Tagesbericht
10. Juli 1953
Information Nr. 1010
Stimmung der Bevölkerung
Wie Großbauern die gegenwärtige Situation ausnützen, zeigt uns das Beispiel einer Einwohnerversammlung in Mieste, Kreis Gardelegen. Bereits vor der Versammlung konnte festgestellt werden, dass von den Großbauern Getränke wie Bier und Schnaps ausgegeben wurden. In der Diskussion zeigte sich, dass einzig und allein die Großbauern Wortführer gegen die Deutsche Demokratische Republik waren. In der Versammlung anwesende Genossen wurden zum Teil an der Diskussion gehindert. Trotzdem muss herausgestellt werden, dass selbst Funktionäre der politischen Abteilung der MTS, die anwesend waren und mit den Verhältnissen des Dorfes vertraut sind, nicht in die Diskussion eingegriffen haben, sondern nach Schluss der Versammlung als erste fluchtartig den Versammlungsraum verließen.
Im Anschluss werden einige Diskussionen als Beispiel angeführt:
Der Großbauer [Name 1]: »Man müsste freie Wahlen schaffen und einen neuen Präsidenten wählen von unten nach oben, welcher die Interessen aller vertritt und nicht solche, die die Bauern als1 Kulaken bezeichnen. Wenn dieses neue Oberhaupt da wäre, wird es auch nie wieder einen 17.6. geben.« Dieser Diskussionsbeitrag wurde von den anwesenden Personen mit großem Beifall aufgenommen.
Der Großbauer [Name 2]: »Wir fordern die Abschaffung des Solls, denn wir haben jetzt acht Jahre nach dem Krieg. Diese Politik haben wir satt, das Soll steigt und die Menschen bekommen nicht mehr auf die Karten. Hinter Gittern müssten andere sitzen, aber nicht die Bauern.«
Der Gemeindevertreter Lemke: »Das Ablieferungssoll für die Großbauern müsste genauso festgelegt werden wie für die LPG.«
Den Abschluss der Versammlung bildete der Protest gegen die Verhaftung von fünf jugendlichen Großbauernsöhnen.
Am 9.7.1953, 14.00 Uhr, tagte das Gewerkschaftsaktiv von Zeiss, an der ca. 1 200 Belegschaftsmitglieder vertreten waren.
Von der Gewerkschaft war Genosse Schmidt,2 Vorsitzender der Industriegruppe Metall3 der DDR, erschienen. Der zentralen Gewerkschaftstagung gingen Gewerkschaftsversammlungen von Abteilungen voraus, wo Delegationen für das zentrale Gewerkschaftsaktiv gewählt wurden und die Forderungen gestellt wurden, die dort zur Diskussion gestellt werden sollten.
Insgesamt wurden der Betriebsgewerkschaftsleitung vor Beginn des Zentralen Gewerkschaftsaktivs 128 Forderungen bekannt. Die Forderungen beinhalten Punkte von der einfachen sozialen Verbesserung im Betrieb bis zur Wiederangliederung der abgetretenen Ostgebiete für das Deutsche Reich.
Die Ausführungen des Genossen Schmidt fanden sehr guten Anklang. In der Diskussion sprachen ca. 40 Belegschaftsangehörige, der größte Teil davon diskutierte negativ im Sinne der gestellten Forderungen. Diskussionsredner der SED wurden mit Johlen und Pfeifen empfangen. Sehr stark bei einem Teil von Diskussionsrednern trat in Erscheinung, dass sie sich gegen die hohen Gehälter aussprachen, wie sie im Allgemeinen gegen die Bevorzugung der Intelligenz durch unsere Regierung Stellung nahmen.
Von der im Betrieb geführten Unterschriftensammlung, die die sofortige Haftentlassung des verurteilten Norkus4 (verurteilt zu 2 Jahren Zuchthaus wegen kriminellen Verbrechens am 17.6.1953) bezwecken soll, sowie der Freilassung aller Häftlinge der Zeiss-Werke. Nach Informationen wurden bisher 1 300 Unterschriften für die Haftentlassung im Betrieb gesammelt.
Im Schlusswort ging Genosse Schmidt auf die einzelnen Diskussionsredner ein, erklärte, dass die gestellten Forderungen von zentraler Stelle überprüft werden und in vier Wochen das nächste Gewerkschaftsaktiv stattfindet, wo zu diesen Fragen nochmals Stellung genommen wird.
Während der Tagung des Gewerkschaftsaktivs wurde bekannt, dass bisher unbekannte Kräfte einen Sitzstreik für den 10.7.1953 propagieren wollen, falls die Forderungen auf Haftentlassung des Norkus’ nicht erfüllt werden. Die Bezirksleitung der Partei wurde im Laufe der Nacht davon verständigt. Bis 10.15 Uhr sind noch keine Anzeichen auf Durchführung von Streiks im VEB Zeiss festzustellen. Dieses Beispiel sowie viele andere zeigen uns, dass die Stimmung und Situation in unseren Betrieben noch großer Aufmerksamkeit bedarf.
Es wurde unter anderem aus dem Klement-Gottwald-Werk Schwerin bekannt, dass die Nachtschicht vom 9.7.1953, 22.00 Uhr, bis 10.7.1953, 1.00 Uhr, die Arbeit niedergelegt hatte. Die Arbeitsniederlegung begann gleich bei Beginn der Schicht, an der sich ca. 80 Kollegen beteiligten. Es wurden folgende Forderungen gestellt: 1. Erhöhung der Arbeitslöhne, 2. Herabsetzung der Normen.
