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Tagesbericht

22. August 1953
Information Nr. 1047

Stimmung der Bevölkerung

a) Note der Sowjetregierung1

In der nunmehr voll entfalteten Diskussion hat sich im Wesentlichen nichts verändert. Lediglich wurde bei der Diskussion über die Oder-Neiße-Grenze eine neue Variante festgestellt, es wird diskutiert, wenn schon die Oder-Neiße-Grenze bestehen bleibe, müsse man den Ausgesiedelten zumindest eine Entschädigung geben.

Aus Westberlin erfahren wir, dass nach Veröffentlichung der Note im Hause des »Telegraf«2 im Vergleich zu sonst reger Betrieb herrschte; offensichtlich erwartete man konkrete Anweisungen aus Bonn und Hannover. In Journalistenkreisen wurde folgendermaßen diskutiert: »Die Note stellt uns vor vollkommen neue Probleme. Unsere Chance liegt darin, dass die CDU mit diesen Leuten nicht konferiert. Damit wäre uns die Möglichkeit gegeben, so zu operieren, dass wir uns bereit erklären, wenigstens entgegenzukommen, d. h. die Möglichkeit gesamtdeutscher Beratungen mit Vertretern der Volkskammer nicht als ausgeschlossen abzutun, sonder evtl. sogar zu erwähnen. Bundesregierung resp. CDU muss bekennen, wie viel ihr wirklich an einer Wiedervereinigung gelegen ist. Sie wird ablehnen. Negative Auswirkungen für die CDU bei den Wahlen. SPD muss versuchen zu handeln.«

b) Zur Paketaktion der USA

Über die Paketaktion3 wird unter der Bevölkerung noch rege diskutiert (Schwerpunkt Bezirk Potsdam – in anderen Bezirken Abflauen der negativen Diskussionen). Es macht sich besonders dort eine Einstellung gegen die »USA-Aktion« und den »Paketabholern« bemerkbar, wo Parteiorganisationen offensiv mit den Kollegen diskutieren (Förderbrücke »Franz Mehring«,4 Bezirk Cottbus).

Verstärkte negative Diskussionen werden unter den Kollegen der Eisenbahn geführt (betrifft vor allem Einschränkung der Freifahrtscheine nach Berlin).

Verschiedentlich wird von der Bevölkerung gegen die Entlassung der »Paketabholer« aus den Betrieben Stellung genommen sowie gegen die »Schikanierung« in der Presse.5 Besondere Empörung herrschte in Potsdam darüber, dass die Pakete von Zivilpersonen abgenommen werden und nicht von VP-Angehörigen.

Der Bürgermeister von Stolzenhagen, Kreis Angermünde, Mitglied der SED, forderte die Bevölkerung von Stolzenhagen auf, sich »Ami-Pakete« zu holen. Daraufhin holten sich 75 % der Bevölkerung diese Pakete.

Bei den zzt. in den Lichtspieltheatern gezeigten Bildberichten über die Paketaktion in Westberlin6 wurde in verschiedenen Fällen die Veranstaltung durch Lachen gestört. In Riesaer Filmtheatern (Bezirk Dresden) kam es zu Tumulten, wobei ca. zwei Drittel der Zuschauer den Kinoraum verließen.

Es mehren sich Beschwerden von Ärzten, wonach Patienten, die zu Spezialärzten nach Berlin überwiesen wurden, keine Fahrkarten erhalten. Aufgrund der Fahrkartensperre kam es an den Fahrkartenschaltern in Königs Wusterhausen, Bezirk Potsdam, oft zu Zwischenfällen.7 Aus Luckenwalde wird bekannt, dass man, um in den Besitz von Fahrkarten zu kommen, eine Person mit Fahrrad oder Pkw nach Berlin schickt, die dort Rückfahrkarten löst und sie in Luckenwalde verteilt.

Aus dem Bezirk Frankfurt wird gemeldet, dass man die Fahrkartensperre versucht zu umgehen, indem man mit Omnibus bis Müncheberg fährt und von dort weiter nach Strausberg, dann weiter mit der S-Bahn nach Berlin. Des Weiteren werden auch Güterzüge und Privatautos zur Fahrt benutzt. Oft werden auch Fahrkarten nur bis Berkenbrück verlangt und im Zug erfolgt dann die Nachlösung. Es wurde festgestellt, dass in letzter Zeit Zugschaffner bis zu 900 DM Nachlösung in Frankfurt abrechnen.

