Tagesbericht
24. Juli 1953
Information Nr. 1022
Stimmung der Bevölkerung
Am 10.7.1953 fand in der Gastwirtschaft der Gemeinde Schraden, Bezirk Cottbus, eine Bauernversammlung statt mit dem Thema »Der neue Kurs der Regierung und über die Junitage 1953«. Referent war der Genosse Brunsch vom FDGB-Kreisvorstand Land und Forst Liebenwerda. Als der Referent in die Gaststube trat und zum Bürgermeister, welcher am Stammtisch saß, ging, wurde er vom Landwirt [Name 1] angesprochen, welcher ihm mitteilte: »Heute bricht es zusammen.« Während des Referates wurde er vom Landwirt [Name 1] des Öfteren unterbrochen z. B. wie: »Du kannst aber gut quasseln, du kannst auch meine Bude mit übernehmen.«
Nach mehrmaligem Unterbrechen des Referates wies der Wirt den [Name 1] die Gaststube [sic!]. Nun erschien der Molkereileiter Genosse Bär aus Ortrand und bat um das Wort. Er forderte, dass die Bauern ihr Milchsoll abliefern müssten, da er für das Synthesewerk Schwarzheide pro Tag 300 Liter Flaschenmilch zu liefern habe, er dies aber nicht kann, da die Bauern nichts liefern. Er sagte, dass er in Merzdorf, Hirschfelde und Gröden ebenfalls an solchen Bauernversammlungen teilgenommen hat, wo die Bauern eine Resolution verfassten, in dem sie für die gelieferte Milch von der Molkerei Butter haben wollten. Man müsste das auch hier in Schraden tun.
Er äußerte weiter, dass bei ihm vor einigen Tagen zwei Instrukteure von der Regierung waren, welche geäußert hätten, man müsste erst ein paar Bauern aufhängen, damit die anderen ablieferten. Daraufhin brach eine Meuterei in der Gaststube aus, wobei einige riefen: »Walter Ulbricht müsste man vor den Pflug spannen und ihn aufhängen. Der soll nur einmal bei uns kommen.« Genosse Bär verschwand wie er gekommen war.
Der Berufsschullehrer [Name 2] von der Berufsschule Torgelow, Bezirk Neubrandenburg, begann am 20. Juni 1953 den Unterricht (Gegenwartskunde) in der Klasse der VVB-Lehrlinge Guss1 damit, indem er sagte: »Jeder kann sich heute frei aussprechen, ich werde keinen anschwärzen und ihr dürft es ebenfalls nicht.« Dann sprach er zwei Stunden über die Zustände in der DDR und hielt dabei hetzerische Reden gegen unsere DDR.
Am Ende der zwei Stunden hatte er es soweit gebracht, dass die Lehrlinge zehn Forderungen annahmen, die man in der Zeitung veröffentlichen wollte. Diese Forderungen lauten:
- 1.
Normenerhöhung nur freiwillig,
- 2.
Freilassung derjenigen, die wegen Steuerschulden verhaftet wurden,
- 3.
Schaffung einer Volksregierung,
- 4.
Einschränkung der Volkspolizei,
- 5.
Gehaltseinschränkung der Volkspolizei,
- 6.
Freie demokratische Wahlen, Abzug der Besatzungstruppen,
- 7.
Rede- und Pressefreiheit,
- 8.
Weiterentwicklung der deutschen Kultur,
- 9.
Abschaffung des Bürokratismus,
- 10.
Abschaffung der jetzigen Grenzen.
