Tagesbericht:Stimmung unter Rückkehrern
11. August 1953
Information Nr. 1037: Stimmung der Rückkehrer in das Gebiet der DDR
Dem Ministerratsbeschluss vom 11.6.19531 folgend, kehrten in das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik zurück:
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am 31.7.1953 = 214 Rückkehrer, davon 40 aus Westdeutschland,
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am 1.8.1953 = 128 Rückkehrer, davon 20 aus Westdeutschland,
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am 2.8.1953 = 21 Rückkehrer, davon 4 aus Westdeutschland,
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am 3.8.1953 = 251 Rückkehrer, davon 37 aus Westdeutschland,
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am 4.8.1953 = 143 Rückkehrer, davon 23 aus Westdeutschland,
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am 5.8.1953 = 216 Rückkehrer, davon 46 aus Westdeutschland,
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am 6.8.1953 = 162 Rückkehrer, davon 40 aus Westdeutschland,
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am 7.8.1953 = 209 Rückkehrer, davon 30 aus Westdeutschland,
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am 8.8.1953 = 126 Rückkehrer, davon 20 aus Westdeutschland,
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am 9.8.1953 = 15 Rückkehrer, davon 6 aus Westdeutschland.
Demgegenüber haben das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik verlassen:
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am 31.7.1953 = 244 Personen,
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am 1.8.1953 = 205 Personen,
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am 2.8.1953 = 11 Personen,
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am 3.8.1953 = 191 Personen,
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am 4.8.1953 = 143 Personen,
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am 5.8.1953 = 288 Personen,
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am 6.8.1953 = 197 Personen,
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am 7.8.1953 = 227 Personen,
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am 8.8.1953 = 144 Personen,
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am 9.8.1953 = 22 Personen.
Die Zahl der Rückkehrer unterliegt an den einzelnen Tagen starken Schwankungen. In den ersten Tagen des Monats kann man noch nicht erkennen, ob die Rückkehrerzahl im Steigen begriffen ist, da die Zahlen an den einzelnen Tagen zu große Schwankungen aufweisen.
Eine negative Entwicklung ist dahingehend festzustellen, dass die Republikflüchtigen die Rückkehrer überwiegen. So kehrten in der Zeit vom 31.7. bis 9.8.1953 insgesamt 1 485 Personen in die DDR zurück. In der gleichen Zeit wurden 1 672 Republikflüchtige gemeldet. Demnach stehen im Durchschnitt am Tage 149 Rückkehrer 167 Republikflüchtigen gegenüber.
Von den Rückkehrern wurden in der Zeit vom 31.7.1953 bis 9.8.1953 in Form einer zwangslosen und freundschaftlichen Unterhaltung insgesamt 35 Personen befragt, über die Aufnahme des Ministerratsbeschlusses bei den Flüchtlingen in Westdeutschland und Westberlin sowie ihre Aufnahme und Eindrücke in der DDR nach ihrer Rückkehr. Die befragten Personen setzten sich aus 18 Arbeitern, 14 Bauern, einem Angestellten und zwei Geschäftsleuten zusammen.
Aufgrund der Angaben dieser Personen kann Folgendes berichtet werden:
1. Aufnahme des Ministerratsbeschlusses bei zurückgekehrten Personen sowie bei den Flüchtlingen in Westdeutschland und Westberlin
Der Ministerratsbeschluss der DDR wurde von allen Rückkehrern lebhaft und freudig begrüßt. Verschiedene Rückkehrer konnten es gar nicht fassen, dass sie jetzt ungehindert wieder in die Heimat zurückkehren können. Bei einem Teil besteht noch ein gewisses Misstrauen betreffs der Durchführung der Regierungsbeschlüsse.
So äußerte der Rückkehrer [Vorname Name 1], wohnhaft: [Straße, Nr.], Bezirk Dresden: »Über die neuen Maßnahmen der Regierung und der Ministerratsbeschlüsse war ich sprachlos und hätte so etwas nie für möglich gehalten. Es ist einmalig, dass eine Regierung die gemachten Fehler nicht nur zugibt und einsieht, sondern sich bereit erklärt, dieselben wiedergutzumachen. Eine derartige Großzügigkeit hätte ich nie erwartet und habe ich auch noch nicht erlebt.«
Die Großbäuerin [Vorname Name 2], wohnhaft: Bergsdorf, Kreis Gransee, Bezirk Potsdam, sagte: »Ich finde die Ministerratsbeschlüsse2 gut, bin aber noch etwas misstrauisch.«
Der Landwirt [Vorname Name 3], wohnhaft: Niendorf, Kreis Parchim, Bezirk Schwerin, brachte zum Ausdruck: »Ich habe den Ministerratsbeschluss freudig begrüßt und hätte mir den Weg nach Westberlin sparen können.«
2. Stimmung der Flüchtlinge und Hemmungen bei der Rückkehr
Nach Mitteilung der Befragten ist die Stimmung sehr schlecht unter den Flüchtlingen, da sie von den Einheimischen als Eindringlinge angesehen werden, welche ihre schon bestehende Not nur noch vergrößern. Sie werden überall als fünftes Rad am Wagen betrachtet und auch behandelt.
