Tagesbericht
7. Dezember 1953
Informationsdienst Nr. 2040 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Über die neue Note der Sowjetregierung1 und die Regierungserklärung vor der Volkskammer2 wird bereits in etwas größerem Umfange diskutiert. Der größte Teil der bekannt gewordenen Meinungen ist positiv. Teile der Diskutierenden zweifeln an dem Erfolg der Noten und der Vorschläge, die der Westen nach ihrer Meinung sowieso ablehnen werde. Geringer sind direkte negative Meinungen. Die Argumente sind die gleichen wie an den Vortagen. Neu ist lediglich, dass einige Betriebe im Bezirk Dresden (z. B. VEB Mechanische Werkstätten Görlitz) Verpflichtungen übernahmen, ihren Jahresproduktionsplan bis zu Stalins Geburtstag zu erfüllen.
Wie der Kampf gegen feindliche Agenten mehr und mehr von den Arbeitern bewusst geführt wird, zeigen folgende Beispiele: In Johanngeorgenstadt sprach in einer Versammlung der Leiter der Verwaltung »W«.3 Lautsprecher übertrugen die Reden an die Kumpel, die der Saal nicht mehr fassen konnte, denn er war mit 1 200 Mann bereits überbesetzt. Nach einer mehrstündigen kämpferischen Diskussion bildeten die Kumpel Kampfgruppen,4 um die Wachsamkeit zu erhöhen und die Organe der Staatssicherheit zu unterstützen. Die Kumpel forderten wiederholt, mehr Prozesse öffentlich vor den Kumpeln durchzuführen. In anschließenden Diskussionen mit unseren Mitarbeitern wurden ihnen mehrere Zettel mit Hinweisen auf gegnerische Tätigkeit unauffällig zugesteckt.
Im Chemie-Werk Lauta/Cottbus veranlassten Arbeiter von selbst, dass ein Provokateur, der ständig RIAS-Propaganda verbreitete, aus dem Werk entlassen wurde. Bei ABUS Leipzig, wo öfters feindliche Losungen angeschmiert oder Flugblätter verteilt wurden, führte die Parteiorganisation aufgrund eines neuen ähnlichen Falles in allen Abteilungen Versammlungen durch. Die Mehrzahl der Arbeiter distanzierte sich von den verbrecherischen Elementen und brachte ihre ehrliche Bereitschaft zum Ausdruck, bei deren Entlarvung und Liquidierung zu helfen.
Mängel in der Planung meldet die Bau-Union Dresden. Für 1954 wurde eine Planauflage von 74 Mio. DM erteilt. Aber Projektierungsunterlagen sind erst zu 30 % vorhanden. Wenn die noch fehlenden Unterlagen nicht schnellstens geliefert werden, muss der Betrieb Anfang nächsten Jahres mehrere Hundert Arbeiter entlassen.
Im VEB Zeiss Ikon Dresden sind die leitenden Funktionäre sehr ungehalten darüber, dass vom Ministerium für allgemeinen Maschinenbau fortwährend Änderungen am Plan für 1954 vorgenommen werden.
Waggonmangel führte in der Margarinefabrik Milka in Pratau, [Kreis] Wittenberg, [Bezirk] Halle, am 4.12.1953 zur Stilllegung der Produktion, weil die Lagerräume infolge mangelhafter Waggonzuteilung überfüllt waren. Erst nachdem sich das ZK, das von der Betriebsleitung benachrichtigt wurde, für den Betrieb einsetzte, wurden sofort Waggons geliefert.
Materialschwierigkeiten werden heute aus dem VEB Sägewerk Baruth, [Kreis] Zossen/Potsdam, berichtet. Es fehlen 9 000 verschiedene Holzschrauben und 170 kg Nägel. Ohne dieses Material kann der Bau eines Hallenschwimmbades nicht winterfest gemacht werden. Außerdem wird der Betrieb Facharbeiter entlassen müssen. Das Material ist schon seit längerer Zeit bei der DHZ Maschinen- und Fahrzeugbau Berlin bestellt.
