibt nur der eine Ausweg offen, entweder in die Söldnerarmee13 einzutreten oder auszuwandern. Viele Flüchtlinge versuchen auch, so schnell wie möglich von Westberlin nach Westdeutschland zu kommen, da sie sich dort ein geregeltes Leben versprechen.
Hierzu sagte der Rückkehrer [Name 23, Vorname], ca. 55 Jahre alt, wohnhaft in Seelow, Folgendes: »Das Lagerleben war schlecht und ungenügend und jeder wollte so schnell als möglich nach Westdeutschland, wo ihnen eine Arbeitsstelle und Land versprochen wurde. In Westdeutschland aber war ein großer Teil von uns Flüchtlingen oft wochenlang ohne Obdach und ohne genügend Lebensmittel auf der Landstraße. Wir Republikflüchtlinge wurden nicht nur als Menschen 2. Klasse betrachtet, sondern waren in den Augen der dortigen Regierung und Verwaltung nur ein Haufen Dreck. Wenn wir Flüchtlinge durch die Städte zogen, bekamen wir von den Wohlfahrtsämtern 2 DM (West) und mussten innerhalb 24 Stunden die Ortschaft wieder verlassen. Die Säuglinge, die manche mitführten, konnten nur durch Kaffee und Zuckerwasser am Leben erhalten werden. Auch die Bauern und Großbauern in Westdeutschland gaben uns nichts, da sie ihre Butter und andere Produkte verkauften, um sich für das Geld Margarine und andere Sachen [zu] kaufen, um nur etwas Geld in den Händen zu behalten.«
Viele der Rückkehrer brachten auch zum Ausdruck, dass man versuchen muss, den Flüchtlingen in den Lagern in Westdeutschland und Westberlin irgendwie zu helfen, da sie durch die westliche Hetze noch zu viel Angst vor ihrer Rückkehr haben. Dazu sagte der Rückkehrer [Name 24, Vorname], Arbeiter im VEB Sachsenpelz in Naunhof, Kreis Grimma, Folgendes: »Ich bin nun wieder in die DDR zurückgekehrt und kann bestimmt sagen, dass zwischen der DDR und Westdeutschland ein großer Unterschied besteht. In Westdeutschland sind es noch viele junge Menschen, welche gerne in die DDR zurückkehren möchten, da es ihnen in Westdeutschland nicht gut geht. Jedoch haben sie Angst wieder zurückzukehren. Ich möchte einmal im Rundfunk sprechen können, um den Menschen im Westen die Wahrheit von der DDR erzählen zu können bzw. möchte ich diesen helfen, dass sie ohne Hemmungen in die DDR zurückkehren können.«
3. Agitation und Maßnahmen vonseiten der westlichen Behörden, um eine Rückkehr der Flüchtlinge zu verhindern
Von den westlichen Behörden wird auf verschiedene Art und Weise versucht, die Flüchtlinge von einer Rückkehr in die DDR abzuhalten. Vor allen Dingen versuchen sie es mit einer wüsten Hetze durch die Presse und Rundfunk, die sie über die DDR verbreiten, die Flüchtlinge zu verängstigen und von einer Rückkehr abzuhalten. Oftmals wurden ihnen auch sämtliche Ausweise abgenommen und dann erklärt, dass sie ohne Ausweise nicht wieder das Gebiet der DDR betreten dürften, da sie sonst sofort verhaftet würden. Man versucht auch den Flüchtlingen Angst einzujagen, indem man von ihnen eine Erklärung abverlangt, die besagt, dass sie für ihre Folgen der Rückkehr selbst verantwortlich sind. Bevor sie diese Erklärung nicht abgegeben haben, erhalten sie den Personalausweis nicht zurück.
4. Über die Durchführung der Maßnahmen des Ministerratsbeschlusses
Fast übereinstimmend äußerten die Befragten, dass sie über eine so gute Behandlung bei ihrer Rückkehr sehr erstaunt waren und dass sie dies nicht erwartet hätten. Schwierigkeiten wurden ihnen keine bereitet und sie bekamen ihr Eigentum alle vollständig wieder zurück.
Lediglich bei dem Rückkehrer [Name 25, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1930 in Magdeburg, wohnhaft in Bismark, Kreis Kalbe, wurden Schwierigkeiten beim Erhalt der Zuzugsgenehmigung gemacht. [Name 25] ist am 16.6.1953 aufgrund des Ministerratsbeschlusses aus Westberlin nach Bismark zurückgekehrt, sein Ziel ist es, hier bei uns eine feste Arbeit zu finden, was ihm drüben nicht möglich war. Bis jetzt wurde ihm aber noch keine Zuzugsgenehmigung gewährt. Er ist nur im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung. [Name 25] hegt nun die Befürchtung, dass er wieder nach Westberlin zurückgeschickt würde.
Zur Information noch ein Beispiel eines westdeutschen Arbeiters, der um Aufnahme in die DDR bat: Der Kraftfahrer [Vorname Name 26], geb. 1928, wohnhaft gewesen in Essen, bat um Aufnahme in der DDR. Er brachte einen Lkw von Westdeutschland mit, der seinem Freund und Arbeitgeber [Name 27], Transportunternehmer in Essen-Schönebeck, gehörte. Nach Angaben des [Name 26] hat er seinen Grenzübertritt mit seinem Arbeitgeber vereinbart und dieser erklärte sich einverstanden, da er selbst in kurzer Zeit in die DDR kommen will. Nach dem Grund seines Grenzübertritt befragt, gab er an, dass er als FDJ-ler am Kupfersonntag am 21.12.1952 in Essen teilgenommen hat und ihn ein Bekannter, der bei der Bundespolizei beschäftigt ist, [darauf] hinwies, dass man sich für ihn interessiert und er in den nächsten Tagen in Essen beim Polizeipräsidium erscheinen soll. Er beabsichtigt, im Gebiet der DDR zu bleiben und seine Ehefrau mit drei Kindern nach hier kommen zu lassen. Es wurden ihm keine Schwierigkeiten bereitet, vom Rat des Kreises Klötze wurde ihm sofort die Genehmigung zur Eröffnung eines Fuhrgeschäftes erteilt.
Maßnahmen des Feindes
Es konnte in Erfahrung gebracht werden, dass der Leiter der Ballonaktion des DGB gegen die DDR vor einer GOD-Gruppe (Gewerkschaftsordnungsdienst) von ca. 35 Personen eine Auswertung der Ereignisse des 17.6.1953 im Ostsektor vorgenommen hat. Er stellte u. a. fest, dass vom DGB und besonders vom GOD in der Vergangenheit schwere Fehler gemacht wurden. Der schnelle Abbruch des »Aufstandes« in Ostberlin wäre ein Beweis dafür, dass die Bevölkerung des Ostsektors noch nicht davon überzeugt ist, dass ihre Forderungen beim »Durchhalten« durchgesetzt werden können.
Als in dieser Versammlung die Frage auftauchte, ob die Mitglieder der GOD-Gruppe jetzt wieder zur Schulung auf die DGB-Schule am Wannsee gehen können, wurde von dem Redner erklärt, dass jetzt nur Bewohner des demokratischen Sektors und der DDR, die in Kürze wieder nach den neuesten Maßnahmen der Regierung in ihre Heimatorte zurückkehren, auf dieser Schule geschult werden.
Es soll sich dabei um alle Schichten handeln – Arbeiter, Angestellte, Geschäftsleute und andere –, die somit mit bestimmten Aufträgen und Anweisungen wieder in das Gebiet der DDR zurückkehren. Man rechnet allgemein damit, dass es in nächster Zeit bald wieder zu derartigen Erhebungen der Bevölkerung der DDR kommen wird. Für diesen Fall will man besser vorbereitet sein.14
Die Mitglieder des DGB-GOD erhielten schon jetzt die Anweisung, dass nach Aufhebung der Sperrmaßnahmen an den Sektorengrenzen sie ihre Hauptarbeit in den demokratischen Sektor Berlin verlagern müssen, um dort eine intensive »Propaganda« zu entfalten und die Bindungen der Bevölkerung zum »Freien Westen« zu gestalten.