Auf einer öffentlichen Bauernversammlung am 7.6.1953 in Lindenberg, Bezirk Potsdam, bei welcher der Referent Genosse Rollnick vor ca. 120 bis 150 Personen sprach, wurden in der nachfolgenden Diskussion folgende Punkte zur Sprache gebracht:
Der Jugendliche [Name 3], Elektriker, äußerte: »Warum tritt die SED nicht zurück? Außerdem sitzt noch ein Bauer aus Kunow, weil man die Papiere auf dem Gericht verbummelt hat.« Er brachte dann noch folgenden Zwischenruf zum Ausdruck: »Und dann werden wir sehen, was aus euch wird. Wir sind kein geeintes Volk, wir sind ein Kolonialvolk. Wir werden hier und drüben aufgeputscht. Es schadet nichts, dass man Genossen Hagedorn ermordet hat.2 Warum sperrt man Ulbricht nicht ein? Wir brauchen nicht solche Pappfiguren wie er eine ist, wir wollen uns selbst eine Regierung wählen.«
Der Altbauer [Name 4] sagte: »Warum hat man alles zugelassen? Wenn der Weg so weitergegangen wäre, wären auch wir alle reif gewesen. Es wurde ja nur noch eingesperrt.« Der Bauer [Name 5] brachte zum Ausdruck, »Wir wollen freier Bauer auf freier Scholle sein. Wir Bauern sind nur Kulaken. Bei uns geht alles kaputt. Wir wollen keine Kontingente, wir wollen frei wirtschaften. Wir sollen ja kaputtgehen. Wir haben es nur den geflüchteten Großbauern zu verdanken, dass es anders geworden ist, wenn die nicht abgehauen wären, würden wir heute noch so leben. Ein Glück, dass wir so einen Bürgermeister haben, der hat noch keinen eingesperrt. Der ist wirklich in Ordnung.«
Zwischenrufe von unbekannten Personen besagen Folgendes:
»Wir verlangen, dass unsere Diskussion so gemeldet wird, wie sie ist.«
»Ich habe mit Hagedorn auf einer Schulbank gesessen, ich kenne ihn, er hat Nazis hinter Gitter gebracht.«
»Wir Arbeiter waren rebellisch und nicht die Westberliner. Die Westberliner kamen nicht zu uns« (tosender Beifall, Pfeifen und Fußgetrampel).
»Wir wollen freie Wahlen, dann kann die Regierung abtreten, wir erkennen unsere Regierung nicht an, sie ist nicht unsere Regierung.«
»Rückstände werden nicht gestrichen, nur gestundet. Das ist die gleiche Politik wie bisher.«
»Die paar Prozente, die es jetzt weniger gibt, nützen uns nichts«.
Beim Empfang und Bankett anlässlich des Nationalfeiertages des polnischen Volkes in der polnischen Botschaft am 22.7.1953 hat der Genosse Förster, 2. Sekretär der Zentralen Parteileitung der Humboldt-Universität, in den dort stattfindenden Diskussionen Folgendes gehört: In Kürze wird eine Regierungsumbildung erfolgen. Über dieses Thema hat man sich angeregt unterhalten und in den Diskussionen damit beschäftigt, ob Walter Ulbricht oder Otto Grotewohl abtritt.
In einer Betriebsversammlung des VEB Ausbau, Lager, Köpenick wurde der Kollege Witthaus wieder in die BGL gewählt. W. war vor dem 17.6.1953 Mitglied der BGL und wurde aufgrund der Vorkommnisse am 17.6.1953 inhaftiert, nach einiger Zeit aber wieder entlassen. Seine Wiederwahl erfolgte trotz Anwesenheit eines Instrukteurs [des] FDGB.
In einer Resolution, welche von dem Brauereimeister [Name 6] (ehemaliges Mitglied der NSDAP) der Brauerei Greifswald, Bezirk Rostock, aufgesetzt wurde und von 88 Belegschaftsmitgliedern unterschrieben war, wurde gefordert, dass der ehemalige Betriebsleiter Tappe, Mitglied der SED, aus der Haft entlassen werden soll. Tappe wurde von der Kriminalpolizei wegen Veruntreuung von 90 000 DM in Haft genommen. Die Brauerei hat eine Belegschaftsstärke von 158 Mann. Die BPO der SED ist 52 Mitglieder stark. Diese Resolution wurde vom Parteisekretär der BPO und 32 Mitgliedern der BPO unterschrieben. In einer Parteiversammlung wurde der Parteisekretär Genosse Knaak seiner Funktion enthoben und ein neuer Parteisekretär gewählt.
Im VEB Schering in Berlin-Adlershof wurde eine Unterschriftensammlung durchgeführt. Es wurde die Forderung gestellt: Sofortige Benachrichtigung über das Schicksal der verhafteten Kollegen. Die Liste wurde hauptsächlich von den Angestellten der Verwaltung unterschrieben.
Im VEB Injekta in Berlin-Weißensee wurde eine Unterschriftensammlung durchgeführt, wo man fordert, dass der Lohn wieder wöchentlich ausgezahlt wird. Diese Forderung wird von den meisten Arbeitern unterstützt.