Besonders schlecht ist die Stimmung in den Lagern, da dort die Unterbringung sowie Verpflegung sehr ungenügend ist. Die Lager sind größtenteils überfüllt, deshalb will der größte Teil von ihnen lieber heute als morgen in die Heimat zurückkehren. Jedoch besteht bei einem großen Teil von ihnen noch eine gewisse Hemmung, da sie befürchten, dass sie nach Rückkehr wegen ihrer Republikflucht verhaftet werden oder sonst welche Nachteile dadurch erhalten. Ein Teil wird durch die westliche Presse und den Rundfunk eingeschüchtert und von einer Rückkehr abgehalten, da unsere Agitation über den Ministerratsbeschluss in Westdeutschland noch nicht überall festen Fuß gefasst hat.
Der Rückkehrer [Vorname Name 4], wohnhaft: Sommersdorf, Kreis Demmin, Bezirk Neubrandenburg, äußerte: »Die Stimmung unter den Flüchtlingen in Westdeutschland ist so, dass alle gern wieder zurück möchten, da sie drüben schlecht untergebracht sind und keinen Verdienst haben. Die meisten Flüchtlinge sind noch sehr eingeschüchtert und wissen wenig über die Maßnahmen in der DDR. Die Zeitungen in Westberlin und Westdeutschland bringen hierüber sehr wenig. Mir wurde der Ministerratsbeschluss durch einen Zeitungsausschnitt, den meine Mutter mir schickte, bekannt.«
[Vorname Name 5], wohnhaft: Demmin, Bezirk Neubrandenburg, erklärte: »Ein großer Teil der Flüchtlinge schenkt den Parolen des Westens immer noch Glauben. Jeder möchte jedoch lieber heute wie morgen wieder zurück. Sie haben jedoch Angst zurückzukehren, da sie der Meinung sind, dass ihnen in der DDR noch irgendwelche Nachteile durch ihre Republikflucht erwachsen.«
3. Agitation und Maßnahmen von westlicher Seite aus, um eine Rückkehr zu verhindern
Durch Gegenagitation versucht man die Flüchtlinge von einer Rückkehr in die DDR abzuhalten, indem man durch Presse und Rundfunk mitteilt, dass man der Regierung »der Ostzone« nicht trauen dürfe. Weiterhin wird von verschiedenen Stellen gegen die DDR gehetzt. Man sagt den Flüchtlingen, dass sie in »der Ostzone« sofort verhaftet würden. Auch teilt man mit, dass sie, wenn sie an der Grenze ergriffen werden, wieder in ein Lager zurückgebracht würden und man sie dem Amerikaner dann übergibt.
So äußerte der Rückkehrer [Vorname Name 6], wohnhaft: Paplitz, Kreis Genthin, Bezirk Magdeburg: »Als ich den Antrag stellte bei der Abmeldung, um in die DDR zurückzukehren, wurde ich gefragt, warum ich zurückkehren will und ob ich keine Angst hätte, dass ich dort eingesperrt würde. Einen DPA erhielt ich nicht wieder, ich bekam nur einen provisorischen Ausweis. Als ich im Lager fragte, wie es mit dem Geld für die Rückreise sei, sagte man, das Geld solle ich mir von der Regierung der DDR geben lassen, von hier erhalte ich keines.«
[Vorname Name 7], wohnhaft: Klötze, Bezirk Magdeburg, [Straße, Nr.], sagte: »Ich wollte schon am 1.8. über die Grenze, wurde aber von Zöllnern aufgehalten und man fragte mich, was ich in der ›Ostzone‹ wollte. Als ich ihnen antwortete: ›Ich will wieder zu meinen Eltern, da es im Westen keine Arbeit gibt‹, wurde ich eingesperrt und in das Lager Uelzen gebracht. Von hier wollte man mich der westlichen Kriminalpolizei übergeben. Am Sonntag, dem 2.8.1953, gelang es mir aus dem Lager Uelzen zu fliehen.«
[Vorname Name 8], wohnhaft: Pasewalk, Bezirk Neubrandenburg, erklärte: »Die Rückkehr der Flüchtlinge wird vonseiten der Amerikaner in der Form verhindert, dass man überall bekannt gibt, dass derjenige, welchen man an der Grenze erwischt, sofort nach Westdeutschland zurückgebracht wird. Die Grenzpolizei hat die Anweisung, alle Personen, die zurückwollen, festzunehmen und dem amerikanischen Kommandanten zu übergeben.«
4. Durchführung der Maßnahmen des Ministerratsbeschlusses bei den Rückkehrern
Der größte Teil der zurückgekehrten Personen äußerte, dass sie von allen Stellen in der DDR äußerst höflich und zuvorkommend aufgenommen werden. Die Behandlung war gut und sie erhielten ihr Eigentum, Wirtschaften und Wohnungen schnell zurück und sind voll damit zufrieden. Trotzdem gab es noch Verwaltungsstellen, welche den Ministerratsbeschluss nicht richtig durchführen bzw. wo man nicht schnell genug alle Maßnahmen einleitete. Dadurch wurde eine gewisse Unzufriedenheit unter einem Teil der Rückkehrer erzeugt, was sich selbstverständlich auch auf die noch im Westen3 befindlichen Flüchtlinge überträgt und auf die Rückkehr dieser auswirkt.
