Tagesbericht
2. Dezember 1953
Informationsdienst Nr. 2036 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Über die Note der SU an die Westmächte zur Einberufung einer Viermächtekonferenz1 wird weiterhin nur vereinzelt diskutiert. Dabei ist der Inhalt des übergroßen Teils der bekannten Diskussionen positiv. Verschiedentlich wird der Vorschlag der SU von den Betriebsangehörigen begrüßt, aber am Erfolg des Notenwechsels gezweifelt. Negative Diskussionen wurden nur sehr wenig bekannt.
Ein Angestellter des VEB Textima Großenhain/Dresden: »Es ist die entscheidendste Note, die die SU unseren Gegnern übermittelte. Es werden ganz konkrete Punkte festgelegt und die drei Westmächte müssen dazu unbedingt Stellung nehmen. Wenn sie jetzt wieder eine abwartende Haltung einnehmen und nicht konkret darauf antworten, dann ist es eine große Gemeinheit.«
Ein Arbeiter, Mitglied der SED, aus dem Gaswerk Demmin/Neubrandenburg: »Es wurden schon viele Noten gewechselt, aber Erfolge dadurch fast nicht erzielt. Es war genauso mit der letzten Note der SU und der der DDR an die Westmächte, wo nichts dabei herauskam.« Ein parteiloser Arbeiter des Kaliwerkes »Ernst Thälmann« in Merkers/Suhl: »Nun muss die SU doch nachgeben. Amerika hat den richtigen Weg gezeigt, der zur Einheit Deutschlands führt.«
Zur Unterstützung des neuen Kurses wurden z. B. von der Genossenschaft Leder und Textil Neubrandenburg Schuhwaren, Polstermöbel und Matratzen im Werte von insgesamt 40 000 DM zusätzlich produziert.
Unter den Arbeitern der Volkswerft Stralsund wird zufriedenstellend über die Verhaftung des für die Slippanlage verantwortlichen Ingenieurs diskutiert.2 So sagt ein Arbeiter: »Vor der Verhaftung des Ingenieurs sagten die Arbeiter: ›Na, hoffentlich fasst man nicht wieder die Kleinen.‹ Jetzt herrscht allgemeine Zufriedenheit unter den Arbeitern, dass man endlich streng durchgreift, denn der Schaden ist ja auch erheblich.« Eine von einem Ingenieur und anderen Angestellten des Werkes versuchte Unterschriftensammlung zur Freilassung dieses Ingenieurs wurde von den Arbeitern energisch zurückgewiesen.
Produktionsschwierigkeiten, teilweise durch Material- und Waggonmangel hervorgerufen, treten in einigen Betrieben auf. Im VEB DIMA,3 Dingelstädt/Erfurt, ist gegenwärtig ein großer Mangel an Walzmaterial und Schrauben vorhanden. Da sich in Bezug auf Waggongestellung für den VEB Papierfabrik Großenhain/Dresden noch keine Verbesserung gezeigt hat und sämtliche Lagerräume des Betriebes überfüllt sind, muss dieser Betrieb voraussichtlich Anfang nächster Woche bei Nichtveränderung dieses Zustandes die Produktion einstellen.
Im VEB Baumwollspinnerei Adorf/Karl-Marx-Stadt sind die Maschinen des Kesselhauses seit dem Jahre 1890 in Betrieb und müssten jetzt generalüberholt werden, wofür jedoch die erforderlichen Investmittel nicht zur Verfügung stehen. Der technische Leiter des Betriebes sagte: »Diese Generalüberholung ist schon aus Gründen der Sicherheit notwendig. Beim Anheizen eines Ofens verlassen teilweise die Heizer den Heizraum, um nicht einer evtl. Explosion ausgesetzt zu sein. Obwohl diese Schwierigkeiten in Berlin bekannt sind, lässt sich höchstens von dort jemand sehen, wenn Kohlen einzusparen sind.«
Durch administrative Erhöhung der Arbeitsnormen bei Arbeitern der Abteilung Schlosserei des EKM Dampfkesselbau Gera legten 16 Arbeiter am 27.11.1953 für 15 Minuten die Arbeit nieder. Nach Rücksprache des BPO-Sekretärs und des Werksleiters mit den Arbeitern erklärten sie sich dann bereit, ihre Norm, die im Verhältnis zu anderen Brigaden zu niedrig war, zu erhöhen.
Unzufriedenheit herrscht bei den Arbeitern der Baustelle Drewitz, [Kreis] Guben, [Bezirk] Cottbus, über eine Mitteilung der Bau-Union Dresden, wonach mit Einvernehmen des MdI und Ministerium für Handel und Versorgung ab 1.1.1954 die Arbeiter die Lebensmittelkarte C erhalten und nicht mehr in eine besondere Nomenklatur eingestuft werden. Die Arbeiter drohen teilweise mit Arbeitsniederlegung.