Im VEB Kühlautomat Berlin wurde am 22.7.1953 am Eingang zum Verwaltungsgebäude eine Blechtafel aufgestellt mit der Aufschrift: »SOS – Wo bleibt die Veröffentlichung der Listen über die für das 1. Quartal 1953 gezahlte Prämie?« Diese Frage war an die Werksleitung gerichtet. Am 17.7.1953 wurde von Kollegen der Wunsch geäußert, die Listen über [die] Höhe der Prämie und, an wen sie gezahlt wurde, zu veröffentlichen.
Am 22.7.1953 nachmittags wurden dann diese Listen veröffentlicht. Es kam zu erregten Diskussionen über die unterschiedliche, ungerechte Prämierung, da diejenigen, welche nicht an der Produktion direkt beteiligt sind, zu hohe Prämien erhalten. Die Kollegen äußerten weiter, dass sie eine Belegschaftsversammlung fordern, wo derjenige, welcher diese Aufstellung der Prämien vorgenommen hat, dies erklären soll, wieso diese Unterschiede vorkommen. Diejenigen Kollegen, welche nur im Grundlohn arbeiten, hätten nur Almosen bekommen. Die Diskussion verlief ruhig, und sie brachten zum Ausdruck, dass es nicht an ihnen liege, wenn die Planerfüllung nicht klappt, sie würden schon ihr Möglichstes tun.
Aus der Wissenschaftlich-technischen Abteilung erschienen der Leiter, dessen Stellvertreter und noch drei Gruppenführer bei der Werksleitung. Sie brachten zum Ausdruck, dass sie mit der Prämie nicht einverstanden sind. Sie erklärten, wenn die Höhe nicht abgeändert wird, reichen sie ihre Kündigung ein. Die Werksleitung hat mit den Magistrat Rücksprache genommen und erhält in drei Tagen Bescheid.
Am 15.7.1953 fand in Kürbitz,3 Kreis Plauen, eine Bauernversammlung statt, in der verschiedene Personen als Provokateure auftraten. Zu Anfang der Versammlung machte der Politleiter der MTS einige Ausführungen über den Dreschplan. Der Bauer [Name 7] leitete die Provokation ein und schrie: »Halt die Gusche, du Specker.« Nach dem Referat über den neuen Kurs unserer Regierung sprach [Name 7] in der Diskussion Folgendes: »Der neue Kurs der Regierung ist falsch, was der Kreml sagt, bringt Unglück. Kehrt um, vielleicht ist es jetzt noch Zeit, ihr seid die falsche Straße gelaufen. Wir brauchen keinen Pieck und Grotewohl, die sollen abtreten. In drei Monaten ist Adenauer hier, dann sind wir befreit.«
Der Bauer [Name 8] äußerte: »Die Ernte soll verfaulen und die Pferde sollen sie zusammentreten.« Zum Bürgermeister sagte er: »Ziehe deine Schuhe aus, die sind verkehrt, eure Partei verrät euch, sie hält nicht, was sie verspricht.«
Der Malermeister [Name 9] stand auf und rief: »Meine Herren es ist fünf Minuten nach zwölf, der Tag der Abrechnung ist bald da. Der RIAS, das ist der Sender. Alle Menschen, die in der Ostzone für das Menschenrecht kämpfen, werden eingesperrt. Fünf Jahre Zuchthaus hat meine Frau dafür bekommen.« Als ein Unbekannter in der Versammlung rief, dass während der Zeit des 1.6.1953 25 000 Menschen eingesperrt wurden, rief der Neubauer [Name 10]: »Erschossen wurden diese.«
Der Bauer [Name 11] stand zum Schluss der Versammlung auf und sagte: »Los jetzt steht auf und wir singen das Lied: Deutschland, Deutschland über alles.« Der Rentner [Name 12] stimmte nachdem [sic!] das Lied »Freiheit, die ich meine« an.
In der am 13.7.1953 in der Gemeinde Waldkirchen, Kreis Reichenbach, stattgefundenen Bauernversammlung wurde von Provokateuren versucht, die Versammlung zur Stimmungsmacherei gegen die Regierung auszunützen. So sagte der ehemalige Viehhändler und jetzige Bauer [Name 13], der sich durch dauernden Alkoholgenuss Mut antrank: »Die Lumpen müssen runter, diese elenden Halsabschneider müssen eher verrecken als wir, raus mit den elenden Strolchen, sie verstehen ja doch nichts. Die können uns Fachleuten nichts lernen, die wollen uns doch bloß kaputtmachen und in die Zwangsjacke der LPG stecken.« Nach jedem Satz von [Name 13] begannen erneute Tumultszenen, Gelächter und Getrampel.
