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Tagesbericht

9. Oktober 1953
Informationsdienst Nr. 1089 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

a) Industrie und Verkehr

In vielen Betrieben hat der Tag der Republik eine ungenügende Resonanz gefunden. Besonders wird das aus den Bezirken Leipzig, Karl-Marx-Stadt und Magdeburg berichtet. Oft wurde von den Arbeitern der Festtag als arbeitsfreier Tag schlechthin begrüßt. Im Bezirk Leipzig gipfelt diese teilweise verbreitete Gleichgültigkeit in politischen Fragen indirekt provokatorischen Gebärden. Z. B. im VEB Polygraph »Karl Krause« in Leipzig werden die wenigen fortschrittlichen Arbeiter in Versammlungen niedergeschrien, wenn sie zur Diskussion sprechen wollen.

Positiver berichtet dagegen der Bezirk Dresden, wo in einzelnen Betrieben Arbeiter zu Ehren des Tages der Republik Produktionsverpflichtungen übernahmen und ihre Normen erhöhten. Im Waggonbau Görlitz nahmen mehrere Abteilungen einen neuen innerbetrieblichen Wettbewerb an, und einige Brigaden erhöhten freiwillig ihre Normen um 10 %.

In vielen Betrieben wird über die Neuwahl des Präsidenten der Republik1 diskutiert, wenn auch noch nicht in breitem Ausmaße, so doch in der Mehrzahl positiv. In der Zuckerfabrik Wolmirstedt/Magdeburg sagen die meisten Arbeiter übereinstimmend: »Eine Wahl war gar nicht notwendig. Solange unser Wilhelm lebt, wollen wir keinen anderen Präsidenten.«

Ein Reichsbahnarbeiter aus Malchin/Neubrandenburg: »Es konnte ja gar nicht anders sein, dass Wilhelm Pieck wiedergewählt wurde, denn er ist doch der Mann, der für den Arbeiter etwas übrig hat.«

Ein Buchhalter vom Bauobjekt Tutow/Neubrandenburg, früher SS-Angehöriger: »Ich habe den Krieg miterlebt. Ich wünsche mir keinen mehr. Ich bin hier mit meiner Arbeit zufrieden und freue mich, dass Wilhelm Pieck wieder Präsident geworden ist.«

Ein Bauarbeiter aus Demmin: »Wenn man das Gesicht von Wilhelm Pieck sieht, dann ist eine Ruhe und Ausgeglichenheit zu erkennen. Ich habe Vertrauen zu ihm und deshalb begrüße ich seine Wiederwahl.«

Ein Arbeiter aus der Teppichfabrik Oelsnitz/Vogtland: »Dass man unseren W. Pieck wiedergewählt hat, das konnte ich mir gleich denken. Wenn man jeden Tag die Presse verfolgt hat, mit welcher Liebe sich unser Präsident um die Werktätigen kümmert und wie er sich um die Jugend sorgt, ist es nicht verwunderlich, dass er wiedergewählt wurde.«

Eine Arbeiterin aus Karl-Marx-Stadt: »Wer da oben sitzt, ist uns egal, die Hauptsache ist, dass wir genügend zu essen haben und als Menschen leben können.«

Ein Ingenieurschüler aus der Maxhütte:2 »Unsere Kumpel stehen hinter Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl und begrüßen die Wiederwahl Wilhelm Piecks. Walter Ulbricht jedoch lehnen sie ab, weil er derjenige ist, der immer nur im Vordergrund stand, von Normenerhöhungen und immer wieder Normerhöhungen sprach und nicht wusste, ob es die Kumpel schaffen können. Dadurch wurde die Arbeit der Kumpel nur erschwert.«

Ein Angestellter, Mitglied der Partei, von der Neptunwerft Rostock: »Wer hat denn den Genossen Pieck als Präsidenten vorgeschlagen und wie viele Vorschläge sind denn gewesen? Die Wahl ist sehr formal durchgeführt worden.«

Ein Arbeiter aus Reichenbach/Karl-Marx-Stadt: »Bei uns ist es doch etwas anderes als in Westdeutschland. Dort hat das ganze Volk gewählt, während bei uns nur die Volkskammer wählte.«

Im VEB Nachterstedt diskutiert die technische Intelligenz positiv über den neuen Kurs, weil jetzt Material und Ersatzteile geliefert werden, die vorher einfach nicht aufzutreiben waren, aber notwendig gebraucht wurden.

Negativ wird über den neuen Kurs in der Jutespinnerei Triebes/Gera diskutiert, denn dort verdienen nach den Lohnerhöhungen Arbeiter der Lohngruppen I bis IV mehr als qualifizierte Facharbeiter.3 Ein Meistergehilfe sagte dazu: »Mit dem neuen Kurs der Partei und Regierung bin ich nicht einverstanden, denn es müsste in unserem Betrieb mit der Entlohnung besser aussehen. Es wird höchste Zeit, dass die Regierung diese Verhältnisse schnellstens ändert, sonst machen die Arbeiter nicht mehr mit. Im Werk ist sowieso schon wieder eine schlechte Stimmung.«

Im Eisenhüttenkombinat »Stalin« reden nahezu 40 % der Arbeiter negativ über den neuen Kurs, weil die Hausbrandversorgung mangelhaft ist und diesen Arbeitern die Preissenkung nicht schnell genug kommt.