Der GOD geht jetzt nach den Ereignissen zu einer strafferen Form der Organisation über. Z. B. findet zweimal in der Woche als Pflichtveranstaltung Judo-Sport in der Turnhalle Hallerstraße jeden Dienstag und Donnerstag um 19.00 Uhr statt. Wer mehr als zweimal fehlt, wird ausgeschlossen.15
Aus dem Bezirk Magdeburg wird bekannt, dass die Postämter im Bezirk Magdeburg ein Fernschreiben vom Ministerium für Post- und Fernmeldewesen erhalten haben mit der Unterschrift des Staatssekretärs Schröder folgenden Inhaltes: »Das ›Neue Deutschland‹ vom 4.7.1953 ist anzuhalten und nicht zur Ausgabe zu bringen. Dafür erscheint am Nachmittag des 4.7. eine Ersatzauflage, die mit einem roten Kreuz gekennzeichnet ist.« Die notwendigen Maßnahmen wurden veranlasst und Verbindung mit der Bezirksleitung der Partei in dieser Frage aufgenommen.
Über die Lage zur Versorgung der Bevölkerung
Zur Versorgung in den Grenzkreisen
Die Fettversorgung im Kommandantur-Bereich Groß-Glienicke ist schlecht, besonders fehlt es an Butter. Unter der Bevölkerung hat sich dadurch die Stimmung verschlechtert.
Im Kommandantur-Bereich Blankenfelde ist die Versorgungslage im Allgemeinen gesichert. Es treten jedoch Schwierigkeiten in der Fettversorgung auf. Mangelhaft ist jedoch die Versorgung der Bevölkerung mit Verbrauchsgütern. In Wernsdorf treten Schwierigkeiten in der Mehlbelieferung ein. Es wird darüber diskutiert, warum die Bevölkerung nicht mit HO-Kohle beliefert wird.
Im Dienstbereich der GPB Rostock bestehen Schwierigkeiten in der Nährmittelbelieferung, besonders an Kindernährmitteln. Im Kreis Bergen treten unter der Bevölkerung Unstimmigkeiten auf, da die HO-Verkaufsstellen schlecht mit Butter, Margarine und Zucker versorgt werden. Dies wird besonders dadurch noch verstärkt, dass Lebensmittel für die Intelligenzberechtigungskarten bereitliegen. Vom Leiter der Außenstelle der Derutra wurde mitgeteilt, dass die Reichsbahn zu wenig Transportmittel für Frischfisch zur Verfügung stellt. Dadurch besteht die Gefahr, dass Fisch verdirbt.
Im Grenzgebiet von Schönberg treten Schwierigkeiten in der Versorgung mit Frischgemüse, ausreichenden Getränken sowie einwandfreien Fleischwaren auf. Bei der Versorgung der Grenzbevölkerung in den Orten Groß Thurow, Molzahn, Schlagbrügge und Schlagsdorf treten Schwierigkeiten besonders bei Zucker, Margarine, Haferflocken und Marmelade auf.
Die Belieferung mit Lebensmitteln im Dienstbereich der GPB Salzwedel ist normal, es treten jedoch Schwierigkeiten in der Versorgung mit Gebrauchsgegenständen und Kunstdünger auf.
Im Grenzbereich von Gardelegen werden besonders Diskussionen geführt, betreffs der Wildschweinplage, vor allem im Gebiet Walbeck.
Im Kali-Schacht in Halberstadt-Morsleben bestehen Absatzschwierigkeiten. Es wird unter den Bauern noch diskutiert, dass es besser wäre, wenn man während der Heuernte jeden Tag in das 500-Meter-Gebiet16 gehen könnte, um zu arbeiten.
Bei der Grenzbevölkerung in Nordhausen treten Schwierigkeiten in der Versorgung mit Obst und Gemüse auf. Im Kommandantur-Bereich Benneckenstein wird Klage über das Auftreten von Schwarzwild geführt, da bis zu 25 % Ackerland nicht bestellt werden können.
Im Bereich der GPB Darmbach wird unter den Bauern dahingehend diskutiert, dass, wenn sie nicht an den 10-Meter-Kontrollstreifen17 herankönnen, sie die im 500-Meter-Streifen liegenden Wiesen bzw. Viehweiden nicht ausnutzen können. Dadurch wird es ihnen unmöglich das Milchsoll zu erfüllen. In Geismar sind wieder Wildschweinschäden zu verzeichnen. Man ersucht, dass ein Jagdkommando der VP eingesetzt werden soll.
Die Belieferung der HO und Konsumverkaufsstellen im Grenzgebiet Meiningen ist nicht gut. So fehlt es in Mendhausen und Wolfmannshausen an Süßwaren, Obstkonserven, Käse, Fischwaren, Teigwaren, Butter und Margarine. Ebenfalls ist die Belieferung mit Textilien ungenügend.
Im Grenzbereich der GPB Hildburghausen treten in Heldburg ernsthafte Schwierigkeiten in Frischgemüse auf, ebenfalls besteht Mangel an Zucker und Arbeitskleidung, besonders benötigen die Waldarbeiter dringend passende Arbeitsbekleidung.
Im Bereich der GPB Köppelsdorf besteht ein Schwerpunkt in der Belieferung von Düngemitteln, besonders in den Ortschaften Böhlau18 und Selpendorf.19 In den Grenzgemeinden Titschendorf und Brennersgrün ist zurzeit eine große Wildschweinplage zu verzeichnen. Die dort in großer Anzahl auftretenden Wildschweine vernichten ganze Kartoffelfelder.
Im Grenzbereich der GPB Grabow muss die Belieferung mit Honig, Zuckerwaren und dergleichen noch verbessert werden.
Die Bevölkerung im Bereich Blumberg diskutiert darüber, dass es zu wenig Margarine gibt. Im Allgemeinen könnten sie keine Butter kaufen, da diese noch zu teuer ist.
Zur Versorgung im Gebiet der DDR
Bei der DHZ Textil sind Überplanbestände von 1 500 Herrenhosen hell, 1 400 hellen Herrenanzügen, 1 500 helle Burschenanzügen, 2 400 Damenhosen, 10 000 Knabenanzügen und Höschen vorhanden. Weiterhin lagern bei der DHZ Textil, Lager Berlin Chausseestraße, 600 Lodenmäntel, welche in Berlin abzusetzen sind. Vom Ministerium für Handel und Versorgung wird jedoch eine Verlagerung nach der DDR untersagt.
Die Zulieferbetriebe der Fortschritt-Werke Berlin haben durch die zuständigen Verbrauchskontore Dresden und Karl-Marx-Stadt noch keine Verträge erhalten, sodass heute noch keine Garne für die im III. Quartal zu liefernde Ware vorhanden ist. Von diesen Werken dürfen [sic!] keine Berufsbekleidung, welche die Größe 55 überschreitet, mehr gefertigt werden, da die Materialverbrauchsnorm dagegen stehe.
Von der DHZ Textil-Wirkwaren, Berlin Kronenstraße, wurde bekannt, dass die Vertragskontore Erfurt und Karl-Marx-Stadt bis zum 24.6.1953 noch keine Verträge mit der Privatindustrie registriert hatten, sodass diese für das III. Quartal nicht termingemäß liefern können.
Karl-Marx-Stadt hat so große Bestände an Kunstseide, dass Kontingente zurückgegeben werden sollen.
