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Tagesbericht

16. September 1953
Information Nr. 1069

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

a) Industrie und Verkehr

In den meisten Bezirken wird über die Wahlergebnisse1 noch vereinzelt diskutiert. Regere Diskussionen sind dort noch zu verzeichnen, wo die Parteiorganisationen in der Offensive sind oder wo der Gegner verstärkt auftritt. Aus Leipzig wird berichtet, dass bei dem überwiegenden Teil der Arbeiter Klarheit über die Ursachen und Auswirkungen des Wahlergebnisses herrscht. Richtige Schlussfolgerungen haben Arbeiter im LOWA Bautzen gezogen. Viele verpflichteten sich, Briefverkehr mit Westdeutschland aufzunehmen, um den westdeutschen Arbeitern die Wahrheit zu sagen. Andere Arbeiter des gleichen Betriebes erhöhten freiwillig ihre Normen.

In Betrieben des Bezirkes Erfurt wird noch über die missglückte Aktion der Partei und FDJ zur Unterstützung der KPD im Wahlkampf ablehnend diskutiert.2 In den Großbetrieben der Bezirke Rostock und Schwerin wie auch in Suhl wird, ermuntert durch RIAS-Propaganda, noch überwiegend negativ diskutiert.

Im VEB Zellwolle Wittenberge/Schwerin ist der Sozialdemokratismus stark verbreitet. In Jena, besonders im VEB Jenapharm, spukt noch immer der Gedanke um einen neuen Tag X.3 In diesem Zusammenhang traten auch im Thälmann-Kombinat Suhl und im VEB Stern-Radio Sonneberg Provokateure auf, die sich mit Streikgedanken tragen. Im Stahlwerk Riesa und im Waggonbau Görlitz wurden Provokateure entlarvt und entlassen. In der Diskussion sprachen allerdings nur Genossen, alle anderen schwiegen.

Wie bereits berichtet, sind Arbeiter im Mansfeld-Kombinat sehr unzufrieden über die Beseitigung der steuerfreien Bezugsmarken für Trinkbranntwein. Die Stimmung hat sich diesbezüglich wesentlich verschlechtert. Streikdrohungen wurden bereits ausgesprochen.

Auf Berliner Baustellen haben sich dunkle, asoziale Elemente eingeschlichen, die dauernd mit den fortschrittlichen Arbeitern im Streit liegen. Das kommt daher, dass durch die starke Fluktuation viele Leute gebraucht werden und daher alle möglichen Elemente eingestellt werden müssen, die nach Arbeit fragen, deren Herkunft und Absichten aber nicht überprüft sind.

Unzufriedenheit herrscht nach wie vor bei den Arbeitern, die wegen Strommangel in Nachtschichten arbeiten müssen. Im VEB Sturmlaternenwerk Beierfeld/Karl-Marx-Stadt wird folgendermaßen diskutiert: »In der SU wurden in erster Linie Kraftwerke zur Elektrifizierung des Landes und der Industrie gebaut. Bei uns wird die Industrie entwickelt, aber die Energieversorgung hinkt nach.«

Positive Stimmung und gute Arbeitsmoral herrscht bei der Wismut. Durch gute Partei- und Gewerkschaftsarbeit konnte z. B. auf einem Schacht bei Schwarzenberg die Wettbewerbsbewegung verbreitert werden; auf einem Schacht bei Auerbach wurden in diesem Monat bereits 278 Selbstverpflichtungen übernommen, im Vormonat nur 60.

In der Abteilung Werkzeugbau der Optischen Werke in Rathenow/Potsdam hatte eine gute politische Aufklärungsarbeit den Erfolg, dass alle Kollegen ihre Gewerkschaftsbeiträge nachzahlen. Die Stahlwerker von Thale freuen sich über ihre Lohnerhöhungen und bringen zum Ausdruck, dass man jetzt tatsächlich spüre, wie der neue Kurs in der Praxis durchgeführt wird. Arbeiter des SAG-Betriebes Transmasch Rudisleben/Erfurt würden einen Austausch von Arbeiterdelegationen mit Westdeutschland begrüßen. Briefliche Verbindungen wurden bereits angeknüpft.

Über die Bettelpaketaktion4 wird noch immer unter den Eisenbahnern im Bezirk Frankfurt/Oder negativ diskutiert.

b) Handel und Versorgung

Aus den Bezirken Cottbus und Gera wird gemeldet, dass in letzter Zeit ranzige Importbutter verkauft wurde. Weiterhin wird aus Gera bekannt, dass Fahrradschläuche eine mangelhafte Qualität aufweisen und die Stöße Luft durchlassen. In Karl-Marx-Stadt tritt eine mangelnde Versorgung mit Einmachgläsern und Wassereimern in Erscheinung. Im Kreis Oelsnitz/Karl-Marx-Stadt wurden 56 t Weintrauben angeliefert, die voraussichtlich nicht abgesetzt werden können. In Pritzwalk/Potsdam finden Apfelsinen und Zitronen keinen Absatz und sind dem Verderb ausgesetzt. In der Berliner Handelszentrale sind 16 Mio. Eier verfault.5

c) Landwirtschaft

Im MTS-Bereich Kriebethal/Karl-Marx-Stadt haben alle fünf LPG ihr Getreidesoll 100%ig erfüllt. Im Kreis Altentreptow/Neubrandenburg liegt die Sollablieferung (Getreide) bei 80 %, davon jedoch in den Gemeinden Gültz, Pinnow und Gädebehn im Durchschnitt bei 50 %. Aus Halle wird gemeldet, dass Bauern immer wieder in Versammlungen eine Sollherabsetzung fordern, da sie sonst den Viehhalteplan nicht erfüllen könnten.6 Erfurt berichtet, dass die Sollablieferung in den letzten Tagen nachgelassen hat. Von den Bauern wird geäußert, dass eine 100%ige Ablieferung nur möglich sei, wenn der Viehhalteplan gekürzt würde. Ähnlich wird aus Cottbus berichtet, wo in den Kreisgebieten Brigaden eingesetzt wurden, um die Ablieferung zu beschleunigen.

