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Tagesbericht

7. Juli 1953
Information Nr. 1007

Stimmung der Bevölkerung

Die Stimmung der Bevölkerung zu den Regierungsbeschlüssen1 ist sehr unterschiedlich. Ein Teil der Bevölkerung begrüßt offen und ehrlich die Maßnahmen der Regierung, besonders dann, wenn die Beschlüsse zur persönlichen Besserstellung beitragen und bereits sichtbar werden (Versorgung mit Fettstoff, Zucker und dgl. oder Rentenerhöhung). Positive Stimmen sind auch unter Gewerbetreibenden, Handwerkern und in der Landwirtschaft zu verzeichnen, die, wie aus den Diskussionen zu ersehen ist, durch die Regierungsbeschlüsse wieder eine Existenzmöglichkeit erhalten haben.

So sagt z. B. der Gastwirt [Name 1]: »Ich konnte feststellen, dass die Menschen jetzt wieder zuversichtlicher in die Zukunft schauen. Ich selbst habe das feste Gefühl, dass unsere Regierung eine wirkliche Volksregierung ist und die SED doch die Partei der Arbeiterklasse ist.«

Der Neubauer [Name 2] erklärte, dass er durch die Erleichterung endlich einmal in den Genuss einer Schlachtgenehmigung käme. Er erklärte weiter, dass die Bauern entschlossen hinter der Regierung stehen, da diese gewillt ist, die begangenen Fehler wieder zu beseitigen.

Ein anderer Teil der Bevölkerung verhält sich abwartend zu den Beschlüssen der Regierung und bringt zum Ausdruck, dass schon sehr viel versprochen, aber wenig gehalten wurde (Abschaffung der Lebensmittelkarten und dgl.). Mit Äußerungen, wie: »Wo will die Regierung all die Lebensmittel und dergleichen hernehmen, wenn sie bis jetzt nichts gehabt hat«, sucht man zu begründen, dass dies nur eine Maßnahme sei, um die Bevölkerung zu beruhigen. In diesem Zusammenhang wird zum Ausdruck gebracht, dass, wenn diese Versprechungen nicht gehalten werden, man kein Wort mehr glaubt, was die Regierung sagt.

So sagt der Betriebsmaurer [Name 3]: »Ich bin überhaupt noch misstrauisch diesen Beschlüssen und Verordnungen gegenüber. Man ist schon so oft angeschmiert worden und muss deshalb erst einmal abwarten, ob das, was gesagt wurde, auch gehalten wird.«

Der Friseurmeister [Name 4] sagt dazu: »Ich hoffe, dass wir nicht nochmals eine Enttäuschung erleben, denn dann glaube ich gar nichts mehr, was von oben herunter gesagt wird.«

Ein dritter Teil der Bevölkerung wirft die Frage auf, warum werden die Verantwortlichen der Regierung nicht zur Rechenschaft gezogen und bestraft, wie es mit jedem Arbeiter gemacht wird, der einen Fehler begangen hat. In diesem Zusammenhang spricht man über die Auszeichnung des Genossen Walter Ulbricht als »Held der Arbeit«, der nach Meinung der Bevölkerung die Hauptschuld trägt. Dieser Teil der Bevölkerung gibt sich auch mit den Regierungsbeschlüssen nicht ab, sondern fordert Rücktritt oder Sturz der Regierung, freie Wahlen und dergleichen.

Zum überwiegenden Teil handelt es sich hier um Personen, die den westlichen Sendern (RIAS) Gehör und Glauben schenken, was auch in solchen Äußerungen zum Ausdruck gebracht wird, dass in 2 bis 3 Wochen sich etwas tun wird und einige am nächsten Apfel- oder Birnbaum hängen werden (gemeint sind Funktionäre unserer Partei).

Bei einer Betriebsversammlung der Aufbau-Leitung II, IV und V (Reichsbahn) sagte ein Rottenmeister Folgendes: »Zur Regierung kann man ja kein Vertrauen haben. Wenn ein Eisenbahner einen Fehler macht und daraus ein Unfall entsteht, wird er bestraft. Die Regierung hat einen Fehler gemacht und dadurch das ganze Volk in Aufstand gebracht und geht straffrei aus.«

Der Transportarbeiter [Name 5] äußerte sich: »Ausgerechnet Walter Ulbricht wird ausgezeichnet, der an der ganzen Sache schuld ist.«

Der Gutsverwalter [Name 6]: »Eine Regierung, die uns nur zu Sklaven machen will, kann nicht bestehen. Aber die längste Zeit hat es gedauert, dann haben sie ausgespielt.«

Aus Diskussionen in Betrieben und durchgeführten Versammlungen geht hervor, dass ein noch beträchtlicher Teil der Arbeiter sich bei Diskussionen und offenen Aussprachen zurückhält. Über die Ereignisse am 17. und 18.6.1953 wird sehr wenig diskutiert. Man wacht vielmehr darüber, ob die in den Belegschaftsversammlungen aufgezeigten Missstände, wie von Vertretern des ZK und Regierung versprochen, beseitigt werden. Von einem Arbeiter im Berliner Bremsenwerk wird dies als die Ruhe vor dem Sturm bezeichnet. Im gleichen Zusammenhang wird zum Ausdruck gebracht, dass die Arbeiter Furcht haben, ihre Meinung zu sagen. So sagt z. B. die Angestellte [Name 7]: »In den Versammlungen sagt kein Mensch was, da sind alle einverstanden, aber geht mal raus, was die Menschen schimpfen, die getrauen sich ja bloß nichts zu sagen, weil sie Angst haben, dass sie eingesperrt werden. Wenn sie frei reden könnten, dann sähe es anders aus.«

In einigen Fällen ist zu verzeichnen, dass, wenn auch nur eine Person sozusagen im Auftrag der Belegschaft in Versammlungen gegen unsere Regierung hetzt, diese den überwiegenden Teil der Belegschaft auf seiner Seite hat. Um ein Beispiel herauszugreifen, wird eine Versammlung im Kraftwerk Klingenberg der dort beschäftigten Bau- und Montagefirmen geschildert (Teilnahme ca. 350 Personen):

Die Versammlung hatte von Anfang an einen stürmischen Charakter. Aus der Diskussion werden die wichtigsten Probleme herausgegriffen: Freie Wahl und nicht so eine, wie die letzte war. Die, die Fehler gemacht haben, sollen zur Verantwortung gezogen werden und nicht die Kleinen.

Als der Redner Kollege [Name 8] von der IG Bau-Holz auf die Freunde und ihre Verdienste in der Erhaltung des Friedens zu sprechen kam, wurden zynische Bemerkungen gemacht wie z. B.: »Ja, in die demonstrierenden Arbeiter sind sie hineingefahren.«

Alle Ausführungen wurden mit allgemeinem Gelächter aufgenommen. Besonderen Charakter nahm die Versammlung an, als die Frage der VP behandelt wurde. Gleichfalls wurde scharf gegen unsere Justiz Stellung genommen, mit dem Bemerken, dass die Urteile unserer Justiz schon vor der Verhandlung fertig seien. Verhandlungen werden nur der Form halber durchgeführt.

Genauso unterschiedlich wie zu den Regierungsbeschlüssen äußert sich die Bevölkerung zu der offenen Stellungnahme unserer Regierung zu den gemachten Fehlern. Ein Teil ist der Meinung, man hätte die Fehler nicht selbst zugeben sollen, der andere Teil begrüßt die offene Stellungnahme. So sagt z. B. der Nationalpreisträger Prof. Dr. Heidebroek,2 dass er kein Beispiel aus der Geschichte kennt, wo eine Partei und Regierung so offen zu ihren Fehlern Stellung nimmt. Er achtet dies besonders hoch und wünsche, dass im westlichen Teil unseres Vaterlandes die dortige Regierung bemüht wäre, solche Schritte zu unternehmen.

Aus den Diskussionen des WTBG III (Wissenschaftlich-Technisches Büro [für] Gerätebau) in Berlin-Friedrichshain, Bahnhofstraße,3 am 2. Juli 1953 (anwesend 350 Personen):

Diese Versammlung zeigt eine besonders feindliche Einstellung zu unserer Regierung und deren Maßnahmen.4

Der Vorsitzende der BGL, ein gewisser Klein, behauptete mehrfach in der Versammlung, dass er alter Berufssoldat sei, bei der »Legion Condor« in Spanien gekämpft habe, mit einem Wort, es handelt sich hier um ein äußerst feindliches faschistisches Element. Dass sich die Partei überhaupt nicht um die Zusammensetzung der BGL gekümmert hat, wird dadurch bewiesen, dass ein solches Element BGL-Vorsitzender sein kann. Er ließ dann die Abstimmung über das Redeverbot des Vertreters des Bundesvorstandes des FDGB nicht nur zu, sondern befürwortete und organisierte dieses.