Im Bezirk Dresden ist die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungs- und Genussmitteln auf Markenbasis20 nach dem Bereitstellungsplan III. Quartal 1953 gesichert. Eine vollkommene Befriedigung der Bevölkerung mit Industrie- und Textilwaren ist noch nicht gewährleistet, da noch nicht genügend Auswahl an Sommerkleidung, Badeartikeln, Sommerstoffen, Kindersportwagen, Fotoapparaten usw. in den Handelsobjekten vorhanden ist. Hinzu kommt, dass Anzeichen vorhanden sind, dass Teppiche, Schreibmaschinen usw. in verstärktem Maße von der Bevölkerung gekauft werden, da ein Gerücht von einer bevorstehenden Währungsreform im Umlauf ist.21 In der Kartoffelversorgung bestehen in der Bereitstellung von Speisekartoffeln noch außerordentliche Schwierigkeiten. Die Lücke von 8 000 t Kartoffeln zur Ferienaktion und für Großverbraucher konnte zum Teil geschlossen werden. Im Absatz von Gemüse und Obst bestehen auch weiterhin erhebliche Schwierigkeiten, sodass große Verluste zu verzeichnen sind (Gemüse ca. 40 %, Obst ca. 90 % verdorben).
Eine ernste Situation ist in Bezug auf die Erfassung und den Aufkauf von landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu verzeichnen. Die Bauern halten sich besonders in den letzten Tagen in der Pflichtablieferung von vorwiegend tierischen Erzeugnissen sehr stark zurück. In der Zeit vom 17.6. bis 30.6. sind Verkaufsvereinbarungen und diesbezügliche Auftriebe teils nur bis zu 50 % im Bezirksmaßstab durch die VEAB erfüllt. Auch hier ist die Ursache des Rückgangs eine weit verbreitete Flüster- und Hetzpropaganda über eine Währungsreform.
Anlage (o. D.) zur Information Nr. 1005 (1. Expl.)
Information Nr. 1005a: Verhalten der Geistlichkeit der katholischen und evangelischen Kirche zu den Ereignissen am 17. und 18. Juni 1953 und zum Ministerratsbeschluss vom 11. Juni 1953
I. Zu den Ereignissen des 17. und 18. Juni 1953
Die kirchlichen Vertreter der im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik gelegenen Erzdiözese Meißen und die im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik gelegenen Bistümer Schwerin, Magdeburg, Meiningen und Berlin sowie deren unmittelbar untergebenen Pfarrer usw. verhielten sich während der Ereignisse und auch unmittelbar danach äußerst zurückhaltend und abwartend.
Der Rat der evangelischen Landeskirche Deutschlands in Berlin (West) und deren Vertretung für das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik (im demokratischen Sektor von Berlin) sowie die Leitungen der evangelischen Landesgemeinden22 von Berlin-Brandenburg, Mecklenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Sachsen und Görlitz verhielten sich äußerst loyal.
Ihr Bestreben war es, dass man ihnen seitens der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik nicht etwa den Vorwurf machen könnte, evtl. als Mithelfer der Urheber der faschistischen Provokation hingestellt zu werden oder mit den Organisatoren dieser Provokation identifiziert zu werden. Man ging sogar von diesen Leitungen dazu über, durch einzelne Maßnahmen aktiv bei der Wiederherstellung der Ruhe und Ordnung mitzuhelfen.
In den Kreisen der Kirchenleitung hob man hervor, vorher nicht über die Ereignisse informiert gewesen zu sein und auch während der Ereignisse keine Übersicht über die Situation gehabt zu haben.
Ein in Kirchenkreisen vertrauter Vertreter der CDU gibt das Ergebnis einer Aussprache mit den Vertretern des Rates der evangelischen Landeskirche mit ihrem Sitz im demokratischen Sektor von Berlin wie folgt wieder: »Am 18.6.1953 vormittags hatte ich in der Bischofsstraße eine etwa einstündige Unterredung mit drei Herren der Leitung der Evangelischen Kirche in Deutschland, unter denen sich auch Generalsuperintendent Dr. Krummacher23 und Dr. Kreyssig24 befanden. Die Herren erklärten, dass sie ohne Fühlungsnahme [sic!] mit den Westberliner Stellen, vor allem aber in Anbetracht der Tatsache, dass sie die Situation nicht gründlich genug ersehen, eine Stellungnahme zur jetzigen Lage nicht abgeben könnten. Sie waren übereinstimmend der Meinung, dass die Entführung von Herrn Nuschke,25 allein schon in Anbetracht seines hohen Alters, unerhört sei.
Sie erklärten, dass sie selbstverständlich bereit wären, ihre gesamte Autorität in die Waagschale zu werfen, um bei den Westberliner Stellen die Freilassung Otto Nuschkes zu erwirken. Sie betonten wiederholt, dass die evangelische Kirchenleitung Otto Nuschke gegenüber zu großem Dank verpflichtet sei und aus diesem Grunde alle Schritte unterstützen würde, die zu seiner baldigen Rückkehr führen würden.
Im weiteren Verlauf des Gesprächs äußerten sich die beteiligten Herren in außerordentlich verantwortungsvoller Weise über die Vorgänge vom gestrigen (17.6.) und vorgestrigen (16.6.) Tage in Berlin. Sie versicherten, dass die evangelische Kirchenleitung unverzüglich versuchen würde, Verbindung mit dem sowjetischen Hohen Kommissar und den zuständigen Regierungsstellen in der Deutschen Demokratischen Republik aufzunehmen, um über die geplanten Aktionen informiert zu werden, soweit dies dazu beitragen könnte, der evangelischen Kirche ein Wort an die Gemeinden zu ermöglichen.
Sie erklärten, dass auch die evangelische Kirche in dieser Situation eine hohe Verantwortung trage, um weitere Ausschreitungen und ein eventuelles Blutvergießen zu verhindern. Sie seien sich dieser Verantwortung bewusst und würden im Rahmen der ihnen zu Gebote stehenden Mittel zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung beizutragen versuchen.«
Ein ähnliches Verhalten ist aus den verschiedenen Landesgemeinden der evangelischen Kirche zu ersehen:
Durch den neuen Bischof Noth26 aus Dresden wurden vom Landeskirchenamt an alle Bezirkskirchenämter, Superintendenten und an die Innere Mission die Anleitung gegeben, alle Christen und ev.-luth. Landeskirchen zur Ruhe und Ordnung aufzurufen und sich von den Demonstrationen fernzuhalten. Vor allem aber sollte das Kugelkreuz nicht als Herausforderung getragen werden.
Der Landesbischof Mitzenheim27 führte mit dem stellv. Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Suhl, Genossen Poser, eine Aussprache und sagte, dass die Kirche diese faschistische Provokation ablehne. Landesbischof Mitzenheim hat alle Pfarrer benachrichtigt, die Kirchengänger zur Ruhe und Besonnenheit aufzurufen.
Bischof Hornig28 aus Görlitz, Superintendent Fränkel29 und Konsistorialrat Demke30 hatten eine Rücksprache mit dem Kommandanten der sowjetischen Kommandantur; dabei brachten sie zum Ausdruck, dass die Kirche von all dem nichts gewusst habe und dass die ganzen Vorkommnisse auch nicht im Sinne der Kirche liegen.
Bischof Wienken31 (katholisch), Bautzen, suchte am Mittwoch den Rat des Bezirkes auf und erklärte, von den sich abspielenden Dingen nichts zu wissen. Er selbst bezog keine eigene Stellungnahme und es erweckte hier den Anschein, als ob er die Haltung der Staatsorgane zu den kommenden Ereignissen abtasten wollte.
Nach der äußeren Situation verhielten sich auch in ähnlicher Weise viele Gemeinden der evangelischen und katholischen Kirche:
Als die Demonstranten in Reichenbach, Kreis Görlitz-Land, die Stadtverwaltung stürmen wollten, wurden sie von dem Superintendenten Böer32 und dem Vikar aufgefordert, Ruhe und Ordnung zu halten und sich an keinerlei Dingen zu vergreifen.
