Tagesbericht
25. August 1953
Information Nr. 1050
Stimmung der Bevölkerung
a) Zum sowjetisch-deutschen Kommuniqué
War die Meinung der Bevölkerung über die Note der Sowjetregierung an die Westmächte1 in der Mehrheit positiv, aber durch weit verbreitete gleichgültige, abwartende und direkt negative Stimmungen getrübt, so kann das Echo auf das Kommuniqué über die Moskauer Verhandlungen2 schon als positiver bezeichnet werden.
Aus den vorliegenden Stimmen von allen Schichten der Bevölkerung ist zu sehen, dass man nicht nur schlechthin die erfolgreichen Verhandlungen begrüßt, sondern viele Menschen sind geradezu überrascht von der schnellen und unmittelbaren Verwirklichung der Vorschläge, die die Sowjetregierung in ihrer Note unterbreitete.
In diesen positiven Stimmen wird zum Ausdruck gebracht, dass die SU damit ihre ehrliche Hilfsbereitschaft und Freundschaft gegenüber dem deutschen Volke augenscheinlich beweist. Dieses Argument wird auch von bisher schwankenden, ungläubigen und skeptischen Elementen gebracht, die dadurch eine Wendung zum Positiven vollzogen haben. Weiter werden die große wirtschaftliche Hilfe und ihre weittragenden Auswirkungen auf die Steigerung des Lebensstandards der Bevölkerung hervorgehoben.
Laut vorliegenden Berichten schickten die Arbeiter des Stahl- und Walzwerkes Riesa und die Arbeiter und Bauern aus MTS, LPG und anderen Betrieben des Kreises Belzig, Bezirk Potsdam, Delegationen mit Dankschreiben an die örtlichen sowjetischen Kommandanten. In Görlitz nahmen ca. 10 000 Werktätige an einer Demonstration teil. Im LEW Hennigsdorf fand eine Versammlung der Lehrlingsausbilder und der Verwaltung statt, wo die Anwesenden nach der Verlesung des Kommuniqués Beifall spendeten. Wie uns berichtet wird, ist eine solch beifällige Aufnahme irgendwelcher Dokumente dort noch nie zu verzeichnen gewesen. Ein ähnliches Beispiel wird uns aus dem Entwicklungsbüro für Industrie und Bau, Berlin II, bekannt. Die dort beschäftigten Ingenieure und Techniker diskutierten zum ersten Mal positiv über eine solche Maßnahme.
Zweifellos sind auch die abwartenden und mehr oder weniger gleichgültigen Stimmen noch verbreitet. So wird z. B. aus Leipziger Betrieben gemeldet, dass die gegnerischen Argumente, die im Zusammenhang mit der Note in den Diskussionen offensiv auftauchten (bis auf Kriegsgefangenenfrage, die nunmehr in den Hintergrund gedrängt sein dürfte) nachhaltig wirken und eine allseitige, umfassende Zustimmungsbewegung hemmen.
In den Magdeburger SAG-Betrieben stimmen die Arbeiter wohl den Verhandlungsergebnissen zu, machen aber den Vorbehalt, durch die Übereignung der SAG-Betriebe würden die Reparationsaufträge wegfallen und die Arbeiter würden arbeitslos werden. Da diese Meinung in allen Magdeburger SAG-Betrieben verbreitet ist, handelt es sich offensichtlich um ein vom Westen ausgeklügeltes Argument.
Unter anderem fanden auch im Stahl- und Walzwerk Gröditz Arbeiterkurzversammlungen statt. Dort wurde wenig diskutiert und vorgeschlagene Entschließungen wurden abgelehnt. Von CDU-Leuten wurde das damit begründet, man solle nicht immer gleich Holzhammerpolitik treiben, sondern den Arbeitern Zeit lassen, über solche Dinge gründlich nachdenken zu können.
Verschiedentlich wird der Wunsch geäußert, das im Kommuniqué angegebene Zahlenmaterial über [die] Höhe der gestrichenen Reparationen usw. in deutscher Währung bekanntzugeben, um ein noch besseres und konkreteres Bild über die Hilfe der SU erhalten zu können.
b) Stimmung in den Betrieben
Im Kaliwerk Unterbreizbach, [Kreis] Bad Salzungen, herrscht unter den Wagenaufschiebern eine Missstimmung aufgrund der Prämienverteilung, bei der sie nicht berücksichtigt wurden. Ein beabsichtigter Streik konnte durch schnelles Handeln der BPO, BGL und Werksleitung verhindert werden.
Im Eisenwerk Tangerhütte steht der überwiegende Teil der Belegschaft unserer Regierung feindlich gegenüber. Charakteristisch für die Stimmung ist, dass sich an der Kundgebung zur Note der SU von 1 100 Belegschaftsangehörigen ca. 150 beteiligten. Der größte Teil der Belegschaft tritt für die 10 Personen ein, die am 17.6.1953 festgenommen und wieder entlassen wurden.
Im VEB Kahlbaum, Berlin, wurde von der Belegschaft einstimmig der Beschluss gefasst, die Normen so zu belassen, wie sie vor dem 17.6. waren. Auffällig ist, dass in letzter Zeit im Betrieb sehr stark RIAS-Parolen verbreitet werden.
Auf den Großbaustellen der Stalinallee, Block G-Süd und Nord sowie Block 40, häufen sich in letzter Zeit die Fälle, wo Bauarbeiter ihre Kündigung einreichen und in Westberlin Arbeit aufnehmen. So ist z. B. auf dem Block G-Süd zu verzeichnen, dass die Belegschaftsstärke von 330 Personen auf 220 Personen zurückgegangen ist.