Bauer [Name 14], ehemaliges Mitglied der SED brüllte: »Wir fordern die sofortige Beseitigung aller unfähigen Bonzen, wir fordern die sofortige Abschaffung des Viehhalteplanes, wir brauchen keinen Plan, jeder Bauer soll anbauen was er will. Wir fordern genau soviel Bindegarn und Düngemittel wie die LPG und VEG, dann produzieren wir fünfmal soviel wie die. Das erste und letzte Getreide bekommt ihr am 15.12., das ist euer eigenes demokratisches Gesetz und das halten wir ein.«
Der Bauer [Name 15] (alteingesessener Reaktionär, ein Bruder war bei der Gestapo): »Warum gibt die Regierung Millionen aus für vorfristige Ablieferung, wir fordern: Weg damit. Wir fordern höhere Getreidepreise für unsere Produktion, gebt Geld her für den Straßenbau. Die Straße in Waldkirchen ist eine Schande für eure Republik und wie die Straße so auch euer Haufen. Ihr wollt bloß die Bauern gegeneinander aufhetzen, das gelingt auch in Waldkirchen nicht. Unser erstes und letztes Getreide am 15.12. und nicht eher.«
Hier macht [Name 13] Zwischenrufe mit den Worten: »Runter mit den Lumpen, raus mit den Strolchen, freie Bauern wollen wir sein usw.«
In Etzdorf, Kreis Hainichen, fand am 21.7.1953 eine öffentliche Gemeindevertretersitzung statt. Zu dieser Sitzung waren die Bauern in großer Zahl erschienen und forderten die sofortige Rückgabe des Gutes Wilsdorf. (Die ehemalige Besitzerin hat dies an die LPG im Februar unter freiwilliger Verzichtsleistung übergeben. Aufgrund des Regierungsbeschlusses hat sie den Antrag gestellt, das Gut in Bewirtschaftung zu nehmen. Als alleinstehende Person ist sie nicht in der Lage, 70 ha selbst zu bewirtschaften.) In der Diskussion wurden die Bauern sehr ausfällig gegenüber Vertretern der Partei und LPG. Es konnte keine Einigung erzielt werden. Daraufhin wurde eine Delegation gewählt, welche am nächsten Tag zum Rat des Kreises bzw. des Bezirkes fahren sollte, um die Angelegenheit zu klären.
Am 22.7. wurden in der Gemeinde Etzdorf sämtliche Kraftwagen gemietet, unter anderem stellte auch der Kreisvorsitzende der CDU Kruse seinen Wagen für den Transport der Delegation zur Verfügung. Kruse fuhr selbst mit bis zum Rat des Bezirkes, wo die Mitteilung gegeben wurde, dass diese Angelegenheit am gleichen Tag in einer LPG-Versammlung entschieden wird. Der Delegation wurde mitgeteilt, dass sie bis 22.00 Uhr über den Ausgang Bescheid erhält. In der am 22.7.1953 stattgefundenen LPG-Versammlung wurde beschlossen, das Gut weiterhin in der LPG zu belassen. Nach Beendigung der Versammlung versammelten sich ca. 60 Personen an der Gaststätte. Diese stellten die Forderung, den Beschluss der LPG für ungültig zu erklären und das Gut sofort zurückzugeben. Bezeichnend ist, dass sich der Kreisvorsitzende der CDU bei den Bauern befand. Ebenso der Kreistagsabgeordnete der CDU Schulze.
Als der Mitarbeiter des Bezirksrates Schmidt das Ergebnis der Versammlung bekannt gab, äußerte sich Kruse sehr abfällig über die SED, so z. B., dass die Vertrauenskundgebung in Karl-Marx-Stadt am 20.6.1953 keine Vertrauenskundgebung gewesen [sei], sondern die SED habe alles Verfügbare im Bezirk zusammengekratzt und nach Karl-Marx-Stadt transportiert. Die CDU habe sich an diesem Rummel nicht beteiligt.