Auch der Superintendent Müller33 und der katholische Pfarrer Gemann34 erklärten in einer Besprechung mit dem Vorsitzenden des Rates des Kreises Zittau, dass sich die Kirche nicht für die Trauerdemonstration aus Anlass der Ereignisse missbrauchen lasse und auch das Läuten der Kirchenglocken aus diesem Anlass ablehne.
Der stellvertretende Superintendent von Halle, Pfarrer Gabriel,35 hat anlässlich des Gerüchtes, dass die Streikleitung vom Waggonbau Lowa, Ammendorf, Pfarrer aufgefordert hätte, die Glocken zu einer Trauerkundgebung für die Toten in Halle läuten zu lassen, erklärt, dass sich die Kirche nicht für solche provokatorische Handlungen missbrauchen lässt.
Pfarrer Loose,36 Kreis Zossen, nahm zu den Beschlüssen der Regierung positiv Stellung und rief die Gemeinde auf, sich nicht aufwiegeln zu lassen, sondern Ruhe zu bewahren.
Die Kirchenleitung war sogar bestrebt, dass die Geistlichkeit sich zu den politischen Ereignissen nicht äußern soll. Dazu äußerte sich Pfarrer Herrmann37 aus Potsdam: Er kann sich nicht äußern, die Kirchenleitung hätte den Pfarrern verboten, zu den politischen Dingen Stellung zu nehmen, allerdings würden alle Angriffe auf das Eigentum der Kirche abgelehnt werden.
In einigen anderen Kirchenkreisen war man zumindest bis zum Höhepunkt der faschistischen Provokation der Meinung, dass nun die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik gestürzt würde und der Amerikaner das Heft in die Hand nimmt. Typisch dafür ist die Stimmung einiger Pfarrer aus Potsdam: »In den ersten Tagen nach dem 17. Juni 1953 war man in den kirchlichen Kreisen sehr obenauf, da man dachte, jetzt wird die SED von den Sowjets abgesetzt. Aber jetzt denkt man schon ruhiger, auch Pfarrer Posth38 und der Superintendent sehen die Lage ganz nüchtern und sachlich. Man scheint allerdings in den kirchlichen Kreisen viel von freien Wahlen zu erhoffen. Man denkt es sich so:
Bei freien Wahlen bekommt die SED vielleicht 5 bis 10 % der Stimmen. Es regieren dann entweder SPD, CDU oder LDPD. Diese wollen dann ihr Programm durchführen, also Rückgabe aller Güter an die Junker, Rückgabe aller Betriebe usw. Mit einer solchen Regierung aber können die Sowjets nicht zusammenarbeiten, darum gehen sie dann weg und lassen Adenauer hier regieren.«
Ähnliche Stimmungsäußerungen und Umschwung der Stimmung nach Eingriff der Sowjetarmee waren bei aktiven Anhängern der Kirche zu verzeichnen: »Die meisten katholischen Krankenschwestern, die im Kinderkrankenhaus Berlin-Lichtenberg tätig sind, schwankten mit ihrer Meinung. Als am 17.6.1953 die Provokationen bekannt wurden, äußerten dieselben, die vorher den Ministerratsbeschluss begrüßt hatten, dass die Provokationen zu Recht bestehen. Die katholische Schwester [Vorname Name 1] äußerte sich: Hoffentlich bekommt die VP richtig Kloppe.«
Dr. Merker äußerte sich: »Wir dürfen uns nicht alles von der SED gefallen lassen.« Als die sowjetischen Panzer einfuhren, schwenkte die Meinung sofort wieder um, wahrscheinlich aus Angst.
Zu diesem äußeren Verhalten der Kirche, ihrer Würdenträger und aktiven Anhänger sind genügend Beispiele vorhanden, die aufzeigen, dass große Teile der Kirche mit der faschistischen Provokation übereinstimmten.
In allen Bezirken der Deutschen Demokratischen Republik haben sich einzelne Repräsentanten der Kirche als offene Feinde der Deutschen Demokratischen Republik entpuppt und sich aktiv an Provokationen, Massenaufwiegelung und der Betreibung von Boykotthetze beteiligt.
Hierzu die entsprechenden Beispiele:
Der Pfarrer Graefe39 von Ludwigsdorf, Görlitz-Stadt, hat die Demonstration mitgemacht. Er rief den Demonstranten zu: Runter mit den Abzeichen (VEB). Am Nachmittag wiegelte er die Menschen in Ludwigsdorf auf. Bemerkenswert ist, dass Graefe an diesem Tage den Religionsunterricht ausfallen ließ.
Die Kirchenleitung des Konsistoriums der evangelischen Kirche Görlitz (Schlesische Restkirche) hat unter der Führung von Bischof Hornig40 mit Superintendent Fränkel und Konsistorialrat Demke eine Besprechung beim sowjetischen Militärkommandanten Gardeoberst Klepikow gehabt. Hier übergab er ein fünfseitiges Memorandum mit unverschämten Provokationen und Forderungen seitens der Kirche. Dabei erklärte er, was sie heute sehen, ist der Ausdruck des Willens des Volkes.
Der Pfarrer Lucka41 diskutierte in der Gemeinde Groß-Radisch unter den Einwohnern, dass die Regierung und einige Bürgermeister sofort verschwinden müssten.
Auf einem Pfarrkonvent in Dresden äußerte der Pfarrer Ott aus Strehlen: Die Empörung der gesamten Bevölkerung sei der wahre Ausdruck für das Verhältnis zur Regierung. Die Bevölkerung wolle keine Einheit unter einer kommunistischen Regierung. Ihre Forderung zielt darauf hin, eine Regierung nach westlicher Auffassung zu haben. Die Pfarrer müssten sich einer solchen Stimmung anschließen und sich öffentlich dazu bekennen.
An der faschistischen Provokation in Brandenburg-Stadt hat sich der Kreisjugendpfarrer Marienfeld42 und Pfarrer Passauer43 beteiligt. Unter Anleitung der beiden Pfarrer drangen Mitglieder der Jungen Gemeinde in das Klubhaus »Philipp Müller« ein und Pfarrer Marienfeld vergriff sich dabei sogar an dem Leiter des Klubhauses, Jugendfreund Grabe.44
Am 17.6.1953, gegen 17.30 Uhr, erfolgte in Bad Tennstedt eine Demonstration mit Transparenten, die durch ca. zehn bis zwölf Personen begonnen wurde. Die mitgeführten Transparente waren wie folgt beschriftet:
- –
Freiheit für Zeiss (Mühlenbesitzer),
- –
Wir fordern eine Steuerreform,
- –
Wir fordern eine neue Regierung.