Die ganze Belegschaft ist ein einziger feindlicher Haufen, um dessen Zerschlagung man sich ernsthaft Mühe geben muss. Ein Teil muss durch geduldige systematische Parteiarbeit gewonnen werden, während die unbelehrbaren Feinde im Laufe der Zeit aus dem Betrieb entfernt werden müssen.

Als erste Diskussionsredner trat Kollege Stöhr (BV-Ingenieur)5 auf. Er sprach offen, zynisch und aufreizend. Er fing damit an, dass er sagte: »Wir haben nach der FDGB-Gruppenversammlung natürlich zusammen gesprochen und festgelegt, dass vorgebracht werden muss, damit nicht gesagt wird, dass eine Gruppe Agenten besteht, habe ich mir alle Punkte aufgeschrieben, von denen ich zuerst nur einige selbst erwähnen werde. Ich trete als erster auf, weil ich ledig bin. Vielleicht treten nach mir auch noch andere auf. Zuerst will ich die Frage stellen: Wie lange können wir frei reden? Nur heute, ein paar Tage oder wie lange? Wir müssen wissen, ob die Regierung es ehrlich meint oder ob man uns die Redefreiheit nur als Zuckerbrot vorhält und uns nach einigen Tagen wieder das Zuckerbrot entzieht. Wir müssen wissen, ob wir frei reden können, ohne befürchten zu müssen, morgen verhaftet zu werden. (Diese Ausführungen wurden mehrfach durch allgemeine Zustimmung unterbrochen.) Ich komme nun zu meinem ersten Punkt, die Frage Salewski. Ich frage im Namen aller Kollegen und fordere die Beantwortung der Frage: Warum ist S. verhaftet? (Großer Beifall fast aller Kollegen, Händeklatschen.) Wir wollen wissen, was ihm vorgeworfen wird? (Beifall) Ich kenne S. als ruhigen und guten Menschen, der nichts Schlechtes getan haben kann. Der Regierungsvertreter soll sagen, warum nicht nur wir, sondern auch seine Frau nicht informiert wurde. (Zurufe: Unerhört, Schande usw.) Die Ehefrau musste erst tagelang von einer Stelle zur anderen laufen, um endlich feststellen zu können, wo sich ihr Mann befindet. Sprechen durfte sie ihn aber nicht (wieder allgemein Zurufe und Unruhe). Wir fordern also nochmals genaue Auskunft über diesen Fall (erneuter Beifall). Ich komme nun zum zweiten Punkt, den ich mir aufgeschrieben habe, die Frage der Entlassung des Kollegen [Name 9] und anderer Westberliner Kollegen. Kollege [Name 9] und auch die anderen entlassenen Kollegen waren gute Fachkräfte und haben sich nichts zuschulden kommen lassen. Durch die Entlassung ist sogar ein Verzug in der Arbeit eingetreten. Wir fordern auch hierüber eine Erklärung des Vertreters der Regierung.«

Anmerkung: Bei der Rede des Kollegen Stöhr merkt man deutlich, dass, wenn er offen aufreizende Formulierungen, die zum Teil in gehässiger Art vorgetragen wurden, brachte, sofort Beifall bei dem größten Teil der Anwesenden hatte.

Kollege Stöhr: »Wir wollen Volksvertreter, die unsere Interessen vertreten. Das Gleiche gilt auch für die Funktionäre des Bundesvorstandes des FDGB. Wenn sie unsere Vertreter sein wollen, so hätten sie, wie man jetzt sagt, für unsere berechtigten Forderungen eintreten müssen und von der Regierung verlangen müssen, dass diese eine von den Demonstranten gewählte Delegation empfängt. Da sie dies nicht getan haben, sind sie auch nicht unsere Vertreter. Außerdem muss ich nochmals die Frage der Vertrauenswürdigkeit der Erklärungen der Regierung anschneiden, da es doch auffällig ist, dass der Umschwung so plötzlich erfolgte. Ich habe keine Erklärung für diese Plötzlichkeit, oder hat die Regierung hierfür von irgendeiner Seite plötzlich Anweisungen erhalten? Ich bitte, dass der Regierungsvertreter auch hierzu Stellung nimmt.«

(Diese Ausführungen des Kollegen Stöhr wurden mit sich steigernder Intensität durch Beifall, Händeklatschen und Zurufe unterstützt, woran sich fast alle Anwesenden beteiligten.)

Als dann der Kollege vom Bundesvorstand in ruhigen Worten die Zusammenhänge zwischen den Maßnahmen der Regierung und den Ereignissen vom 17.6.1953 und den Treibriemen des Gegners zur Herbeiführung des Tages X6 aufzeigte, wurde er immer wieder durch Zurufe unterbrochen. Es zeigte sich immer deutlicher, dass unter den Anwesenden sich mehrere Gruppen befanden, die von einigen Kollegen angefeuert wurden, ihr Missfallen zu äußern. Hierdurch wurden die anderen Kollegen immer wieder dazu hingerissen, bei jeder sachlichen Klärung durch den Referenten oder den Vertreter des Bundesvorstandes des FDGB gleichfalls Missfallen zu äußern. Es ging soweit, dass ein Kollege den Antrag stellte, dem Kollegen vom Bundesvorstand das Wort zu entziehen. Kollege Klein kam dem sofort entgegen und ließ über den Wortentzug abstimmen. Ergebnis: 20 Stimmen dagegen (fast alles Genossen), alle anderen dafür.

Sofort nach dem erzwungenen Abbruch der Ausführungen des Kollegen vom Bundesvorstand des FDGB zeigte sich, dass ca. 70–80 % der Anwesenden gar kein Interesse an einer sachlichen Klärung der Meinungsverschiedenheiten hatten. Schon wie bei der Betriebsversammlung am Vormittag des 17.6.1953 und bei den FDGB-Gruppenversammlungen zeigte sich, dass die Anwesenden nur Interesse an negierenden Äußerungen hatten und sofort auf von einzelnen Schreiern gegebenen Auftrag hin Missfallen äußerten, wenn erklärende oder die Maßnahmen der Regierung bekräftigende Äußerungen fielen.

Kollege [Name 10] sagt, auch er ist der Ansicht, dass Presse und Rundfunk nicht richtig arbeiten. »Was wir wissen wollen, bringen sie nicht. Ich kann ihnen die Schlagzeilen eines ganzen Monats – wenn es gewünscht wird – aufsagen. Presse und Rundfunk müssen vom RIAS lernen (großer Beifall), ich meine natürlich nur von der Art und Weise, die ist bestimmt besser und erfolgreicher, wenn man nicht sagen will raffinierter.«

Kollege [Name 11] sagt, er war am 17.6.1953 krank und wollte Nachrichten über die Ereignisse hören. Im Berliner Rundfunk hörte er nur spärlichen Unsinn, dagegen hätte – abgesehen von den westdeutschen Sendern – sogar der Schweizer Rundfunk klare und sachliche Nachrichten gegeben. Auch der tschechische Rundfunk hätte ausführliche Nachrichten gegeben, ausführlicher als der Berliner Sender. »Wir wollen schnell, richtig und aktuell unterrichtet werden, das können wir verlangen, dafür zahlen wir unsere 2 DM.« (Großer Beifall)

Bemerkung: Salewski wurde am 20.6.1953 in Untersuchungshaft genommen, wo er sich zzt. noch befindet. [Name 9] wurde bereits vor dem 17.6.1953 auf Anforderung der SED-Kreisleitung Friedrichshain nach Westberlin entlassen.

Es erweist sich [als] dringend darauf hinzuweisen, dass durch die Grenzschließung die Arbeiter durch die derzeitigen Verkehrsmittel gezwungen sind, längere Zeit auf der Bahn zuzubringen, um ihre Arbeitsstelle zu erreichen. Diese Mängel führen zu einer Missstimmung all der Arbeiter, die in den Randgebieten von Berlin wohnhaft sind. Nachfolgend aufgeführte Beispiele zeigen den Ernst der Situation, wo unbedingt eine Abhilfe geschaffen werden muss:

Der Rangierer [Name 12] äußerte sich, dass die Herren der Regierung sich mal die Reden der Arbeiter in den Zügen anhören sollten. Wenn die Fahrverbindungen so blieben, würden die Arbeiter eines Tages zu Hause bleiben.