Handel und Versorgung
Zutaten für die Weihnachtsbäckerei wie Mandeln, Rosinen und dgl. fehlen in den Bezirken Karl-Marx-Stadt und Halle. So wird z. B. aus Karl-Marx-Stadt berichtet, dass unter dem Handelspersonal der Wismut AG zum Teil Missstimmung geäußert wird, da es im Allgemeinen an Winterbekleidung und an Zutaten für die Weihnachtsbäckerei fehlt.
Aus dem Kreis Freiberg/Karl-Marx-Stadt wird ein Warenstau von Weißkraut und Spirituosen gemeldet. Größere Mengen Weißkraut mussten bereits zu Futterzwecken abgegeben werden.
Stand der Versorgung der Bevölkerung mit Einkellerungskartoffeln im Bezirk Frankfurt/Oder am 26.11.1953: 83,3 %. Im Kreis Bernau/Frankfurt/Oder sind verschiedene Haushalte bereits wochenlang ohne Kartoffeln. In Basdorf kam es deswegen schon zu Unruhen. Die Bevölkerung verlangt ihre Kartoffeln, bevor der Winter kommt, erfrorene Kartoffeln könnten sie nicht gebrauchen.
Landwirtschaft
Schwierigkeiten in der Erfassung landwirtschaftlicher Produkte werden aus dem Bezirk Frankfurt/Oder berichtet. In vielen Fällen ist festzustellen, dass Mittel- und Großbauern bewusst nicht abliefern und zum Teil die Erfasser von den Höfen weisen. So z. B. sagte ein Großbauer aus Münschedorf4 zu den Erfassern: »Scher dich vom Hof oder ich lasse die Hunde los.« Unter anderem sind solche Argumente stark vertreten, wie z. B. ein Mittelbauer aus Seelow äußert: »Nehmt doch gleich alles, für eine Fahrkarte nach Berlin wird es noch immer reichen.«
Wie aus Potsdam berichtet, wird immer wieder festgestellt, dass Bauern, die ihr Soll noch nicht erfüllt haben, Kartoffeln in Mieten versteckt halten. Trotzdem die Mieten mit Namen versehen sein müssen, wurde festgestellt, dass z. B. eine Großbäuerin in Schönhagen, die ihr Kartoffelsoll erst zu 50 % erfüllt hat, vier Kartoffelmieten verheimlichen wollte, indem die Mieten den Namen eines anderen Bauern trugen.
Unter den vom Hagelschaden betroffenen Bauern des Bezirkes Suhl ist, wie berichtet, eine gewisse Verärgerung zu verzeichnen, da diese Schäden bis jetzt noch nicht vom Soll abgerechnet wurden.
Das Jagdgesetz5 wird in den landwirtschaftlichen Kreisen des Bezirkes Dresden allgemein begrüßt. So äußerte ein Mittelbauer aus Bühlau: »Ich freue mich, dass es endlich soweit ist, dass die Wildplage bekämpft wird, das wird auch höchste Zeit.«
Bei Steudach/Suhl liegen 7,5 t Harz, dazu äußert ein Waldarbeiter: »Durch den Frost platzen die Fässer und das Harz wird wertlos. Trotzdem das Ministerium für Land und Forst in Berlin davon verständigt wurde, wurde dieser Zustand noch nicht beseitigt.«
In der Zuckerrübenannahmestelle des VEAB Wietschke6/Halle lagern 5 500 Ztr. Zuckerrüben, die durch Waggonmangel nicht abtransportiert werden können. Die Zuckerrüben sind dem Verderb ausgesetzt und fangen bereits an zu verfaulen.