Gegen 24.00 Uhr wurde eine Versammlung durchgeführt, wo der 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED, Genosse Quandt, zu den Arbeitern sprach. In den Diskussionen der Arbeiter kam zum Ausdruck, dass der Beschluss des Ministerrates betreffs Rückgängigmachung der Arbeitsnormen bis zum 1.4.19535 sehr bürokratisch durchgeführt wurde. Von den Arbeitern wurde eine Kommission betreffs Überprüfung obiger Zustände gebildet. Nach der Durchführung der Versammlung wurde die Arbeit wieder aufgenommen.
Am 9.7.1953 haben in der Brauerei Rostock, Doberaner Straße, die Kutscher und Fahrer für zwei Stunden die Arbeit niedergelegt. Als Grund wurde angegeben, dass sie wieder in den Besitz ihrer früheren Lohn[zu]schläge kommen wollen. Sie erhielten früher für jeden ausgefahrenen Kasten oder Fass hier einen prozentualen Zuschlag.
In der Brauerei Greifswald wurden am 9.7.1953 Tendenzen bemerkbar, dass die Belegschaft am 10.7.1953 in einen Sitzstreik treten wollte. Als Grund wurde angegeben, dass sie sich einsetzen wollen für den wegen Wirtschaftsverbrechen bestraften früheren Besitzer. Mithilfe der Partei wurde diese Sache verhindert.
Über die in den Roto-Record-Werken in Gera und bei Zeiss in Jena stattgefundenen Belegschaftsversammlungen wurde Folgendes bekannt: Im Roto-Record-Werk waren etwa 500 bis 600 Personen und in Zeiss 1 400 bis 1 500 Personen anwesend. In beiden Versammlungen wurden fast die gleichen Forderungen wirtschaftlicher und politischer Art erhoben, z. B. Frage der Normen, die Nachtschichtarbeit und deren bessere Bezahlung, Zusatzurlaub hierfür, Herabsetzung der FDGB-Beiträge, Vorlage von Kassenbelegen über die Einnahmen und Ausgaben des FDGB.
Es erfolgte eine offene Kampfansage an die Partei, mit der Forderung, dass die Parteifunktionäre des Betriebes abgesetzt werden sollten,6 andernfalls sollte die Bezahlung von der Partei aus erfolgen. Sie wollten keine BGL, sondern einen Betriebsrat. Von allen anderen Einrichtungen, z. B. TAN- und Normensachbearbeiter, wollen sie nichts mehr wissen, sie fordern weitere Abschaffung der Prämien und Einführung einer Jahresprämie in Höhe von etwa 12 %, ähnlich wie beim Bergbau.7
Außerdem wird der Rücktritt der Regierung gefordert, teilweise auch nur der Rücktritt von einzelnen Funktionären (so in Jena). In Gera wird der Rücktritt von Präsident Pieck gefordert. Es wird nicht verstanden, dass Genosse Ulbricht für seine Fehler »Held der Arbeit« geworden ist und den Karl-Marx-Orden verliehen erhalten hat.
Jede Diskussionsrede enthält einen Angriff auf die Staatsanwaltschaft. Man bezog sich auf die Rechtssicherheit, auf Haftbefehle, auf Verhaftungen bei Nacht, auf die Durchführung von Hauptverhandlungen ohne Benachrichtigung der Angehörigen und forderte die Freilassung einiger Gefangener.
In Gera wurde eine Unterschriftensammlung (1 460 Unterschriften) vorgelegt, mit der Forderung, dass der Verurteilte Norkus am 10.7.1953 freizulassen sei. Man beruft sich auf das Fechner-Interview.8
Die Argumentation des Referenten9 drang in Jena nicht durch, sondern wurde verhöhnt. Der Referent ist der Auffassung, dass der Rahmen der Veranstaltung zu groß war, sodass versucht werden soll, in kleineren Versammlungen noch einmal zu diskutieren. In Jena wird weiterhin verlangt, dass eine von der Belegschaft gewählte Kommission, bestehend aus einem Dr. Schreiner, Prof. Hämel,10 Prof. Knöll11 und noch zwei anderen, die Haftanstalt besichtigt und nachprüft, ob Dunkelzellen oder Wasserzellen vorhanden sind und wie die Verpflegung der Häftlinge ist.
Im Laufe der Versammlung wurde der Genosse Generalstaatsanwalt12 gebeten, für diese Kommission die Genehmigung zur Besichtigung der Haftanstalt bei der Hauptabteilung [der] VP13 zu erwirken, um die Arbeiter von dem Zustand derselben zu überzeugen. Zur Führung dieser Kommission sind die Genossen Wolf14 und Klötzer15 bereit. Die hierfür zu treffenden Vorbereitungen würden von Gera aus veranlasst werden.