Hier ein Beispiel von Diskussionen in den Zügen: »Man ist ja verrückt, dass man jeden Morgen wieder zur Arbeit fährt. Man müsste einfach nicht mehr nach Berlin rein fahren, dann würden die Funktionäre ihren Zug leer in Berlin ankommen sehen.« Diesem Sprecher wurde daraufhin erwidert: »Wenn das Einzelne machen, hat es ja gar keinen Zweck.« Daraufhin der erste Reisende: »Das ist klar, das müsste eben so organisiert werden, dass alle den Zug nicht mehr benutzen und draußen (gemeint ist die DDR) bleiben.«

In Schönfließ stiegen die Arbeiter aus und diskutierten auf dem Bahnsteig noch mit anderen Reisenden. Besonders wird über den Kontrollaufenthalt in Schönfließ kritisiert.

Der Arbeiter [Name 13] vom VEB Mechanik zeigt auf, dass durch die zzt. unterbrochene S-Bahnverbindung er jeden Morgen und Abend drei Stunden benötigt, um zu seinem Betrieb und wieder zurückzukommen.7

Dazu muss er noch ständig einen überfüllten Zug der von Potsdam kommt benutzen, der in Schönefeld ca. 25 Minuten Aufenthalt hat (Kontrollpunkt). [Name 13] bringt zum Ausdruck, dass diese Dinge zum größten Teil von den Bewohnern der DDR diskutiert werden, die auf eine Abänderung dieses Zustandes warten. Die Bevölkerung nimmt schon jetzt gegen die Kolonnen von Personenkraftwagen, die zu dieser Zeit auf dem Umgehungsring nach Berlin fahren, eine feindliche Haltung ein.

[Name 13] macht zur Abänderung dieser Missstände folgende Vorschläge:

  • 1)

    Verlegung des Bahnhofes Düppel8 300 m in die DDR, damit der Zug evtl. ohne Anhalten auf den Stationen des Westsektors bis Berlin durchfahren kann.

  • 2)

    Wiedereröffnung des S-Bahnhofes Teltow, sodass auch von dort ein Zug ohne Halt im Westsektor bis zum Bahnhof Friedrichstraße durchfahren kann.

  • 3)

    Kurz nach Abfahrt des Personenzuges von Saarmund kommt ein D-Zug vorbei. Er fragt an, ob die Möglichkeit besteht, diesen Zug halten zu lassen, sodass die Menschen ihn (ohne D-Zugzuschlag) bis nach Berlin benutzen können.

Durch Genossen Heidenreich, der als Instrukteur im Gebiet der Wismut tätig war, wird in Erfahrung gebracht, dass in jeder Versammlung – gleich ob Belegschafts- oder Parteiversammlung – die Frage aufgeworfen wurde, warum die Einreise von Verwandten und Besuchern aus Westberlin, Westdeutschland und der DDR in das Gebiet Wismut verboten ist. Gerade diese Frage erzeugt bei den Kumpels der Wismut AG große Missstimmung.

Maßnahmen des Feindes

Es wurde in Erfahrung gebracht, dass der Leiter der Ballonaktion des DGB gegen die Deutsche Demokratische Republik vor einer GOD-Gruppe (Gewerkschaftsordnungsdienst) von ca. 35 Personen eine Auswertung der Ereignisse vom 17.6.1953 im Ostsektor vorgenommen hat. Er stellte unter anderem fest, dass vom DGB und besonders vom GOD in der Vergangenheit schwere Fehler gemacht wurden. Der schnelle Abbruch des »Aufstandes« in Ostberlin wäre ein Beweis dafür, dass die Bevölkerung des Ostsektors noch nicht davon überzeugt ist, dass ihre Forderungen beim »Durchhalten« durchgesetzt werden können. Die Mitglieder des DGB-GOD erhielten schon jetzt die Anweisung, dass nach Aufhebung der Sperrmaßnahmen an den Sektorengrenze sie ihre Hauptarbeit in den demokratischen Sektor von Berlin verlagern müssen, um dort eine intensive »Propaganda« zu entfalten und die Bindungen der Bevölkerung zum »freien Westen« zu gestalten.

Aus den Kreisen um KgU9 und RIAS wurde bekannt, dass man aufgrund der Erfahrungen vom 17.6.1953 die Methode des Vorgehens ändern will. Dort wird der Standpunkt vertreten, dass durch Sitzstreiks mehr Erfolg erzielt werden kann. Deswegen weisen sie jetzt schon ihre Leute an, wie sie sich beim nächsten Mal verhalten sollen. Diese neue Maßnahme wird damit begründet, dass fast alle Arbeiter und Angestellten in der Ostzone einen Vorrat an Lebensmitteln für acht Tage in der Wohnung haben und somit die Wohnung für eine ganze Woche nicht verlassen brauchen. Ein solcher Streik, auf breiter Basis durchgeführt, wäre das Ende der Ostzone.

Im Warteraum Papestraße wurde nachfolgend aufgeführtes Flugblatt gefunden:

»Arbeiterinnen und Arbeiter Ostberlins!

Um unserem Kampf Erfolg zu verschaffen muss Folgendes geschehen: Wahl von Betriebsräten mit dem Ziel der Bildung eines zentralen Betriebsausschusses für Ostberlin, der zur Durchsetzung folgender Forderungen mit den zuständigen Stellen verhandelt:

  • 1.

    Herstellung normaler Arbeitsbedingungen

  • 2.

    Abschaffung der Normen

  • 3.

    Anpassung der Löhne an die Lebenshaltungskosten

  • 4

    Volles Streikrecht

  • 5.

    Freiheit der Meinungsäußerung

  • 6.

    Uneingeschränkte Presse- und Versammlungsfreiheit

  • 7.

    Sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen, die wegen ihrer demokratischen und sozialistischen Überzeugung ihrer Freiheit beraubt sind

  • 8.

    Keine Strafverfolgungen und Maßregelungen der Demonstranten

  • 9.

    Sicherheitsgarantie für die legale Tätigkeit der von der Arbeiterschaft gewählten Betriebsräte und der von ihnen gewählten Ausschüsse.

Aktionsausschuss Stalinallee«

In Freiberg/Sachsen wurden am 5.7.1953 folgende Hetzschriften verbreitet: In der Georgenstraße wurden gegen 0.30 Uhr ca. 30 Hetzzettel in Streichholzschachtelgröße mit der Aufschrift »Alles Lüge« gefunden. Im Scheringer Park gegen 3.00 Uhr etwa 200 Hetzzettel mit der Aufschrift »Wir fordern freie Wahlen«. Diese Flugblätter waren fast hinter jedem Baum in der Menge von 5 bis 10 Stück verstreut. In der Hornstraße und Schillerstraße wurden gegen 4.50 bis 5.00 Uhr etwa 50 Hetzzettel mit dem Inhalt »Gegen nationale Streitkräfte. SED pack ein und alles Lüge« gefunden. Weiterhin sind ca. 25 Hetzzettel gefunden worden, deren Inhalt gegen Funktionäre des MfS, der Kreisleitung der SED und anderer Verwaltungsorgane gerichtet war.

Anlage 1 vom 7. Juli 1953 zur Information Nr. 1007 (1. Expl.)

Information Nr. 1007a: Über die Lage der Versorgung der Bevölkerung

Im Allgemeinen kann man die Lage der Versorgung der Bevölkerung als gesichert betrachten. Es bestehen jedoch noch in allen Bezirken Mängel und Schwierigkeiten in der Belieferung mit Nahrungsmitteln, Textilien und in der Hausbrandversorgung. Die größten Versorgungsschwierigkeiten traten in den Bezirken Magdeburg, Suhl, Potsdam, Halle und Cottbus auf, was sich auch auf die Stimmung der Bevölkerung auswirkte.

