Tagesbericht
27. August 1953
Information Nr. 1052
Durch die wachsende Aktivität der Partei und der demokratischen Organisation zeigen sich Fortschritte in der Aufklärung der Bevölkerung über das sowjetisch-deutsche Übereinkommen. Vonseiten der Gegner wird die negative Diskussion besonders über die Oder-Neiße-Friedensgrenze verstärkt in die Massen getragen.
Die Stimmung in den Betrieben
In den Betrieben ist nach wie vor das Kommuniqué1 Hauptgegenstand der Diskussion, wobei die positiven Stimmen die negativen weit überwiegen. Aus den Bezirken Leipzig und Magdeburg wird ein Stimmenverhältnis in den Betrieben von ungefähr 90 % positiven Stimmen gemeldet. Das kann jedoch nicht2 von der ganzen Republik angenommen werden. Nicht zuletzt ist dieses gute Verhältnis auf die wachsende Aktivität der fortschrittlichen Kräfte, besonders der Parteiorganisationen, zurückzuführen.
Im Werk II des SAG-Betriebes Bleichert Leipzig wurden Kurzversammlungen in den Abteilungen durchgeführt. Dort wurde beschlossen, Großaufklärungseinsätze unter der Bevölkerung durchzuführen. 160 Arbeiter haben an diesen Einsätzen teilgenommen. Ferner wurde in diesen Arbeiterversammlungen beschlossen, Geldbeträge für die streikenden französischen Arbeiter zu sammeln. Im Glühhaus des Schwermaschinenbaues »Heinrich Rau« in Wildau äußerten sich die Arbeiter positiv darüber, dass ihnen die Agitatoren unklare Fragen erklärten und meinten, dass man öfter solche Aussprachen durchführen müsse.
Dagegen muss festgestellt werden, dass dort, wo die Parteiorganisationen ungenügende Aufklärungsarbeit leisten, die Stimmung negativer ist. So wird im Reifenwerk Fürstenwalde, Bezirk Frankfurt/Oder, über das Kommuniqué sehr wenig diskutiert, weil in Kurzversammlungen lediglich das Kommuniqué recht und schlecht vorgelesen wurde und sich sonst die Agitation lediglich auf den Werkfunk beschränkt. Direkte Diskussionen durch Agitatoren wurden mit den Arbeitern nicht geführt.
Die negativen Diskussionen über das Kommuniqué werden noch in der gleichen Richtung wie in den vergangenen Tagen geführt. Dabei muss aber festgestellt werden, dass die Frage der Oder-Neiße-Linie in allen Bezirken verstärkt negativ diskutiert wird.
Auf einer Baustelle der Bau-Union Cottbus wurden die Worte einer Maschinistin »Wir wollen unser Schlesien wiederhaben!« mit stürmischem Beifall aufgenommen.
Im VEB Uhrenbau in Glashütte, Bezirk Dresden, sagte der AGL-Vorsitzende Kluge, er sei mit der Note der SU3 einverstanden, die Oder-Neiße-Linie jedoch würde er niemals anerkennen. Ferner wird in diesem Betrieb zum Ausdruck gebracht, die Westmächte würden sich in keine Verhandlungen einlassen, weil in der Note der SU nichts über die Oder-Neiße-Linie gesagt wird.
In der Wismut AG, wo im Allgemeinen über das Kommuniqué sehr positiv diskutiert wird, taucht wiederholt die Frage auf, ob die Vergünstigungen der Kumpels auch in einer künftigen Deutsch-Sowjetischen AG4 bestehen bleiben.
Wiederholt musste in der letzten Zeit festgestellt werden, dass in Großbetrieben sich die gegnerische Diskussion auf einzelne Abteilungen konzentriert, während die übergroße Mehrheit der Arbeiter positiv diskutiert: In den Abteilungen Montage und Spulenwickelei in Hennigsdorf, in der Schlosserei und Schweißerei des Schwermaschinenbaues »7. Oktober« in Magdeburg.
Neben dem Kommuniqué und im Zusammenhang mit diesem werden in den Betrieben auch die üblichen Tagesfragen diskutiert. Wie aus dem Bezirk Potsdam berichtet wird, fordern die Arbeiter in allen Betrieben Preissenkungen in der HO und bessere Versorgung mit Arbeitskleidung (besonders Industriewerk Ludwigsfelde).
