Tagesbericht
15. Juli 1953
Information Nr. 1014
Stimmung der Bevölkerung
Am 10.7.1953 wurde in den Buna-Werken eine Resolution verfasst, weil angeblich durch den Werkfunk bekannt gegeben wurde, dass Genosse Rinkel, 1. Sekretär der Betriebsparteiorganisation,1 behauptet hat, einige Werktätige der chemischen Werke in Buna sind Provokateure. Es wurde die Zurücknahme der ausgesprochenen Beschuldigung über den Werkfunk gefordert und sollte bis zum 15.7.1953 morgens, 9.00 Uhr, nicht geantwortet werden, so wissen sie dagegen anzukämpfen. Die Resolution wurde von 260 Arbeitern der Reparaturbetriebe unterschrieben, die heute auch in den Streik getreten sind.
Aufgrund dieses Streikes fand eine Besprechung beim Betriebsdirektor Moll2 statt, der sich äußerte, dass er dies schon gewusst hätte, da er dem Genossen Rinkel die Resolution, welche an ihn gerichtet war, übergab. Die Resolution befand sich im Panzerschrank des 1. Sekretärs der Betriebsparteiorganisation, der erst am 15.7.1953 um 14.00 Uhr darüber berichtete. Ob über den Werkfunk tatsächlich wie angeführt gesprochen wurde, ist noch nicht bekannt. In der Reparatur- und Karbid-Abteilung nahm auch die 2. Schicht die Arbeit nicht auf. In diesen beiden Abteilungen streiken ca. 4 000 Personen.
Zu bemerken ist, dass bei Ausbruch des Streikes 30 nachfolgend aufgeführte Forderungen von der Belegschaft des Betriebes gestellt wurden und die streikenden Arbeiter auf das Ergebnis der Verhandlung mit der Werksdirektion warten.
Forderungen der streikenden Arbeiter der Buna-Werke:
- 1.
Freie, allgemeine, gesamtdeutsche Wahlen schnellstens durchzuführen.
- 2.
Freilassung sämtlicher politischen Inhaftierten.
- 3.
Neuwahl der Gewerkschaftsleitung von der Gruppe bis zur BGL im Werk.
- 4.
Bis zur Neuwahl keine Zahlung der Gewerkschaftsbeiträge.
- 5.
Loslösung der Gewerkschaft von der Partei, damit die Gewerkschaft ein wirkliches Kampforgan der Arbeiter wird.
- 6.
Revidierung des Kollektivvertrages.
- 7.
Klärung des Falles Pabst3 als Provokateur. Die betreffenden Leute sollen sich in einer Belegschaftsversammlung im F 62 revidieren und öffentliche Bekanntgabe im Werkfunk und öffentlicher Presse.4
- 8.
Das Gehalt von Genosse Leonhardt5 öffentlich bekannt geben, damit überprüft werden kann, ob das Geld auch seinen Leistungen entsprochen hat.6
- 9.
Schnellste Regelung der Lebensmittelkarten, D- und E-Karten.
- 10.
Werkstattneubau E 932 endlich zu realisieren.
- 11.
Sämtliche Funktionäre sind durch die Belegschaft zu wählen und nicht, dass [sie] durch Delegiertenkonferenzen, die von irgendwelchen Stellen ernannt werden, bestätigt werden.
- 12.
Alle Funktionäre, die die Interessen der Arbeiter nicht vertreten, sofort an den alten Arbeitsplatz zurückversetzen und von der Belegschaft Gewählte wieder einzusetzen.
- 13.
Richtige Einstufung der J-Gruppen,7 damit auch hier alle Mängel endlich beseitigt werden.
- 14.
Richtige Einstufung der Meister.
- 15.
Richtige Entlohnung zwischen nicht- und mitarbeitenden Brigadieren.
- 16.
Den entzogenen Sonntagszuschlag und Nachtschichtenzuschlag wieder zu zahlen.
- 17.