In der Fettstoffbelieferung machten sich die größten Versorgungsschwierigkeiten bemerkbar. Davon sind besonders die Bezirke Rostock, Neubrandenburg, Schwerin, Potsdam, Frankfurt/Oder, Magdeburg, Halle, Suhl und Karl-Marx-Stadt betroffen. Besonders wird von der Bevölkerung das Fehlen von Margarine bemängelt, da sich diejenigen Schichten der Bevölkerung, welche einen geringeren Verdienst haben, nicht immer Butter kaufen können. So diskutierten in Fürstenwerder, Kreis Neubrandenburg, mehrere Arbeiterfrauen in einer HO-Lebensmittelverkaufsstelle, dass sie die zehn Punkte der Erklärung des ZK der SED und Regierung10 begrüßen, und wollen jetzt wirklich Taten sehen. Versprochen wurde ihnen schon oft etwas. HO und Konsum müssten besser mit Lebensmitteln versorgt werden und sie müssten auch billiger werden. Das Markenfett reicht nicht aus, und Butter in der HO zu kaufen, dazu haben sie kein Geld. »Wenn es wenigstens Margarine geben würde. Nicht einmal Marmelade gibt es und so müssen wir unseren Männern trockenes Brot mit zur Arbeit in den Wald geben.«

Zum Teil liegen diese Schwierigkeiten auch in keiner guten Warenstreuung. So fehlt z. B. im Bezirk Suhl Butter und Margarine, während im Bezirk Erfurt bei der HO größere Mengen an Butter und Margarine lagern, welche dem Verderb ausgesetzt sind, da keine geeigneten Kühlanlagen vorhanden sind. So wurde auch im Bezirk Karl-Marx-Stadt Unzufriedenheit unter der Bevölkerung hervorgerufen, da in den Geschäften der HO Wismut Fettstoff vorhanden ist, während demgegenüber in den übrigen HO-Geschäften diese Waren fast nie zu haben sind. Um in der HO Wismut die Waren nicht verderben zu lassen, wurde vom Rat des Bezirkes entschieden, mehrere Tonnen Butter an den übrigen Handel abzugeben. Damit ist jedoch die Schwierigkeit in der Fettversorgung noch nicht behoben.

In der Brot- und Mehlversorgung der Bevölkerung bzw. Brotgetreidebelieferung bestehen in den Bezirken Potsdam, Erfurt und Suhl Schwierigkeiten. So ist z. B. im Bezirk Erfurt die Mehlversorgung für fünf bis sechs Tage gesichert. Der Bezirk Erfurt benötigt bis zum Anschluss an die neue Ernte noch 2 000 t Brotgetreide. Die VEAB hat jedoch bisher aus den Bezirken Halle und Magdeburg nur 900 t erhalten, so besteht noch ein Minus von 1 100 t. Im Bezirk Suhl ist in dem Grenzort Schweickershausen ein Mangel an Brot und Mehl. Die letzte Lieferung erfolgte vor ca. acht Wochen. Gleichfalls macht sich eine Unzufriedenheit in Wernsdorf, Bezirk Potsdam,11 unter der Bevölkerung bemerkbar, da Schwierigkeiten in der Mehlbelieferung vorhanden sind.

In der Nährmittelversorgung treten besonders in den Bezirken Rostock, Schwerin, Potsdam, Magdeburg, Halle, Cottbus und Suhl Mängel in der Belieferung in Erscheinung. Unter der Bevölkerung ist gerade jetzt eine besondere Nachfrage nach Nährmitteln und Hülsenfrüchten, da Frühkartoffeln noch nicht in ausreichendem Maße zum Verbrauch gelangen. In einzelnen Fällen werden, trotzdem auf Lager Nährmittel vorhanden sind und der Bedarf unter der Bevölkerung noch nicht gedeckt ist, diese nicht zur Ausgabe gebracht. So lagern z. B. bei der DHZ Lebensmittel in Magdeburg 45 Sack Linsen. Diese gelangen jedoch nicht zum Verkauf, da sie nicht freigegeben wurden.

Im Bezirk Rostock treten besonders bei der Versorgung mit Kindernährmitteln Schwierigkeiten hervor, was Unwillen unter der Bevölkerung verursacht.

Auch in Nährmitteln gibt es in einigen Kreisen durch schlechte Warenverteilung bei manchen Sorten Warenstauungen, während andere Sorten wieder fehlen. So z. B. im Kreis Gardelegen, Bezirk Magdeburg, wo ein Überangebot an Puddingpulver, Sago und Vitalade-Konfekt vorhanden ist, während bei anderen Lebensmitteln ein mangelndes Warenangebot besteht.

In der Kartoffelversorgung wird besonders Klage aus den Bezirken Magdeburg, Leipzig, Dresden und Karl-Marx-Stadt geführt. Es besteht unter der Bevölkerung eine große Nachfrage nach Kartoffeln. Im Bezirk Karl-Marx-Stadt beschwert sich die Bevölkerung, dass noch keine Frühkartoffeln sich im Handel befinden. Im Kreis Stendal fehlt es zur Versorgung der Bevölkerung besonders an Kartoffeln. Ebenfalls benötigt der Bezirk Rostock bis zum Anschluss an die Ernte noch ca. 3 000 t Kartoffeln. Hier ist besonders die Kartoffelfrage sehr ernst, da sonst die Ferienheime, welche sich im Bezirk befinden, in der Ernährung gefährdet sind.

In der Zuckerversorgung treten außer der Fettversorgung die meisten Schwierigkeiten in Erscheinung. Dabei werden die Bezirke Neubrandenburg, Rostock, Schwerin, Magdeburg, Halle, Cottbus, Karl-Marx-Stadt und Suhl betroffen. Dies macht sich besonders jetzt bemerkbar, da ein erhöhter Verbrauch an Zucker von der Bevölkerung für Einkochzwecke benötigt wird.

Zum anderen Teil stehen der Bevölkerung nicht genügend Fettstoffe zur Verfügung, sodass sie auf Zucker, Kunsthonig und Marmelade zurückgreift. Dies wirkt sich negativ auf die Stimmung der Bevölkerung aus. So wird in Karl-Marx-Stadt eine Unzufriedenheit bemerkbar, welche verursacht wird, da nicht genügend Zucker, Kunsthonig und Marmelade zum Verkauf gelangen. Zum Teil wird die Unzufriedenheit unter der Bevölkerung noch dadurch erhöht, dass Zucker für Intelligenzberechtigungsscheine vorhanden ist und für die übrige Bevölkerung jedoch nicht. So wird [sic!] z. B. im Kreis Bergen, Bezirk Rostock, Zucker und andere Lebensmittel auf Intelligenzberechtigungsscheine verkauft, während in den anderen HO-Geschäften diese Waren schlecht zu haben sind.

In der Versorgung mit Frischfleisch treten ebenfalls Schwierigkeiten auf. So fehlt es besonders in den Bezirken Neubrandenburg, Potsdam, Halle und Leipzig an Frischfleisch. Dies wird zum Teil auf den Rückgang der Erfassung von Vieh zurückgeführt. Die Folge davon ist, dass im erhöhten Maße Gefrierfleisch ausgegeben werden muss.

Die Ursache an der Vieherfassung ist zum Teil darin zu sehen, dass sich verschiedene Bauern abwartend verhalten, da sie durch Gerüchte beeinflusst wurden, welche besagen, dass eine Währungsreform bevorsteht.12 Ein anderer Teil der Bauern liefert sein Vieh in freiem Aufkauf ab. So gingen z. B. im Kreis Stralsund, Bezirk Rostock, die Viehauftriebe stark zurück. Das angelieferte Vieh wurde zum größten Teil für den freien Aufkauf geliefert.

Aus manchen Bezirken wird Frischfleisch ausgeführt und die Bevölkerung selbst erhält Gefrierfleisch, was eine starke Unzufriedenheit unter dieser Bevölkerung verursacht. So wurden von dem Bezirk Neubrandenburg große Mengen Frischfleisch nach Berlin ausgeführt und im Bezirk selbst gelangt nur Gefrierfleisch zum Verkauf.

In der Fischbelieferung kam es zu Stockungen, als der Verkauf von Fisch auf Fleischmarken nicht mehr erfolgte. Die HO verkaufte ihn bis zur Preissenkung mit Akzisezuschlägen und der Fisch fand nicht genügend Absatz. So lagerten im Bezirk Magdeburg große Mengen Fisch, die aufgrund des hohen Preises nicht verkauft werden konnten. Da keine geeigneten Kühlflächen vorhanden waren, war dieser Fisch dem Verderb ausgesetzt.

Das Gleiche trat in Karl-Marx-Stadt auf. Der Rat des Bezirkes setzte für die verderbgefährdeten Fischsorten die Preise herab. In Strasburg, Bezirk Neubrandenburg, wurde z. B. Aal, welcher sonst 8,50 DM kostete, für 3,50 DM verkauft. Der Fisch war schon leicht verdorben. Darüber äußerte sich die Bevölkerung, warum man die Nahrungsmittel schlecht werden lässt und erst dann billiger verkauft, da uns doch dadurch wertvolle Nahrung verloren geht.