In Senzke/Potsdam wollen die Bauern kein Gemüse mehr anbauen, da die VEAB dies nicht abnimmt oder als Schweinefutter verkauft. Aus Magdeburg wird ein schwacher Versammlungsbesuch in den ländlichen Gebieten gemeldet. Eine Versammlung in Geisenhain/Gera zeigt, dass vom Gegner beeinflusste Elemente diese benutzen, um ihre feindlichen Argumente vorzutragen.

Im Bezirk Dresden bestehen 316 LPG mit 7 475 Mitgliedern. Davon traten im August 1953 270 Mitglieder aus folgenden Gründen aus: 123 wegen Rückgabe devastierter Betriebe,7147 wegen angeblich innerbetrieblicher Differenzen, auf freiwilliger Basis oder RIAS-Argumenten.

Stimmung der übrigen Bevölkerung

Änderungen in der Stimmung bzw. Diskussion sind gegenüber dem Vortage nicht zu verzeichnen. In Babelsberg/Potsdam wird von den Frauen darüber gesprochen, dass 2 Mio. Eier verdorben seien, sie aber keine Eier zu kaufen bekämen.8

Für die Entlassung eines Bettelpaketabholers9 aus dem Finanzamt Treptow stimmten sechs Genossen, eine Angestellte war dagegen und 80 Angestellte enthielten sich der Stimme.10 Im Kreis Oranienburg/Potsdam wird negativ diskutiert: »Dass erst die Pakete abgenommen und dann ein Schein ausgestellt werden müsste, wonach sie das Bettelpaket freiwillig abgegeben haben.«

Die Beteiligung an der OdF-Gedenkkundgebung am 13.9.1953 wird vom PdVP mit 45 000 Personen gemeldet, vom Berliner Ausschuss der Nationalen Front mit 53 000 und die Presse berichtet von 75 000.11 Die Stimmung der Kundgebungsteilnehmer war gut, was in lebhaften Zustimmungserklärungen seinen Ausdruck fand. Hauptgesprächsthema war die Wahl in Westdeutschland, die man mit der Wahl 1933 verglich. Immer wieder kam die Frage, was jetzt zu tun sei.

Feindtätigkeit

a) organisierte

Vereinzelte Flugblatttätigkeit in den Bezirken Karl-Marx-Stadt, Cottbus, Dresden, Potsdam, Halle und Suhl. In Suhl handelte es sich um Flugblätter, die mit Schreibmaschine geschrieben sind und die Arbeiter des Thälmann-Kombinats auffordern, keine FDGB-Beiträge mehr zu bezahlen.

In Wamckow, [Kreis] Sternberg, [Bezirk] Schwerin wurde beim Erntefest ein Angehöriger der VP-Feuerwehr niedergeschlagen.

Im TRO »Karl Liebknecht« schlug der Trafo eines 100-MVA-Reglers bei der Prüfung durch. Ursache: Von unbekannten Tätern war Wasser in das Öl gegossen worden. Schaden: ca. 4 000 DM. Reparaturzeit acht Tage.12

b) vermutlich organisierte

Im Kreis Spremberg/Cottbus kursiert das Gerücht, am kommenden Montag erfolge eine Preissenkung, wonach Genussmittel um 50 %, Lebensmittel um 30 % und Textilien um 50–60 % billiger werden sollen.

Einschätzung der Situation

Die Lage hat sich nicht wesentlich geändert, aber es sind in verschiedenen Bezirken Anzeichen vorhanden, dass sich die Maßnahmen unserer Regierung zur Verbesserung der Lebenslage bei Arbeitern und anderen Werktätigen in der Stimmung bemerkbar machen. Auch durch die teilweise verbesserte Aufklärung verstärkt sich in verschiedenen Betrieben und unter Teilen der Bevölkerung die Zustimmung zur Politik unserer Partei und Regierung.

In weiten Kreisen der Bevölkerung stehen die Diskussionen über die Versorgungslage im Mittelpunkt. Dabei wird besonders die Unzufriedenheit über die vielen Mängel zum Ausdruck gebracht und eine Verbesserung der Lebenshaltung erwartet.

Der Einfluss der feindlichen Propaganda zeigt sich besonders in einer Reihe Betrieben und verschiedenen Bevölkerungsschichten in der Zurückhaltung und im Ausweichen bei Diskussionen zu politischen Fragen. Auch in dem schwachen Besuch von Versammlungen und Kundgebungen in verschiedenen Bezirken zeigt sich eine feindlich beeinflusste, abwartende Haltung.

Sehr oft ist die Aufklärung der werktätigen Bevölkerung durch die Partei, die Nationale Front und die Massenorganisationen noch ungenügend und führt teilweise zu einem Übergewicht der feindlichen Hetze gegenüber der Agitation fortschrittlicher Kräfte.

Beispiele zeigen aber, dass bei guter Aufklärungsarbeit der Partei die Bevölkerung unsere Politik versteht, zuversichtlicher wird und die Partei an Einfluss gewinnt. Die Presse und der Rundfunk müssten ebenfalls mehr Argumente bringen, um die Überzeugungsarbeit unter den Werktätigen zu verbessern.

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