Gleichzeitig mussten die Fa. Kötzke, Berlin, Stolpische Straße,3 und Schweiger, Greifswalder Straße, einen Teil ihrer angenommenen Aufträge wieder zurücknehmen, da ein großer Teil ihrer Arbeiter zu Westberliner Firmen ging. Der Termin der Fertigstellung der Baustelle Ostseestraße ist infrage gestellt, da die Abwanderung der Bauarbeiter nach Westberlin anhält.
Auf den Baustellen in der Stalinallee ist in den letzten Tagen eine bemerkenswerte Desorganisation zu verzeichnen. So werden Steine dort abgeladen, wo sie die Arbeit behindern und dergleichen mehr. Unproduktiv sind z. T. Poliere, Bau- und Oberbauleiter, die trotz Abwanderung der Bauarbeiter auf den Baustellen verbleiben.
c) Stimmung in der Landwirtschaft
Aus Leppin wird bekannt, dass ein großbäuerlicher Betrieb an den Besitzer nicht zurückgegeben werden kann, da er die Existenzgrundlage der LPG bildet. Einzelbauern, besonders die, die der CDU angehören, äußern: »Wenn [Name 1] seinen Hof nicht wieder bekommt, hören wir alle auf zu arbeiten und lassen unsere Höfe stehen.« Oder: »Es ist schlecht, wenn die LPG mit gestohlenen Sachen aufbaut« usw.
Im Kreis Delitzsch, Bezirk Leipzig, liegt die Beteiligung an Versammlungen auf dem Lande zwischen 2 und 10 %. In Diskussionen wird meist über örtliche Belange und wirtschaftliche Fragen gesprochen. Großbauern versuchen durch allerlei Ausreden die Ablieferung hinauszuschieben. Durchgeführte Versammlungen versuchten Großbauern in ihrem Sinne zu beeinflussen.
Laut Mitteilung der HVDVP beklagen sich Bauern im Sperrgebiet Meiningen, Bezirk Suhl, darüber, dass sie von der Grenzpolizei bestraft werden, weil sie die vorgeschriebenen Zeiten für Feldarbeiten (8.00–19.00 Uhr) überschreiten, in dieser Zeit aber ihre anfallenden Erntearbeiten keinesfalls bewältigen können.
Feindtätigkeit
Flugblätter: 2 000 Stück durch Ballonabwurf im Kreis Schleiz, Bezirk Gera, 250 Stück in Hauseingängen und hinter Dachrinnen in den Straßen von Teterow, 90 Hetzschriften an der Straße von Neustrelitz nach Neubrandenburg, 200 Stück in Zeitungsgröße in Flieth, Kreis Templin, 250 im Kreis Prenzlau und einzelne Exemplare im Kreis Ueckermünde, sämtlich Bezirk Neubrandenburg.
In Klosterwalde, Kreis Templin, brannte eine Scheune eines devastierten Betriebes, vermutlich durch Brandstiftung nieder, wobei ein Schaden von 6 000 DM entstand.
In Kalbe/Milde, Bezirk Magdeburg, haben des Öfteren Personen öffentlich, meist nachts, faschistische Lieder gesungen. Sie wurden dabei von niemandem daran gehindert oder zur Ordnung gerufen.
Kurz vor Beginn einer Versammlung in Spenningen,4 Kreis Kalbe/Milde, in der der 1. Sekretär der Kreisleitung der SED sprechen sollte, wurde das dortige Gemeindebüro durch einen fingierten Telefonanruf benachrichtigt, der Referent könne nicht erscheinen. In der Versammlung traten dann viele Bauern mit der Forderung auf 50%ige Sollherabsetzung bei Getreide auf. Offensichtlich liegt hier eine bewusst organisierte feindliche Handlung vor.
Im Kreis Bautzen, Bezirk Dresden, kursiert das Gerücht, in Kürze sei mit einer Preissenkung zu rechnen, nach der ein halbes Kilogramm Margarine 2,00 DM und ein halbes Kilogramm Bohnenkaffee 10,00 DM kosten soll.
Im Kreis Herzberg, Bezirk Cottbus, ist das Gerücht im Umlauf, wonach am 27.8.1953 eine Neuauflage des »Tages X«5 erfolgen solle. Ähnliche Meldungen kommen vom Block 40 der Stalinallee.
Besondere Vorkommnisse
Am 21.8.1953, um 8.55 Uhr, schlug in den Jagen6 115 zwischen Fehrow und Drachhausen, Kreis Cottbus, eine Panzergranate ein. Von neun Waldarbeiterinnen wurden durch den Einschlag der Granate eine getötet, eine schwer verletzt (liegt im Sterben) und sechs Frauen leicht verwundet. Der Unglücksort liegt ca. 3–4 km vom Anfang des Sperrgebietes entfernt, wo ein Übungsschießen mit Panzern durchgeführt wurde. Es wurde festgestellt, dass schon öfter Granaten in dieses Waldgebiet eingeschlagen haben. Aufgrund des Vorfalles sowie der Unsicherheit im Walde, ist die Bevölkerung in den umliegenden Ortschaften sehr erregt, unruhig und schimpft auf die deutsch-sowjetische Freundschaft, die nach ihrer Meinung nur zum Schein besteht.