Der Vorsitzende der Fischereigenossenschaft in Freest, Bezirk Rostock, beklagte sich darüber, dass die Abholung der Fische schlecht organisiert sei. Als am 5.7.1953 ein Fang von 40 Ztr. Fischen eingebracht wurde, wurde dieser jedoch bis Mittag nicht abgeholt. Die Fische waren der Sonne ausgesetzt und ein großer Teil ist verdorben.

In Gardelegen, Bezirk Magdeburg, finden die Krebsfleischkonserven wegen des zu hohen Preises keinen Absatz.

Die Versorgung mit Obst und Gemüse ist ausreichend, jedoch bestehen in einzelnen Kreisen und Bezirken bei der Belieferung noch Mängel. So ist die Belieferung mit Gemüse in verschiedenen Kreisen von Magdeburg schlecht, trotz des starken Anfalls. Gleichfalls sind in Potsdam, Erfurt und Suhl Mängel in der Belieferung festzustellen.

Es ist jedoch im Allgemeinen zu verzeichnen, dass Obst und Gemüse genügend bzw. zu viel vorhanden sind, sodass dies teilweise dem Verderb preisgegeben ist. Trotzdem, dass eine Obst- und Gemüseschwemme vorhanden ist, wurden noch größere Mengen importiert. Dabei gingen große Mengen der Ernährung verloren (s. Verderb von Lebensmitteln). So z. B. kamen in Magdeburg trotz des eigenen hohen Anfalls an Gemüse noch laufend Importe, die jedoch in verdorbenem Zustand schon ankamen.

Im Bezirk Neubrandenburg wurden große Mengen von Gemüse infolge von Fehlleitungen dem Verderb ausgesetzt. Im Bezirk Potsdam kamen Gemüseimporte zum Teil verdorben an und sind auch noch schlecht absetzbar, da sie teurer als Gemüse im eigenen Aufkommen sind. Im Kreis Glauchau, Bezirk Karl-Marx-Stadt, ist Gemüse in reichem Maße vorhanden. Es sind bereits schon große Mengen an Kohlrabi verderbgefährdet. Im Kreis Merseburg, Bezirk Halle, sind ebenfalls mehrere Tonnen Import-Wirsingkohl unbrauchbar.

Die Obstbauern vom Bezirk Magdeburg beklagen sich, dass nicht genügend Leergut zur Verpackung des Obstes zur Verfügung steht. Dies hat zur Folge, dass die Qualität des Obstes gemindert wird, bevor es an die HO-Handelsorgane geliefert ist. Ebenfalls werden durch Fehlplanungen vonseiten des Ministeriums für Handel und Versorgung Gemüselieferungen dem Verderb ausgesetzt. Vonseiten der DHZ wurden sechs Waggons Blumenkohl nach Berlin geliefert, gleichzeitig wurden von Berlin 10 000 Stück Blumenkohl nach Schwerin ausgeführt. Dadurch wurden Transporte durchgeführt, die bei besserer Planung hätten vermieden werden können.

In der Hausbrandversorgung treten ebenfalls noch Schwierigkeiten auf, welche in den Sommermonaten noch behoben werden müssen. Besonders ist es in den Bezirken Magdeburg, Cottbus, Leipzig und Gera zu verzeichnen. So ist z. B. im Bezirk Magdeburg die Hausbrandversorgung der Bevölkerung zu einem sehr ernsten Problem geworden, da sie bisher nur zu 49 % realisiert wurde.

Die Versorgung der Bevölkerung mit Textilien steht noch vor großen Schwierigkeiten, was besonders in den Bezirken Potsdam, Magdeburg, Halle, Cottbus, Dresden und Suhl zum Ausdruck kommt. So fehlt es vor allen Dingen an geeigneter Sommerbekleidung.

Weiterhin wird von der Bevölkerung besonders nach Industriewaren (Emaillewaren, Haushaltsgegenständen, Fahrrädern, Fahrradersatzteilen usw.) gefragt. Ein großer Mangel besteht noch an guter Arbeitskleidung, wobei man besonders die Landbevölkerung, Waldarbeiter u. Ä. berücksichtigen muss. Es fehlen noch sehr viele HO-Verkaufsstellen auf dem Lande.

Die schlechte Versorgung der Bevölkerung mit Industriewaren ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass die Warenbereitstellungspläne nicht erfüllt wurden. So treten z. B. im Bezirk Magdeburg folgende Mängel in Erscheinung: An Industriewaren fehlen vollkommen Emaillewaren, Eimer, Kochtöpfe, Schüsseln und sonstige Haushaltsgegenstände, Fahrräder, Motorräder, Fahrradersatzteile, Möbel, Nägel und Holzschrauben. Ebenfalls fehlen Kleinkinderschuhe vollkommen. Ein mangelhaftes Warensortiment besteht an Sommerschuhen. An Damenschuhen fehlt es an den gangbarsten Größen 37, 38 und 39. Bei Textilien sind in dieser Jahreszeit nicht genügend Sommerstoffe vorhanden. Bei Babywäsche fehlen Windeln vollkommen. Ungenügend ist ferner die Belieferung in Damenunterwäsche.

Als Beweis dafür dient der Stand der Realisierung des Warenbereitstellungsplanes für das 1. Halbjahr 1953, wo dieser Plan in Kammgarngeweben aus Wolle mit nur 29 % erfüllt wurde. Gleichfalls ist im Bezirk Magdeburg ein großer Mangel an Arbeitskleidung vorhanden. Dies trifft sowohl für die Landbevölkerung als auch für die Betriebsarbeiter zu. Der Warenbereitstellungsplan sah für den Bezirk eine Belieferung von 9 900 Stück im 2. Quartal vor. Bis 20.6.1953 betrug jedoch die Belieferung nur 2 700 Stück. Dazu ist noch zu bemerken, dass der tatsächliche Bedarf an Arbeitskleidung im 2. Quartal 1953 bei 14 000 Stück lag.

In der Versorgung mit Futtermitteln und Dünger bestehen im Bezirk Neubrandenburg, Magdeburg, Cottbus und Suhl Schwierigkeiten. Es wird von den Bauern zum Ausdruck gebracht, dass beim Nichterhalten der notwendigen Futtermittel die Viehaufzuchtpläne nicht eingehalten werden können. So wird z. B. im Kreis Spremberg, Bezirk Cottbus, von den futterarmen bäuerlichen Wirtschaften verstärkt die Forderung erhoben, die bei der BHG lagernden Futtermittel zu erhalten und ihr Soll beim Viehauftrieb zu erfüllen.

Verderb von Lebensmitteln, Obst und Gemüse

Es wurde bekannt, dass infolge der schlechten Arbeitsweise des Deutschen Innen- und Außenhandels (DIA) unserer Ernährung größere Mengen Fleisch entzogen wurden. So schloss der DIA mit Rumänien einen Importvertrag über 144 Rinderviertel und 800 Schweinehälften ab. Nachdem das Fleisch in der DDR eintraf, waren davon 132 Schweinehälften von Fäulnis stark angegriffen, sodass 2 625 kg als untauglich verworfen wurden und 1 876 kg zum sofortigen Verkauf als Freibankfleisch freigegeben wurden. Die restlichen 668 halben Schweine waren von einer leichten Oberflächenfäulnis angegriffen und konnten nur noch zur Kochwurstverarbeitung in die Industrie abgegeben werden. Am 28.6.1953 erfolgte eine Lieferung von 5 t Kochsalami. Aufgrund der mangelhaften Qualität wurde die Wurst für den HO-Verkauf abgelehnt. Die DHZ weigerte sich ebenfalls die Wurst anzunehmen.

Die DHZ lehnte ebenfalls vier Waggons Schweine ab, da dieses Fleisch völlig von eitrigen Abszessen durchsetzt war. Dieses Fleisch kam aus Rumänien und wurde von einer Kommission des DIA und der Rumänischen Handelsdelegation zur Verarbeitung in die Fleischfabrik Halberstadt gegeben. Vor ca. vier Wochen trafen weitere zwei Waggons Schweinefleisch aus Rumänien mit den gleichen Qualitätsmerkmalen ein. Am 26.6.1953 kamen weitere 1 200 halbe Schweine sowie 44 Rinderviertel aus Rumänien vollkommen verdorben an.