Die Transparente wurden von einigen Fuhrunternehmern getragen. Dieser Demonstrationszug erreichte innerhalb einer Stunde eine Stärke von ca. 250 Menschen. Hinter den Transparenten marschierte als erster der Superintendent Werner45 aus Bad Tennstedt. Auf dem Rathausplatz war diese Menge auf ca. 500 Menschen angewachsen. Als erster Redner ergriff der Pfarrer Werner das Wort und sagte u. a.: »Es lebe die Freiheit.« Weiter: »Es ist Zeit, die Regierung abzulösen.« Und die Menge sprach danach den Vers des Deutschlandliedes im Chor. Im Anschluss sagte ein Mitglied der LDPD, wir müssen uns der Diktatur der SED entziehen. Zum Schluss dankte der Pfarrer für den Mut der Menschen und stimmte das Lied an: »Nun danket alle Gott …«
»Der Pfarrer Mitzenheim aus Eckolstädt bei Apolda, Bruder des Bischofs Mitzenheim, betrieb Kanzelhetze, indem er im Gottesdienst dazu aufforderte, die Regierung zu stürzen.«46
Bei den offenen Provokationen vonseiten der Kirche traten besonders aktiv die Führer der »Jungen Gemeinde« sowie eine große Zahl von Mitgliedern auf. Bei Demonstrationen traten wiederholt Gruppen von Angehörigen der »Jungen Gemeinde« auf. So u. a. bei der Stürmung der Kreisleitung Görlitz-Stadt. Angehörige der »Jungen Gemeinde« waren auch aktiv bei dem Überfall auf das Gefängnis in Görlitz-Stadt und der gewaltsamen Befreiung der Häftlinge beteiligt. Von den Angehörigen der »Jungen Gemeinde« wurde festgestellt, wer von den Häftlingen der »Jungen Gemeinde« angehörte und diese wurden mit bereitgestellten Autos weggebracht. Am 18.6.1953 sprachen Gruppen der »Jungen Gemeinde« vor der Feinmechanik-Optik und EKM (Görlitz) die zur Arbeit gehenden Kumpels an und veranlassten sie, die Arbeit nicht aufzunehmen. Auch in Niesky ist die »Junge Gemeinde« offen und stark in Erscheinung getreten.47
In der Oberschule Dresden-Reick stellten Angehörige der »Jungen Gemeinde« eine Reihe von Forderungen, wie Abhängen der Bilder unserer führenden Staatsmänner usw.
Gruppen der »Jungen Gemeinde« traten am 17.6.1953 bei der faschistischen Provokation besonders bei der Demolierung des Jugendklubhauses (Brandenburg)48 in Erscheinung, außerdem vor dem VPKA, wo sie die Rückgabe ihrer Personalausweise forderten. Ebenfalls waren unter den Jugendlichen, die Bilder und Transparente sowie Fahnen beim Rat der Stadt und beim Rat des Kreises herunterrissen, Mitglieder der »Jungen Gemeinde«, die dazu einen Auftrag hatten. Der Kreisjugendpfarrer Marienfeld veranlasste mit einer Delegation von drei Mitgliedern der Goethe-Oberschule, dass dort der Unterricht um 10.00 Uhr abgebrochen wurde. Einige Schüler der Oberschule, darunter Mitglieder der »Jungen Gemeinde«, gingen dann dazu über, die Bilder und Transparente in der Schule zu zerstören. In der Theodor-Neubauer-Schule erklärten sich zwei Mitglieder der »Jungen Gemeinde« mit den Rowdys solidarisch und beteiligten sich an der Zerstörung der Bilder der Genossen Stalin und Pieck.
Über die negative Einstellung weiterer Pfarrer und anderer Geistliche geben die folgenden Beispiele Aufschluss, die aus einer nicht unbedeutenden Zahl von Geistlichen kommen. In ihren Predigten und Äußerungen brachten sie zum Ausdruck:
Pfarrer Riess,49 Kreis Zossen: »Liebe Gemeinde, wir können heute feststellen, dass es die Kirche damals gab und der Nationalsozialismus unterging und genau so wird es bleiben.«
Pastor Wanske,50 Breesen, Kreis Altentreptow: »Der Kommunismus ist eine Idee, die nicht verwirklicht werden kann. Man muss diese Idee ausrotten. Im Falle, wenn die Zeit sich ändert, werden alle SED-Mitglieder eingesperrt.«
Der Pfarrer Niemesch51 aus Rangsdorf sagte in seiner Predigt am 21.6.1953 in Blankenfelde: »Beim elementaren Befreiungskampf des deutschen Volkes ist viel Blut geflossen, wenn es anders gekommen wäre, wäre es besser gewesen, aber Gottes Wille hat es nicht gewollt.« Er bezeichnet Hitlers Überfälle auf die Welt als Freiheitszug des deutschen Volkes.
Pfarrer Schenk52 aus Potsdam sagte: »Es ist alles Gottes Fügung, es ist etwas faul im Staate Dänemark.«
Oben angeführte Provokationen und feindliche Äußerungen traten zwar an verschiedenen Orten auf, sind aber nicht bezeichnend für die Haltung der meisten Geistlichen. Diese nahmen vorwiegend eine zurückhaltende und abtastende Stellung ein. Aber auch mehrten sich die positiven Äußerungen und Handlungen geistlicher Würdenträger. Ja, man muss sogar behaupten, dass eine nicht unbedeutende Zahl von Pfarrern sich nicht provozieren ließ und offen gegen die Ereignisse des 17. und 18. Juni 1953 und für den neuen Kurs der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik eintrat.
Dies ist aus folgenden Beispielen zu ersehen:
Pfarrer Gleue53 aus Suhl: »Unsere Regierung hat immer bewiesen, dass sie sich für die Erhaltung des Friedens einsetzt. Sie sind für den Weg des Verhandelns, dies bewies die Aussprache mit Kirche und Regierung. Die Provokationen von Westberlin müssen von jedem ehrlichen Menschen auf das Schändlichste verurteilt werden.«
In Heidenau schloss der Pfarrer Müller in sein Gebet unsere Regierung als erste mit ein.
Auch Pfarrer Flade54 aus Pirna begrüßte die Maßnahmen der Regierung, welche mit der evangelischen Kirche getroffen wurden: »Gott hat es so gewollt, dass die Provokateure, die ein faschistisches Regime errichten wollten, ihr Ziel nicht erreicht haben.«
Pfarrer Trebeljahr55 aus Potsdam: »Gott möge den Verantwortlichen Kraft zur Meisterung der Lage geben.«
Ein evangelischer Pfarrer aus der ev. Landesgemeinde Thüringen äußerte sich: »Die Maßnahmen unserer Regierung sind ein bedeutender Schritt auf dem Wege der Befriedigung nicht nur zwischen Staatsapparat und Kirche, sondern zwischen Staat und Volk. Die Atmosphäre wurde bereinigt und eine Plattform des beginnenden Vertrauens geschaffen. Der Putsch in Berlin und in den großen Städten der Deutschen Demokratischen Republik zeigt, dass dort Kräfte, die das Stigma der SS an der Stirn tragen, am Werken waren. Sollte sich so etwas wiederholen, wird der Staat weite Kreise der Kirche entschlossen und kampfbereit an seiner Seite finden. Alle Achtung vor den Soldaten der Sowjetunion, die entschlossen, ohne die Nerven zu verlieren, dem Spuk ein Ende machten.«
Der evangelische Pfarrer Martin Siedersleben,56 Suhl: »Ich war erst erschrocken über die Maßnahmen der Regierung, die ihrem Eingeständnis begangener Fehler folgten. Ich fasste das zuerst als Schwäche auf. Meine Unruhe wuchs, als die Skandale in Berlin und anderen Städten begannen. Ich fühlte, dass die Möglichkeit eines neuen Weltkrieges in der Luft lag. Wir müssen froh sein, dass der Spuk beendet ist. Er trug offen die Fratze der Kristallnacht. Es ist gut, dass der Staatsapparat die Spannung gegenüber der Kirche beseitigt hat. Wir Pfarrer werden alles tun, um die Gläubigen anzuhalten, dass sie der Obrigkeit gegenüber eine gute Einstellung haben. Wir Pfarrer wollen uns an die Vereinbarung zwischen Otto Grotewohl und der Kirchenleitung halten und uns in unserer Arbeit auf die Seelensorge beschränken. Wir wollen auch alle Verwaltungsfragen in fördernden Aussprachen regeln.«
Der Oberkirchenrat Herden57 aus Gera und Superintendent Simcik58 verurteilen aufs Schärfte diese Provokationen, besonders die Ausschreitungen der Wismut-Kumpel, die eine gesicherte materielle Grundlage haben. Die Erschießung eines Rädelsführers in Jena hat nach seinen Worten in Kreisen der Kirche keinen Anstoß gefunden, wohl aber wird die Erschießung eines Bäckermeisters in Weida, dessen Selbstverschulden aber anerkannt wird, bedauert.
