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Tagesbericht

2. Oktober 1953
Information Nr. 1083

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

a) Industrie und Verkehr

Im Zusammenhang mit der neuen Note der SU1 wird nur ganz vereinzelt berichtet, dass in Betrieben Vorbesprechungen mit Agitatoren stattgefunden hätten, und dass hier und da negative Meinungen laut geworden seien. Dort, wo die Parteiorganisation sofort in die Offensive ging, wie in der Elbewerft Boizenburg, wird positiv diskutiert. Die Arbeiter dieses Betriebes sagen, es sei endlich an der Zeit, dass die Westmächte auf die Vorschläge der SU eingehen.

Im Mittelpunkt des Interesses stehen bei den Werktätigen in den Betrieben nach wie vor Fragen des materiellen Lebens. Die ungeduldigen Stimmen, die eine sofortige Preissenkung erhoffen, haben nicht nachgelassen. So vertreten viele Arbeiter im VEB IKA Sonneberg/Suhl die Meinung, dass sie vom neuen Kurs noch nichts verspürt hätten.

Im VEB Konfektionsbetrieb Oelsnitz im Vogtland/Karl-Marx-Stadt wird vielfach folgende Äußerung einer Arbeiterin unterstützt: »Nach den Ausführungen der 16. ZK-Tagung ist mit einer Preissenkung im Jahre 1953 nicht mehr zu rechnen.2 Das ist schlecht. Die Regierung muss mit Tatsachen aufwarten. Um die Massen wieder zu gewinnen, muss man noch in diesem Jahr eine Preissenkung der täglichen Bedarfsartikel vornehmen.«

In einer Abteilung des Kunstfaserwerkes »Wilhelm Pieck« Schwarza/Gera ist folgende Meinung vorherrschend: »Die Ausführungen von Walter Ulbricht auf der 16. Tagung des ZK sind sehr erfolgversprechend und werden auch von den Arbeitern unseres Betriebes als gut befunden. Unserer Meinung nach müssten aber jetzt schon die Preise für Lebensmittel und Gebrauchsgüter gesenkt werden, damit die Arbeiter auch spüren, dass unsere Partei wirklich das Beste für die Arbeiter will.« Ähnliche Stimmen liegen aus allen Bezirken vor.

Im Betrieb G 44 der Buna-Werke herrscht wieder eine gute Stimmung, weil die wirtschaftlichen Forderungen der Arbeiter erfüllt wurden (50%ige Sonntagszuschläge, Erschwerniszulage u. Ä.). Das zeigt sich besonders in der bereitwilligen Nachzahlung der FDGB-Beiträge. Auch in anderen Betrieben der Buna-Werke werden im erhöhten Maße Gewerkschaftsbeiträge nachgezahlt, weil das Gerücht kursiert, dass keine Prämien und auch keine Weihnachtsgratifikation mehr gezahlt werden, wenn nicht alle Beiträge nachgezahlt werden.

Ein Beispiel guter Parteiarbeit wird aus Schwerin berichtet. In den dortigen ABUS-Werken »Klement Gottwald« sind Parteilosenaktivs gebildet worden, die eine gute Stütze für die Parteiorganisation darstellen und eine gute Arbeit bei der Überwindung der Planrückstände leisten.

Die Diskussionen, die über die Rückführung der verurteilten Kriegsgefangenen zwar nur vereinzelt geführt werden, sind doch in ihrer Mehrheit positiv. Ein parteiloser Wismut-Kumpel sagte: »Es ist doch wunderbar, dass die SU ihr Versprechen so schnell gehalten hat und die Kriegsgefangenen nach Hause schickt. Dann werden im nächsten Jahr auch die anderen Versprechen gehalten werden.«3

In der Filmfabrik Wolfen/Halle werden die Worte des Genossen Minister Stoph4 angezweifelt, weil entgegen seinen Ausführungen Beispiele bekannt sein sollen, wo Personen zurückgekehrt sind, die mit ihren Angehörigen nicht in Verbindung gestanden haben.5

Zum Tode Reuters wurden nur vereinzelt Stimmen laut. Kreise ehemaliger SPD-Genossen drücken Bedauern aus. Ein langjähriges SPD-Mitglied aus der Maxhütte6 sagte: »Reuter7 war ein alter guter Sozialist wie ich und meine Sozialdemokraten. Es ist schade, dass dieser Mann verloren ging. Mit dem hätten wir die Einheit Deutschlands zustande gebracht.«

