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Tagesbericht

25. November 1953
Informationsdienst Nr. 2030 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Über die Verordnung zur Abschaffung der Interzonenpässe1 werden heute in größerem Umfang als am Vortage Diskussionen in den Betrieben geführt. Trotzdem ist festzustellen, dass sich bis jetzt zu dieser Frage ein verhältnismäßig kleiner Teil der Arbeiter dazu äußert. Von den bekannt gewordenen Stimmen hat jedoch der größte Teil positiven Inhalt. In vielen Fällen wird diese Maßnahme als ein weiterer Schritt zur Verständigung der Deutschen untereinander und zur Erringung der Einheit Deutschlands betrachtet. Bei den negativen Stimmen wird teilweise bewusst und unbewusst diese Maßnahme verdreht und dabei zum Ausdruck gebracht, dass diese Verordnung in der DDR nur aufgrund der schon im Westen bereits abgeschafften Interzonenpässe erfolgte.

Ein Arbeiter des VEB Wittenberge: »Der Wegfall der Interzonenpässe ist der erste Schritt zur tatsächlichen Vereinigung Deutschlands. Jetzt muss jedoch eine strenge Kontrolle durchgeführt werden, damit keine Agenten in die DDR eingeschleust werden.«

Ein Angestellter aus Aue: »Durch diesen Beschluss der Regierung der DDR kann der Sportverkehr zwischen Ost und West besser als bisher durchgeführt werden. Gerade der Sportverkehr wird viel für die Einheit Deutschlands mit beitragen.«

Ein Arbeiter aus einem Sebnitzer Betrieb: »Im Westen haben sie die Interzonenpässe schon eher aufgehoben wie hier, bei uns hier ist es bloß aufgrund dessen eine Notwendigkeit geworden.«

Zur Entlarvung der Agentengruppen in der DDR2 werden in verschiedenen Betrieben weiterhin Diskussionen geführt. Im EKM Dampfkesselbau Meerane/Karl-Marx-Stadt fand darüber eine Diskussion mit den Angestellten des Technischen Büros statt. Ein Konstrukteur sagte: »Da sieht man einmal ganz offen die schändlichen Vorbereitungen. Ich werde das in der Zeitung rot anstreichen und meinem Jungen nach dem Westen schicken.«

Ein technischer Zeichner: »Ich traue der Sache noch nicht. Vielleicht ist der Geyer3 rübergeschickt worden, um Spionage in großem Umfang zu betreiben.«

Aus dem Stickstoffwerk Piesteritz/Halle wird berichtet, dass in den Kreisen der Intelligenz über die Entlarvung der Agenten in der DDR fast gar nicht diskutiert wird, trotzdem bereits eine aufklärende Versammlung, wo ein Vertreter des SfS anwesend war, stattfand.

Anlässlich des Monats der deutsch-sowjetischen Freundschaft und zur Vorbereitung des IV. Parteitages der SED4 werden einzelne Produktionsverpflichtungen bekannt. In einem Wismut-Objekt in Annaberg erhöhten anlässlich des Monats der deutsch-sowjetischen Freundschaft vier Brigaden (parteilose Arbeiter) ihre Norm um 10–50 %. Zur Vorbereitung des IV. Parteitages erhöhten drei Brigaden in der Zentralwerkstatt des Wismut-Objektes Freital ihre Norm um 10 %.

Der Stand der Erfüllung der Brikettproduktion hat sich im Vergleich zu den Vormonaten z. B. im BKW »Friedenswacht« (Bezirk Cottbus) erhöht. So betrug die Erfüllung der Produktion in den letzten Tagen 104 %.

Der Jahresplan wurde am 23.11.1953 im Kunstseidenwerk Premnitz/Potsdam mit 110,7 % vorfristig erfüllt.

Auftragsmangel besteht für das 1. Quartal 1954 in der Bau-Union Neubrandenburg, dadurch besteht die Gefahr der Personaleinschränkung.