Ernste Transportschwierigkeiten werden jetzt auch aus dem Bezirk Halle gemeldet. In allen Kalksteinwerken des Kreises Nebra und in anderen Betrieben des Bezirkes stauen sich Waren, die nicht abtransportiert werden können, und fehlen Rohstoffe, weil die geplanten Waggons nicht bereitgestellt werden.

Im Gebiet der Wismut AG werden nach wie vor die Gerüchte über den Wegfall der Vergünstigungen aller Art nach Bildung einer Deutsch-Sowjetischen Gesellschaft verbreitet.4 Die Parteiorganisationen haben begonnen, diesen Gerüchten offensiv entgegenzutreten.

b) Handel und Versorgung

Gera berichtet, dass in Engerda und Neusitz ca. 200 Ztr. Obst lagern, die von der VEAB nicht abgenommen werden. Die Bauern sind verärgert, da sie angeblich nur 2,00 DM für einen Ztr. Obst erhalten.

Aufgrund der geographischen Lage des Kreises Quedlinburg/Halle wird die Versorgung mit Winterkartoffeln als gefährdet bezeichnet. (Es wird mit Frost gerechnet.) Die im Liefervertrag aufgeführten Kreise können nicht liefern, da keine Waggons zur Verfügung stehen. Waggonmangel für Winterkartoffeln wird auch aus dem Bezirk Leipzig gemeldet.

Aus den Bezirken Karl-Marx-Stadt, Suhl und Leipzig wird berichtet, dass in verschiedenen Kreisen Konsum-Verkaufsstellen nicht in der Lage sind, Bezugsscheine für Arbeitskleidung einzulösen, da keine Waren vorhanden sind.

c) Landwirtschaft

Die Bauern der Gemeinde Drieschnitz5/Cottbus haben zu Ehren des 4. Gründungstages der DDR ihr Kartoffel-, Getreide-, Rinder-, Milch- und Eiersoll [mit] 100 %, Schweinesoll mit 96 % erfüllt. In der Gemeinde Bagenz/Cottbus wurde das Kartoffelsoll [mit] 100 % erfüllt.

Im Kreis Bernburg verpflichteten sich 16 werktätige Bauern, 23 Schweine, eine Kuh, 2 300 Eier, 1 800 Liter Milch und 100 kg Raps dem freien Aufkauf zur Verfügung zu stellen. Elf Genossenschaftsbauern verpflichteten sich, elf Schweine und 1 600 Liter Milch auf freie Spitzen6 zu liefern.

Die Stimmung in den LPG des Bezirkes Cottbus wird als gut bezeichnet. Verschiedentlich wird zum Ausdruck gebracht, Schulungen für den Winter vorzubereiten. Von einer Auflösung bzw. von Austrittserklärungen wird lediglich in der LPG Lubolz gesprochen.

Aus Leipzig wird berichtet, dass im Wesentlichen von den Bauern über mangelhafte Versorgung mit Dünger, Haushaltsgegenständen wie Wassereimer und dgl. gesprochen wird. Weiterhin wird geäußert, dass man nicht verstehen könne, warum der Gemüseanbau im Anbauplan 1954 erhöht wurde, obwohl bereits in diesem Jahr im Überfluss Gemüse geerntet wurde. Diskussionen über mangelnde Düngerzuweisung werden auch in den Bezirken Karl-Marx-Stadt und Suhl geführt.

In der Gemeinde Sagast/Potsdam diskutieren die Bauern über die Sollablieferung wie folgt: Die Rückstände der Sollablieferungen für das Jahr 1952 hätten gestrichen werden müssen. Da dies aber nicht getan wurde, werden am Jahresende eine Anzahl Wirtschaften ihren Verpflichtungen wieder nicht nachkommen können, da sie bis Juni 1953 mit den vorjährigen Rückständen belastet waren.

Stimmung der übrigen Bevölkerung (7. Oktober)

Aus den vorliegenden Berichten ist zu ersehen, dass die teilweise im Verhältnis zum Vorjahr geringe Beteiligung der Bevölkerung vielfach auf schlechte organisatorische Vorbereitung und ungenügend Publizierung der Veranstaltungen zurückzuführen sind. So äußerte sich z. B. der Kreissekretär der Nationalen Front aus Schwarzenberg/Karl-Marx-Stadt: »Man hätte wohl einen Ausschuss innerhalb des Kreisgebietes gewählt, der diesen Tag vorbereiten sollte. Dies geschah aber nur in Form von Rundschreiben. Eine Anleitung und Kontrolle erfolgte nicht.«