Unter den Arbeitern des VEB Bau Schwerin herrscht Unzufriedenheit, weil es an Maschinen fehlt und der vorhandene Maschinenpark stark überaltert ist, weil das Transportnetz völlig unzureichend ist und dadurch viele unproduktive Stunden durch Materialmangel entstehen. Die Betriebsleitung unternimmt nichts dagegen, fordert aber zusätzlich 200 Bauarbeiter zur Erfüllung des Plansolls 1953.
Der Brigadier [Name 1] (SED) aus Brünlos, Kreis Stollberg, Bezirk Karl-Marx-Stadt, meint, die Normen der Bauarbeiter seien zu hoch und man würde bald nichts mehr verdienen. Wenn das so weitergehe, würden die Bauarbeiter bald streiken. Die Parteiorganisation zeige auch für diese Dinge kein Interesse.
In einigen Privatbetrieben des Kreises Hainichen, Bezirk Karl-Marx-Stadt, taucht die Frage auf, warum sich der FDGB nicht für die Erhöhung der Löhne (Gruppen I–IV) in den Privatbetrieben einsetzen würde, wie das in der volkseigenen Industrie geschehen sei.5
Im Fernmeldeamt Magdeburg ist die Tendenz des »langsam Arbeitens« zu verzeichnen. So wurde durch den sowjetischen Armeestab festgestellt, dass das Verstärkeramt nicht mehr zuverlässig arbeite und dass Störungen länger als früher bestehen. Die Zahl der Krankmeldungen ist im Sommer (!) gestiegen. Man stellt dort Forderungen, die an das alte Beamtenrecht erinnern, z. B. Einführung eines Treueurlaubs u. Ä. Die Parteiorganisation arbeitet nicht gut, obwohl sie zahlenmäßig sehr stark ist.
Am 25.8.1953 brannte im Eisenhüttenkombinat »J. W. Stalin« vermutlich durch Brandstiftung die Holzverschalung des Erzbunkers vom Hochofen 5 und 6 und ein Drehkran vollkommen ab. Die bisherigen Ermittlungen ergaben, dass zur Brandlegung Thermit6 verwendet wurde. Der Schaden beträgt nach vorläufigen Schätzungen 750 000 bis 1 Mio. DM.
Stimmung der Bevölkerung
Aus Neubrandenburg wird bekannt, dass in einigen Kreisen die mangelnde propagandistische Arbeit sich dahingehend auswirkt, dass über das Kommuniqué und die Note7 keine Klarheit herrscht. Demgegenüber wird im Kreis Malchin, wo eine gute Agitationsarbeit geleistet wurde, das Kommuniqué zum überwiegenden Teil als Freundschaftsbeweis angesehen. Im Kreis Sonneberg, Bezirk Suhl, wird das Kommuniqué begrüßt. Von den Arbeitern [wird] jedoch zum Ausdruck gebracht, dass sich bis jetzt in ihrer Lebenslage noch nichts verbessert hat.
Unzufriedenheit herrscht im Kreis Osterburg, Bezirk Magdeburg, unter Bauern und Mitgliedern der LPG, da die VEAB die auf Soll angelieferten Gemüsearten nicht abnimmt. In der MTS Quastenberg, Kreis Neubrandenburg, legten neun Arbeiter am 26.8.1953, von 7.00 bis 11.00 [Uhr], die Arbeit aufgrund der nicht zur Auszahlung gelangten Prämien nieder.
Erstmalig tritt in der Gemeinde Stolpe, Bezirk Frankfurt/Oder, in Erscheinung, dass sechs Mittelbauern die Anerkennung des Anbauplanes für 1954 ablehnen. Der Bürgermeister befürchtet, dass dies im8 Dorf Schule macht. Zu Versammlungen erscheint niemand mehr, selbst die Gemeindevertreter nicht.
Im Kreis Senftenberg, Bezirk Cottbus, ist, wie gemeldet wird, die spinale Kinderlähmung ausgebrochen.
Positive Diskussionen treten besonders unter den Ärzten im Krankenhaus Finsterwalde, Bezirk Cottbus, über das Kommuniqué in Erscheinung.
Aus Rostock wird bekannt, dass im Kreis Bergen, besonders unter den Jugendlichen und Mitgliedern der FDJ, eine zweifelnde, zum Teil negative Einstellung zu den Regierungsbeschlüssen und dem Kommuniqué zu verzeichnen ist. Trotz dieser negativen Stimmungen innerhalb der FDJ gingen von vier hauptamtlichen Funktionären drei in Urlaub.