Aus der Farbenfabrik Wolfen/Halle wird berichtet, dass unter der Intelligenz Missstimmung über den Ministerratsbeschluss, wodurch die 10%ige Dienstalterzulage in Wegfall kommt,5 besteht.

Handel und Versorgung

Im Handel macht sich allgemein ein Fehlen von Zutaten für die Weihnachtsbäckerei wie z. B. Rosinen, Mandeln, Eier und dgl. bemerkbar. Missstimmung ist besonders bei dem Teil der Bevölkerung festzustellen, der bisher nicht mit Einkellerungskartoffeln beliefert wurde. Der Stand der Belieferung der Bevölkerung mit Einkellerungskartoffeln beträgt in Berlin 75,1 %.

Für Leipzig (Stadt) wurden 260 t Wild und Geflügel angefordert, was auch vom Ministerium für Handel und Versorgung genehmigt wurde. Jetzt wird jedoch mitgeteilt, dass voraussichtlich nur 50 % geliefert werden können. Dadurch ist eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung nicht gewährleistet. Das Gleiche tritt bei Rosinen und Korinthen in Erscheinung.

Landwirtschaft

Schwierigkeiten in der Erfassung landwirtschaftlicher Produkte werden aus den Bezirken Schwerin, Halle, Rostock und Potsdam berichtet. Teilweise äußern Bauern, dass sie mit den Methoden verschiedener Erfasser, zum Teil auch Bürgermeister, nicht einverstanden sind. Neben dieser Missstimmung ist festzustellen, dass sich der Widerstand gegen die Erfasser verstärkt (besonders im Bezirk Potsdam).

Im VEG Satow/Rostock wurden alle vorhandenen Kartoffeln erfasst, wodurch keine Futtergrundlage für die 138 Schweine vorhanden ist.

Bei einer werktätigen Bäuerin (60 Jahre alt) aus Steinfort/Rostock wurden vom Bürgermeister und einem Angestellten des Kreisrates sämtliche Kartoffeln erfasst und abgefahren. Die Bäuerin muss ihre Kartoffeln, die sie zum Leben benötigt, kaufen, wozu sie sich äußert: »Wenn ich nicht einmal ein Recht habe Kartoffeln zu essen, will ich mich lieber aufhängen oder nach dem Westen gehen.« Nach der Erfassung erhielt diese Bäuerin den neuen Ablieferungsbescheid, wonach 40 Ztr. Kartoffeln zuviel erfasst wurden.

In Brädikow/Potsdam wurde vom Rat der Gemeinde ein Schreiben herausgegeben, in dem die Bauern aufgefordert werden, 100%ig zu erfüllen. Unter anderem heißt es: »Wer unseren Aufforderungen nicht Folge leistet, wird von der Politabteilung zur Rechenschaft gezogen.« Über den Inhalt dieses Schreibens sind die Bauern empört.

In der Gemeinde Perlin/Schwerin wurde bisher das Soll 100%ig erfüllt. In diesem Jahr sind noch große Rückstände festzustellen. Es wird vermutet, dass dies auf feindlichen Einfluss zurückzuführen ist. So äußerten sich z. B. zwei Neubauern: »Wenn ihr die Kartoffeln haben wollt, müsst ihr sie aus dem Keller holen, auch die Schweine könnt ihr aus dem Stall holen, aber abgeliefert wird nichts.«

Ein Großbauer aus Satow6/Rostock: »Wenn ihr uns das Getreide zwangsweise abholt, dann nehmt gleich den ganzen Mist. Ist das der neue Kurs der Regierung?« (Solche Äußerungen werden im Bezirk Rostock mehrfach gebraucht.)

