Tagesbericht
7. August 1953
Information Nr. 1034
Stimmung der Bevölkerung
Wie aus vorliegenden Diskussionsbeispielen zu ersehen ist, ist das Hauptthema der Diskussion die sogenannte »USA-Hilfsaktion«.1 Von der Bevölkerung wird nach wie vor unterschiedlich darauf reagiert. Unter der Bevölkerung wird geäußert, dass man nach ihrer Ansicht nur die »kleinen Leute«, die Pakete in Westberlin abgeholt haben, in der Zeitung, durch den Rundfunk usw. veröffentlicht, dabei aber in keiner Weise Funktionäre unserer Partei oder Angehörige der VP namhaft macht, die ebenfalls Pakete abgeholt haben.2
So sagt der Bauer [Name 1] aus Grabow: »Ich verstehe nur eins nicht, dass die, die täglich gut von unserer Regierung sprechen (SED-Genossen), selbst die ersten sind, die nach Berlin fahren und sich solche Pakete abholen. Wenn diejenigen in Versammlungen wieder einen großen Mund haben, werde ich ihnen dies unter die Nase reiben. In der Presse werden die nicht veröffentlicht.«
Dass sich ein großer Teil bei dem Abholen der Pakete keine Gedanken macht, sondern nur sieht, dass er etwas »geschenkt« bekommt, zeigen uns folgende Beispiele:
In der S-Bahn konnte festgestellt werden, dass eine freudige Stimmung über die Paketausgabe in Westberlin herrschte. Als der Genosse [Name 2] den Einwand machte, dass diese Päckchen nur für eine bestimmte Hetze bestimmt sind, bekam er zur Antwort: »Uns interessiert nur, dass sie kein Geld kosten.«
Der Rangierer [Name 3] vom Bahnbetriebswerk Wustermark sagte zu seinem anderen Kollegen: »Wenn du dir dein Paket nicht holst, kannst du mir deinen Ausweis geben, damit ich es mir holen kann.« Als ihm klargemacht wurde, was der Gegner mit der Schenkung dieser Pakete bezweckt, antwortete er: »Das ist doch egal, was morgen ist, interessiert mich nicht. Die Hauptsache ist, dass wir heute leben. Die Politik geht in erster Linie durch den Magen. Soll das Vaterland die Lebensmittel billiger verkaufen.«
Die sogenannte »Hilfsaktion der USA« wird von fortschrittlichen Kreisen dahingehend diskutiert, dass es eine Schande für einen Deutschen ist, diese Bettelpakete abzuholen, und dass man sich der Tragweite dieser Aktion noch nicht genügend bewusst ist. So sagt der Instrukteur des Schriftstellerverbandes Dörnfeld: »Man kann die Maßnahmen der Regierung gegen diese Paketaktion nur begrüßen. Der Amerikaner will uns nicht helfen, sondern geht nur auf Dummenfang aus. Leider werden die unter uns Deutschen nicht alle.«
Der Arbeiter [Name 4] vom VEB Mähdrescherwerk Weimar: »Ich lehne diesen Dreh mit den Paketen ab. Wenn der neue Kurs so weitergeht, fahren wir in sechs Monaten nach Westberlin und bringen denen zu essen. Wenn ich auch Hunger hätte, würde ich nie nach Berlin fahren und dieses Paket abholen.«
Wie aus nachfolgend aufgeführten Beispielen zu ersehen ist, werden von Unbekannten sogenannte »Liebesgaben« an Personen in die DDR verschickt. Es wird vermutet, dass dies eine neue Methode des Gegners ist, um Personen, welche die Pakete von Berlin nicht abholen würden zu korrumpieren. So wurden z. B. für den Genossen [Name 5] bei der Nachbarin 500 g Butter abgegeben. [Name 5] ist Mitglied der SED und Funktionär, er leitet in einem Werk das Fernstudium für Gesellschaftswissenschaft. Ferner ist er Lektor für weitere politische Schulungen. Dem Genossen [Name 5] kam diese Butterlieferung nicht sauber vor und er übergab diese der BPO. [Name 5] nimmt an, dass dies eine neue Methode des Gegners ist, um Funktionäre in der Öffentlichkeit zu kompromittieren.
Der Angestellte [Name 6] vom VEB Immergut in Stavenhagen: »Ich für meine Person begrüße die Aktion der Amerikaner. Vor ein paar Tagen habe ich ein Paket von einer mir bisher unbekannten Person erhalten. Ich kann mir nicht denken, woher diese meine Adresse hat. Ich werde ihm aber sofort schreiben und mich für das Paket bedanken und meine Freude darüber zum Ausdruck bringen.«
Zur »Paketverteilung« in Westberlin wird bekannt: Das Personal in den Registrier- und Ausgabestellen der sogenannten »USA-Hilfsaktion« setzte sich in der ersten Zeit aus Angestellten der Bezirksämter zusammen. Später wurden Lehrer der Schulen mit herangezogen und zzt. greift man auf Angehörige verschiedener Organisationen zurück. Den Absperr- und Einlassdienst bei den Ausgabestellen versehen in letzter Zeit Zivilpersonen mit Armbinden. Anstehende Personen werden durch Lautsprecherwagen aufgefordert, bei der Paketausgabe zu helfen. In den Westberliner Bezirken, wo Pakete an Bewohner der DDR zur Ausgabe gelangen, wurden Aufbewahrungsstellen eingerichtet, wo sie ihre Lebensmittel ablegen können. Damit soll verhindert werden, dass die Pakete abgenommen werden. Das frühere Flüchtlingslager »Am Karlsbad« in Berlin-Charlottenburg3 ist jetzt als Übernachtung[smöglichkeit] für »Paketabholer« aus der DDR eingerichtet, die infolge ungünstiger Fahrtverbindung nicht am selben Tage zurückkehren können.