In einer Sitzung des Bezirksverbandes der CDU in Dresden wurde im negativen Sinne über den neuen Kurs der Regierung gesprochen. Unter anderem wurde die Frage aufgeworfen, ob es für die SED nicht besser wäre, wenn man Genosse Walter Ulbricht absetzen würde. Dies fand die Zustimmung verschiedener Anwesenden. Dieselben Tendenzen werden in den Kreisen der CDU-Mitglieder vertreten. Nach wie vor steht man ablehnend zu Genossen Walter Ulbricht, Genossin Benjamin9 und Genossen Honecker.10
Negative Diskussionen unter Interzonenreisenden nach Westdeutschland werden besonders darüber geführt, dass kein Geld umgetauscht wird. So äußert sich der Bürgermeister von Wootz, Bezirk Schwerin, dass die Interzonenreisenden nach Westdeutschland wie Bettler dastehen, weil sei kein Geld mitnehmen dürfen.11 Diese Situation wird von den Westmächten ausgenutzt. So bringt der RIAS, dass das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen alle Stellen aufgefordert hat, Reisenden aus der DDR eine finanzielle Erleichterung zu gewähren.
Verschiedene Beispiele zeigen, dass der Klassengegner auf dem Lande mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln vorgeht. In der LPG Wilsdruff, Bezirk Dresden, verendeten 16 Schweine, elf mussten notgeschlachtet werden. Vermutlich Beimischung von Gift. In Schwartow, Bezirk Schwerin, wurde der Treibriemen am Druschsatz zerschnitten. Auf der VE Fuchsfarm in Plau-Appelburg, [Kreis] Lübz, Bezirk Schwerin, wurden 1 300 Nerze vermutlich vergiftet. Am 24.8.1953 brannte in Sieversdorf, Bezirk Frankfurt/Oder, eine Scheune nieder, vermutlich Brandstiftung. Am 25.8.1953 brannte in Brachwitz,12 Bezirk Potsdam, die Scheune eines Kleinbauern nieder.
Bei einem Erntevergnügen in Blasdorf,13 Bezirk Frankfurt/Oder, an dem sowjetische Soldaten teilnahmen, wurde auf dem Heimweg ein sowjetischer Soldat niedergeschlagen und gefesselt liegen gelassen. Ausweispapiere wurden entwendet.
Die Demonstration und Kundgebung am 26.8.1953 auf dem Marx-Engels-Platz in Berlin hatte laut Zählung an den Stellplätzen eine Beteiligung von 108 000 Personen.14 Während des Anmarsches wanderten bereits kleine Gruppen von Demonstranten ab. Die Beteiligung der Großbetriebe war mangelhaft. Aufgrund der teilnahmslosen Haltung vieler Demonstranten ist anzunehmen, dass ein großer Teil aus Pflichtgefühl an der Demonstration teilnahm. Als Ministerpräsident Grotewohl sprach, hörte der überwiegende Teil aufmerksam zu. Während der Rede des Genossen Walter Ulbricht setzte die Abwanderung vieler Kundgebungsteilnehmer, darunter auch Genossen, ein. Die Beifallskundgebungen waren nicht besonders stark. Nach Schluss der Kundgebung verließen die Teilnehmer sehr schnell den Marx-Engels-Platz. Diskussionen wurden so viel wie keine festgestellt.
Feindtätigkeit
Der Gegner plant, ab 27. oder 28.8.1953 mit einer neuen umfassenden Flugblattaktion zu beginnen. Inhalt: Freie gesamtdeutsche Wahlen, Ausarbeitung einer Verfassung, Bildung einer gesamtdeutschen Regierung, Beteiligung dieser Regierung an der Friedenskonferenz, Deutschland muss außenpolitische Handlungsfreiheit haben (unbestätigte Meldung).15
In Schönau/Elbe, Bezirk Dresden, fand vor einigen Tagen ein illegales Treffen von 25 ehemaligen Umsiedlern aus Schlesien auf Einladung eines Pfarrers statt, der dort sprach.
Flugblattfunde: In den Bezirken Cottbus, Neubrandenburg und Rostock nur vereinzelt; bei Altslandsberg, Kreis Strausberg, ca. 10 000 Stück von der NTS,16 zum Teil noch in Paketen verpackt; verbreiteter im Bezirk Schwerin: Flugblätter der NTS, des Untersuchungsausschusses freiheitlicher Juristen,17 des Unionspressedienstes,18 des Gewerkschaftlichen Aktionskomitees.19 Die Flugblätter wurden zum Teil durch Ballons, durch Flugzeuge und durch Kraftfahrzeuge verstreut.