Es erscheint wesentlich, die Stimmung der Bevölkerung zu unserer Presse und Rundfunk zu beachten. In der gegenwärtigen Situation wird von einem Teil der Bevölkerung zum Ausdruck gebracht, dass man Presse und Rundfunk der DDR keinen Glauben schenken kann. Als Begründung wird in den meisten Fällen angeführt, dass in Presse und Rundfunk nur vom »Tag X«16 und Westberliner Provokateuren gesprochen wird. Den wahren Grund aber, die Unzufriedenheit der Arbeiter, will man nicht sehen. Man bringe nur das, was dem ZK der SED angenehm ist, lange politische Referate, die sich im Rundfunk tagelang wiederholen. »Wenn einer beim ersten Male nicht frisst, dann frisst er es vielleicht beim zehnten Mal.« So äußerte sich die Bevölkerung. Besonders stark ist die Meinung vertreten, dass die Wahrheit nur im westlichen Sender zu hören ist. In verschiedenen Diskussionen kommt zum Ausdruck, dass man durch das Programm des Berliner Senders direkt gezwungen wird, einen anderen Sender zu hören. Man begründet es damit, wenn man den ganzen Tag schwer gearbeitet hat, will man auch etwas Entspannung haben, nicht nur laufend schwere Musik oder lange politische Referate. Selbst Mitglieder und Funktionäre unserer Partei stehen auf dem Standpunkt, dass man westliche Sender hören muss, um sich von der gegenwärtigen Situation ein Bild machen zu können.
So sagte z. B. [Name 3], beschäftigt im Buna-Werk Bau 376: »Ich möchte fast behaupten, dass 60 % in der Ostzone den RIAS-Sender hören, obwohl es meines Erachtens nach ein ausgesprochener Tendenzsender der Amerikaner ist. Aber warum? In unseren Rundfunksendungen hört man nichts wie politische Referate, die überdies viel zu lang gehalten sind. Das wirkt sich ermüdend und abstoßend aus, genau so, als wenn ich jeden Tag Schlagsahne zu essen bekommen würde. Man sehnt sich nach Neuigkeiten aus aller Welt – Lokalmeldungen in ganz kurzer Form. Man ist doch abends abgespannt und sucht Zerstreuung – Ergebnis: man sucht westdeutsche Sender.«
[Name 4], wohnhaft in Potsdam: »Bei der Omnibusfahrt kann man die Stimmung der Bevölkerung kennenlernen. Man unterhält sich z. B. über den Berliner Rundfunk, der erst viel später oder gar nicht zu besonderen Ereignissen Stellung nimmt. Wenn man selbst das Unangenehme, aber die Wahrheit offen bekannt geben würde, käme es nicht dazu, dass die Bevölkerung dem RIAS Glauben schenkt. Die Arbeiter äußern sich zu unseren Sendungen: ›Man bringt immer das Gleiche, anscheinend sind sie der Meinung, wenn man’s beim ersten Mal nicht versteht, frisst man es etwas später.‹«
In einer Versammlung der Parteieinheit [im] EKM Berlin wurde in der Diskussion von Genossen Folgendes zum Ausdruck gebracht: »Trotz heftiger Kritiken haben Presse und Rundfunk noch immer nicht die schädliche Methode der Schönfärberei unterlassen. Oftmals werden die Ereignisse des 17. Juni vorwiegend auf die Tätigkeit von Provokateuren zurückgeführt und damit der Anlass mit der Ursache verwechselt. In der Ausgabe des ND vom 8.7.1953 wird in unscheinbarer Aufmachung auf kursierende Gerüchte aufmerksam gemacht, ohne dieselben konkret zu widerlegen.17 So können die Genossen in Diskussionen, die überall kursieren, keine sachliche Entlarvung der Gerüchtemacher vornehmen, sondern können nur alles global auf die RIAS-Hetze zurückführen. Dies kann jedoch nicht überzeugend wirken, wenn uns Presse und Rundfunk nicht konkrete Beispiele zeigen.«
[Name 5], beschäftigt im Karl-Marx-Werk: »Wie man lesen und hören kann, soll das der ›Tag X‹ gewesen sein, der kommt erst noch.«
[Name 6], Bw Cottbus: »Unsere Presse schreibt nur lauter Schwindel«. Das wäre ein Beweis hierfür, dass man in die [sic!] Zeitung geschrieben hätte, dass am Sonnabend zu der Kundgebung auf dem Altmarkt 20 000 Personen anwesend waren. Als Schwindel bezeichnet er auch alles, was von unserer Regierung herausgegeben wird.
Der Lehrer der Oberschule in Magdeburg [Name 7]: »Das sollen faschistische Elemente und Provokateure gewesen sein, das waren doch die Arbeiter selbst, die den 17.6.1953 verursacht haben. Ich verstehe überhaupt nicht mehr, wie man solche Behauptungen aufstellen kann.«
Die Sekretärin im Kreisvorstand Demmin, [Name 8, Vorname]: »Man muss den RIAS hören, das heißt, beide Seiten hören, um zu erfahren, was überhaupt richtig los ist.«
Die ehrenamtliche Helferin [Name 9] zeigt auf, dass die »Berliner Zeitung« am 7.7.1953 einen Bericht über die Ferienspiele in Buch gab, in welchem von einer Teilnehmerzahl von 1 200 Kindern die Rede war.18 Sie selbst weiß aber, dass nur 720 Kinder anwesend waren. Dazu äußert sie: »Warum übertreibt die BZ.«
Stimmung der Rückkehrer in das Gebiet der DDR
Dem Ministerratsbeschluss vom 11.6.195319 folgend, kehrten am 8.7.1953 insgesamt 125 Personen in das Gebiet der DDR zurück. Darunter befinden sich 18 Personen, die aus Westdeutschland und erstmalig in das Gebiet der DDR einreisten und um Aufnahme baten. Demgegenüber wurden 77 Personen republikflüchtig. Zu beachten ist, dass die Zahl der Republikflüchtigen seit einigen Tagen ständig zurückgeht.