Anhaltend diskutieren die Kumpel im Lugau-Oelsnitzer Steinkohlenrevier über den Steinkohlenprozess. Viele sind nicht mit den gefällten Urteilen einverstanden und hatten härtere erwartet. Übereinstimmend wird berechtigt kritisiert, dass der Prozess nicht im Steinkohlengebiet stattgefunden habe und dass die Presse völlig ungenügend über den Prozess berichtet habe. Die Kumpel fordern, dass Letzteres nachgeholt wird.8

b) Handel und Versorgung

In Auerbach/Karl-Marx-Stadt ist in der Kartoffelbelieferung eine Stockung eingetreten. In Brandenburg/Potsdam wurden durch den Konsum Einkellerkartoffeln an die Bevölkerung verkauft, die zu 80 % nicht dazu geeignet waren (beschädigt oder verfault, frühe und späte Kartoffelsorten gemischt). Aufgrund von Beschwerden wurde der Verkauf eingestellt und die bereits verkauften Kartoffeln umgetauscht.

Im Kreis Weißwasser/Cottbus wurde teilweise ranzige Butter auf Karten abgegeben. Butter wurde dort in letzter Zeit überwiegend mit Stempel 1951 ausgeliefert.

Im Bezirk Halle zeigt sich in der HO und im Konsum ein Rückgang im Umsatz. Gerüchte über eine baldige Preissenkung sind die Ursache.

c) Landwirtschaft

Große Teile der Landbevölkerung halten sich bei politischen Problemen von offenen Diskussionen fern (besonders Bezirk Karl-Marx-Stadt und Gera).

Der Kreis Fürstenberg/Frankfurt/Oder steht an letzter Stelle in der Erfassung der landwirtschaftlichen Produkte. Ursache ist das Gerücht, dass aufgrund der Dürreschäden eine Sollherabsetzung erfolge.

In Gebirgskreisen sind die Bauern unzufrieden über die Menge des abzuliefernden Strohs. So äußerte ein Mittelbauer aus Hohenneukirchen9/Karl-Marx-Stadt: »Nicht einen Halm Stroh gebe ich heraus. In einem Vierteljahr bin ich dann gezwungen, nach Mecklenburg zu fahren, um Stroh zu kaufen. Man soll das Stroh dort verlangen, wo es vorhanden ist und nicht in Gebirgskreisen.«

Diskussionen über Stromabschaltungen werden in den Bezirken Gera, Halle, Dresden und Rostock geführt. Man bringt dabei zum Ausdruck, dass man den Strom so abschalten solle, dass die Möglichkeit für die Bauern gegeben ist, ihr Vieh zu füttern.

In den Bezirken Rostock, Dresden und Leipzig ist in verschiedenen MTS Ersatzteilmangel zu verzeichnen. Ebenfalls wird die schlechte Qualität der Kartoffelroder kritisiert, die sich auf die Kartoffelernte in einzelnen Gemeinden schlecht auswirkt. Der Leiter der MTS Radegast/Rostock sagte: »Ich kann von meinen Traktoristen keine Qualitätsarbeit verlangen, da die vorhandenen Pflüge schlecht sind. Auch ist auf allen Stationen ein Ausfall an Kartoffelrodern zu verzeichnen. Sie sind nach kurzer Zeit entzwei.«

Im Bezirk Suhl macht sich in einigen LPG und bei werktätigen Bauern ein Mangel an Arbeitskräften bei der Kartoffelrodung bemerkbar.

Die Stimmung der LPG Blumberg/Frankfurt/Oder hat sich nach einem Einsatz von Erntehelfern vom Schlachthof Berlin verschlechtert. Unter den Erntehelfern herrschte zum Teil eine schlechte Arbeitsmoral. Sie führten mit den Großbauern negative Diskussionen und hörten abends teilweise RIAS.

Im Kreis Sangerhausen/Halle sind in einigen LPG Auflösungserscheinungen festzustellen. Grund: schlechte Unterstützung durch den Rat des Kreises und die SED-Kreisleitung.

Mehrere Bauern aus Battin und Grünberg/Neubrandenburg sind verärgert, da die VEAB ihre geernteten Kartoffeln nicht abnimmt mit der Begründung, sie hätten schorfige Schalen. Die Bauern äußern, dass sie nicht für diese Kartoffeln verantwortlich gemacht werden könnten.