Im Bezirk Magdeburg wird die organisatorische und politische Vorbereitung der Bedeutung dieses Tages entsprechend als unverantwortlich bezeichnet. Durch Plakate und Presse angekündigte Veranstaltungen wie Fackelzug, Kultur- und Sportveranstaltungen mussten zum Teil aufgrund schlechter organisatorischer Arbeit ausfallen. Solche Beispiele traten, wenn auch vereinzelt, aber doch in allen Bezirken in Erscheinung. So war in Neubrandenburg ein Fackelzug angesetzt, der wegen schlechter Organisation nicht stattfand. Dazu äußerte sich eine parteilose Frau: »Ich war nicht die einzige mit meinen Kindern am Stellplatz. Mit mir waren viele Arbeiterfamilien sehr enttäuscht, die erschienen waren. Nach vier Jahren DDR kann man etwas anderes verlangen.«

Im »Neuen Deutschland« vom 8.10.1953 (Ausgabe A) wird unter dem Titel »Berlin und die DDR feiern Geburtstag unserer Republik«7 u. a. über stattgefundene Platzkonzerte in Leipzig geschrieben und dass die Bürger durch die Straßen zu den Stellplätzen zogen. Diese Platzkonzerte haben aufgrund schlechter Organisation nicht stattgefunden. Es wird die Meinung zum Ausdruck gebracht, dass solche falschen Behauptungen nur Misstrauen zur Presse, Partei und Regierung hervorrufen.

Allgemein wird die Stimmung der an den Demonstrationen, Kundgebungen, Kranzniederlegungen, Fest- und Kulturveranstaltungen beteiligten Bevölkerung als gut bezeichnet.

Diskussionen über die Wahl des Präsidenten Wilhelm Pieck traten nur vereinzelt auf und sind zum überwiegenden Teil positiv. So sagte z. B. ein Maurer aus Briesnig/Cottbus: »Es ist ja prima, dass unser Präsident Wilhelm Pieck wieder einstimmig gewählt wurde. Er will für uns Arbeiter doch nur das Beste. Er selbst ist ja auch nur Arbeiter und hat am eigenen Körper die Sorgen des Arbeiters durchgemacht. Darum schenken wir ihm unser ganzes Vertrauen.«

In Zittau/Dresden fand eine Festveranstaltung statt, in der ein Grußtelegramm an unseren Präsidenten einstimmig angenommen wurde. Dazu äußerte sich eine Hausfrau: »Die Hauptsache [ist], dass unser Präsident das Telegramm in die Hände bekommt, damit er weiß, wie die Zittauer von ihm denken.«

Ein Buchhalter aus Grevesmühlen/Rostock äußert zu einem Arbeiter: »Wer hat ihn gewählt? Ich nicht und du auch nicht. Also kannst du sehen, dass sie machen was sie wollen.«

Ereignisse von besonderer Bedeutung

Gestern (8.10.1953) Vormittag traf über Frankfurt/Oder der 6. Rückkehrertransport in Fürstenwalde ein.8 Von 794 Personen fuhren am Nachmittag 636 nach Westdeutschland weiter, 50 fahren nach Westberlin, 102 bleiben in der DDR, sechs im demokratischen Sektor von Berlin.

Organisierte Feindtätigkeit

Verstärkte Flugblatttätigkeit in den Bezirken Karl-Marx-Stadt, Magdeburg, Halle, Frankfurt, Cottbus und Berlin (überwiegend NTS9 und KgU).10 Im Kreis Luckau/Cottbus wurde ein Flugzeug beim Abwerfen von drei Ballons beobachtet.

Im Bezirk Dresden, vor allem in Görlitz, verstärkten die »Zeugen Jehovas«11 ihre feindliche Tätigkeit (Hausagitation).

In Krembz,12 Kreis Gadebusch/Schwerin, wurde in der Nacht zum 8.10.1953 bei einem öffentlichen Vergnügen ein MTS-Traktorist von Banditen mit einem Messer von hinten niedergestochen.

Einschätzung der Situation

Die Beteiligung an den Veranstaltungen zum 4. Jahrestag der DDR war im demokratischen Sektor von Berlin und in einem Drittel der Bezirke sehr gut und oftmals besser wie 1952. Die Veranstaltungen in Berlin waren ein besonders großer Erfolg. In zwei Drittel der Bezirke war die Beteiligung vielfach gering und nicht so stark wie im Vorjahre. Die Interesselosigkeit vieler Werktätiger ist nicht allein die Ursache, sondern oft mangelhafte Organisation der Veranstaltungen. Die Stimmung der Beteiligten war überall gut. Die Beflaggung und Ausschmückung der Häuser war nur in Berlin, Schwerin und in den Städten des Bezirkes Suhl und vereinzelt in einigen Städten und Arbeitersiedlungen anderer Bezirke gut. Im Allgemeinen war sie sehr mangelhaft, besonders auf dem Lande. Die bisher bekannt gewordenen Diskussionen und Meinungen zur Wiederwahl unseres Präsidenten Wilhelm Pieck zeigen überwiegend Zustimmung und freudige Begrüßung.

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