Über die in verschiedenen Bezirken kursierenden Gerüchte über den Beginn einer neuen »Päckchenaktion« am 27.8.1953 wird aus offiziellen Westberliner Quellen (RIAS, Angestellte der Ausgabestellen und Stupos,8 die dort Dienst tun) bekannt, dass von westlicher Seite tatsächlich diese Absicht besteht.

c) Stimmen westdeutscher Besucher

In Spremberg, Bezirk Cottbus, führte das Kreisfriedenskomitee eine Versammlung mit westdeutschen Besuchern durch, die sehr positiv verlief. Der überwiegende Teil der 37 anwesenden Besucher diskutierte sehr lebhaft und interessiert. Man war erstaunt darüber, dass der neue Kurs unserer Regierung bereits am 9.6.1953 veröffentlicht wurde. Ihnen war von westlicher Seite her bekannt, der neue Kurs sei durch die Aktionen des 17.6. erzwungen worden. Ebenso waren sie von der Initiative der Sowjetregierung bei der Herstellung der Einheit Deutschlands und der Erhaltung des Friedens überrascht, aus der Westpresse war ihnen das Gegenteil bekannt. In sachlicher Form kritisierten die Westdeutschen die teilweise schlechte Behandlung durch VP-Angehörige beim Grenzübertritt, die zu lange Wartezeit von zwei bis drei Stunden an der Grenze und die überfüllten Züge von der Grenze ins Innere der Republik. Die Besucher wünschen, dass von den örtlichen VP-Ämtern kurzfristige Aufenthaltsgenehmigungen für andere Orte der Republik ausgestellt werden, um Gelegenheit zu haben, auch andere Bekannte und Verwandte zu besuchen. Ferner wird gewünscht, aufgrund des niedrigen Einkommens für die Rückfahrt nach Westdeutschland Arbeiterrückfahrkarten zu erhalten.

d) Stimmung in den Betrieben

Allgemein verbreitet ist die Diskussion über Arbeitskleidung, die in ungenügendem Maße vorhanden ist und deren Preise zu hoch sind.

Aus verschiedenen Leipziger Betrieben, auch aus anderen Bezirken, werden Stimmen laut die wieder wöchentliche Lohnzahlung fordern.

Sehr verbreitet und anhaltend ist nach wie vor die Diskussion über das Prämiensystem. In der MTS Radensleben, Kreis Neuruppin, Bezirk Potsdam, so wird uns berichtet, erhielt der MTS-Leiter 4 000 DM, der Politleiter 1 500 DM, während die Arbeiter gar keine Prämien erhielten. Zudem ist die Prämierung von der Leitung verheimlicht worden. Die Arbeiter sind darüber sehr ungehalten und empört. Die Arbeitsmoral ist sehr gesunken.

e) Aus der Landwirtschaft

Missstimmung herrscht unter den Bauern im MTS-Bereich Schrenz, Kreis Bitterfeld, Bezirk Halle, weil die VEAB die Abnahme von Getreide verweigerte. Die Bauern brachten zum Ausdruck, dass sie ein zweites Mal nicht zur Ablieferung erscheinen würden. Verschiedentlich wird von Bauern die Forderung gestellt, dass man das Getreidesoll herabsetzen müsse, da es noch zu hoch veranlagt ist (Meldung aus Potsdam).

Mangelhaft ist die Versorgung mit Ersatzteilen für landwirtschaftliche Geräte. Hier fehlt es besonders an Keilriemen, Getriebeteilen, Zylinderköpfen, Pflugrädern, Pflugscharen, Schälscharen und Schrauben.

In der Gemeinde Flatow, Kreis Oranienburg, Bezirk Potsdam, erkrankten in der LPG und staatlichen Betrieben Rinder an Lungenwürmern. Bisher verendeten zwei Jungtiere, zehn wurden notgeschlachtet, von hundert Tieren erkrankten zwanzig. In der LPG Grüssow, Kreis Röbel, Bezirk Neubrandenburg, verendeten vier Rinder an Lungenwürmern. Bei weiteren fünfundzwanzig Stück kann mit baldigem Verenden gerechnet werden.