Über mangelhafte Qualität der polnischen Steinkohle (zu große Schlackenrückstände und zu hoher Schiefergehalt) beschweren sich Lokführer und Heizer in Gera. Solche Beschwerden wurden schon öfters auch aus anderen Bezirken bekannt.
Handel und Versorgung
Mangel an Margarine, besonders Sorte I, zeigt sich in einigen Kreisen der Bezirke Rostock, Neubrandenburg und Potsdam. Trotzdem Margarine Sorte I fehlte, ist in dem Rostocker Margarinewerk genügend Rohstoff dafür vorhanden, es fehlt nur die entsprechende Planänderung.
Mangel an Weihnachtszutaten, Südfrüchten und Geflügel wird aus den Bezirken Karl-Marx-Stadt und Dresden gemeldet. Winter- und Arbeitsbekleidung fehlt in den Bezirken Rostock und Dresden.
Preiserhöhungen wurden aus dem Bezirk Erfurt gemeldet. So wurden nach der Preissenkung Herrensportschuhe im Preis von 58,00 DM vom Zentralreferat Leder aus Halle festgesetzt. Vom Ministerium der Finanzen wurde jedoch ein Preis von 116,00 DM festgesetzt und das Ministerium für Handel und Versorgung gab eine Anweisung heraus, in der der Preis mit 76,00 DM bestimmt wurde. Innerhalb von drei Wochen erhielt man somit für diese Schuhsorte drei verschiedene Preise.
Der Verantwortliche des Rates des Bezirkes Erfurt, Hauptreferat Preise, teilte mit, dass in den letzten 14 Tagen bei Damenunterwäsche und Jenaer Glaswaren die Preise wieder erhöht wurden. Die Ursache soll keine Qualitätsverbesserung, sondern die Erhöhung des Herstellerabgabepreises sein, um den Verlust in den Betrieben etwas auszugleichen.
Landwirtschaft
Schwierigkeiten in der Erfassung und Ablieferung zeigen sich in den Bezirken Erfurt und Schwerin. So wird in verschiedenen Kreisen des Bezirkes Erfurt die mangelnde Futtergrundlage als Grund für die nicht restlose Ablieferung angegeben. Weiterhin fordert man Einführung der »freien Wirtschaft«. Ein Großbauer (22 ha) aus Hamma/Erfurt: »Es gibt nur eins für den Bauern, dass ihn retten kann, und das ist die freie Wirtschaft.«
Durch verstärkten Einsatz von Erfassern des Rates des Kreises Parchim/Schwerin wurde erreicht, dass die Bauern ihr Getreide gedroschen haben und es zur Ablieferung bereitstellen. Dabei legte man einen Termin zur Abholung durch die VEAB fest, den die Bauern einhielten, die VEAB verstand es aber nicht, den Abtransport zu organisieren. Darüber entstand große Verärgerung unter den Bauern.
Mangel an Ersatzteilen besteht in einigen Kreisen des Bezirkes Halle, sodass die durchzuführenden Reparaturen teilweise erschwert werden. So werden z. B. Scharschrauben 40 mm lang und Kühler für Traktoren IFA 40 PS dringend benötigt.