Gleichfalls sind große Mengen an Gemüse und Obst aus Importlieferungen verdorben. Von dem am 24.6.1953 eingegangenen Weißkohl aus Bulgarien war 30 % verdorben. Es erfolgte eine generelle Abstufung der übrigen Waren von A- auf B-Sorte. Von den am 25.6.1953 eingegangen Schoten waren 50 % verdorben. Dies war darauf zurückzuführen, dass die Waggons nicht vereist waren. Diese Schoten wurden aus Rumänien geliefert. Von 3 200 kg Wirsingkohl aus Ungarn waren lediglich 1 200 kg als C-Ware verwendungsfähig.

Von den importierten Tomaten aus Bulgarien konnten von der ersten Lieferung 2 036 kg (90 %) und von der zweiten Lieferung 2 300 kg (60 %) verwendet werden. Von den importierten Erbsen aus der ČSR waren 75 % total verdorben. Durch das hohe eigene Aufkommen und das Anhalten der Importe sowie der hohen Abgabepreise entstand eine Schwemme an Erdbeeren und Kirschen, sodass erhebliche Mengen verdarben. An den Bezirk Dresden wurden aus Bulgarien 637 t Obst geliefert, davon waren 25 t verdorben, 618 t nur für Marmelade verwertbar und nur 30 t konnten auf den Frischmarkt gebracht werden. Aus Bulgarien wurden noch 112 t Kirschen geliefert, davon waren 22 t verdorben, 75 t konnten für Industrieverarbeitung verwandt werden und insgesamt nur 15 t konnten auf den Frischmarkt gebracht werden.

Insgesamt beläuft sich der Verderbssatz bei Gemüse aus den Volksdemokratien auf 40–60 % und bei Obst auf 80–90 %. Die Ursache hierfür ist, dass die Importe sechs bis zehn Tage Laufzeit benötigen und dadurch zum größten Teil total verfault und verdorben eintreffen, sodass bereits Hunderte von Tonnen vernichtet wurden.

Die Abteilungen Handel und Versorgung der Bezirksräte verweigern weitere Annahmen der Importe von Blumen-, Weiß- und Wirsingkohl, da sämtliche Industriezweige und Handelsorgane vollkommen ausgelastet sind und für Gemüse nicht mehr aufnahmefähig. Dadurch, dass noch laufend Importe eintreffen, erhöht sich die Verderbsmenge. Es ist daher nicht mehr möglich, zzt. auch noch den geringsten Teil der guten Importware zu retten, da die Importleitstelle in Bad Schandau über keine weiteren Dispositionen verfügt.

Zum Ministerratsbeschluss vom 25.6.1953 über die weitere Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung mit Industriewaren13

Laut Ministerratsbeschluss vom 25.6.1953 sind dem Ministerium für Handel und Versorgung von der Staatlichen Verwaltung für Materialversorgung große Mengen an Textilien und Schuhen zur Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung zur Verfügung zu stellen. Daraufhin erfolgte14 am 26.6.1953 zwischen Vertretern der Staatlichen Verwaltung für Materialversorgung und des Ministeriums für Handel und Versorgung eine Arbeitsbesprechung zur Realisierung des Ministerratsbeschlusses.

Bei dieser Tagung wurde durch Kollegen Teschauer (Staatliche Verwaltung für Materialversorgung) herausgestellt, dass dem Ministerium für Handel und Versorgung nicht die gesamte im Ministerratsbeschluss aufgeführte Menge an Textilien und Schuhen zur Verfügung gestellt werden kann, sondern nur abzüglich der Mengen, welche bereits im Laufe des Jahres 1953 auf Freigabe dem Handel zur Verfügung gestellt wurden.

Im ersten Halbjahr erhielt bereits das Ministerium für Handel und Versorgung von der Staatlichen Verwaltung für Materialversorgung auf Freigabe M 2015 größere Mengen an Industriewaren aus nicht ausgelasteten Regierungsaufträgen. Hierunter fielen 388 000 Paar Lederschuhe und rund 3 Mio. Quadratmeter Baumwollgewebe. Diese Mengen wurden fast ausschließlich der Schwerpunktversorgung im ersten Halbjahr 1953 zugeführt. Durch den Ministerratsbeschluss wurden aus der Staatsreserve z. B. 2 249 000 Quadratmeter Bettwäsche und 126 000 Quadratmeter Streichgarnwolle freigegeben. Diese wurden jedoch bereits im ersten Halbjahr freigestellt und sind verkauft bzw. befinden sich in den Verkaufsstellen. Das Ministerium für Handel und Versorgung soll laut Ministerratsbeschluss 800 000 Paar Lederschuhe erhalten. Diese Menge wurde bereits vor dem 25.6.1953 in den Handel gegeben.

Dazu ist zu bemerken, dass der Auslagerungsplan des Staatssekretariats für Staatsreserven zum Ministerratsbeschluss Mengen angibt, die sich nicht in den Lagern der Staatsreserve befinden. Von den im Auslagerungsplan angegebenen 2 249 000 Bettwäsche sind jedoch nur 1 596 000 Quadratmeter vorhanden und von den 126 000 Quadratmetern Streichgarnwollgewebe sind nur 84 500 Quadratmeter vorhanden, in anderen Positionen sieht es ähnlich aus. Entgegen dem Ministerratsbeschluss vom 25.6.1953 können dem Ministerium für Handel und Versorgung nur folgende Mengen zur Verfügung gestellt werden:

[Gewebeart]

Menge lt. Ministerratsbeschluss v. 25.6.1953

noch zur Verfügung stehende Waren

Kammgarnwolle, Streichgarnwolle

3 000 000 qm

1 539 700 qm

Kammgarnzellwolle

1 300 000 qm

18 000 qm

Baumwollgewebe und baumwollartige Gewebe

8 500 000 qm

4 239 000 qm

Kunstseide und Naturseide

850 000 qm

131 000 qm

Strümpfe und Socken

2 200 000 Paar

409 000 Paar

Diese Aufstellung könnte noch beliebig erweitert werden.

Es muss noch erwähnt werden, dass in der Beschlussvorlage für den Ministerrat nicht vermerkt war, dass der größte Teil der freizugebenden Industriewaren bereits im 1. Halbjahr 1953 dem Ministerium für Handel und Versorgung zur Verfügung gestellt wurde. Die Beschlussvorlage wurde dem Ministerrat durch den Leiter der staatlichen Verwaltung für Materialversorgung, Genossen Binz, vorgelegt.

Die Auslagerung der laut Ministerratsbeschluss vom 25.6.1953 freigegebenen Waren wird erst in ca. zwei Monaten beendet sein. Ein großer Teil dieser Waren muss, da sie aus Beständen der KVP stammen, erst zum Färben in die Produktion gegeben bzw. dem Außenhandel zum Export in die Volksdemokratien zur Verfügung gestellt werden.

Erschwert wird die Auslagerung der Staatsreserve dadurch, dass beim Staatssekretariat für die Verwaltung der Staatsreserven unvollständige Unterlagen über Menge, Artikel, Sortiment und in welchem Lager vorhanden sind. Dies hat zur Folge, dass noch keine klare Übersicht über die tatsächlich vorhandenen Bestände vorhanden ist.

Anlage 2 vom 7. Juli 1953 zur Information Nr. 1007 (1. Expl.)

Information Nr. 1007b: Stimmung von Rückkehrern in das Gebiet der DDR

Dem Ministerratsbeschluss vom 11.6.195316 folgend, kehrten insgesamt in der Zeit vom 29.6.1953 bis 6.7.1953 649 Personen in das Gebiet der DDR zurück. Davon sind 568 Personen Rückkehrer und 81 Personen kommen erstmalig in das Gebiet der DDR und baten um Aufnahme. In dem gleichen Zeitraum wurden 550 Personen republikflüchtig.

In Form einer zwanglosen Unterhaltung wurden in dem angegebenen Zeitraum 64 Personen über die Aufnahme des Ministerratsbeschlusses unter den Flüchtlingen sowie über ihre Eindrücke bei der Aufnahme in der DDR befragt.

Die befragten Personen setzen sich aus 79 % Arbeiter, 7,8 % Bauern, 9,2 % Geschäftsleuten und 4 % Angestellten zusammen. Aufgrund der Angaben dieser Personen kann Folgendes über die Lager der Flüchtlinge, die sich noch in den Lagern in Westdeutschland und Westberlin befinden, sowie über die Rückkehrer, die schon das Gebiet der DDR aufgesucht haben, berichtet werden.