Die Bevölkerung verschiedener Landgemeinden im Bezirk Leipzig kritisiert, dass die VEAB bei Obst nur die Sollmenge und nicht die Übersollmengen entgegennimmt. Durch das reichliche geerntete Obst fällt viel dem Verderb anheim. Die Obstimporte stoßen logischerweise auf Unverständnis in diesen Orten.

Aus Bezirk Halle wird gemeldet, dass durch die gute Obsternte in den letzten Tagen ein überaus reichliches Obstangebot zu verzeichnen ist. Außerdem treffen laufend Obstimporte im Bezirk Halle ein. Der Einzelhandel fühlt sich außerstande, die zzt. anfallenden Birnen, Äpfel, Pflaumen restlos an die Bevölkerung zu verkaufen, sodass die Gefahr besteht, dass Frischobst, soweit es nicht der verarbeitenden Industrie zugeführt werden kann, dem Verderb anheim fällt.

Trotz des guten Obstanfalls ist der gesamte Einzel- und Großhandel, einschließlich VEAB, in der Preisbildung zu unbeweglich, um durch günstige Preise einen gesteigerten Verkauf zu bewirken. Die VEAB begründet es damit, dass keine Möglichkeit besteht, die dadurch eintretenden Verluste abzubuchen.

Im Bezirk Neubrandenburg besteht besonders auf dem Land ein Mangel in der Versorgung mit Lebensmitteln (Zucker, Marmelade, Hülsenfrüchte, Kindernährmittel und Margarine).

Für verderbgefährdete Waren fehlen in verschiedenen Konsumverkaufsstellen auf dem Land Kühlschränke.

Von der MTS Ziesar, Kreis Brandenburg, Bezirk Potsdam, kann der Druschplan9 infolge Stromabschaltungen nicht erfüllt werden.

Feindtätigkeit

Im Kreis Neuruppin wurden 175 Flugblätter auf einem Feld von einer VP-Streife gefunden. Im Bezirk Schwerin erhielten Privatpersonen durch die Post Informationsbriefe des Untersuchungsausschusses freiheitlicher Juristen,10 in denen die Bürger der DDR aufgefordert werden, Adressen von Mitgliedern der SED zu melden, die »unbeliebt« seien.

Die KgU hat an Schweriner Adressen Hetzschriften mit einer Rede Tillichs11 über den faschistischen Putsch am 17. Juni versandt. Der »Volksbund für Frieden und Freiheit«12 in Bonn, der sich im Untertitel »Überparteiliche Versammlungsbewegung zur Abwehr des Bolschewismus« nennt, verschickt Briefe mit seinem Programm (Schwerin). Flugblätter der KgU wurden in Weida, Kreis Gera, von der Bevölkerung gefunden.

Flugschriften, die im Kreis Zeulenroda, Bezirk Gera, gefunden wurden, enthalten einen Aufruf des angeblich nach dem Westen geflüchteten sowjetischen Majors Ronschin.13

In Wustrow, Kreis Neustrelitz, wurden Hetzschriften gefunden, in denen die Bevölkerung aufgefordert wird, den Organen der Partei des Staates passiven Widerstand zu leisten. Diese Flugblätter bestehen aus Schulheftseiten, die mithilfe eines Handruckkastens bedruckt sind.

Der Genosse Politleiter vom Bahnbetriebswerk Neubrandenburg wurde durch eine Hetzschrift des Untersuchungssauschusses freiheitlicher Juristen aufgefordert seine politische Arbeit einzustellen.

In Klosterwalde, Kreis Templin, Bezirk Neubrandenburg, entstand ein Waldbrand durch Hafergarben, die im Tannendickicht angebrannt wurden.

In einer Einwohnerversammlung in Falkenberg, Kreis Beeskow, Bezirk Frankfurt/Oder, wurden zwei SED-Funktionäre bei ihrer Aufklärungsarbeit von Schlägern beschimpft und tätlich angegriffen.

Nachsatz

Soeben wird aus Magdeburg gemeldet, dass in den dortigen Verkehrsbetrieben Streikstimmung herrscht, hervorgerufen durch die vom Zentralkomitee und Finanzministerium abgelehnten Beschlüsse des Stadtrates, nach denen auf Drängen der Arbeiter der Verkehrsbetriebe die Löhne um 30 000 DM monatlich erhöht werden sollten.14 Partei, VP und die Organe der Staatssicherheit ergriffen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des Verkehrs und zur Aufklärung der Arbeiter, die bereits positive Ergebnisse zeigten.

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