Aufgrund des Einschreitens der VP und des Kreissekretärs der SED konnten Ausschreitungen verhindert werden. Nach der Lage zu urteilen, ist anzunehmen, dass Kruse, Schulze und [Name 16] die Organisatoren dieser angeblichen Protestkundgebung in Etzdorf sind. Es wurde festgestellt, dass in Einwohner- und Bauernversammlungen, die in den letzten Tagen im Kreis Hainichen stattfanden, überall Mitglieder der CDU in Diskussionen provokatorisch auftraten. Gegen 1.00 Uhr hatten sich die Bauern des Dorfes zerstreut. Der Schutz der LPG wurde von der VP übernommen. Des Weiteren wurde aus Mitgliedern ein Selbstschutz gebildet. Aufgrund dieser Vorkommnisse ist damit zu rechnen, dass weitere Unruhen im Dorf organisiert werden. Der 1. Kreissekretär der SED wird in einer Blocksitzung zu den Machenschaften des Kreisvorsitzenden der CDU Kruse Stellung nehmen und versuchen denselben zu isolieren.
Anlage vom 23.7.1953 zur Information Nr. 1022 (1. Expl.)
Information Nr. 1022a: Feststellung über ungünstige Preisrelation im staatlichen Einzelhandel
Nach dem Ministerratsbeschluss vom 6.2.1953 sind die Fachministerien verantwortlich für die Festlegung der Preise. In diesem Beschluss wird festgelegt, dass die Fachministerien die Preise dem Ministerium der Finanzen und der Staatlichen Plankommission vorschlagen. Von diesen beiden Stellen wird ein Ministerratsbeschluss gefertigt und vorgelegt. Erst dann sind die Preise entsprechend dem Gesetz gültig.4
Das Ministerium der Finanzen hat zzt. dabei nichts weiter zu tun, als bei der Preisgestaltung nach der Nomenklatur der Akzise den Aufschlag auf die jeweilige Ware zuzuschlagen und weiterzugeben. Dieser Zuschlag wird vom Ministerium der Finanzen jedoch formal und bürokratisch zugeschlagen, ohne sich die Ware und den Preis der Ware anzusehen.
Nach den Ereignissen des 17.6.1953 werden jedoch von allen Stellen Preise festgelegt und gemacht. So legen zzt. in der DDR mehrere Stellen die Preise fest, diese sind:
- a)
das Ministerium der Finanzen,
- b)
das Ministerium für Handel und Versorgung,
- c)
die Staatliche Plankommission,
- d)
der Operativstab beim Ministerpräsidenten,
- e)
Minister Wach,5
- f)
Elli Schmidt.6
Die Ursachen hierfür sind, dass die Zentrale Preisstelle im Ministerium der Finanzen gemäß Beschluss des Ministerrates aufgelöst wurde.7 So kann es dazu kommen, dass Preise herabgesetzt werden aufgrund der großen Vorräte, obwohl der Herstellungspreis höher liegt.
So eine Preispolitik führt dazu, dass der Staatshaushaltsplan in seinen Punkten nicht erfüllt wird. Folgendes Beispiel zeigt, dass sich das Ministerium der Finanzen nicht nach dem Beschluss des Ministerrates vom 25.2.1953 richtete und die Preise festlegt, ohne das Ministerium für Handel und Versorgung zu unterrichten. So wurden die Preise für Baustoffe Anfang Mai 1953 gesenkt und der Preis für Benzin am 10.7.1953. Das Ministerium für Handel und Versorgung erfuhr hiervon erst am darauffolgenden Tag durch die Presse. Um in Zukunft solche Fehlentscheidungen in der Preisbildung zu verhindern bzw. zu unterbinden, macht es sich erforderlich, dass zwischen dem Ministerium der Finanzen, der Staatlichen Plankommission und den Fachministerien eine Direktive zur Festlegung der Preise ausgearbeitet wird.
Dadurch, dass bei einer großen Menge von Waren des staatlichen Einzelhandels die Preise zu hoch sind, kommt es zu größeren Warenstauungen in den Warenhäusern. Teilweise werden durch diese lange Lagerung Waren in ihrem Wert beträchtlich herabgesetzt und finden dadurch keinen oder nur sehr schweren Absatz. So lagern z. B. im HO-Warenhaus Berlin, Am Alexanderplatz, nachfolgende Waren, die wegen der zu hohen Preise nicht von der Bevölkerung gekauft werden.
1. Fleischkonserven
Es lagern 11 500 kg zum HAP (Herstellerabgabepreis) = 58 000 DM. Der HO-Preis liegt noch um 50–60 % höher.