1. Einstellung der zurückgekehrten Personen sowie der Flüchtlinge in Westdeutschland und Westberlin zum Ministerratsbeschluss

Die Rückkehrer äußerten sich fast ausschließlich positiv zu dem Ministerratsbeschluss. Sie sind von dessen Realisierung überzeugt und kehrten deshalb wieder in die DDR zurück. Nach ihren Angaben wurde der Beschluss auch von den Flüchtlingen in den Lagern in Westdeutschland und Westberlin freudig aufgenommen. Viele dieser Flüchtlinge sehen hierin die Möglichkeit, aus dem Elend wieder herauszukommen und nach der Rückkehr ein geordnetes Leben beginnen zu können. Besondere gute Aufnahme fand der Beschluss bei den geflüchteten Bauern und Geschäftsleuten, da ihnen, wie der Beschluss besagt, ihr Eigentum vollständig wieder zurückgegeben wird.

Eine große Anzahl der Flüchtlinge nimmt allerdings, beeinflusst durch die westliche Propaganda, noch eine abwartende Haltung ein. Diese Personen haben noch kein volles Vertrauen an der ehrlichen Durchführung dieses Beschlusses. Sie wollen erst sehen, wie es denen ergangen ist, die schon zurückgekehrt sind.

Ablehnend verhalten sich nur diese Personen, die sich eines Verbrechens in der DDR schuldig gemacht haben und es nun nicht mehr wagen zurückzukehren. Diese Personen versuchen auch Missstimmung unter die Flüchtlinge im Lager zu bringen und sie von der Rückkehr abzuhalten.17

So sagte z. B. der zurückgekehrte Bauer [Name 1, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1926, wohnhaft in Zschochau, Kreis Delitzsch, Folgendes: »Wenn die DDR so etwas beschließt, so kann sie nicht wollen, dass die Bauern herübergelockt und dann in die Zuchthäuser gesperrt werden, sondern ich bin der Meinung, dass sie es offen und ehrlich mit uns meint.«

Der zurückgekehrte Arbeiter [Name 2, Vorname], wohnhaft in Merseburg, [Straße, Nr.], machte während einer Unterhaltung folgende Angaben: »Er ist gewillt, in der Nationalen Front mitzuarbeiten, und brachte auch zum Ausdruck, dass er erkannt hat, dass unsere Regierung nur das gute für die Arbeiter will und er deshalb der SED als Kandidat beitreten möchte.«

2. Stimmung der Flüchtlinge und Hemmungen bei ihrer Rückkehr

Nach den Angaben der befragten Personen ist in den Flüchtlingslagern allgemein eine schlechte Stimmung zu verzeichnen. Vor allem tritt dies in den Lagern auf, wo sich Flüchtlinge befinden, die nicht als politische Flüchtlinge anerkannt wurden. Zurückzuführen ist dies auf die schlechte Unterkunft in den Lagern, die ungenügende Verpflegung und größtenteils die überall herrschende Arbeitslosigkeit. Die meisten dieser Flüchtlinge hatten sich vom Westen große Vorstellungen gemacht und wurden nun schwer enttäuscht. Eine große Anzahl dieser Personen hatte schon nach kurzer Zeit ihre Flucht nach dem Westen bereut. Jetzt sitzen sie missmutig im Lager herum und wissen nicht, was sie machen sollen. Beeinflusst durch die westliche Propaganda wagen sie es aber auch nicht, in die DDR zurückzukehren, da sie annehmen, dass sie den Gerüchten zufolge sofort nach Überschreiten der Grenze verhaftet würden. Viele von ihnen sehen oft nur darin den Ausweg, entweder in die Söldnerarmee18 einzutreten oder nach Kanada auszuwandern. Andere wieder wollen so schnell als möglich nach Westdeutschland übersiedeln, da ihnen dort Arbeit und ein besseres Leben versprochen wurde.

Hierzu sagte der Rückkehrer [Name 3, Vorname], ca. 55 Jahre, wohnhaft in Seelow, Folgendes: »Das Lagerleben war schlecht und ungenügend und jeder wollte so schnell als möglich nach Westdeutschland, wo ihnen eine Arbeitsstelle und Land versprochen wurde. In Westdeutschland aber war ein großer Teil von uns Flüchtlingen oft wochenlang ohne Obdach und ohne genügend Lebensmittel auf der Landstraße. Wir Republikflüchtlinge wurden nicht nur als Menschen 2. Klasse betrachtet, sondern waren in den Augen der dortigen Regierung und Verwaltung nur ein Haufen Dreck. Wenn wir Flüchtlinge durch die Städte zogen, bekamen wir von den Wohlfahrtsämtern 2 DM West und mussten innerhalb 24 Stunden die Ortschaft wieder verlassen. Die Säuglinge, die manche mitführten, konnten nur durch Zuckerwasser und Kaffee am Leben erhalten werden. Auch die Bauern und Großbauern in Westdeutschland gaben uns nichts, da sie ihre Butter und Produkte verkauften, um sich für das Geld Margarine und andere Sachen zu kaufen, um etwas Geld in den Händen zu behalten.«

Viele der Rückkehrer brachten auch zum Ausdruck, dass man den Flüchtlingen in den Lagern in Westdeutschland und Westberlin irgendwie helfen muss, da sie durch die westliche Hetze noch zuviel Angst vor ihrer Rückkehr haben. Dazu sagte der Rückkehrer [Name 4, Vorname], Arbeiter [im] VEB Sachsenpelz in Naunhof, Kreis Grimma, Folgendes: »Ich bin nun wieder in die DDR zurückgekehrt und kann bestimmt sagen, dass zwischen der DDR und Westdeutschland ein großer Unterschied besteht. In Westdeutschland sind es noch viele junge Menschen, welche gerne in die DDR zurückkehren möchten, da es ihnen in Westdeutschland nicht gut geht. Sie haben jedoch Angst, wieder zurückzukehren. Ich möchte einmal im Rundfunk sprechen können, um den Menschen im Westen die Wahrheit von der DDR erzählen zu können bzw. möchte ich diesen helfen, dass sie ohne Hemmungen in die DDR zurückkehren können.«

3. Agitation und Maßnahmen vonseiten der westlichen Behörden, um eine Rückkehr der Flüchtlinge zu verhindern

Die meisten der befragten Personen machten Angaben darüber, dass von westlicher Seite aus versucht wird, eine Rückkehr in die DDR zu verhindern. Dies geschieht durch Presse und Rundfunk, indem sie eine wüste Hetze sowie Gräuelmärchen über die DDR verbreiten. Von einigen Elementen wird auch eine große Anzahl Gerüchte im Lager im Umlauf gesetzt, die besagen, dass die Flüchtlinge sofort nach ihrer Rückkehr in der DDR verhaftet würden und nach Sibirien oder sonst wohin verschleppt würden. Der Beschluss des Ministerrates wird nur als eine Falle hingestellt, wodurch versucht werden soll, die Flüchtlinge wieder in die DDR zu locken.

Verschiedentlich werden auch Personen ins Lager eingeschleust, die versuchen, die Flüchtlinge zu beruhigen, indem sie davon sprechen, dass das Lagerleben ja nur vorübergehend sei und es mit der Arbeitslosigkeit auch nicht so schlimm wäre. Oftmals werden ihnen auch sämtliche Ausweise abgenommen und dann erklärt, dass sie ohne Ausweis die DDR nicht wieder betreten könnten, da sie sonst sofort verhaftet würden. Bei der Aushändigung der Ausweise an Personen, die wieder zurückkehren wollen, werden ihnen Schwierigkeiten bereitet. Es wird versucht, den Flüchtlingen Angst einzujagen, indem man von ihnen vor ihrer Rückkehr eine Erklärung abverlangt, die besagt, dass sie für die Folgen ihrer Rückkehr selbst verantwortlich sind.

Mit Vorliebe wendet man sich den Landwirten zu und versucht diese, indem man ihnen ein Monatsgehalt von 78 DM verspricht, für ein Jahr aufs Land zu verpflichten. Damit soll versucht werden, die Rückkehr der Bauern in die DDR zu verhindern. Von verschiedenen Flüchtlingen wurde auch geäußert, dass die Post, ehe sie zur Verteilung in die Lager gelangt, vorher erst kontrolliert wird. Ebenfalls wurde festgestellt, dass verschiedene Rückkehrer an Bekannte, die sich noch im Lager in Westberlin und Westdeutschland befinden, geschrieben haben, wo sie ihnen über die gute Aufnahme in der DDR berichteten und sie aufforderten, ebenfalls in die DDR zu kommen. Diese Briefe wurden dem Empfänger nicht ausgehändigt. Man ging sogar so weit, dass man den Flüchtlingen Verpflichtungen abnahm.