Regulierung der Gehälter der kaufmännischen und technischen Angestellten (Zeichner).
- 18.
Die im Leistungslohn enthaltenen 15 % zu streichen. Einführung eines richtigen Grundlohnes, damit die Versteuerung, die zuungunsten der Arbeiter ist, in Wegfall kommt.
- 19.
Urlaubsregelung der Werkstattschlosser, nicht zwölf, sondern 18 Tage, da sich an den Werkstücken noch Produktionsrückstände befinden, die zu gewissen Gesundheitsschädigungen und Erschwernissen führen.
- 20.
Wegfall von 10,00 DM, die von Kollegen zu zahlen sind, welche in der Saisonzeit einen FDGB-Platz haben.
- 21.
Schnellste Beschaffung von neuen Ferienplätzen.
- 22.
Volle Bezahlung von Verlust und Ausschussarbeit.
- 23.
Es ist eine Jahresabschlussprämie zu zahlen bis 20.12. wie 1948.
- 24.
Die Löhne der Funktionäre sind den Löhnen der Arbeiter anzugleichen.
- 25.
Abschaffung der KVP, die hohen Gehälter der Polizei müssen reduziert werden.
- 26.
Wir fordern eine freie aufrichtige Meinung in der Presse und im Rundfunk (keine vorgedruckten Formulare).
- 27.
Für die Hinterbliebenen von Verhafteten (17.6.53) ist eine Unterstützung zu zahlen.
- 28.
Wir fordern Wegfall der Wettbewerbe. Das Geld ist für Kranke und Rentner zu zahlen.
- 29.
Im HO und Konsum sind Teilzahlungen einzuführen.
- 30.
Fortzahlung des Gehaltes bei Angestellten bei Erkrankungen, wie es früher war.
Wie aus dem Deutschen Amt für Maße und Gewichte bekannt wird, ist der wissenschaftliche Mitarbeiter Dr. Wolfgang Leo nach den Geschehnissen des 17.6. nicht mehr an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt. Wie er in einem Schreiben vom 23.6.1953 an den Präsidenten des Instituts mitteilte, ist er unmittelbar nach Dienstschluss am 17.6. zu seiner Schwester nach Westberlin gefahren und von dort noch nicht wieder zurückgekehrt. In diesem Schreiben begründet er sein Fernbleiben von seinem Arbeitsplatz damit, »dass die Ereignisse der vorigen Woche ihn schlagkräftig erkennen ließen, dass unter den nunmehr gegebenen Verhältnissen eine weitere Zugehörigkeit zu einer Dienststelle der DDR untragbar geworden ist«. Ein persönlicher Brief des Präsidenten sowie das persönliche Aufsuchen durch den BGL-Vorsitzenden in Westberlin bei Dr. Leo haben nicht zu dem gewünschten Erfolg geführt. Er blieb bei seinem Entschluss.
Über die Entlarvung Berijas und Übergabe zur Untersuchung an den Obersten Gerichtshof der UdSSR8 wird in der Bevölkerung unterschiedlich diskutiert. Aus den zzt. noch wenig vorhandenen Äußerungen hierüber ist zu ersehen, dass diese Maßnahmen von einem Teil der Bevölkerung als Stärke der SU und einen Schlag gegen die Kriegstreiber angesehen werden. Zum großen Teil handelt es sich bei diesen Personen um Genossen unserer Partei.