Aus Potsdam wird berichtet, dass sich der Widerstand der Einzelbauern in fast allen Kreisen verstärkt. In Retzow7 gingen z. B. zwei Bauern auf den Erfasser mit der Brechstange los. In der Gemeinde Senzke wurden die Erfasser von ca. 50 Personen mit Knüppeln und Steinen bedroht. Neben allgemeinen Beschimpfungen, die gebraucht wurden, äußerte eine Frau: »Wir lösen wieder einen 17.6. aus.« (Es wird vermutet, dass dies organisiert war.)

Eine Bäuerin aus Grünheide/Rostock8 ging mit der Sense auf die Erfasser los, um die restlose Erfassung von Kartoffeln zu verhindern.

Stimmung der übrigen Bevölkerung

Über den Beschluss zur Abschaffung der Interzonenpässe wird verhältnismäßig wenig diskutiert. Die bisher bekannt gewordenen Meinungsäußerungen sind zum überwiegenden Teil positiv. So äußerte z. B. ein Dr. med. aus Gera: »Die Erleichterungen im Interzonenverkehr haben uns sehr gefreut, hoffentlich fallen bald überhaupt alle Beschränkungen fort.«

Eine Hausfrau aus Langendorf/Halle: »Warum hat man sich erst jetzt entschlossen, in Westdeutschland spricht man schon längere Zeit davon. In Westdeutschland braucht man auch keine Aufenthaltsgenehmigung wie bei uns.«

Von der Bevölkerung in den Grenzkreisen Heiligenstadt und Worbis/Erfurt wird zum Ausdruck gebracht, dass ihre Verwandten aus Westdeutschland jedoch nicht in das Sperrgebiet einreisen dürfen. So äußerte sich z. B. eine werktätige Frau: »Die ganzen Maßnahmen der Regierung, wie Tanz- und Kinoverbot ab 22.00 Uhr, sind nicht dazu angetan, bei den Menschen eine gute Stimmung zu erreichen.«9

Über die Weihnachtszuwendung10 halten die negativen Diskussionen unter den Arbeitern und Angestellten staatlicher Verwaltungen und Institutionen (die diese nicht erhalten) weiterhin an. Des Öfteren wird zum Ausdruck gebracht, in Zukunft keine FDGB-Beiträge mehr zu bezahlen. So erklären z. B. Angestellte beim Rat des Kreises Wurzen/Leipzig, in Zukunft keine Gewerkschaftsbeiträge zu zahlen, und zu Sondereinsätzen sollte man die Kollegen der volkseigenen Wirtschaft heranziehen.

Eine Pflegerin aus Jesau11/Dresden: »Damit bin ich nicht einverstanden, dass solche krassen Unterschiede gemacht werden und wir keine Weihnachtszuwendung erhalten.« Der Vorsitzende des Rates des Kreises Altenburg/Leipzig äußerte zum BGL-Vorsitzenden, dass man hier zumindest einen taktischen Fehler gemacht habe.

Stärker wird gegenwärtig von der Bevölkerung über Mängel in der Versorgung diskutiert, da, wie zum Ausdruck gebracht wird, Weihnachten vor der Tür steht, Waren für die Weihnachtsbäckerei aber noch nicht zu haben sind. Auch die Kartoffelversorgung löst bei dem Teil der Bevölkerung negative Diskussionen aus, die diese bisher noch nicht erhalten haben.

Eine Hausfrau aus Leipzig: »Erst haben wir bei der Hackfruchternte geholfen, dass die Ernährung gesichert wird, jetzt werden wir noch dadurch bestraft, dass wir erfrorene Kartoffeln erhalten.«

Eine Hausfrau aus Meißen/Dresden: »Kein Licht, keine Rosinen und sonst noch vieles, was es nicht gibt, man müsste gleich mit dem Knüppel hineinschlagen.«

Eine Hausfrau aus Gera: »Ich bin nur gespannt, wenn es die Zutaten für die Stollen zu kaufen gibt, die haben anscheinend keine Ahnung, wie und was zu Weihnachten gebacken wird. Es geht einem nicht in den Kopf, dass es mit der ganzen Versorgung nicht klappen will.«

Organisierte Feindtätigkeit

Aus den Bezirken Berlin, Cottbus, Karl-Marx-Stadt, Potsdam, Gera und Halle wird vereinzelte Verbreitung von Flugblättern, in der Mehrzahl solcher der NTS,12 berichtet. Im Bezirk Halle wurden in kleineren Mengen Flugblätter in Form von kleinen Büchern (18 Blatt) mit der Überschrift: »Argumente und Zitate von und über Herbert Warnke«13 aufgefunden.