Von den Rückkehrern wurden in Form einer zwanglosen Unterhaltung einige Personen über die Aufnahme des Ministerratsbeschlusses bei den Flüchtlingen in Westdeutschland und Westberlin sowie über ihre Eindrücke bei der Aufnahme in der DDR befragt. Aufgrund dieser Angaben kann Folgendes berichtet werden:
1. Aufnahme des Ministerratsbeschlusses vom 11.6.1953 bei den Rückkehrern sowie bei den Flüchtlingen in den Lagern in Westdeutschland und Westberlin
Von den befragten Personen wird der Ministerratsbeschluss allgemein begrüßt, da er ja der Anlass zu ihrer Rückkehr war. Nach ihren Angaben gab es auch sofort nach Bekanntwerden bzw. gibt es auch jetzt noch bei den Flüchtlingen in Westberlin und Westdeutschland Diskussionen über den Ministerratsbeschluss. Viele der Flüchtlinge äußerten sich positiv zu diesem Beschluss und haben auch den Willen, wieder in die DDR zurückzukehren. Eine große Anzahl der Flüchtlinge ist allerdings der Meinung, dass man dieser Sache nicht ganz trauen kann und noch abwarten muss, ob dieser Beschluss wirklich durchgeführt wird.
Von westlicher Seite aus wird alles getan, um die Flüchtlinge in ihrem Misstrauen zu stärken. Es wurde aber schon bekannt, dass einige Flüchtlinge Post von schon zurückgekehrten Personen erhalten haben, die ihnen über die gute Aufnahme in der DDR berichteten. Das zeigt sich auch daran, dass die Zahl der Rückkehrer gegenüber den ersten Tagen in letzter Zeit wesentlich angestiegen ist.
Der Rückkehrer [Name 10], geb. [Tag, Monat] 1931 in Bülzig/Wittenberg, zuletzt wohnhaft: Schlachtensee, Lagardestraße,20 (Rot-Kreuz-Lager), äußerte hierzu: »Ich war im Lager Schlachtensee, Lagardestraße. Dort sind ca. 200 Personen untergebracht, durch Gespräche im Lager konnte man entnehmen, dass viele Personen im Lager von schon Zurückgekehrten Post erhielten, wo eben geschrieben wurde, dass sie gut in ihren Heimatorten angekommen sind, ihnen nichts passiert sei und die Lagerinsassen wurden von diesen aufgefordert, ebenfalls zurückzukehren. Dies schrieb eine Frau [Name 11] aus Halle. Daraufhin haben sich, wie mir bekannt ist, schon viele Personen aus dem Lager abgesetzt. Wenn die Lagerleitung irgendetwas merkte, dass Personen von der DDR Post erhielten, worin sie aufgefordert wurden zurückzukehren, wurden diese dermaßen schikaniert, bis man der Lagerleitung bekannt gab, welche Person die Post verbreitete. In diesem Lager sind auch vereinzelte Elemente, die die Flüchtlinge von der Rückkehr abhalten und ihnen Gräuelmärchen erzählen.«
2. Stimmung der Flüchtlinge und Hemmungen bei ihrer Rückkehr
Von den befragten Personen wird auch weiterhin berichtet, dass die Stimmung in den Lagern in Westberlin nicht gut ist. Als Gründe werden immer wieder die schlechte Unterkunft sowie die Arbeitslosigkeit angegeben. Hinzu kommt jetzt noch, dass sehr viele Flüchtlinge darüber verärgert sind, weil so wenige als politische Flüchtlinge anerkannt werden und die Abtransporte nach Westdeutschland auch immer länger hinausgezögert werden.
Aufgrund dessen wollen auch viele wieder zurückkehren, jedoch werden sie durch die Hetze von westlicher Seite aus daran gehindert und haben nicht den Mut zur Rückkehr.
Der Rückkehrer [Name 12, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1908 in Regis-Breitingen, wohnhaft: Halle/Saale, [Straße, Nr.] äußerte sich hierzu folgendermaßen: »Viele würden zurückkehren, schrecken aber durch derartige Parolen zurück wieder nach Hause zu kommen. Es wurde erzählt, dass 35 Bauern, die zurückgekehrt sind, einige Tage gearbeitet hätten und dann verhaftet wurden. Weiterhin würden die Flüchtlinge sechs Wochen im Lager aufgehalten und verhört. Die Stimmung im Lager ist durch das Hinauszögern der Abtransporte und durch die wenigen Anerkennungen nicht gut. Die Flüchtlinge erklären, dass das Hinauszögern verschiedener Abfertigungsgänge (Wiederholung der abgelehnten Termine) darauf zurückzuführen ist, dass die Herren ihre Stellung nicht verlieren wollen, weil so wenige Flüchtlinge kommen.«
Die zurückgekehrte [Name 13, Vorname] aus Sonneberg äußerte sich wie folgt: »Unter den Flüchtlingen gibt es viele, die in die DDR zurückkehren möchten, aber sie bringen den Mut nicht dazu auf, weil sie von der Bevölkerung aufgehetzt werden, nicht in die DDR zurückzukehren, da sie angeblich eingesperrt und fortgeschafft würden.«
3. Agitation und Maßnahmen von westlicher Seite aus, die eine Rückkehr verhindern sollen
Es wird auch weiterhin versucht, die Flüchtlinge in den Lagern in Westberlin und Westdeutschland von einer Rückkehr in die DDR abzuhalten. Die befragten Personen äußerten, dass dies vor allem durch Presse und Rundfunk in den Lagern geschieht. In den Lagern wird auch wüstes Hetzmaterial gegen die DDR verbreitet.
