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Tagesbericht

20. August 1953
Information Nr. 1045

Stimmung der Bevölkerung

a) Note der Sowjetregierung

Nach dem 3. Tag seit Veröffentlichung der Note1 ergibt sich bereits ein etwas klareres Bild über die Meinung der Bevölkerung. Die positiven Stimmen überwiegen die negativen. Aus Dresden wird gemeldet, dass sich ein Verhältnis der positiven zu den negativen Stimmen wie zwei Drittel zu einem Drittel ergibt. Aus dem Bezirk Magdeburg wird berichtet, dass die meisten positiven Stimmen aus den Großbetrieben kommen, dabei überwiegend von Arbeitern, während sich die Angestellten in der Diskussion noch zurückhalten.

Allgemein gut verläuft die Diskussion unter den Arbeitern der Wismut AG. Dort hat die Note bereits eine tiefere Wirkung erreicht. Einzelne Brigaden, ein ganzes Revier, leisteten Ehrenschichten. Vereinzelt werden Aufnahmeanträge für die Partei und die FDJ gestellt (Wismut, auch Bezirk Schwerin).

Im VEB Fehko in Gräfenthal, Bezirk Suhl, verpflichtete sich die Belegschaft ihren Produktionsplan bis zu Stalins Geburtstag zu erfüllen. Die werktätigen Bauern in Lühburg, Kreis Teterow, Bezirk Neubrandenburg, verpflichten sich, ihr Getreidesoll bis zum 31.8.1953 100%ig zu erfüllen.

Aus dem Bezirk Magdeburg wird weiter berichtet, dass die Stimmung zur Note in den Betrieben und Dörfern der Landkreise weniger positiv ist als in den Großbetrieben. Besonders kommt das in einigen Orten der Kreise Gardelegen und Klötze zum Ausdruck, wo sich die örtlichen Parteiorganisationen ungenügend um die Propagierung der Note bemüht haben. In der Gemeinde Klötze führten die Diskussionen in einer ohnehin schlecht besuchten Versammlung nur die Großbauern, und zwar negativ.

Weiterhin sind in der Bevölkerung nach wie vor Tendenzen der Zurückhaltung zu verzeichnen. In Meiningen, Bezirk Suhl, wurde eine Kundgebung von nur 600 Personen, überwiegend Funktionären der Partei und des Staatsapparates besucht. Bei der Abstimmung über eine Grußbotschaft an den Hohen Kommissar Semjonow beteiligten sich nur drei Viertel der Anwesenden. Im Kaltwalzwerk Bad Salzungen, Bezirk Suhl, diskutieren nur die Mitglieder der Partei, die Indifferenten schweigen.

Die zweifellos noch in starkem Ausmaß vorhandenen negativen Stimmen lassen bestimmte Haupttendenzen erkennen, die immer wieder und allerorts auftauchen: Revidierung der Oder-Neiße-Grenze; Zwecklosigkeit aller Verhandlungen; die Ehrlichkeit der Sowjetregierung wird angezweifelt; Kriegsgefangenenfrage; man fragt, ob wir unsere Reparationen nicht schon längst abgegolten hätten und argumentiert, die Westmächte würden gar keine Reparationen verlangen. Immer mehr wird die Note mit den Wahlen zum Bundestag in Zusammenhang gebracht. Vor allem in Dresden, Leipzig, Karl-Marx-Stadt und Magdeburg argumentiert man, mit der Note wolle man nur »noch etwas für die KPD bei den Wahlen herausholen«, man solle in der DDR solche »freien Wahlen wie in Westdeutschland« durchführen und man müsse die SPD in der DDR zulassen.

b) Aus den Betrieben

Aus Betrieben im Bezirk Suhl wird bekannt, dass ein Teil von Belegschaftsangehörigen gegenüber Genossen der SED keine offenen Diskussionen führen [sic!] und bei Funktionären überhaupt nichts sagen.

Im VHZ Schrott in Torgelow, Bezirk Neubrandenburg, wird heftig darüber diskutiert, dass die Kollegen schon drei Jahre »kämpfen«, um aus der Ortsklasse C in die Ortsklasse B2 zu kommen, was auch vom FDGB versprochen wurde. Sie sind der Meinung, wenn der FDGB sich nicht um die Arbeiter kümmert und Abhilfe schafft, so werden sie keine Beiträge im FDGB mehr zahlen.