Aus den Bezirken Halle, Dresden, Gera und Suhl wird berichtet, dass dort verschiedentlich Hetzschriften durch die Post zugestellt werden. In Einzelfällen werden diese Briefe auch an leitende Funktionäre in Partei, Betrieben und Verwaltungen geschickt. In den Briefen wird zum »langsam Arbeiten« und zur »Nichtzahlung der FDGB-Beiträge« aufgefordert. Ein Angestellter des Stickstoffwerkes Piesteritz/Halle erhielt durch die Post eine gefälschte Ausgabe der dortigen Betriebszeitung »Der Ansporn« zugestellt. Darin wird gegen die leitenden Funktionäre des Betriebs gehetzt.

Dem Bahnhof Krahne/Potsdam wurde durch die Post eine Hetzschrift »Der Schienenbruch«, herausgegeben vom Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen,14 zugestellt. Inhalt: Hetze gegen die DDR und deren Minister, Aufforderung die Normen, Planung und Spezialisten abzulehnen.

In der MTS Lübzin/Schwerin wurde in drei Traktoren Sand in das Getriebeöl gestreut. Die Täter sind unbekannt. Die Traktoren müssen dadurch drei Tage ausfallen.

Am 17. und 19.11.1953 wurden zwei Diversionen im VEB Plattenkombinat Meißen/Dresden verübt. Es wurde einmal ein Stück Eisen (5 cm lang) und zum anderen eine Schraube (6 cm) in der Tonmasse gefunden. Durch rechtzeitiges Bemerken konnte ein größerer Schaden an dem Plattenschneider verhindert werden.

Der westdeutsche Bundesjugendring plant in Zusammenarbeit mit dem Bonner Innenministerium die Jugend der DDR im westlichen Sinne zu beeinflussen. »Die Neue Zeitung« vom 24.11.1953 schreibt dazu: Das wichtigste Ziel des »Bundesjugendringes« sei die Schaffung einer selbstständigen Unterabteilung für Jugendfragen im »Bundesinnenministerium« und die »Unterstützung« der Jugendlichen in der DDR und der Republikflüchtigen.15

Vermutlich organisierte Feindtätigkeit

Am 23.11.1953 brannte in Merkwitz/Leipzig eine Scheune, die in Benutzung der LPG steht, nieder. Der Schaden beträgt ca. 25 000 DM: Brandstiftung wird vermutet.

Im Kreis Köthen wurden in der Nacht vom 23. zum 24.11.1953 über verschiedene Straßen von unbekannten Tätern in einem Meter Höhe Drahtseile gespannt. Diese konnten rechtzeitig entfernt werden, sodass keine größeren Unfälle entstanden.

Einschätzung der Situation

In den Diskussionen über die Abschaffung der Interzonenpässe wird diese Maßnahme größtenteils als Schritt zur Erringung der Einheit Deutschlands begrüßt. In den negativen Äußerungen zeigen sich oft westliche Einflüsse. Verschiedentlich verstärkt sich der Widerstand gegen die Erfassung bei Bauern, die im Rückstand sind mit der Ablieferung. Die anhaltende Missstimmung unter einem Teil der Beschäftigten in öffentlichen Verwaltungen und Institutionen über die Weihnachtszuwendung macht eine verstärkte Aufklärung notwendig, um den sich dabei breitmachenden Einfluss der Gegner zu überwinden.

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