Dazu sagte der Rückkehrer [Name 14, Vorname] Folgendes: »Im Lager wurde Propagandistenmaterial, das die Amerikaner stifteten, wie z. B. ›Tarantel‹,21 ›Der wahre Kommunismus‹, und ›Kolchose‹,22 verbreitet. In diesen Schriften wird gegen die führenden Mitglieder der Regierung und gegen die SU gehetzt.«
4. Über die Durchführung der Maßnahmen des Ministerratsbeschlusses bei den Rückkehrern
Die befragten Rückkehrer sprachen sich zur Aufnahme in der DDR alle gut aus. Sie wurden stets höflich behandelt und es wurden ihnen keine Schwierigkeiten bereitet. Beschwerden vonseiten der Rückkehrer sind keine bekannt geworden.
Der zurückgekehrte Eisenwarengroßhändler [Name 15, Vorname] aus [Ort], der sich ebenfalls gut über die Aufnahme aussprach, äußerte: »Die Aufnahme war auch ganz besonders in Marienborn vonseiten der Grenzpolizei äußerst zuvorkommend. Auch hier in [Ort] habe ich bei allen Behörden und auch bei der Bevölkerung eine herzliche Aufnahme gefunden. Alles freut sich, dass ich wieder hier bin. Meine Wünsche sind in jeder Beziehung erfüllt, für die Lösung der Wohnungsfrage wurde mir eine feste Zusage für die nächsten Tage gemacht. Besonders die Dienststelle für Staatliches Eigentum in Doberan hat schnell und unbürokratisch gearbeitet.«
Maßnahmen des Feindes
Auf der Straße Breitenbrunn–Rabenberg wurden von den Bergarbeitern [Name 16], Schacht 164, [Name 17, Vorname] und Kraftfahrer [Name 18, Vorname] Flugblätter der illegalen Widerstandsgruppe »PUMA« gefunden.23 Die sofort eingeleitete Untersuchung ergab, dass ca. 1 500 bis 2 000 Stück wahrscheinlich durch Kfz abgeworfen wurden. Für die Flugblätter wurde Durchschlagpapier DIN A4 benutzt, mittels Apparat abgezogen, einseitig beschrieben.
Überschrift der Flugblätter: »Hier spricht die illegale Widerstandgruppe Puma. Der 17.6., der Tag der Volkserhebung in der Ostknechtzone.« In diesen Flugblättern wurde gegen die DDR und die SU gehetzt. Flugblätter dieser Art wurden zum dritten Mal gefunden.
Nachstehendes Flugblatt wurde von den Trotzkisten in Westberlin, dem sogenannten »Weiland-Kreis«,24 verfasst und im demokratischen Sektor verbreitet:
»Arbeiterinnen und Arbeiter Ostberlins!
Um unserem Kampf Erfolg zu verschaffen, muss Folgendes geschehen: Wahl von Betriebsräten mit dem Ziel der Bildung eines zentralen Betriebsräte-Ausschusses für Ostberlin, der zur Durchsetzung folgender Forderungen mit den zuständigen Stellen verhandelt:
- 1.
Herstellung normaler Arbeitsbedingungen.
- 2.
Abschaffung der Normen.
- 3.
Anpassung der Löhne an die Lebenshaltungskosten.
- 4.
Volles Streikrecht.
- 5.
Freiheit der Meinungsäußerung.
- 6.
Uneingeschränkte Presse- und Versammlungsfreiheit.
- 7.
Sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen, die wegen ihrer demokratischen und sozialistischen Überzeugung ihrer Freiheit beraubt sind.
- 8.
Keine Strafverfolgung und Maßregelung der Demonstranten.
- 9.
Sicherheitsgarantie für die legale Tätigkeit der von der Arbeiterschaft gewählten Betriebsräte und der von diesen gewählten Ausschüsse.«
Zu bemerken ist, dass die Parole »Wahl von Betriebsräten« sich als eine zentrale Parole des Feindes erweist, da dieselbe auch in der gleichen Form in Betriebsversammlungen aufgestellt wird (s. Zeiss-Jena, Roto usw.).
Am heutigen Tage fuhr ein Funkwagen an der Sektorengrenze entlang (Westsektor) und forderte den Abtritt der Ostregierung bis zum 10.7.1953 und die Freilassung aller politischen Gefangenen. Die Bevölkerung des demokratischen Sektors wurde aufgerufen, auf Teilzahlung größere Einkäufe in Westberlin zu verrichten.
Der Leiter des »Ostbüros der CDU« in Westberlin, Dannemann,25 (er ist der Leiter einer besonderen Abteilung, die Feindarbeit in der Deutschen Demokratischen Republik organisiert), erklärte am 8.7.1953, dass die Unruhen im Ostsektor und in der Zone der Anfang der Befreiung sind. Er erklärte unserem Informator weiter, dass bei den Unruhen die westlichen Stellen, vor allem die Zentrale des Bundeshauses,26 aktiv tätig waren.