Pfarrer Schönfeld und Superintendent Funke59 aus Luckau äußerten sich, dass sie fest zu den Beschlüssen der Regierung stehen. Weiter sagten sie: »Wir werden uns voll einsetzen, um Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten. Wir werden auf die Menschen einwirken, die Streiks und Demonstrationen wollen.« Das Eingreifen der Roten Armee begrüßen sie und danken ihr. Sie äußerten sich auch ähnlich in ihren Predigten.
II. Zu dem Ministerratsbeschluss am 11.6.1953 (gegenseitige Beziehungen zwischen Staat und Kirche)60
Die Beschlüsse des Ministerrates haben in allen Kreisen der Kirche großen Widerhall gefunden. Alle Geistlichen, konservativ oder fortschrittlich eingestellt, haben in jedem Falle aufgeatmet. Wenn vor dem Ministerratsbeschluss bei allen Geistlichen eine äußerst gedrückte Stimmung herrschte und kaum einer sich offen äußerte, so haben jetzt viele Würdenträger ihre Stellungnahme und Meinung zum Ausdruck gebracht.
Der Ministerratsbeschluss hat sich wie folgt auf die breitesten Kreise der geistlichen Würdenträger ausgewirkt:
1. Ein großer Teil von Geistlichen hat sofort seine Zurückhaltung aufgegeben und versucht, sofort wieder Oberhand zu bekommen. Ihre Agitation geht dahin hinaus, dass die Kirche gegenüber dem Staat einen großen Sieg errungen hat und jetzt gefestigter denn je dasteht.
Bischof Dr. Dibelius61 brachte am 14.6.1953 in einem Gottesdienst in der Christopherus-Kirche Berlin-Friedrichshagen zum Ausdruck, dass sein Dank nicht der Regierung gilt, sondern dem Allmächtigen Gott, der die Regierung zu diesen Maßnahmen veranlasst hat.
Am 21.6.1953 führte Prof. Grüber in seiner Predigt in der Marienkirche zu Berlin Folgendes aus: »Die Kirche gehe in ihren [sic!] mit den Unterdrückten, aber nicht nach unten, wie es teilweise angenommen wurde. Die Christen seien nicht mit den Menschen zu vergleichen, die annehmen, den Weg der Sicherheit zu gehen und durch Heer und Gewalt in Sicherheit leben zu können, sondern die Christen gingen den Weg des Geistes. Es würden zwar dunkle Tage vor ihnen liegen, das sei aber kein Grund zum Verzagen, sondern man solle daran denken, welche Abmachungen vor zehn Tagen zwischen Kirche und Regierung getroffen [worden] seien. Ein neues Kapitel in der Geschichte der Kirche sei aufgegangen und man könne sagen, dass es ein Sieg der Kirche sei.«
Die Pfarrer Bruckhoff62 und Hoffmann, Berlin, brachten in ihren Predigten ebenfalls zum Ausdruck, dass die Maßnahme nicht das Werk der Regierung, sondern einzig und alleine Gottes Werk wäre.
Ein weiterer Teil von Geistlichen betrachtet die Beschlüsse des Ministerrates als unehrlich und als Falle für die Kirche. Dazu äußerten sich z. B.:
Am 11. Juni 1953 erklärte ein Superintendent zu den Beschlüssen des Politbüros, dass das wohl die Auswirkungen vom hohen Kommissar der SU seien.63 Aber das Ziel gegenüber der Kirche ist klar, es ist jetzt nur Aufschub. Es ist wahrscheinlich ungünstig, jetzt die geplanten Maßnahmen gegen die Kirche durchzuführen. Auch der Weltfriedensrat hätte sich nach der Lage der Ostkirche erkundigt. Es geschieht nichts mit Rücksicht auf die Kirche, sondern nur aus politischen Erwägungen. Es sei so, wie der Oberkonsistorialrat Andler,64 Berlin, immer sagt: Gott hat wieder mal den Fuß zwischen die Tür gestellt, sodass sie nicht zugeschlagen werden konnte.
Der Geschäftsführer der Ev. Frauenhilfe für Brandenburg, Pfarrer Dr. Sehmsdorf,65 Potsdam, äußerte auf einer Tagung der Frauenhilfsleiterinnen in Buckau, Kreis Senftenberg: »Der Russe hat der SED einen Anpfiff gegeben, sie hätte alles verkehrt gemacht, wenn es so weiterginge, würde alles in Grund und Boden gewirtschaftet – Lenin hat gesagt, drei Schritte vor und zwei zurück – jetzt ist die Atempause für die Kirche für etwa ein viertel Jahr. Das System wird nicht geändert. Das Ziel ist: Verstaatlichung der Kirche wie in Russland. Die Pause jetzt müssen wir benutzen zur Festigung und Schaffung von Bollwerken. Grotewohl hat zwar gesagt, er führe keinen Kirchenkampf, denn damit würde er gegen sein eigenes Volk wirken. Indessen sieht es in Wirklichkeit anders aus. Nicht glauben, dass der Staat seine Fehler einsieht, sondern geht es nicht auf diesem Wege, so versucht der Staat es auf dem anderen Wege. Grotewohl hat den Plan, die Pfarrerschaften nach Leipzig einzuladen (von 9 000 wurden 3 000 erwartet). Das ist ins Wasser gefallen, weil die Kirchenleitung sagte, Verhandlungen könnten nur über die Kirchenleitung gehen. Präses Scharf66 sagte dazu: Wir als Kirchenleitung freuen uns, dass der Staat nach den Angriffen auf die Junge Gemeinde als nächstes nun die Frauenhilfe angreifen wird. Das soll der Staat nur tun, da kriegt er es richtig.«
Des Weiteren gibt es einzelne Geistliche, die trotz der Vergünstigungen, die jetzt der Kirche durch den Staat gewährt wurden, noch nicht zufrieden sind und sofort noch erweiterte Forderungen stellen.
So äußerte sich z. B. der Landesbischof von Thüringen zum Vorsitzenden des Rates des Kreises Eisenach, Genossen Mertel: »Ich bin nicht zufrieden in Bezug auf die Maßnahmen zur Abhaltung des Religionsunterrichtes in den Schulen.« Er forderte aufgrund der Unterredung des Ministerpräsidenten mit Vertretern der Kirche ab sofort die Zulassung des Religionsunterrichtes an den Schulen morgens um acht Uhr. Falls diese Forderung nicht sofort erfüllt wird, wird er abends in der Kirche dazu Stellung nehmen.
2. Ein weiterer nicht unbedeutender Teil von Geistlichen nutzte diesen Beschluss des Ministerrates sogar dazu aus, offen gegen unsere Regierung zu hetzen und eine feindliche Stellung zu diesen Maßnahmen der Regierung einzunehmen. Dazu gehören auch viele Geistliche, die geschickter sind und ihre Meinung verbergen oder sie entsprechend verschleiern.
Am 16.6.1953 äußerte ein Superintendent: »Die neuesten Ereignisse bedeuten allerlei. Der Kasernenbau wird eingestellt, der Weiterbau in Lauchhammer wird eingestellt, Sport und Technik aufgelöst, Ulbrichts Rede wird eingezogen, der ganze Fünf-Jahres-Plan wird umgestellt. Das ist der Bankrott der ganzen bisherigen Politik.«
Pastor Rother67 führte in seiner Predigt am 14.6.1953 in der Laurentiuskirche, Berlin-Köpenick, aus, dass die Regierung das Vertrauen der Menschen verloren hätte, da man nicht vergessen würde, welche Opfer die Junge Gemeinde gebracht hätte und das so viele noch inhaftiert seien.