Stimmung der übrigen Bevölkerung
Über die Note der SU an die Westmächte wird nur in geringem Maße diskutiert. In der Mehrzahl der bekannt gewordenen Stimmen wird zum Ausdruck gebracht, dass die SU zur Herstellung der Einheit Deutschlands nichts unversucht lässt und unablässig für die Entspannung der internationalen Lage eintritt. Meinungsäußerungen, die den Erfolg des Notenwechsels anzweifeln und direkt negative Diskussionen, wurden nur ganz vereinzelt bekannt. So äußerte eine Hausfrau aus Leipzig: »In der Note der SU kommt erneut der Wille zur Entspannung der internationalen Lage und zur friedlichen Wiedervereinigung unseres Vaterlandes zum Ausdruck.« Ein ehemaliger Drogeriebesitzer aus Großenhain/Dresden: »Die feiern ja bald Jubiläum mit diesen Dingern und Erfolg hat es keinen.«
Über die Weihnachtszuwendung7 wird aus den Bezirken noch immer Missstimmung unter den Arbeitern und Angestellten staatlicher Verwaltungen und Institutionen, die davon ausgeschlossen sind, berichtet. Diese Missstimmung wird teilweise von einzelnen Personen ausgenutzt bzw. gesteigert. So z. B. forderte der BGL-Vorsitzende (SED) der Heilstätten Zschadraß den BGL-Vorsitzenden der Krankenanstalt Hubertusburg/Leipzig telefonisch auf, ebenfalls eine Protestresolution zu verfassen und auf dem gleichen Wege das nächste Krankenhaus in diesem Sinne zu verständigen.
Negative Diskussionen über die Wohnraumbeschaffung für sowjetische Offiziere werden aus Leisnig/Leipzig, den Kreisen Gotha, Langensalza und Weimar/Erfurt sowie Glauchau (Stadt)/Karl-Marx-Stadt berichtet. So wird z. B. aus Erfurt berichtet, dass in Gotha (Stadt) 140 und in Ohrdruf 150 Wohnungen aufgebracht werden müssen. Neben den dadurch entstehenden Diskussionen sind feindliche Argumente festzustellen. So wird z. B. geäußert: »Im Westen werden wenigstens Wohnungen für die Besatzungstruppen gebaut, hier macht man sich es aber einfacher. Die Leute werden einfach aus den Wohnungen ausgewiesen.«
Wassermangel in den Gemeinden Immenrode, Peukendorf, Kleinbrüchter,8 Holzthaleben und Keula/Erfurt löst unter den Einwohnern starke Missstimmung aus, da die Vervollständigung des Wasserleitungsnetzes bereits vor Jahren eingeplant war, jedoch noch nicht ausgeführt wurde.
Organisierte Feindtätigkeit
Verstärkte Verbreitung von Flugblättern wird aus dem Bezirk Potsdam, vereinzelt aus den Bezirken Gera, Karl-Marx-Stadt, Halle, Frankfurt/Oder, Rostock und Berlin berichtet. In der Mehrzahl handelt es sich um Flugblätter der KgU,9 SPD10 und NTS.11
Der Parteisekretär des VEB »Alfred Scholz« Werkes Welzow/Cottbus wurde am 1.12.1953 auf dem Weg zur Arbeitsstätte von bisher unbekannten Tätern niedergeschlagen. Mit einer Gehirnerschütterung musste er in das Krankenhaus eingeliefert werden.
In einem Wismut-Schacht bei Aue wurde am Erzprüfstand ein großer Klumpen Erz von unbekannten Tätern abgelegt. Dadurch leuchtete die Kontrolllampe ständig auf und viele Hunte12 mit tauber Masse13 wurden mit in die Erzbunker geschüttet.
Der VEB Falkenwerke Döbeln/Leipzig erhielt einen Brief, in dem von einer weiblichen Person geschrieben wird: »Sollte ihr Betrieb sich am Weihnachtshilfswerk für Rentner, die unter 100,00 DM monatlich ohne Nebenverdienst Unterstützung erhalten, beteiligen dürfen, so gebe ich ihnen die Adresse eines solchen Rentners auf.«
Am 1.12.1953 wurden von unbekannten Tätern im VEB Grobgarnwerk Kirschau/Dresden zwei Webketten derart beschädigt, dass dadurch ein erheblicher Produktionsausfall zu verzeichnen war.
Aus dem Bezirk Potsdam wird berichtet, dass durch die KgU Briefe an verschiedene Personen und Verwaltungen (Ärzte und Kreisrat) durch die Post versandt werden.
Einschätzung der Situation
Über die Note der SU zur Einberufung der Viermächtekonferenz wird noch nicht in größerem Umfange diskutiert. Von der Mehrzahl wird die Note begrüßt und anerkannt, dass die SU sich mit aller Kraft für die Einheit Deutschlands und die Entspannung der internationalen Lage einsetzt. Verschiedentlich wird der Erfolg des Notenwechsels bezweifelt. Negative Stimmen sind jedoch nur gering. In einigen Bezirken sind immer noch beachtliche Schwierigkeiten bei der Ablieferung landwirtschaftlicher Produkte, verstärkt durch das Verhalten feindlicher Elemente, zu verzeichnen. Der Gegner nutzt weiterhin die teilweise Unzufriedenheit über die Weihnachtszuwendung unter den in öffentlichen Verwaltungen Beschäftigten zur Organisierung feindlicher Handlungen aus.