Er sagte wörtlich: »Nach diesem Erfolg sind wir überzeugt, dass das Volk im Sektor und der Zone auf uns wartet. Mit Panzern kann man die freie Meinung nicht unterbinden.« Es sei traurig, dass die SPD in so günstiger Situation im Bundeshaus27 gegen den EVG-Vertrag28 gestimmt hat. »Ich weiß«, so sagte er wörtlich, »dass sich dieser Aufstand wiederholen wird. Das Volk kommt nicht zur Ruhe. Der Freiheitsdrang muss in der Zone aufrechterhalten werden. Bei den kommenden Unruhen werden die Sowjets überrascht sein, denn das Volk wird nicht wieder wehrlos dastehen.«
Fast die gleichen Äußerungen machte auch Nachtigall,29 ebenfalls ein leitender Funktionär des »Ostbüros der CDU.« Er sagte, dass die Bewohner der Deutschen Demokratischen Republik mit Waffen bei einem kommenden Aufstand versorgt werden müssen. Genauso muss es in der Tschechoslowakei und in Polen werden.
Nachtigall ist mit Dannemann übereingekommen in der stattgefundenen Unterhaltung, dass Dannemann wieder, wie vor seiner Flucht, die Stadtverwaltung in Stendal übernehmen wird. Dies liege im »Ministerium für gesamtdeutsche Fragen« fest. Die Exil-CDU30 hat nicht geschlafen, sondern durch viel Kleinarbeit – unterstützt durch die »Freiheitlichen Juristen«31 – feste Unterlagen und Vorschläge dem »Ministerium für gesamtdeutsche Fragen« unterbreitet.
Dannemann beschäftigt sich zurzeit damit, unter den Flüchtlingen im Westsektor und anderen sogenannten »mutigen Leuten« [diese] mit einem Herrn, der Angestellter des Bundeshauses ist, zusammenzubringen, der dann Aufträge an diese Leute vergibt, die darin bestehen, die Sektorengrenze zu überschreiten.
Außerdem konnte in Erfahrung gebracht werden, dass die Dienststelle »Blank«32 in Düsseldorf eine Dienststelle geschaffen hat, die alle Berichte der Parteien und Ostbüros auswertet und dann ihre Anordnungen trifft. In Westberlin wurde eine Zweigdienststelle am Reichpietschufer geschaffen. Bei dieser Dienststelle handelt es sich um eine Stelle, die dem Senator für Arbeit untersteht und als Abteilung III firmiert ist. Angeblich unterstehen alle Agentenzentralen dieser Stelle. Die Leitung der Dienststelle am Reichpietschufer hat ein ehemaliger Generalleutnant inne.33
Zurzeit ist geplant, sämtliche unzuverlässige, sich in wichtigen Funktionen der Deutschen Demokratischen Republik befindlichen Kräfte zu erfassen und entsprechend unter Angebot des Kaufens zu bearbeiten. Außerdem wurde bekannt, dass Sabotagepläne für alle Kasernenbauten ausgearbeitet werden.
Gerüchte über Sitzstreik
Im RAW Berlin ist das Gerücht verbreitet, dass am 13., 14. bis 15.7.1953 ein Sitzstreik durchgeführt werden soll, der nach Ansicht der Arbeiter einen größeren Erfolg haben wird als der vom 17.6.1953. Dieser Sitzstreik soll unter der Parole Sturz der Regierung gestartet werden.
Besondere Vorkommnisse
Wie aus Schwerin bekannt wurde, fand dort am 8.7.1953 vor dem Laden der Intelligenz34 eine Ansammlung statt. Gegen 17.00 Uhr betraten drei Jugendliche den Laden und verlangten Butter. Da sie keine erhielten, haben sie vor dem Laden laut geschimpft, obwohl ihnen erklärt wurde, wer in dem Laden kaufen kann. Dadurch sammelten sich die Menschen an, da es eine Verkehrsstraße ist, außerdem gegenüber viele Menschen vor dem Kino standen und Arbeitsschluss war. In kurzer Zeit waren ca. 800 Personen anwesend, die zum größten Teil nicht wussten was los war. Es gab Diskussionen, dass in diesem Geschäft die Butter 1,80 DM koste. Volkspolizei, die gerade von einem Ausmarsch kam, wurde sofort eingesetzt und hat in sehr korrekter Form die Ansammlung nach einer Stunde zerstreut. Die drei Jugendlichen und eine Frau, die durch ihre aggressive Art praktisch die Ansammlung organisiert hatten, waren sofort verschwunden. Es gab keine Provokationen in der Menge, Festnahmen erfolgten nicht. Am 9.7.1953 befanden sich schon wieder ca. 200 Personen vor dem Geschäft, von denen ein Teil Kaffee verlangte.
In der MTS Mockrehna, Bezirk Leipzig, hat am 8.7.1953 die Brigade Kranz die Arbeit nicht aufgenommen. Aus anderen Brigaden fehlten einzelne Mitglieder. Insgesamt arbeiteten 15 Personen nicht. Der Grund der Nichtaufnahme der Arbeit waren Lohnforderungen.
Wie bekannt wurde, hat die Belegschaft des Kalkwerkes Hermsdorf, Kreis Dippoldiswalde, am 9.7.1953 eine Delegation nach Berlin abgesandt. Grund ist die Nichteinhaltung der gemachten Versprechen in der Klärung der Lohnfrage der Grubenarbeiter dieses Werkes. Die Belegschaft droht bei ablehnendem Bescheid mit Streik.