Der Pfarrer Tarnow68 führte in seiner Predigt in der Schlosskirche in Schwerin aus, dass Gott sich mit Vaterlandsverrätern und Sündern an einen Tisch gesetzt hätte. Nur Menschen, die innerlich krank und versumpft werden [sic!] konnten derartige Methoden anwenden, wie es die staatlichen Organe vor der Herausgabe des Kommuniqués gegen die Kirche und die Junge Gemeinde getan hätten.
Der Superintendent Moehring69 im Kreis Naumburg führte aus, dass viele Brüder hinter Schloss und Riegel sitzen. Gott jedoch ruft alle Menschen an seinen Tisch, auch die, die Spitzeldienste leisten, wie die Volkspolizisten, den SSD,70 die Richter und Staatsanwälte, welche in den letzten Monaten so furchtbare Urteile ausgesprochen haben, für Taten, die niemals ein Verbrechen gewesen wären. In uns gläubigen Menschen besteht jedoch ein Gefühl des Hasses und wir möchten die Menschen, die uns quälen, die unsere Existenz vernichten, ebenso quälen und die Existenz vernichten. (Der größte Teil der Kirchenbesucher brachte durch Kopfnicken ihre Zustimmung zum Ausdruck.)
3. Wenn nicht gerade die überwiegende Mehrheit, so haben sich doch große Teile von Geistlichen offen und ehrlich sofort zu dem neuen Kurs der Regierung bekannt und aufrichtig die Beschlüsse des Ministerrates begrüßt.
In der Christuskirche in Halle dankte der Pfarrer der Regierung der DDR für die Lockerungen in der Jungen Gemeinde und für die zurückgegebenen Kirchengebäude und betonte, dass nun eine entscheidende Wendung für die ev. Kirche eingetreten sei.
Der Diakon [Name 2, Vorname], Mansfeld, Kreis Hettstedt, sagte, er begrüße die Maßnahmen der Regierung auf das Herzlichste, er erkennt diese an und fühlt sich verpflichtet, dies von der Kanzel seinen Anhängern zu erläutern.
Superintendent Dr. Günter Jacob,71 Cottbus: »Durch den Ministerratsbeschluss sind alle unsere Forderungen erfüllt. Wir wollen nichts anderes, als dass sich alle Maßnahmen auf dem Boden der Verfassung bewegen. Die Verfassung der DDR ist gut und wir können uns keine bessere wünschen. Durch den Ministerratsbeschluss ist die Einheit Deutschlands sehr nahe gerückt, ich lehne Adenauer ab, ich bin auch kein Förderer des Kapitalismus. Der Kurswechsel unserer Regierung steht im Zusammenhang mit dem neuen Kurs der Sowjetregierung nach dem Tode Stalins. Wenn jetzt die Russen nicht eingegriffen hätten, wäre ein Bürgerkrieg schlimmster Art im Gange.«
Stellungnahme des Herrn [Name 3], Oberrentmeister beim evangelischen Kirchenamt Nordhausen: »Strickte Bejahung der Maßnahmen. Die Fehler einsehen, ist hoch anzuerkennen. Es hat frappiert, dass einschneidende Maßnahmen eingeleitet wurden. Man setzt das Vertrauen in die Regierung, dass diese Abmachungen erfüllt werden. Dies kann nur ein Vorteil für die Einheit Deutschlands sein.«
Bezeichnend für die Einschätzung der Geistlichen ist die Stellungnahme einer der Kirche nahestehenden Person: »Über die Stimmung in den kirchlichen Kreisen sprach ich in Potsdam mit dem Amtsrat Berthe, dem Rendanten [Name 4] und dem Küster [Name 5]. Die Pfarrer sind sehr still geworden, da sie ja nun nichts mehr haben, worauf sie schimpfen können. In dem Augenblick, wo die Kirche nicht geärgert wird und die Pfarrer keine politischen Spitzen mehr in ihren Predigten bringen, geht das kirchliche Interesse sofort stark zurück.«
Äußerst günstig hat sich aufgrund der Aussprache zwischen Staat und Kirche der Hirtenbrief des Bischofs und Vorsitzenden der evangelischen Landeskirchen in Deutschland, Dr. Dibelius, auf die Gemeinden ausgewirkt.72
Der Pfarrer Hermisson73 aus Kloster Zinna, Kreis Jüterbog, äußerte, dass es höchste Zeit wird, dass wir eine neue Obrigkeit bekommen. Er führt weiter aus, dass es sich nicht gut auf den Bajonetten einer fremden Besatzungsmacht leben lässt.
Auch in den Kirchen von Magdeburg wurde am 21.6.1953 während des normalen Gottesdienstes die Verlesung des Dankbriefes von Bischof Dibelius an die Regierung der DDR74 von den Pfarrern vorgenommen.
Auch in Berlin verlasen die meisten Pfarrer den Dankbrief an die Regierung. Die Pfarrer brachten zum Ausdruck, dass alle Missverständnisse beseitigt seien. Pfarrer Sasse75 aus Berlin forderte die Anwesenden auf, nicht nur für den Frieden zu beten, sondern alle mitzuhelfen bei der Herstellung der Einheit Deutschlands und des Friedens.
Der Dankbrief des Bischof Dibelius wurde jedoch meistens dazu ausgenutzt, um die Stärke der Kirche aufzuzeigen. Z. B. äußerte sich ein Pfarrer nach Verlesung des Dankbriefes von Bischof Dibelius: »Die Junge Gemeinde hat sich gut gehalten und bewährt. Sie ist in ihrem Glauben gefestigt worden.«
Doch ist auch zu verzeichnen, dass verschiedene Geistliche versuchen, das nun neue Verhältnis zwischen Staat und Kirche von vornherein zu torpedieren. Beispiel: Die Verlesung des von Bischof Dibelius angekündigten Dankschreibens durch die Pfarrer im Gebiet von Leipzig ist nur teilweise erfolgt, obwohl es eine Anzahl positiver Stimmen aus den Reihen der Geistlichen gibt, ist zu verzeichnen, dass einige zweideutig sprechen und handeln wie Superintendent Rißmann76 in Oschatz und Superintendent König77 in Delitzsch. Rißmann hat keine Anweisung zur Verlesung des Schreibens an die Pfarrer gegeben. Desgleichen kam in thüringischen und einigen anderen Gebieten eine ähnliche Haltung zum Ausdruck.
Bezeichnend für das Verhalten einiger reaktionärer Kirchenführer ist das Verhalten des Pfarrers Mitzenheim,78 der in einer Predigt in der Petrikirche in Mühlhausen Folgendes ausführte: »Ich bin jetzt längere Zeit nicht hier gewesen, ich war nicht verhaftet und auch nicht im Urlaub, aber auch nicht zur Kur. Ich war mit einer Gruppe von Vertretern der Kirche in den ehemaligen deutschen Ostgebieten in Schlesien. Ich musste feststellen, dass diese Gebiete noch vollständig vom Kriege verwüstet liegen, also nicht bebaut werden. Die dort lebende Bevölkerung, besonders die dort verbliebenen Deutschen, leben in großer Not.« (Bezeichnend ist, dass gerade dieser Pfarrer die ehemaligen Umsiedler aus dem schlesischen Gebiet um sich sammelt und eine Art schlesische Gemeinde aufzieht.)