Vorschläge für Meisterbauern werden verschiedentlich von Bauern im Bezirk Neubrandenburg abgelehnt. Als Grund geben sie unter anderem an, dass sie dann zuviel zu Tagungen und Konferenzen fahren müssten und dadurch ihren Hof vernachlässigen würden, außerdem gebe dies nur Neid und Missgunst. Vorsitzender der Ortsvereinigung der VdgB Lexow5/Neubrandenburg: »Mich zum Meisterbauern vorschlagen, ihr seid wohl verrückt, ich will nichts davon wissen.«
Stimmung der übrigen Bevölkerung
Über die Note der SU an die Westmächte und die Regierungserklärung der DDR sind weiterhin nur in geringem Maße Stimmen bekannt geworden. Diese bekannten Stimmen sind jedoch in der Mehrzahl positiv. Einwohner aus Biberau/Suhl: »Die letzte Note der SU zur Einberufung einer Viererkonferenz beweist klar ihren Friedenswillen. Die Imperialisten dagegen sind nicht daran interessiert, das zeigt ihre Kriegshetze und Kriegsvorbereitung in Westdeutschland.«
Einwohnerin aus Cottbus: »Zur Note der SU gibt es für die Westmächte wohl jetzt keine Möglichkeit des Ausweichens mehr und sie müssen klar Farbe bekennen, ob sie den Frieden wollen oder den Krieg. Ich wünsche, dass das Treffen in Berlin stattfindet.«
Bauer aus Spören/Halle: »Jetzt müssen die Westmächte verhandeln, es bleibt ihnen kein anderer Ausweg übrig. Sie werden natürlich versuchen die Viererkonferenz hinauszuschieben.«
Zum Abschluss des Monats der deutsch-sowjetischen Freundschaft sind im Bezirk Halle ca. 10 000 bis 12 000 Personen der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft beigetreten.
Die Ausstellung von Aufenthaltsgenehmigungen in Erfurt kann seit 4.12.1953 nicht mehr erfolgen, da keine Formulare mehr vorhanden sind. Nach Mitteilung von Berlin sind auch keine vorrätig und es kann erst mit einer Ausgabe ab 7.12.1953 gerechnet werden. Dies führt zu negativen Äußerungen unter der Bevölkerung. Einwohner aus Langensalza: »Jetzt versucht man wieder durch Vortäuschungen, wie z. B. das Fehlen von Aufenthaltsgenehmigungen, die Einreise von Bürgern aus Westdeutschland zu erschweren.«6
Zu den Elternbeiratswahlen wird aus Bezirk Karl-Marx-Stadt und Erfurt bekannt, dass kirchliche Kreise versuchen im Elternbeirat festen Fuß zu fassen. Bei der Neuwahl der Elternbeiräte im Volkshaus Sömmerda/Erfurt, wo ca. 450 bis 500 Personen anwesend waren und sich die Mitglieder des Elternbeirates einzeln vorstellen mussten, erhielt ein Pfarrer aus Sömmerda die meisten Stimmen.
Ein Pfarrer aus Jahnsbach/Karl-Marx-Stadt äußerte bei den Elternbeiratswahlen: »Ist es denn noch Demokratie, wenn die Kandidatenlisten schon fertig vorgeschlagen werden. Ich fordere in den Elternbeirat einen Vertreter der Kirche, da 90 % der Gemeinde Mitglieder in der Kirche sind.«
Organisierte Feindtätigkeit
Geringere Flugblatttätigkeit in den Bezirken Erfurt, Dresden, Halle und Potsdam, stärker in Frankfurt/Oder und Karl-Marx-Stadt (überwiegend NTS7 und KgU8). Im Kreis Seelow/Frankfurt/Oder wurde ein Flugzeug beim Abwerfen von Flugblättern beobachtet.
Wie erst jetzt bekannt wird, wurden in der Nacht vom 2. zum 3.12.1953 auf dem Betonplatz der Bau-Union Stalinstadt die Dampfleitung und das Kesselhaus von unbekannten Tätern unter Strom gesetzt.
In Schwaan, [Kreis] Bützow, [Bezirk] Schwerin, wurden wiederholt des Nachts Plakate abgerissen, auf denen säumige Bauern zur Ablieferung aufgerufen wurden.
In Leipzig kursiert das Gerücht, die Einheit Deutschlands werde noch in diesem Jahr durch die Westmächte hergestellt werden. Dies sei auf einer Konferenz in Genf beschlossen worden.
Einschätzung der Situation
Die Lage hat sich gegenüber dem Vortage nicht verändert.