Der Rückkehrer [Vorname Name 9], wohnhaft: Vorbein, Kreis Demmin, Bezirk Neubrandenburg, führte aus: »Ich habe mich an der Grenze gleich der VP gestellt und wurde von ihr sehr gut behandelt. Hier habe ich festgestellt, dass sich bereits schon viele Rückkehrer an der Grenze in ein Buch eingetragen haben.«
Der Bauer [Vorname Name 10], wohnhaft: Buchholz, Kreis Röbel, Bezirk Neubrandenburg, sagte: »Ich bin etwas verstimmt, da die Abteilung Landwirtschaft4 noch keine ordnungsgemäße Übergabe meines landwirtschaftlichen Betriebes vornahm.«
Frau [Vorname Name 11], wohnhaft: Prenzlau, Bezirk Neubrandenburg, [Straße Nr.], äußerte: »Mir wurde von der Wohnungsamtsleiterin in Prenzlau gesagt, warum ich denn zurückgekommen bin, da ich doch ganz genau weiß, da ich nur 600,00 DM hier für die Möbel wiederfinden werde und dass ich ebenfalls wisse, dass die Wohnungsknappheit hier groß ist.«
Der Großbauer [Name 12], wohnhaft: Quenstedt,5 Bezirk Halle, wurde mit einer Musikkapelle und vielen ehemaligen Landarbeitern auf drei Aderwagen vom Bahnhof Sandersleben abgeholt. Der Bürgermeister schloss in der Zwischenzeit das Tor der LPG »Max Reimann« (ehemaliges Gehöft des [Name 12]), um zu verhindern, dass die Menschenmenge in den Hof einströmte. Das Tor wurde jedoch von den Versammelten geöffnet. Zwei Angehörige der VP, welche die Menge zurückhalten wollten, wurden niedergeschrien. Die beiden VP-Angehörigen forderten Einsatzwagen der VP an. Der Einsatzwagen fuhr dann in den Hof und die Versammelten erhoben ein wüstes Geschrei, z. B.: »Volkspolizei raus.« Es kam zu tumultartigen Szenen, indem die anwesenden Personen verlangten, dass die Volkspolizei den Hof verlassen soll. Die Menge rief: »Ihr sabotiert die Beschlüsse der Regierung.« Die VP verließ den Hof unter Händeklatschen der Bevölkerung. Außerhalb des Hofes bildeten sich Diskussionsgruppen, die eine drohende Haltung gegen die noch verbliebenen VP-Angehörigen einnahmen. Der Bürgermeister wurde von mehreren Personen bespuckt.
5. Besondere Mitteilung eines Rückkehrers
Am 8.8.1953 kehrte der [Vorname Name 13] aus Salzwedel, Bezirk Magdeburg, über die D-Linie6 zurück. In einer Unterhaltung brachte er zum Ausdruck, dass er 1945 in amerikanische Gefangenschaft gekommen war, anschließend in ein Lager (53/48) nach Lyon, Frankreich, transportiert wurde, aus welchem er im Januar 1953 geflüchtet ist. Dieses Lager enthielt ca. 300 Gefangene, die sich aus Letten, Esten, Ukrainern und Deutschen zusammensetzten. Keiner der Gefangenen durfte seinen Angehörigen schreiben. [Name 13] äußerte, dass er aufgrund der unmenschlichen Behandlung auf Leben und Tod den Entschluss gefasst hat, die Flucht zu ergreifen. Er erklärte, dass er nur den einen Wunsch habe, so schnell wie möglich seine Frau wiederzusehen, welche von ihm seit 1945 noch keinerlei Nachricht hatte und mit der er schon von der VP aus telefonisch gesprochen hat.