2. Fette
Der Verkaufspreis von Rohschmalz (16,00 DM je kg) und ausgelassenem Schmalz (19,00 DM je kg) steht in keinem Verhältnis zu den übrigen Streichfetten wie Butter und Margarine.
3. Alkohol
Der Verkaufspreis für echten französischen Rum (Pepita, Martinique) beträgt je Liter 60 DM, der sowjetische Kognak 40 % beträgt je Liter 61,20 DM. Dies steht nicht im Verhältnis zum Deutschen Weinbrand 38 %, welcher je Liter 19,95 DM kostet. Der Qualitätsunterschied zwischen Weinbrand und sowjetischen Kognak besteht lediglich in der verwandten Rebenart.
4. China-Tee
Von dem DIA Nahrung wurde 1952 und 1953 weit über den Plan hinaus chinesischer Tee eingeführt. Bei dem jetzigen Preis reichen diese in der DDR vorhandenen Mengen bis einschließlich 1956. Da aber nicht alle Geschäfte eine ordnungsgemäße Lagerung besitzen, dürfte der Tee an Qualität verlieren. Vonseiten des Ministeriums der Finanzen wurde vorgeschlagen, die alten Bestände an Krankenhäuser und Altersheime auszuliefern. Einer Preissenkung steht man noch ablehnend gegenüber.
5. Pralinen aus dem Sonderprogramm
Es liegen 530 kg zum HAP von 8 033 DM, HO-Preis von 41 084 DM. Diese Ware liegt seit dem IV. Quartal 1952. Die Pralinen beginnen sich bereits zu zersetzen.
6. Teppiche
Drei Chinateppiche zum HAP von 4 500 DM, HO-Preis 23 625 DM sind bei diesem Preis nicht abzusetzen.
37 rumänische Teppiche zum HAP von 19 936,20 DM, HO-Preis 45 698 DM. Einlagerung erfolgte im Herbst 1952. Diese Teppiche sind nicht farbenfreudig und erwecken dadurch keinen neuwertigen Eindruck. Preissenkung im April 1953 wurde vom Ministerium der Finanzen abgelehnt.
7. Miederwaren
Es ist ein Bestand von Miederwaren in Höhe von 600 000 DM vorhanden, der wegen der zu hohen Preise nicht abgesetzt werden kann.
8. Perlonstrümpfe
Für Perlon- und Monofilstrümpfe bestehen sechs Standardpreise, die aufgrund ihrer Höhe keinen Absatz finden: 1. Wahl: 34,50 DM und 37,50 DM, 2. Wahl: 24,50 DM und 27,50 DM, 3. Wahl: 10,50 DM und 13,00 DM.
9. Schuhe
Bei Lederschuhen in den Größen 18–39 sind folgende Missverhältnisse in den Preisen vorhanden: Der Verkaufspreis zwischen den Größen 22 und 23 weist einen Unterschied von 13,00 DM auf. Das Gleiche ist bei den Größen 26 und 27 der Fall.
Am größten tritt diese Diskrepanz zwischen den Größen 35 und 36 hervor. Die Größe 35 wird mit 35,20 DM verkauft, während die Größe 36 mit 80,60 DM verkauft werden muss.
Im Allgemeinen lagern noch:
- 1.
Bundschuhe: In der DDR sind noch Bestände von ca. 70 000 Paar Bundschuhen zu verzeichnen.
- 2.
FDJ- und Pionierkleidung: In FDJ- und Pionierkleidung sind Überplanbestände von ca. 4 Millionen DM vorhanden.
- 3.
Glühlampen: An Glühlampen ist ein Bestand von 7 Millionen vorhanden, welche infolge des Preises von 3,00 DM bis 6,00 DM im Handel nicht abzusetzen sind.
- 4.
Ballhüllen: In der DDR ist ein Bestand von ca. 30 000 Ballhüllen aus Schweinsleder vorhanden, welche in der Qualität den Ansprüchen nicht mehr gewachsen sind, da sie aus der älteren Produktion stammen. Der Preis pro Hülle beträgt 33,00 DM bis 38,00 DM.
Durch die Missverhältnisse in der Preisbildung wird unter der Bevölkerung eine Unzufriedenheit und schlechte Stimmung hervorgerufen. Diese schlechte Preisbildung ist auf eine formale Arbeit des Ministeriums der Finanzen zurückzuführen, welche sich nicht, wie schon erwähnt, mit den Fachministerien in dieser Frage zusammensetzte.