Tagesbericht: Streik in den Buna-Werken
16. Juli 1953
Information Nr. 1015: Besondere Vorkommnisse [Buna-Werke]
Da die zweite Schicht der Karbidabteilung im Buna-Werk die Arbeit am 15.7.1953 nicht aufgenommen hat, ist diese Abteilung (das Herz des Betriebes) um 19.05 Uhr aufgrund der Nichtbeschickung ausgefallen. Um 19.15 Uhr wurden nacheinander die Öfen wieder angeblasen, sodass bereits um 19.55 Uhr auf den Öfen I, II und III produziert werden konnte. Um 21.50 Uhr waren sechs Öfen in Betrieb und um 23.30 Uhr konnte der Betrieb mit voller Kapazität (8 Öfen) produzieren.
In der Zeit vom 15.7.1953, 23.00 Uhr, bis 16.7.1953, 5.00 Uhr, wurden 18 Personen festgenommen, die zum Sitzstreik aufgefordert und denselben organisiert haben.
Die Reparaturabteilungen haben um 7.30 Uhr ihren Dienst angetreten, die Arbeit aber nicht aufgenommen. Gegen 11.15 Uhr begann die Versammlung, in welcher Genosse Selbmann1 sprach. An dieser Versammlung nahmen Delegationen der Abteilungen des Betriebes teil.2
Im Referat wurde der Genosse Selbmann lediglich durch Applaus unterbrochen, der jedoch als Ironie bezeichnet werden kann. Zur Diskussion sprachen ca. 25 Personen. Ein Diskussionsredner aus der Karbidabteilung erklärte sich mit den Streikenden solidarisch. Hierauf ergriff der Parteisekretär Genosse Rinkel3 (Versammlungsleiter) das Wort und brachte zum Ausdruck, dass in der Versammlung keine Streikpropaganda betrieben werden kann. Daraufhin verließen ca. 50 % der Versammlungsteilnehmer demonstrativ den Saal, diesen schloss sich der größte Teil der noch Anwesenden an. Da niemand mehr anwesend war, konnte das Schlusswort vom Genossen Selbmann nicht gesprochen werden.
Neben den am 15.7.1953 aufgestellten 30 Forderungen, die von den Streikenden aufrechterhalten werden, wurden folgende Hauptforderungen gestellt:
1. Freilassung der politischen Gefangenen
2. Sofortige Entfernung der KVP aus dem Werk
3. Absetzung der AGL und BGL
Besonders stark wurde über die Auszeichnung des Genossen Walter Ulbricht als Held der Arbeit diskutiert. Die Situation nahm gegen 12.30 Uhr einen aggressiven und drohenden Charakter an. Zu Ausschreitungen ist es nicht gekommen, bis auf Plakate mit der Beschriftung: »Hier wird gestreikt, wir arbeiten nicht«, die aus den Fenstern einzelner Abteilungen gehängt wurden. Die Teilnehmer der Versammlung hielten nach Beendigung derselben in den streikenden Abteilungen ebenfalls Versammlungen ab. Ab 14.45 Uhr wurden die Öfen der Karbidabteilung nicht mehr beschickt, wodurch nur bis 16.45 Uhr im Betrieb voll gearbeitet werden konnte. Um 18.00 Uhr trat die 2. Schicht (die gestern den Streik auslöste) ihre Arbeit an und um 18.36 Uhr liefen bereits wieder sieben Öfen. Zurzeit arbeitet der Betrieb mit voller Kapazität.
Wichtig erscheint darauf hinzuweisen, dass von den Diskussionsrednern in der Versammlung ausschließlich politische Forderungen gestellt wurden. So z. B. wurde zum Ausdruck gebracht, dass die BGL Fehler gemacht hat und deshalb weg muss. Desgleichen hat die Regierung Fehler gemacht und soll abtreten. Der Diskussionsbeitrag: »Wenn man die Wahrheit hören will, muss man den RIAS hören«, wurde mit brausendem Beifall aufgenommen.
Bemerkung: Die Belegschaft des Buna Werkes setzt sich aus ca. 30–40 % Umsiedlern zusammen sowie aus ca. 3 000 ehemaligen PGs.4