Im Albert-Kuntz-Kombinat10/Leipzig wird in Kürze ein Stau von Futtermitteln (Hafer und Gerstenabfälle) eintreten, wenn diese nicht abtransportiert werden.

Werktätige Bauern aus dem Kreis Hildburghausen/Suhl sagen, sie seien an der Steigerung ihrer Erträge interessiert, jedoch müsse man ihnen genügend phosphorhaltigen Dünger liefern.

Im Kreis Oelsnitz im Vogtland/Karl-Marx-Stadt werden heftige Diskussionen über den Anbauplan 1953/54 geführt, da man nicht die Futterflächen erhöht hat. So wollen die Bauern von Arnoldsgrün11 ihren Viehbestand entgegen dem Viehhalteplan einschränken, wenn nicht in Kürze eine spürbare Veränderung eintrete.

Stimmung der übrigen Bevölkerung

Veränderungen in den Diskussionen sind unter der übrigen Bevölkerung nicht eingetreten. Diskussionen über Stromabschaltungen und zu hohe Preise werden unter der Bevölkerung auch weiterhin geführt. In Karl-Marx-Stadt und Schwerin äußern sich verschiedene Hausfrauen anerkennend über die Ausgabe von Zusatzkohlenkarten. Im Bezirk Cottbus ist im Allgemeinen noch eine abwartende Haltung zum neuen Kurs festzustellen.

In Oldisleben/Halle werden nach der Bundestagswahl von Kirchenratsmitgliedern mit Pfarrer Hausbegehungen bei Familien durchgeführt, deren Kinder aktiv im Pionierverband arbeiten.

In Adorf/Gera12 wurde ein zurückgekehrter begnadigter Kriegsgefangener durch den methodistischen Posaunenchor empfangen. Anschließend zogen ca. 100 Personen demonstrativ in die Kirche. Ein zurückgekehrter begnadigter Kriegsgefangener aus Theuern/Suhl äußerte, er sei in einem Lager bei Swerdlowsk gewesen. Es war dort sauber und schön. Essen und Behandlung waren gut.

Feindtätigkeit

a) organisierte

Verstärkte Flugblatttätigkeit im Bezirk Karl-Marx-Stadt (NTS),13 vereinzelt in den Bezirken Dresden, Halle, Frankfurt/Oder und Neubrandenburg (NTS).

Im Kreis Reichenbach/Karl-Marx-Stadt versuchen feindliche Elemente parteilose Intelligenzler durch fingierte Anrufe zur Republikflucht zu veranlassen. Die Anrufer melden sich mit »Sowjetische Kommandantur« und sagen, der Betreffende solle am anderen Tag in der Kommandantur erscheinen.

Im VEB Gummiwerk Heidenau/Dresden wurden am 29.9.1953 in vier Materialbehälter Eisenstücke geworfen. Durch rechtzeitiges Bemerken entstand kein Schaden. In der MTS Reichstädt/Dresden wurde am 30.9.1953 ein Traktor durch Bohrerstücke im Zylinder für längere Zeit unbrauchbar gemacht.

b) vermutlich organisiert

Am 30.9.1953 wurden bei 55 Schweinen des VEG Bobersen/Dresden Fressunlust festgestellt. Die Schweine sind aufgedunsen, was auf Vergiftung zurückzuführen ist. In der Nähe wurde eine weiße Masse gefunden.

Einschätzung der Situation

Die Lage ist gekennzeichnet durch geringe Diskussionen zu politischen Fragen. Über die Note der SU vom 28.9.1953 sprechen nur wenige meist fortschrittliche Kräfte. Ein großer Teil der Werktätigen zeigt eine abwartende und misstrauische Haltung oder ist überhaupt nicht interessiert am politischen Geschehen. Dies bedeutet eine große Gefahr, denn auf diese Masse der Teilnahmslosen rechnet der Feind und versucht ständig, sie unter seinen Einfluss zu bekommen. Demgegenüber haben wir durch gute Parteiarbeit, Aufklärung und eine Reihe Verbesserungen bei einem Teil der Werktätigen an Vertrauen gewonnen, aber noch in zu geringem Umfang. Durch verbesserte Agitation und rasche Behebung vieler Missstände und Mängel auf der Linie des neuen Kurses muss der Kampf verstärkt um diese Teilnahmslosen geführt werden.