Immer wieder wird von den Arbeitern Unzufriedenheit über das Prämiensystem geäußert, in dem sie bedeutend weniger Prämien erhalten als die Angestellten. Es werden oft von den Arbeitern die Fragen gestellt: »Haben wir weniger geleistet als die Angestellten?« »Erkennt man unsere Leistungen nicht an?« So waren die Belegschaftsangehörigen der VEB IKA Grimma, Bezirk Leipzig, sehr verärgert und enttäuscht, als sie nur 47,00 DM Prämie erhielten und die Angestellten Prämien in Höhe von 100,00 bis 600,00 DM. Es wird gefordert, dass dieses Prämiensystem aufgehoben wird und diese Gelder für kulturelle Zwecke, Sozialeinrichtungen usw. verwandt werden. Ein Teil der Arbeiter äußert, dass sie dadurch das Vertrauen zur Regierung und zum neuen Kurs verloren haben.

Im Ernst-Thälmann-Kombinat in Suhl herrscht unter der Belegschaft eine Unzufriedenheit, da hier die Verwaltung mit ca. 240 Angestellten bei einem jährlichen Kostenaufwand von 600 000 DM geleitet wird. Man fordert, dass das Kombinat von einer zentralen Werksleitung gelenkt und dadurch viel Geld eingespart wird.

Im SAG-Betrieb Espenhain, Bezirk Leipzig, zeigt sich eine starke Unruhe, die dadurch hervorgerufen wurde, dass die Frau Cancrin3 erst eine endgültige Nachricht über ihren Mann bekam, als sie vor einigen Tagen die Urne erhielt. Ihr Mann wurde am 17.6.1953 von der sowjetischen Kommandantur verhaftet und dann erschossen. Die Kollegen wollen wissen, warum erst so spät eine Benachrichtigung erfolgte.

Wiederholt wird darüber berichtet, dass in Berlin (demokratischer Sektor) ein Abwandern von Bauarbeitern nach Westberlin zu verzeichnen ist. So mussten z. B. ein Teil der angenommenen Aufträge der Fa. Kötze aus Berlin, Stolpische Straße 23,4 und Fa. Schweiger Berlin, Greifswalder Straße 15, wieder zurückgenommen werden, da ein Teil der Bauarbeiter die Arbeit niederlegte und zu Westberliner Firmen überging.

Die Intelligenzler und Wissenschaftler vom VEB Zeiss Jena, Bezirk Gera, verlangen konkreten Aufschluss über die Anklagepunkte des inhaftierten und bereits verurteilten Dr. Gänswein,5 welcher von den sowjetischen Freunden festgenommen und verurteilt wurde. Diese Stimmung unter den Wissenschaftlern wurde von Dr. Tiedeken6, VEB Zeiss, hervorgerufen, da er bekannt gab, dass die Ehefrau des Dr. Gänswein ihm erklärt habe, er sei lediglich wegen einiger Äußerungen gegen die SU festgenommen und verurteilt worden.

c) Landwirtschaft und Versorgung

Es wurde berichtet, dass in den Kreisen Neubrandenburg und Röbel, Bezirk Neubrandenburg, die Schweinepest ausgebrochen ist. Allein in der Stadt Röbel und Umgebung mussten 163 Schweine notgeschlachtet werden. In der Gemeinde Glienke, Kreis Neubrandenburg, herrscht unter dem Schweinebestand des kommunalen Betriebes ebenfalls die Schweinepest. Bisher mussten 60 Läuferschweine notgeschlachtet werden und fünf Schweine sind verendet. Im VEB Groß Kelle, Kreis Röbel, sind 1 600 Schweine gefährdet.

In Webau, Bezirk Halle, traten zehn Betriebe aus der LPG »21. Dezember« aus mit der Begründung: »Finanzielle und arbeitsmäßige Verschlechterung und mangelnde Unterstützung durch die MTS«. Die neue LPG konstituierte sich mit vier Betrieben neu. Ähnliche Erscheinungen treten auch in anderen Bezirken auf.

Es ist noch bei verschiedenen Lebensmitteln und Textilwaren in verschiedenen Kreisen der Bezirke eine mangelnde Versorgung der Bevölkerung zu verzeichnen. Dadurch werden unter der Bevölkerung negative Stimmen laut, worin Zweifel am neuen Kurs der Regierung zum Ausdruck kommen.