Negative Äußerungen werden besonders in der Form geführt, dass dies eine Schwäche sei und dass sich dieses Regime, wie man sich ausdrückt, nicht mehr lange halten wird. Begründet wird dieses zum Teil damit, dass sich nach dem Tod des Genossen Stalin ein rücksichtsloser Machtkampf entwickelt hat. In diesem Zusammenhang wird geäußert, dass es nicht verwunderlich wäre, wenn durch die gegenwärtige Situation die gleiche Erscheinung in der DDR zu verzeichnen wäre.9 So äußern sich z. B.:
Die Schulinspektorin Muraski: »Ich für meine Person bringe den Fall Berija mit dem Slansky-Prozess10 in Verbindung und bin mir klar darüber, dass hinter Berija das kapitalistische Ausland steht. Die Maßnahmen der KPdSU im Fall Berija sind ein weiterer Schlag gegen die Kriegsbrandstifter und zeigen die Stärke im Kampf um Frieden und Völkerverständigung.«
Der Schneidermeister [Name 1]: »Ich hätte niemals geglaubt, dass solche Menschen, die eine so hohe Funktion bekleiden, zu Verrätern ihres Volkes werden können. Dieser Fall ist nach meiner Ansicht nicht zu vergleichen mit Kostoff,11 Slansky usw. Bei Berija kommt doch eine Emigration nicht infrage. Es ist anzunehmen, dass noch mehrere Funktionäre in diese Sache verwickelt sind. Ich bin gespannt, was die nächste Zukunft noch alles aufdecken wird.«
Der kaufmännische Angestellte [Name 2]: »Seht euch das in der SU an, den zweiten Mann muss man verhaften, weil er angeblich Spionage getrieben hat. Ich glaube, es wäre am besten, wenn man sie alle verhaften würde, auch hier bei uns wäre das angebracht.«
Der Geschäftsmann [Name 3]: »Berija hat bestimmt nichts ausgefressen, er vertritt nur eine Strömung, die augenblicklich in der SU besteht. Er wird bestimmt umgelegt und so versucht einer den anderen zu beseitigen. Ich bin überzeugt, dass es bald in der SU zusammenbricht. Der Kommunismus hat den Zug verpasst und bekommt kein Oberwasser mehr, dasselbe ist in der DDR zu verzeichnen.«
Der Rentner [Name 4]: »Das ist ja ein tolles Ding mit dem Berija. Seit Stalins Tod geht hier im Osten auch alles durcheinander. In Russland z. B. sind jetzt wieder Leute wie Molotow in den Vordergrund getreten, welcher doch in letzter Zeit etwas in den Hintergrund geraten war. Ich persönlich bin der Meinung, dass das, was sich in den letzten Wochen in Russland abgespielt hat, weiter nichts ist als ein rücksichtsloser Machtkampf. Konkret gesagt Postenjägerei. Einer versucht den anderen auszubooten und ihm was anzuhängen. Ich würde mich gar nicht wundern, wenn bei dem ganzen Chaos jetzt hier in Berlin und in der DDR auch der Machtkampf einsetzen würde. Vielleicht beschuldigt man schon in den nächsten Wochen Ulbricht oder Grotewohl, ein westlicher Agent zu sein. Den Anfang hat man ja schon mit Dertinger12 und Dahlem13 gemacht. Komisch ist bloß, dass man von den beiden gar nichts mehr hört.«
Genau so unterschiedlich wird über das Angebot der USA, Lebensmittel im Werte von 15 Mio. Dollar an die DDR zu liefern, von der Bevölkerung diskutiert. Ein Teil der Bevölkerung erkennt klar die Absichten der USA-Regierung, der andere Teil der Bevölkerung hofft bzw. wartet auf das Eintreffen der Lebensmittel oder ist empört über die Ablehnung derselben. So äußern sich z. B.:
Der Genossenschaftsbauer [Name 5]: »Obwohl es noch an Verschiedenem fehlt, sehe ich aber das Angebot der USA, die DDR mit Lebensmitteln zu versorgen, gegenüber dem deutschen Volk als eine unverschämte Frechheit an.«