Wie in Erfahrung gebracht werden konnte, fährt ein großer Teil der »Paketabholer« aus der DDR per Anhalter mit Fernlastzügen nach Berlin. Weiterhin versucht man Pakete mit Kinderwagen in den demokratischen Sektor Berlins zu befördern.
Vonseiten der Westberliner SPD beschäftigt man sich mit einem sogenannten »Hungermarsch« vom Leuna-Werk sowie Hennigsdorfer Stahlwerk nach Westberlin. Im Leuna-Werk zieht man zahlreiche ehemalige Nazis in Betracht, hält aber die Möglichkeit im Stahlwerk Hennigsdorf für wahrscheinlicher, da infolge der Nähe zum Westsektor eine bessere Verbindung besteht und der Weg nicht so weit ist.
Ein amerikanischer Angestellter des »HICOG« äußerte sich, dass er erfreut sei, dass die »Ostbewohner« so zahlreich an den Lebensmittelausgabestellen erscheinen. Das beweise, dass die Aktion richtig sei. Wenn es zu einer Viermächtebesprechung käme, würden die Sowjets es schwer haben, die Zustände in der »Zone« abzuleugnen. Ferner erklärte er, dass er nicht verstehen könne, warum die Amerikaner so tun, als ob die Lebensmittelaktion sie nichts anginge. Nach seiner Meinung müssten die Amerikaner mehr in Erscheinung treten, und er macht den Vorschlag, dass amerikanische Soldaten den Anstehenden Kaffee ausschenken und Kaffeepakete an sie verteilen sollten.
Folgende Gerüchte wurden uns bekannt: In der Gastwirtschaft »Hay« in Holzdorf, Bezirk Cottbus, diskutiert man darüber, dass die Streikbewegung von Leuna ausgehen soll. An der Tankstelle Muskauer Platz in Cottbus wird das Gerücht verbreitet, dass die Leuna-Werke geschlossen mit den Fahrrädern nach Berlin fahren und die Pakete in Empfang nehmen wollen. In Sömmerda wird das Gerücht verbreitet, dass sich der 17.6. in 14 Tagen wiederholen soll und dass sie diesmal mit Flugzeugen kommen würden.
Unter der Belegschaft des Rates der Stadt Weimar, Bezirk Erfurt, wurden in den letzten Tagen negative Diskussionen geäußert, da alle von der Rückstufung Betroffenen angenommen hatten, dass diese zurückgenommen werden (trifft für Staatsangestellte nicht zu).4 Dies verursachte, besonders unter den ca. 80 zurückgestuften Personen des Rates der Stadt, starke Verärgerung.
So äußerte der Angestellte [Vorname Name 7], Mitglied der CDU: »Wie sollen wir den Anordnungen der Regierung Vertrauen schenken, wenn sie nicht alle Maßnahmen richtig durchführt. Man versprach, dass Stromabschaltungen aufhören, trotzdem werden sie wieder durchgeführt. Das Gleiche ist auch mit den Rückstufungen der Fall.«
Die Sekretärin der Sozialabteilung Frau [Vorname Name 8], Mitglied der CDU, sagte: »Damals nach den Rückstufungen, die auch mich hart betraf, hatte ich mich abgefunden. Die Nachricht von der Rückgängigmachung der Rückstufungen löste große Freude bei mir aus. Umso mehr wurde ich enttäuscht, dass man diese Anweisung nicht einhält. Das ist keine gute Politik der Regierung«.
In der Grube »Freiheit«, Kreis Bitterfeld, Bezirk Halle, stellten die Lokführer des Werkes die Forderung, dass sie alle in die Lohnstufe VI eingestuft werden. Zum Sprecher machte sich der Lokführer [Vorname Name 9]. Er ließ abstimmen, dass, wenn diese Forderung nicht innerhalb von 24 Stunden erfüllt wird von der Werksleitung, man sofort in den Streik treten will.
Im Kraftwerk »Karl Liebknecht« in Bitterfeld, Bezirk Halle, stellten die Arbeiter einer Anlagenbaufirma von Leipzig die Forderung, dass sie im Lohn an den Schwermaschinenbau angeglichen werden wollen.
Besondere Vorkommnisse
Der Schlosser [Vorname Name 9] versuchte am 5.8.1953 im EWW Calbe, Bezirk Magdeburg, den Schaltraum mit öldurchtränkter Putzwolle in Brand zu setzen. Dadurch wäre [ein] Kurzschluss entstanden und somit die Niederschachtöfen ausgefallen. Der Grund dieser Tat ist auf Abhören der Westsender zurückzuführen. Es entstand keine Brandentwicklung.
Von unbekannten Tätern wurde vom 6. zum 7.8.1953 die Tür der Sparkasse und die der Bau-Union Calbe, Bezirk Magdeburg, mit benzinartiger Flüssigkeit übergossen und angebrannt. Der Brand wurde von der Feuerwehr und Passanten gelöscht (wird bearbeitet).