So sagte der Rückkehrer [Name 5, Vorname], wohnhaft in Merseburg, [Straße, Nr.], Folgendes: »Eine Verhinderung der Rückkehr in die DDR versuchen sie damit zu erreichen, indem sie von allen Lagerinsassen eine schriftliche Verpflichtung mit dem sinngemäßen Wortlaut ›Nie wieder in die DDR zurückzukehren‹ abverlangen.«

Der Rückkehrer [Name 6, Vorname], wohnhaft in Großkorbetha, Kreis Weißenfels, äußerte: »In der vorigen Woche, am Sonntag, war ein Herr im Lager, der erklärte, dass er in Brandenburg im Gefängnis gesessen hätte und dort entlassen wurde. Er erzählte, dass es im Osten kein Brot gibt und dass sämtliche Polizeireserven ausgegeben wurden. Die Panzer würden in den Getreidefeldern stehen und wir sollen nicht zurückkehren, da wir erschossen werden oder 25 Jahre Zuchthaus bekommen. Weitere Angaben konnte er nicht machen, da keiner aus dem Lager raus und rein kam. Das Lager war sozusagen von der Welt abgeschnitten, es war mit einem Stacheldrahtzaun umgeben und mit ca. 800 Mann belegt. Ihm ist noch bekannt, dass wenn jemand Post bekommt, diese erst von der Lagerleitung kontrolliert wird.«

Trotz all dieser geschilderten Hetze und Maßnahmen vonseiten der westlichen Behörden kehrte auch gestern wieder eine ganze Anzahl Flüchtlinge in die DDR zurück. So betrug die Zahl der Rückkehrer vom 6.7.1953 bis 7.7.1953 insgesamt 183 Personen. Davon kamen aus Westdeutschland 22 Personen, die erstmalig in die DDR einreisten und um Aufnahme baten. Demgegenüber wurden in dem gleichen Zeitraum 119 Personen republikflüchtig.

4. Über die Durchführung der Maßnahmen des Ministerratsbeschlusses bei Rückkehrern

Im Allgemeinen äußerten sich die Rückkehrer anerkennend über die gute Aufnahme und Behandlung in der DDR. Es wurden ihnen nur in den seltensten Fällen Schwierigkeiten bereitet. Größtenteils bekamen sie schon an der Grenze eine Fahrkarte und auch noch Wegegeld mit, um in ihre Heimatorte zu fahren. Dort bekamen sie sofort ihre Lebensmittelkarten und ihr Eigentum vollständig zurück.

So äußerte der Molkereibesitzer in Böcken, Kreis Schwerin, [Name 7, Vorname], ca. 50 Jahre alt, Folgendes: »Die Aufnahme durch die VP in Berlin hat mich begeistert, ebenfalls die Aufnahme hier in Schwerin. Meine Molkerei, die Wohnung und den Lieferwagen habe ich sofort zurückerhalten. Ich werde allen Bekannten im Lager über die wahren Verhältnisse hier in der DDR schreiben.«

Bei einigen Personen traten allerdings auch Schwierigkeiten auf. So sagte der Rückkehrer [Name 8, Vorname]: »Er habe jetzt Schwierigkeiten in Bezug auf einen Arbeitsplatz. Nach seinen Angaben hat er schon bei mehreren Betrieben darunter auch Wismut AG versucht, Arbeit zu bekommen, aber immer ohne Erfolg. Er brachte vor allem zum Ausdruck, dass andere Flüchtlinge von ihm auf Post warten, um dadurch zu erfahren, ob eine Rückkehr günstig ist oder nicht. Die Flüchtlinge legen dabei besonders Wert darauf zu erfahren, wie es mit den Arbeitsmöglichkeiten aussieht. Sonst war er mit der Behandlung und Fürsorge durch andere Dienststellen sehr zufrieden.«

Der Rückkehrer [Name 9, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1930 in Magdeburg, wohnhaft in Bismark, Kreis Kalbe, hat Schwierigkeiten beim Erhalt der Zuzugsgenehmigung. [Name 9] ist am 16.6.1953 aufgrund des Ministerratsbeschlusses aus Westberlin nach Bismark zurückgekehrt. Sein Ziel ist es, hier bei uns eine feste Arbeit zu finden, was ihm drüben nicht möglich war. Bis jetzt wurde ihm aber noch keine Zuzugsgenehmigung gewährt. Er ist lediglich im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung. [Name 9] hegt nun die Befürchtung, dass er wieder nach Westberlin zurückgeschickt würde.

Der Rückkehrer [Name 10, Vorname], der mit seiner Frau aus Westberlin wieder in die DDR zurückkehrte, äußerte: »Mit der Wohnung hat es nicht geklappt, ich habe mit meiner Frau eine Wohnung von zwei Zimmer bezogen (15 und 19 qm). Diese Wohnung ist sehr ungünstig und wir haben keine Möglichkeit unsere Betten dort aufzustellen.«

Neuerdings wurde uns auch berichtet, dass Bürgermeister aus Städten und Gemeinden die Eigeninitiative ergreifen und nach Westberlin fahren, um von dort die Bauern bzw. Gewerbetreibenden aus den Lagern, nachdem sie sich mit ihnen unterhalten haben, herausholen und mit in ihre Städte bzw. Gemeinden nehmen.

So berichtet der zurückgekehrte Bauer [Vorname Name 11], aus Grüttow, Kreis Anklam: »Ich kehrte deshalb zurück, weil der Bürgermeister der Gemeinde Neukieritzsch aus dem Gebiet von Leipzig am 3.7.1953 die von dort geflüchteten Bauern [Name 12] und [Name 13] im Lager Marienburg,19 Rathausstraße 42, aufgesucht und sofort mitgenommen hat. Ich habe daraus die Überzeugung gewonnen, dass die Verordnung der Regierung auf Wahrheit beruht und kehre deshalb auch zurück.«

Zur besseren Übersicht über die Lage der geflüchteten Bauern in Westdeutschland noch ein Auszug aus einem Brief, den der republikflüchtige Bauer [Vorname 1 Name 14], wohnhaft gewesen in [Ort], Kreis Sternberg, an einen seiner früheren Landarbeiter schrieb. [Name 14] setzte sich im Februar 1953 nach Westdeutschland illegal ab. Er wohnt jetzt in einem größeren Gebirgsdorf auf dem Hunsrück, arbeiten tut er beim Amerikaner als Bauhilfsarbeiter. Er schreibt an seinen ehem. Landarbeiter Folgendes: »Leben tun hier die Leute besser wie dort. Alles gibt es hier zu kaufen. Gebaut wird hier sehr viel. Hier im Dorf sind mindestens nach dem Kriege zehn neue Häuser entstanden und alle Kriegsschäden, die sehr groß waren, ausgebessert. Dadurch sind sie aber auch alle verschuldet bis über die Ohren. Kurz, es erscheint alles in bester Blüte und doch steht alles auf wackligen Füßen. Wir haben ca. 70 DM die Woche zu verzehren bzw. zur Verfügung, da lässt sich schon gut mit leben. Aber das Heimweh lässt einem doch keine Ruhe, die Berge zerdrücken mich bald. Durch all diese Ereignisse dort in der Zone aufgerüttelt und die Erklärung des Herrn Ministerpräsidenten Grotewohl habe ich den Entschluss gefasst, sobald wie möglich wieder zurückzukommen. Also freue dich, plötzlich stehe ich bei dir und begrüße dich. Dann wird auch alles wieder rehabilitiert, was man dir nach unserer Flucht angetan hat. Nun bitte ich dich, schreibe mal bitte schnell wieder. Schreibe mal über unseren Hof, alles offen und ehrlich wie es dort steht. Wo ist [Vorname 2] jetzt? Sind die Pferde und Kühe sowie Gerät verblieben? Wie ist das Soll und wie steht die Furche? Was macht [sic!] Vater und Mutter sowie die Geschwister? Eins muss ich noch sagen, rate jedem, dass er nicht die Ostzone verlässt, sondern offen und frei die Missstände dort aufdeckt bei den richtigen Dienststellen der Regierung. Dann muss das Leben doch endlich besser werden. Nun nochmals die herzlichsten Grüße an Eltern und Geschwister. Vergiss das Schreiben nicht. Oder lasst Vater schreiben, wenn du keine Lust hast, ich warte darauf. Persönlich mehr. Gruß und Händedruck, Onkel [Vorname 1]. Frau [Name 15], [Vorname 3], [Vorname 4] sowie auch [Vorname 5] lassen grüßen. So gut es für sie hier ist, aber heim möchten sie doch. Lieber von morgens bis abends arbeiten.«

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    8. Juli 1953
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