[Name 6, Vorname]: »Wir brauchen uns nicht zu demütigen. Ich bin der festen Überzeugung, dass, wenn Hilfe nötig wäre, wir genügend Verbindung haben, die sofort für uns einspringen würden (Sowjetunion und Volksdemokratien).«
Hausfrau [Vorname Name 7]: »Hoffentlich greift die Partei zu und nimmt die Lebensmittel, dass wir etwas mehr zu fressen kriegen. Dann haben wir dasselbe und können genau[so] leben wie im Westen. Hoffentlich gibt es bald die Sachen.«
Rentner [Name 8]: »Es wäre richtig gewesen, wenn man die Lebensmittellieferung der Amerikaner angenommen hätte, denn es wäre doch dabei an die Bedürftigen gedacht, die auf die Konserven warten.«
Der Lehrling [Name 9]: »Warum lehnt die SU die Lieferung von Lebensmitteln ohne uns zu fragen ab. Müssen wir die Waren bezahlen? Es wäre doch gut, wenn alle Menschen bei uns mal was Ordentliches zu essen bekommen.«
Bekannt wurde, dass im RAW »Einheit« Leipzig und RAW Halle eine größere Anzahl von Eisenbahnbediensteten zzt. ihre ihnen zustehenden Freifahrscheine beantragen, mit dem Reiseziel Berlin. Der ausstellende Angestellte in diesen Werken, der fragte, warum alle nach Berlin [wollen], erhielt von den betreffenden Eisenbahnern zur Antwort, sie wollen nach Berlin fahren, um sich dort 1: 1 verschiedene Waren einzukaufen.14
Aus Magdeburg wird bekannt, dass beim D-Zug 110 in Richtung Westdeutschland heute morgen (15.7.1953) ungefähr 1 300 Personen auf dem Bahnsteig standen, die den Zug benutzen wollten. Der D-Zug 110 ist aber in Magdeburg schon 100%ig besetzt eingelaufen, sodass nur eine ganz geringe Anzahl Reisender mitgekommen ist.
Der Vizepräsident der Reichsbahndirektion Magdeburg ist zugegen gewesen. Man hat verhandelt, dass ein Vorzug fahren möchte, damit morgen diese Zustände nicht mehr eintreten können. Unter den Reisenden war eine sehr schlechte Haltung und Stimmung zu verzeichnen.
In Diskussionen mit Angestellten des Ministeriums für Transportmittel und Landmaschinenbau bringen diese zum Ausdruck, dass die Fahrradindustrie in den letzten Jahren genötigt war, ihre Kapazität immer wieder aufgrund des starken Inlandbedarfes und der sich ständig erhöhenden Exportforderungen ohne ausreichende Investitionsmittel bis zum äußersten auszuweiten. D. h., jeder nur irgendwie verfügbare Raum wurde der Produktion nutzbar gemacht. Gebaut wurde so gut wie gar kein neuer Produktionsraum. Dadurch ist heute kein Fahrradwerk mehr in der Lage, seine Produktion noch ohne größere Bauten zu erhöhen. Heute wird schon in allen Werken unter Raumverhältnissen produziert, die in keiner Weise mehr den Forderungen des Arbeitsschutzes gerecht werden. So ist z. B. bei Elite-Diamant, bei Möwe, Mühlhausen, bei Mifa, Sangerhausen, und bei Simson, Suhl, beobachtet worden, dass, wenn durch Fehlen irgendwelcher Teile (z. B. Pedale, Lenker und dgl.) die Tagesproduktion an Fahrrädern nicht gleich aus den Fertigungsstätten herausgenommen werden kann, die halbfertigen Fahrräder abends nicht nur alle Fluchtwege im Falle etwaiger Katastrophen versperren, sondern, dass sogar öfters die Arbeiter abends über in Gängen gestapelte Fahrräder überklettern müssen, um in ihre Wasch- und Umkleideräume zu gelangen. Diese Zustände führen zur Verärgerung der Arbeiter.
Stimmung von Rückkehrern in das Gebiet der DDR
Aufgrund des Ministerratsbeschlusses vom 11.6.195315 kehrten auch am 14.7.1953 wieder insgesamt 166 Personen in das Gebiet der DDR zurück. Davon kommen 24 Personen aus Westdeutschland, die erstmalig in das Gebiet der DDR einreisten und um Aufnahme baten. Demgegenüber betrug die Zahl der Republikflüchtigen insgesamt 104 Personen.