Zur Lage der Versorgung der Bevölkerung
Durch die von der Regierung der DDR getroffenen Maßnahmen zur Abhaltung der Bauernmärkte35 sollen die Erzeugnisse, welche unsere Bauern über ihr Ablieferungssoll hinaus produzieren, dem Verbraucher zugeführt werden. Damit soll die Initiative zur Steigerung der Erzeugung von Produkten erreicht werden sowie eine bessere Versorgung der Bevölkerung.
Die [sic!] Interesse der Bevölkerung ist an diesen Bauernmärkten groß, dies erfordert eine gute Organisation und Vorbereitung, welche jedoch noch nicht überall vorhanden ist. Als ein Beispiel schlechter Organisation und Vorbereitung ist der 1. Bauernmarkt in Leipzig am 8.7. anzusehen. In Leipzig wurde in der Presse für diesen Bauernmarkt propagiert. Zu diesem Bauernmarkt waren ca. 3 000 Leipziger Einwohner erschienen, um hier ihre Bedürfnisse zu befriedigen.
Der Bauernmarkt selbst war jedoch nur von 14 Bauern besucht, welche ihre Ware dort zum Verkauf anboten. Bereits gegen 9.00 Uhr waren sämtliche auf dem Markt vorhandenen Waren ausverkauft. Die Besucher des Marktes brachten darüber offen ihre große Enttäuschung zum Ausdruck. Die Organisierung dieses Bauernmarktes war im Verhältnis zu der in der Presse der Stadt Leipzig erschienenen Propaganda sehr schlecht.
Es ist für den 18.7.1953, 7.00 Uhr, ein neuer Bauernmarkt angesetzt. Hierbei müssen von den dafür verantwortlichen Stellen Vorbereitungen getroffen werden, damit nicht wieder ein solches Fiasko, wie bei diesem ersten Bauernmarkt, auftreten kann.
Weiterhin wird von großen Kreisen der Bevölkerung darüber gesprochen, dass die Preise in der HO für notwendige Lebensmittel und Gebrauchsgüter zu hoch sind. Diese Meinung erstreckt sich hauptsächlich auf Arbeiter und Rentner. Man ist der Meinung, dass entweder die Preise gesenkt oder die Löhne erhöht werden müssten.
So äußerte sich der Kraftfahrer [Vorname Name 19] beim Postamt Gardelegen, Bezirk Magdeburg, dass er von seinem Gehalt kaum leben kann. Die Lebensmittel sind so teuer, dass er sich nicht einmal Margarine kaufen kann, auch wenn sie nur 2,00 DM kosten würde. Dies könnten nur diejenigen, welche über 400 DM verdienen.
Bei der Versorgung der Bevölkerung machen sich immer noch Schwierigkeiten in Fleisch, Butter und Margarine sowie anderen Lebensmitteln und Textilien bemerkbar. So ist z. B. in den Ortschaften Kamminke, Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin, Bezirk Rostock, die Versorgung der Bevölkerung mit Fleisch nicht gewährleistet. Dies wurde dadurch noch verstärkt, dass in Kamminke Bauern das Geld für die abgelieferten Freien Spitzen erst nach drei bis vier Wochen erhalten.
Im Bereich der GPB Dermbach, Bezirk Suhl, ist eine schlechte Belieferung mit Textilien zu verzeichnen. Des Weiteren ist besonders in Wiesenfeld, Bezirk Suhl, die Futtergrundlage äußerst schlecht, was sich auf die Viehhaltung auswirkt.
In Ditzschendorf,36 Bezirk Suhl, ist immer noch die Belieferung mit Butter, Margarine und Gemüse unzureichend. Im Bereich von Struppen, Bezirk Dresden, wird unter der Bevölkerung immer noch Klage geführt über ungenügende und unregelmäßige Belieferung mit Textilien und Lebensmittel.
Im Bezirk Potsdam, besonders in Potsdam und Nedlitz, sind Schwierigkeiten in der Versorgung bei Butter, Margarine, Zucker, Fleisch und Wurstwaren vorhanden.
In Sondershausen, Bezirk Erfurt, fehlt es im Konsum und HO an Butter und Margarine.
Anlage vom 10.7.1953 zur Information Nr. 1010 (1. Expl)
Information Nr. 1010a: Eine Stimme zur Lohnfrage
Aus der Schiffbau- und Reparaturwerft Stralsund wird eine sehr wichtige Auswirkung des Ministerratsbeschlusses über die Lohnzahlungen37 in Erfahrung gebracht. Da dieselbe charakteristisch ist für die Auswirkung auf den Finanzplan der Deutschen Demokratischen Republik, wird es für notwendig gehalten, dieselbe hier zur Kenntnis zu bringen:
Der Beschluss des Ministerrates besagt, dass die Lohnzahlungen in den volkseigenen Betrieben auf der Grundlage der Arbeitsnormen vom 1.4.1953 zu erfolgen haben, auch in den Fällen, wo die Normen freiwillig erhöht wurden. Für die Schiffbau- und Reparaturwerft Stralsund würde die Durchführung dieses Beschlusses bedeuten, dass bis zum Ende des Jahres zusätzlich DM 201 380,00 aufgewendet werden müssen. Hieraus resultierend muss geschlussfolgert werden, dass bei wirklicher Durchführung dieses Beschlusses in allen Betrieben dem Staat Millionen Verluste entstehen würden. Es ist nicht zu verstehen, dass die Arbeit der Normenbearbeiter während der Zeit vom 1.4. bis jetzt für null und nichtig erklärt wird.