Anlage zur Information Nr. 1083

Einige Stimmen der Bevölkerung zur Lebenslage in der DDR

Ein Arbeiter aus Dresden: »Man muss es als eine schändliche Lüge bezeichnen, wenn man in Westdeutschland die Behauptung aufstellt und verbreitet, dass die Menschen in der DDR hungern müssen. Gewiss leben wir noch nicht im Überfluss, aber hungern braucht keiner. Vielleicht sind die Preise in Westdeutschland vereinzelt niedriger als bei uns, dafür aber sind wir gegenüber dem Ausland nicht verschuldet.«

Ein Arbeiter aus Colmnitz: »Das Leben in der DDR ist besser geworden. Die Lebensmittelversorgung hat einen bedeutenden Aufschwung erhalten, ebenso ist die Gebrauchsgüterversorgung besser geworden. Es gibt natürlich noch viele Engpässe. So muss vor allem das Preisgebilde anders werden.«

Ein Gewerbetreibender aus Luckenwalde: »Der neue Kurs der Regierung hat uns im Geschäft einen ungeheuren Aufschwung verschafft, der Umsatz hat sich verdoppelt. Ich selbst bin jeden Tag mit dem Wagen unterwegs und meine Frau und Tochter stecken den ganzen Tag im Laden. Mit dem neuen Kurs hat sich überhaupt allgemein vieles verändert. Viele der Flüchtlinge sind zurückgekommen und haben ihr Geschäft wieder übernommen, die rückständigen Steuern wurden niedergeschlagen und dgl. mehr. Die ganzen Maßnahmen der Regierung haben zu einem Aufschwung der Geschäftswelt geführt. Wenn die Gesetze der Regierung weiterhin durchgeführt werden, wird es für uns alle wieder besser sein.«

Ein Gewerbetreibender aus Karl-Marx-Stadt: »Es macht keine Freude zu kaufen oder verkaufen, denn die Waren, die es gibt, sind doch bei Weitem noch keine Friedensqualitäten und dabei schrecklich teuer. Man müht sich und plagt sich und dabei langt es kaum für die Familie. Um unsere Existenz kämpfen wir nach wie vor.«

Eine Hausfrau aus Erfurt: »Im Konsum gibt es nur noch ranzige Butter vorige Woche und ranzige Butter diese Woche. Es sei Importbutter sagen die Verkäuferinnen. Für die deutsche Ostzonenbevölkerung ist dieses verdorbene Zeug ja gut genug, dafür gibt man noch seine kostbaren Marken her.«

Eine Hausfrau aus Karl-Marx-Stadt: »Wenn man krank wird, kommt ewig kein Arzt. Die sind alle überlastet, und Arznei gibt es auch nicht. Es ist ein Massensterben. Die Krankenhäuser sind überfüllt. Es ist auch kein Wunder, dass noch viele täglich nach dem Westen flüchten. Das Arbeiten wird einem hier zur Hölle gemacht.«

Stimmen der Landbevölkerung

Ein Bauer aus Prohn: »Ich persönlich bin mit meinem Ergebnis in der Ernte zufrieden. Das Vieh ist auch alles einigermaßen wieder in Ordnung, sodass wir wirtschaftlich bestehen können. Nach einem mutlosen Frühjahr sind wir jetzt umso mutiger geworden, seitdem unsere Regierung den neuen Kurs einschlug.«

Eine Bäuerin aus Höhnewalde14: »Die Ernte bei uns war gut. Vor allem sind wir froh, dass man das Soll herabgesetzt hat. Wenn die Behörden jetzt kommen, sind sie immer anständig und es geht auch. Ja, wir wollen hoffen, dass es noch besser wird.«

Ein Bauer aus Grieben: »Bei uns hat sich nicht viel verändert. Das Soll und Muss steht noch immer hinter uns. 70 % Getreide haben wir abgegeben, nun lassen wir es erst darauf ankommen. Wenn sie alles haben wollen, müssen sie das Vieh auch gleich mitnehmen, denn das Durchhungern hat ja keinen Zweck. Jetzt haben wir 32 Schweine im Stall, was die wegfressen, kann sich ja jeder vorstellen.«

Ein Bauer aus Sabrodt: »Die Ernte ist bei uns durch die große Trockenheit nicht besonders. Wir werden ganz schön zu kratzen haben, um das Soll abliefern zu können. Ja, heute Bauer in der DDR zu sein, hat schon was auf sich. Aber die Hoffnung gebe ich noch nicht auf, einmal scheint auch uns die Sonne wieder.«

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