Über die Aufnahme des Ministerratsbeschlusses bei den Flüchtlingen in Westdeutschland und Westberlin sowie über die Aufnahme der Rückkehrer in das Gebiet der DDR wurden in Form einer zwanglosen Unterhaltung zehn Rückkehrer befragt. Bei den befragten Personen handelt es sich um sechs Arbeiter, drei Bauern und einen Geschäftsmann. Aufgrund der Angaben dieser Personen kann Folgendes berichtet werden:
1. Aufnahme des Ministerratsbeschlusses bei den Rückkehrern sowie bei den Flüchtlingen in Westdeutschland und Westberlin
Die zurückgekehrten Personen sprechen sich ausschließlich positiv zu dem Ministerratsbeschluss aus. Wenn bei Einzelnen noch Hemmungen bei ihrer Rückkehr bestanden, so wurden diese sofort nach Betreten der DDR überwunden. Nachdem sie sahen, dass diese Beschlüsse entgegen den Hetzmeldungen der westlichen Presse sowie des RIAS wirklich durchgeführt werden, bringen sie jetzt dem Beschluss sowie der Regierung das volle Vertrauen entgegen.
Nach den Angaben der befragten Personen wurde dieser Beschluss von den Flüchtlingen in Westdeutschland und Westberlin verschieden aufgenommen. Größtenteils waren die Flüchtlinge jedoch sehr erfreut darüber und äußerten, dass sie auch an ihre Rückkehr denken werden. Von vielen Flüchtlingen wird dieser Beschluss allerdings mit Misstrauen aufgenommen, da sie nicht an dessen wirkliche Durchführung glauben, sondern annehmen, dass sie nur wieder in die DDR gelockt werden sollen. Bestärkt werden sie darin durch die Hetze von westlicher Seite aus.
Die zurückgekehrte frühere Besitzerin des Hotels »Deutsches Haus« in Greifswald, Anna Schwarz, geb. 21.3.1876 in Anklam, wohnhaft: Greifswald, [Straße, Nr.] äußerte sich zu dem Beschluss folgendermaßen: »Ich begrüße den Beschluss des Ministerrates, denn jetzt kann ich meine letzten Jahre im Leben noch in meiner Heimat verbringen und zu der Regierung habe ich jetzt volles Vertrauen, weil sie tatsächlich nach ihren Versprechungen sofort gehandelt hat.«
2. Stimmung der Flüchtlinge und Hemmungen bei ihrer Rückkehr
Nach den Schilderungen der befragten Personen ist die Stimmung der Flüchtlinge in Westberlin und Westdeutschland als nicht gut zu bezeichnen. In den Lagern herrschen größtenteils schlechte Zustände. Es müssen acht bis zehn Personen oftmals in einem Raum schlafen und die Kleidung dieser Flüchtlinge wird als erbärmlich geschildert. Der größte Teil der Flüchtlinge ist arbeitslos und [sie] wissen nicht, was die Zukunft ihnen noch bringen wird. Vor allem die Jugendlichen haben Angst, dass sie in die Fremdenlegion gehen müssen. Diese Personen möchten lieber heute als morgen wieder in die DDR zurückkehren, haben aber noch Hemmungen, da sie von westlicher Seite aus zu sehr verhetzt werden und deshalb dem Beschluss kein Vertrauen entgegenbringen. Ein großer Teil der Flüchtlinge hat auch nach der Flucht in Westberlin die schlimmsten Gräuelmärchen über die DDR erzählt, nur um als politischer Flüchtling anerkannt zu werden. Diese Personen haben nun Angst wieder zurückzukehren, da sie annehmen, dass sie daraufhin in der DDR verhaftet würden.
Es wurde auch berichtet, dass die Hemmungen der Flüchtlinge verschiedentlich schon verschwunden seien, da sie von Angehörigen Post erhielten, die ihnen die Wahrheit berichteten. Unter den Flüchtlingen in Westdeutschland wird jetzt ziemlich offen davon gesprochen, dass sie in nächster Zeit ebenfalls zurückkehren werden.