Aus Leipzig wird berichtet, dass die Versorgung mit Frischfleisch für die Messe gesichert ist. Jedoch besteht ein Mangel bei Butter. Bisher wurden bereits 65 % der für das III. Quartal zugeteilten Mengen verkauft, obwohl erst die Hälfte des Quartals vorbei ist. Dagegen besteht bei Margarine ein Warenstau. In den letzten Tagen ist der Verkauf an Margarine noch weiter gesunken, da das Gerücht verbreitet wurde, dass der Preis bei Margarine von der Regierung auf 2,50 DM je ½ kg herabgesetzt wird.

Bei Gesprächen der Bevölkerung kommt weiter die Forderung zum Ausdruck, dass eine Preissenkung durchgeführt werden müsste, da wir ja jetzt viel Lebensmittel aus der SU und den Volksdemokratien erhalten. Zu den Preissenkungen treten häufig solche Diskussionen auf: »Was nützt uns schon die Preissenkung für Pinsel und Bürsten, die brauchen wir doch nicht. Die Lebensmittelpreise müssen gesenkt werden.« Dies äußerte der parteilose [Name 1] aus dem Trafowerk Dresden.

Diskussionen über die Stromversorgung werden ebenfalls noch von der Bevölkerung geführt, besonders in ländlichen Gebieten. Die Argumente sind die bisher üblichen.

Feindtätigkeit

Im Kreisgebiet Saalfeld, Bezirk Gera, wird eine verstärkte Tätigkeit von Untergrundorganisationen festgestellt. An den Haustüren mehrerer Genossen und Funktionäre wurden mehrere Flugblätter der KgU7 angebracht. Gegenüber dem Haupteingang der Maxhütte wurden vier gleiche Flugblätter an einem Baum gefunden.

Bei Röckersdorf,8 Kreis Lobenstein, Bezirk Gera, wurden zwei aufgeplatzte vermutlich abgeworfene Pakete gefunden, der Inhalt sah aus wie Schlämmkreide und wird untersucht.

In den Kreisen Oranienburg, Pritzwalk, Königs Wusterhausen und Belzig werden verstärkt Flugblätter und Hetzschriften verbreitet, in russischer Sprache mit der Unterschrift »Kampfbund der Soldaten und Offiziere der Sowjetarmee«, in deutscher Sprache mit dem Titel »An die Bewohner von Ulbrichts und Zaissers Terrorstaat«.

VP-Angehörige in Wünsdorf und Teublin9 erhielten per Post Hetzschriften: »Wachmannschaften der Haftanstalten und Arbeitslager«. In der Gemeinde Dersentin, Kreis Güstrow, Bezirk Schwerin, wurden 50 Ballons gefunden, an denen eine Karte mit der Aufschrift: »Schönen Gruß vom Kriegsverein« hing.

Am 18.8.1953 wurden auf einer Koppel in Gülitz, Kreis Perleberg, Bezirk Schwerin, ca. 2 000 Flugblätter in deutscher und russischer Sprache gefunden. Es handelt sich offensichtlich um die gleichen, die weiter oben erwähnt wurden.

Am 18.8.1953, gegen 22.00 Uhr, wurde in Klosterwalde, Kreis Templin, Bezirk Neubrandenburg, eine Brandstiftung versucht. Der Täter wurde vom Nachtwächter an der Ausübung gehindert, konnte jedoch unerkannt entkommen.

In der Nähe des VEG Tützpatz, Kreis Altentreptow, Bezirk Neubrandenburg, wurde ein unbeschädigter Ballon mit einer Flugschrift gefunden: »Sozialdemokrat Nr. 1, 1. Jahrgang, Juli 1953«, Herausgeber: Ostbüro der SPD.10 Inhalt »Für das Volk – gegen seine Unterdrücker« bezieht sich auf den 17. Juni und fordert zum Streik auf.

Aus Magdeburg wird gemeldet, dass in den Harzorten die »Junge Gemeinde« ihre Tätigkeit verstärkt.

Im VEB Holzbau Wernshausen, Kreis Schmalkalden, Bezirk Suhl, wurden am 19.8.1953 an den Toilettentüren antidemokratische Losungen entdeckt, wie: »Wir wollen Freiheit, wir wollen Brot, wir schlagen alle Russen tot«.

Im Kunstseidenwerk Premnitz wird das Gerücht verbreitet, Bewohner der DDR könnten in Westberlin 50,00 DM im Kurs 1: 1 umtauschen.

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