Von einem Pfarrer eines Industriegebietes wurde die Stimmung der kirchlichen Bevölkerung wie folgt geschildert:
Vor der Erklärung des Politbüros betr. Fehler: »Der Kirchenbesuch ging zurück. Aber in persönlichen Gesprächen mit mir nahmen auch zahlreiche Arbeiter und deren Frauen Stellung zugunsten der Kirche. Es ist die alte Weise, dass Arbeiter, die sonst gar nicht kirchlich sind, sich gerade dann für die Kirche, wenn auch nicht öffentlich einsetzen, wenn sie den Eindruck haben, dass etwas gegen die Kirche geschieht. Jedenfalls schwelte unter der Oberfläche eine Verstimmung gegen die Regierung.«
Nach der Erklärung des Politbüros betr. Fehler: Geschäftsleute jubelten geradezu, aber nicht aus Freude, dass Verbesserungen kommen sollten, sondern aus Freude, dass die verhasste Regierung Fehler gemacht hat. »Nun ist es bald zu Ende, sie können nicht mehr weiter.« Arbeiter: »Wenn wir Fehler machen, werden wir zur Rechenschaft gezogen. Nun sollen sie nur auch die zur Rechenschaft ziehen, die die Fehler gemacht haben.«
Nach dem 17. Juni 1953: Allgemein: »Woher soll das Geld kommen? Es ist doch kein Geld da.« Geschäftsleute: »Hoffen, dass der Amerikaner bald kommen wird. Die Russen müssen abziehen, sie können sich nicht mehr halten.« Eine HO-Verkäuferin, die von Ostseeferien zurückkam und am 17. in Berlin, Potsdamer Platz, war: »Die Volkspolizei soll mir nur kommen. Die sind ja ausgerissen.« Arbeiter: »Wenn der Bogen überspannt wird, platzt er.« Großer Hass gegen Ulbricht, weniger gegen Grotewohl, Wilhelm Pieck wurde nicht hereingezogen.
»Der Streik wird weiterhin gebilligt. Die Inszenierung von westlicher Seite wird weniger oder überhaupt nicht beachtet, es war der Volkszorn, sagt man immer, kann man ein Volk nicht niedertreten. Die Normen machen die Arbeiter kaputt. Das Auffahren von Panzer hat die Gemüter abgekühlt.«
»Das Niveau der Arbeiter ist noch nicht so hoch, dass sie die Entschließungen und Maßnahmen des Politbüros und der Regierung verstehen. Ich halte es für falsch, dass öffentlich von Fehlern der Regierung gesprochen wurde. Man hätte ohne weitere Erklärungen die neuen Maßnahmen treffen sollen. Offenbar verstehen unsere Arbeiter noch nicht frei zu leben, weil sie sich noch nicht losgemacht haben von den früheren Verhältnissen. Zzt. scheint es gut zu sein, wenn öfters mal der Knüppel gezeigt wird.«
Weitere Äußerungen des oben genannten Pfarrers über die Junge Gemeinde:
»Ich halte es für falsch, dass in der Schule große Verhöre durchgeführt wurden, wobei wie mir gesagt wurde von Parteischulen Gekommene auf den zur Jungen Gemeinde Gehörenden ›Herumknieten‹. Man hätte freundliche Besprechungen durch gewandte FDJ-Angehörige durchführen sollen mit dem Ziel, die Junge Gemeinde zu überzeugen vom falschen Weg und sie nicht niederzuknüppeln. Vor allem ist auf das Ehrgefühl und die Treue Rücksicht zu nehmen, was gerade bei jungen Menschen in oft übersteigerter Weise eine Rolle spielt. Ich habe verschiedentlich den RIAS gehört. Mir fiel auf, dass Worte des RIAS von Arbeitern aufgegriffen wurden, der RIAS wird vielfach gehört und das, was er sagt, wird weithin geglaubt und unserem Rundfunk begegnet man häufig mit Misstrauen.«
»Ich höre oft, wenn ich kirchliche Bekanntmachungen anhänge (z. B. Geschäften), dass sie nicht gelesen wurden. Man sagt mir dann: Ich habe den Eindruck, dass eine große Kluft besteht zwischen den Arbeitern und ihren Funktionären, dass sich geradezu eine Klasse der Funktionäre gebildet hat. Die Arbeiter wagten nicht dagegen aufzutreten. Bei Abstimmungen waren alle für die Sache unter dem Druck der Funktionäre und hinterher schimpfen die Arbeiter. Wenn ich verschiedentlich fragte, warum die Arbeiter nicht ihre Meinung öffentlich sagten, wurde mit der Achsel gezuckt und es eben als selbstverständlich hingenommen, dass man nichts gegen die Meinung der Funktionäre sagen dürfe und könne.«
»Ich habe den Eindruck, dass die Funktionäre ihre Berichte schöngefärbt haben nach obenhin und dass weiterhin die Funktionäre selbst wankelmütig waren. Sicher hat der 17. Juni dazu beigetragen, eine klare Übersicht über wirkliche Zuverlässige zu gewinnen. Der Pfarrer wird weiterhin von den Arbeitern als der angesehen, der gegen die DDR eingestellt ist und bei dem man Zuflucht finden kann mit seinen Nöten.«
Ein äußerst fortschrittlicher Pfarrer gibt zu dem Ministerratsbeschluss folgende Stellungnahme ab: »Mit großer Dankbarkeit haben evangelische Christen vielfach die Tatsache begrüßt, dass ein gutes Verhältnis zwischen Staat und Kirche durch entscheidende Maßnahmen eingeleitet ist. Auch viele Pfarrer beurteilen die Dinge genau so dankbar wie Kirchenpräsident Niemöller,79 der von einem ›Wunder‹ sprach und sich nunmehr gern bestimmen lies, nach Budapest zu fahren.80 Er hat dort ja auch eine gute Rede gehalten.«
»Schmerzlich ist nur, dass diese reaktionären Kirchenleitungen so viel Entgegenkommen und Freundlichkeit vom Staate erfahren haben. Ich vermute, dass der Staat dabei von der Annahme ausgegangen ist, die Kirchen werden dankbar sein für seine solche ehrliche Selbstkritik und Kursänderung. Da jedoch die Männer der Kirchenleitung in dem Fanatismus ihres Glaubens meinen, jetzt keine Gnade walten zu lassen, sondern vielmehr den ›Antichristen‹ bis zur Vernichtung zu bekämpfen, ist nicht damit zu rechnen, dass die Kirchenleitungen versöhnlicher werden, im Gegenteil. Deshalb möchte scheinen, dass man der Kirchenleitung nicht den großen Sieg in den Schoß legen dürfe. Durch gewisse Verhandlungen hätte das gewaltige Unrecht der Kirchenleitung vor aller Welt festgelegt werden müssen. Hierzu hätte es folgende Möglichkeiten gegeben: Ein Kreis von etwa 30 bis 40 fortschrittlichen Pfarrern hätte vor dem Herrn Ministerpräsidenten und einigen Ministern zu allen neun Punkten, die in der Abmachung berührt werden,81 Stellung nehmen müssen,82 dann aber hätten die Redner die Regierung bitten müssen, dennoch eine grundlegende Änderung herbeizuführen. Dadurch, dass man die Initiative zu diesem Friedensschluss den fortschrittlichen Pfarrern zugeschoben hätte, wäre ein Dreifaches erreicht worden:
- a)
Die Stellung der fortschrittlichen Pfarrer wäre in der DDR und in Westdeutschland sehr gefestigt worden.
- b)
Die Schuld der Kirchenleitungen wäre eindeutig herausgestellt worden, sie hätten dadurch nicht von einem Siege sprechen können.
- c)
Es wäre nicht möglich gewesen, die Großzügigkeit des Staates als Rückzug und Niederlage darzustellen, wie es jetzt vonseiten der Kirchenleitungen geschieht.«
»Die Kirchenleitungen scheinen im Augenblick im Begriff, ihren ›Sieg‹ durch diktatorische Maßnahmen im Raume der Kirche für alle Zukunft zu sichern. Da die Kirchenleitungen nicht angegriffen werden können, wird es umso wichtiger sein, fortschrittliche Pfarrerkreise und fortschrittliche Christen zu sammeln, ein Gegengewicht muss geschaffen werden. Da der Staat in nächster Zeit sehr mit der Kirche und den Christen rechnen muss, kommt alles darauf an, dass es Christen sind, die positiv zum Sozialismus und zum Staat stehen.«