Der zurückgekehrte Landwirt [Vorname Name 10], geb. [Tag, Monat] 1921 wohnhaft in Grüttow, Kreis Anklam, äußerte hierzu: »Die Stimmung unter dem größten Teil der Flüchtlinge ist niedergeschlagen, weil niemand weiß, was die Zukunft bringt. Aufgrund des Beschlusses der Regierung haben viele ihre bevorstehende Abreise nach Westdeutschland verschoben und warten auf eine Bestätigung der Durchführung des Ministerratsbeschlusses.«
3. Agitation und Maßnahmen von westlicher Seite aus, um eine Rückkehr zu verhindern
Von westlicher Seite aus wird verschiedentlich versucht, die Rückkehrer von ihrem Vorhaben abzuhalten und somit eine Rückkehr zu verhindern. Dies geschieht vor allem vonseiten der Westpresse und des RIAS, indem sie fürchterlich gegen die DDR hetzen und den Beschluss als eine Falle hinstellen. Besonders oft wurde in letzter Zeit berichtet, dass sich die »Freiheitlichen Juristen«16 aktiv an der Zurückhaltung der Flüchtlinge beteiligen, indem sie Referenten in die Lager schicken und versuchen, die Flüchtlinge zu überzeugen. Es werden auch sehr viele Gerüchte im Lager in Umlauf gesetzt wie z. B., dass die Bauern nur die Ernte einbringen sollen und dann verhaftet würden oder dass die »Russen« nur billige Arbeitskräfte in17 Sibirien brauchen. Ebenfalls wurden Rundschreiben von der KgU18 im Lager herumgegeben, wo ähnliche Hetze darin enthalten war. Im Lager werden auch Hetzschriften wie z. B. »Die Wahrheit«,19 »Tarantel«20 sowie die Hetzblätter »Neue Zeitung«,21 »Telegraf«22 usw. verbreitet. Über den 17. Juni 1953 wurde ebenfalls eine Hetzschrift herausgegeben und unter die Flüchtlingen [sic!] verbreitet. Darin ist enthalten, dass man Frauen und Kinder aufgehängt an Laternenpfählen vorgefunden hat sowie dass wahllos Personen auf der Straße erschossen würden.
Hierzu äußerte sich der Rückkehrer [Name 11, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1932, wohnhaft: Berlin-Köpenick, [Straße, Nr.], folgendermaßen: »Viele der Flüchtlinge sind zurückhaltend und trauen sich nicht mehr zurück, da im Lager die Parole verbreitet wird, dass das Aufnahmelager Frankfurt ein Sowjetisches KZ wäre. Weiterhin wurden wir gewarnt zurückzukehren und uns wurde gesagt, dass der Aufruf nur ein Bauernfang wäre und man will nur billige Arbeitskräfte für Sibirien haben. Dies stand in einem Rundschreiben, welches von der KgU unterzeichnet war. An Hetzschriften wird die ›Wahrheit‹, ›Tarantel‹, ›Neue Zeitung‹, ›Telegraf‹ usw. im Lager verbreitet.«
Die Rückkehrer [Vorname Name 10], geb. [Tag, Monat] 1921, wohnhaft: Grüttow, Kreis Anklam, äußerte hierzu: »Im Lager erschienen Angehörige des sog. Bundes der Freiheitlichen Juristen und machten Propaganda gegen eine Rückkehr in die DDR, indem sie den Bauern erklärten, dass man sie nach Einbringung der Ernte alle einsperren würde. In diesem Sinne waren dann auch die Zeitungen abgestimmt. Ich erfuhr erst dann die Wahrheit über den Ministerratsbeschluss, als ein Bürgermeister aus Thüringen im Lager erschien und drei Bauern im Lager mit nach Hause nahm.«
4. Durchführung der Maßnahmen des Ministerratsbeschlusses bei Rückkehrer
Die befragten Personen waren alle mit ihrer Aufnahme in der DDR sehr zufrieden. Irgendwelche Beschwerden wurden von ihnen nicht vorgebracht. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass den Flüchtlingen bei ihrer Rückkehr vonseiten der Behörden irgendwelche Schwierigkeiten bereitet wurden.