Es sind aus VAN[-Normen] TAN-Normen gemacht worden mit ordnungsgemäßer Zeitaufnahme ohne Druck mit Bestätigung durch Unterschrift der Arbeiter. Dieser Betrag macht ca. 4 % unserer gesamten Normen aus. Die freiwilligen Normenerhöhungen, die auf der absoluten Basis der Freiwilligkeit erzielt wurden, machen ca. 4,1 % der Normenerhöhung aus. Den Kollegen sind insgesamt DM 1 320,63 Prämien für ihre freiwillige Normerhöhung ausgezahlt worden.
Nach Rücksprache mit fortschrittlichen Arbeitern in unserer Werft erklären diese, die abgegebenen Stunden nicht wiederhaben zu wollen, da die Notwendigkeit der Steigerung der Arbeitsproduktivität nach wie vor bestehen bleibt.
Auf unserer Werft ist bisher nur ein Kollege bei der TAN-Abteilung vorstellig geworden, um Aufklärung über vier abgegebene Arbeitsstunden zu bekommen. Dieses ist bis heute der einzige Fall.
Bei dem am 18.6. durchgeführten Streik unserer Belegschaft ist in keiner Diskussion die Frage der Normen behandelt worden. Dieses alles sind Beweise dafür, dass wir an die Frage der Normung richtig herangegangen sind. Es muss angenommen werden, dass dieses in vielen Betrieben ebenso gemacht wurde. Da bei Aufstellung des Finanzplanes 1953 die Steigerung der Arbeitsproduktivität bereits berücksichtigt wurde und demzufolge mit einer freiwilligen Erhöhung der Normen gerechnet werden musste, würde die jetzige Maßnahme des Ministerrates einer Nichtrealisierung des Finanzplanes gleichkommen.
Das heißt weiter, nach den bisher gültigen Voraussetzungen würde in unserem Betrieb der VEB-Plan für das II. Quartal erfüllt sein. Wir würden den daran beteiligten Kollegen die Kulturprämie zahlen können, wir würden eine außerplanmäßige Selbstkostensenkung nachweisen können und hierdurch unseren Direktorenfonds38 wesentlich erhöhen können. Alle diese Dinge würden durch den Beschluss des Ministerrates zerschlagen werden, da der Finanzplan nicht mehr erfüllt ist. Es ist ohne Weiteres klar, dass zwangsmäßige Normerhöhungen auf den alten Stand gebracht werden, aber unter gar keinen Umständen die tatsächlich freiwillig erhöhten Normen. Dieses würde ein Zurückweichen vor einigen wenigen negativen Elementen bedeuten.
Es wird in einer jeden Klärung der leitenden Staats- und Parteifunktionäre immer wieder betont, dass auch künftig der Steigerung der Arbeitsproduktivität die größte Bedeutung beigemessen wird, d. h. also beide Maßnahmen sind absolut gegenläufig.
Die Arbeiter erklären, dass sie mit den neuen Normen ohne Weiteres noch in der Lage sind ihr Geld zu verdienen (durchschnittliche Normerfüllung ca. 140 %). Wenn jetzt die alte Norm vom 1.4.1953 wieder hergestellt wird, so würde dies bedeuten, dass die Arbeiter auch in Zukunft nicht mehr als 140 % abgeben, also bewusst mit der Arbeit zurückhalten. Denn sie sagen mit Recht, wer weiß, was in einiger Zeit in dieser Frage wieder geschieht.
Der Ministerrat hat die Leiter der volkseigenen Betriebe persönlich für die exakte Durchführung des Beschlusses verantwortlich gemacht. Die Leiter sind aber gleichzeitig für die Eigenwirtschaftlichkeit des Betriebes verantwortlich. Also ist ganz eindeutig, dass man die Verantwortung auf die ohnehin schon überlasteten Leiter der Betriebe abwälzt.
Das Politbüro des ZK und der Ministerrat haben laut Kommuniqué vom 9.6.39 große Fehler begangen. Es geht nicht und dient nicht zur Stärkung des Vertrauens der leitenden Staats- und Parteifunktionäre, wenn durch das Eingeständnis der Fehler zur Beseitigung dieser Fehler noch größere gemacht werden.
Bei den Arbeitern unseres Betriebes sowie bei der schaffenden Intelligenz entsteht der Eindruck, dass man genau wie vorher in den Fehler verfällt, Beschlüsse zu fassen, ohne dass man vorher gründlichst in der Basis die Richtigkeit der Beschlüsse erwogen hat.
Der Parteisekretär unseres Betriebes wandte sich am 30.6. an die Kreisleitung der Stadt40 um zu erreichen, dass in dieser Frage in allen Industriebetrieben unseres Ortes einheitlich vorgegangen wird. Es wurde ihm mitgeteilt, dass der Beschluss durchzuführen ist und die Art und Weise, in Eigenverantwortlichkeit, wie es im Beschluss heißt, durch den Betrieb ausgeführt werden muss. Der Parteisekretär Genosse Troellsch vertritt die Meinung, dass man »oben« nicht mehr weiß, was man will.