Der Rückkehrer [Name 12, Vorname] aus Annaberg-Buchholz äußerte: »Ich bin davon überzeugt, dass in der nächsten Zeit noch viele Personen in die DDR zurückkehren werden, wenn sie erfahren oder Nachricht erhalten, wie wir in der DDR wieder aufgenommen wurden. Bemerken möchte ich noch, dass man in allen Fragen in der DDR gut unterrichtet wird, während sich in der letzten Zeit bei den westdeutschen Verwaltungen herausstellte, dass man sehr kurz und unkonkret abgefertigt wurde.«
Maßnahmen des Feindes
Wie aus einer Besprechung der sogenannten KgU in Westberlin in Erfahrung gebracht wird, äußerte sich dort ein Hauptagent folgendermaßen:
Zu Terrorakten darf keineswegs ein Mitarbeiter der KgU herangezogen werden, es darf auch keinerlei Material ausgegeben werden, um das Ansehen der sogenannten KgU nicht in Verruf zu bringen. Offen gestanden erhält die KgU wesentliche Zuschüsse zur Unterstützung der willkürlichen Zwangsmaßnahmen der Ostzonenregierung, d. h. zur Bekämpfung derselben, Material- und Sachspenden für Inhaftierte und deren Hinterbliebene. Infolge der Ablehnung der Lebensmittelspende der USA an die Ostzonenregierung soll möglichst den Hilfebedürftigen diese Spende zuteil werden, die zur KgU kommen und die den Nachweis bringen, dass sie verfolgt, beobachtet oder sonst wie gefährdet sind, um eine Republikflucht zu verhindern. Jeder Bewohner der DDR soll sich dessen bewusst sein, dass die KgU sowie die verbündeten Nebenorganisationen stets bereit sind, Hilfe zu leisten, das Vertrauen zur KgU dürfe keinesfalls durch übereilte Terrorakte in Misskredit gebracht werden. Es [sic!] soll nach außen hin für die Bewohner der DDR als Hilfsorganisation angesehen werden.
Nach Aussprache mit Oberst Brown23 und Tillich24 sollen diese Störungsaktionen aber keineswegs die Lebensmittelzufuhr der DDR gefährden, wodurch die Bevölkerung in Mitleidenschaft gezogen wird. Über Behördenstörungsaktionen der Parteiorganisationen und angegliederten Verbänden sollen diese eingehend erst mit den Sachverständigen, die die Wesensart der DDR-Regierung kennen und durch deren V-Leute, die uns die Berichte übermitteln, besprochen werden, damit nicht als Quelle die KgU bezeichnet werden kann. Inhaftierte, die während der Unruhen des 17.6. von der Vopo bzw. SSD25 im Magerviehhof Friedrichsfelde26 [festgehalten wurden und] als Rat- und Hilfesuchende zur KgU kommen, sollen unverzüglich dem CIC zur Vernehmung zugeführt werden unter Zusicherung der Geheimhaltung. Sie sollen Berichte abgeben über Behandlung, Vernehmungsaktionen und Personenbeschreibung der Vernehmer.
Am 14.7.1953 wurden in Westberlin, Fehrbelliner Platz, Plakate geklebt, die die gesamtdeutschen Wahlen fordern. Der Begriff »gesamtdeutsche« wurde durch eine symbolische Landkarte unterstrichen, die nicht nur die beiden Teile Deutschlands zeigte, sondern auch die Gebiete hinter der Oder-Neiße-Linie umfasste.
Unterzeichnet sind diese Plakate vom »Patriotischen Jugendring«,27 der von folgenden Organisationen gebildet wird: