80. Geburtstag von Wilhelm Pieck
5. Januar 1956
80. Geburtstag des Genossen Wilhelm Pieck [Information Nr. M2/56]
I. Vorbereitung
Bei der Vorbereitung der Feierlichkeiten zum 80. Geburtstag des Genossen Wilhelm Pieck gab es nur wenig Diskussionen.1 Man beschäftigte sich in Gesprächen nur dann mit diesem Thema, wenn man entweder direkt angesprochen wurde, wenn Sammlungen stattfanden oder wenn zu Verpflichtungen aufgefordert wurde. Besondere Vorkommnisse waren nicht zu verzeichnen. Zu negativen Äußerungen kam es nur vereinzelt.
Die große Anzahl der Verpflichtungen im Rahmen des Wilhelm-Pieck-Aufgebotes beweist, mit welcher Liebe und Verehrung die Bevölkerung der DDR zu ihrem Staatspräsidenten steht.2 Im Rahmen der Verpflichtungsbewegung wurden nur ganz vereinzelt ablehnende oder negative Äußerungen bekannt. Z. B. erklärte der Brigadier der MTS Labenz, Kreis Sternberg, [Bezirk] Schwerin, (Kreistagsabgeordneter, SED) zur Durchführung einer Sonderschicht der Traktoristen: »Ich fahre die Sonderschicht mit, aber den Erlös brauche ich für mich selbst. Bei mir kommen keine Sammlungen infrage.«
Während bei Geldsammlungen im Allgemeinen ebenfalls gute Ergebnisse erzielt wurden, wie z. B. im Bezirk Schwerin zum Bau des MTS-Stützpunktes Utecht, Kreis Gadebusch, kam es hier etwas mehr zu negativen Diskussionen, die aber auch nur vereinzelt und nicht konzentriert auftraten. Dabei wurde einmal gesagt, dass doch das Geld für andere Zwecke verwandt werden solle; und zum anderen äußert man in negativer Form, dass das Geld ganz anders verwandt würde, als für den 80. Geburtstag. Auch sollten die spenden, die das Meiste verdienen. Z. B. trat unter den Bauarbeitern des VEB Bau Belzig, [Bezirk] Potsdam, die Meinung auf, dass in letzter Zeit zu viele Sammlungen durchgeführt werden. Von ca. 340 Beschäftigten wurden dort 100 DM gesammelt. Ein Tischler aus Zeulenroda, [Bezirk] Gera: »Mir schenken sie auch nichts zum Geburtstag. Die sollen das Geld lieber für etwas anderes verwenden.« Eine Angestellte aus dem Bahnhof in Belzig, [Bezirk] Potsdam, sagte: »Dass der Bezirk Potsdam dem Präsidenten zum Geburtstag einen Traktor schenken will, glaube ich nicht, denn er wird derartige Dinge nie gebrauchen können. Meiner Meinung nach sollte man lieber sagen, dass noch zusätzliche Mittel für den Wiederaufbau benötigt werden.«
Zum überwiegenden Teil lehnten evangelische Pfarrer ab, eine von der CDU organisierte Grußadresse zu unterschreiben. Katholische Pfarrer zeigten sich nur in Einzelfällen ablehnend. Z. B . lehnten im Kreis Belzig, [Bezirk] Potsdam, alle evangelischen Pfarrer ab, während die katholischen alle unterschrieben.
II. Veranstaltungen
In allen Bezirken der DDR fanden zu Ehren des Genossen Staatspräsidenten am 2. und 3. Januar Festveranstaltungen statt. Entsprechend der örtlichen Bedingungen wurden Großkundgebungen, Aufmärsche, Feierstunden, öffentliche Festsitzungen der Gemeinderäte, Fackelzüge u. a. durchgeführt. In mehreren Fällen wurde die Ehrung des Genossen Wilhelm Pieck mit einer Rechenschaftslegung über die Erfüllung des Wilhelm-Pieck-Aufgebotes verbunden, wobei der Stolz der Werktätigen über die Erfüllung und Übererfüllung der Verpflichtungen zum Ausdruck kam. Verschiedentlich wurden Parteiveteranen eingeladen und besonders geehrt. Die Veranstaltungen waren gut besucht, sodass oftmals der Platz nicht ausreichte. Neben der getroffenen Einschätzung über einen guten Besuch liegen u. a. folgende Zahlen vor:
a) Bezirksstädte
- –
Stadttheater Schwerin: ca. 900 Personen,
- –
Dresden – Großkundgebung: ca. 75 000 bis 80 000,
- –
Magdeburg – Demonstration: ca. 15 000,
- –
Magdeburg – »Hermann-Gieseler-Halle«:3 ca. 3 000.
b) Kreisstädte
- –
[Bezirk] Leipzig:
- –
Oschatz: ca. 800,
- –
Torgau: ca. 1 000,
- –
Grimma: ca. 500,
- –
Schmölln: ca. 500.
- –
[Bezirk] Potsdam:
- –
Pritzwalk: ca. 400,
- –
Jüterbog: ca. 750,
- –
Neuruppin: ca. 550.
- –
c) Betriebe
- –
Kulturpalast der Werktätigen Karl-Marx-Stadt: ca. 900,
- –
Maxhütte Unterwellenborn: ca. 500,
- –
RAW Potsdam: ca. 2 000,
- –
Funkwerk Königs Wusterhausen: 150 von 160 Kollegen.
Trotz der guten Beteiligung bei der Mehrzahl der Veranstaltungen gab es vereinzelt negative Erscheinungen infolge schlechter Organisation. Dabei sind besonders zu nennen:
- –
schlechte Lautsprecheranlagen – z. B. Potsdam, Seitenausgänge des Ostbahnhofes Berlin (Ankunft der Genossen Woroschilow);4
- –
längere Wartezeit infolge schlechter Organisation der Aufmärsche – z. B. Fackelzug am Amtssitz des Staatspräsidenten5 (Jugendliche aus Treptow verließen wegen des langen Wartens vorzeitig den Zug; von 20 Teilnehmern des Bezirkes Pankow waren beim Abmarsch des Zuges nur noch 10 anwesend.);
- –
zu lange bzw. schlechte Referate – z. B. Jüterbog (vorzeitiges Verlassen des Platzes), MTS Gerdshagen, Kreis Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam.
Die Stimmung bei sämtlichen Veranstaltungen war sehr gut. Ausführungen der Referenten wurden oft durch Beifall unterbrochen und auch in persönlichen Stellungnahmen kam die Liebe und Verehrung gegenüber dem Genossen Wilhelm Pieck zum Ausdruck. Folgende Beispiele sind charakteristisch für viele ähnliche Diskussionen:
- –
Arbeiter der Maxhütte Unterwellenborn brachten zum Ausdruck, dass es ihr größter Wunsch ist, dass unserem Staatspräsidenten noch weitere Jahre Gesundheit und Schaffenskraft beschieden sein mögen.
- –
Der Hochofenchef [Name 1] sagte: »Man sollte anlässlich des Geburtstages unseres Präsidenten nicht nur eine Stoßschicht fahren, sondern zu Ehren unseres Wilhelm Pieck den Plan jeden Tag erfüllen.«
- –
Eine Parteilose aus dem VEB Kaltwalzwerk Bad Salzungen, [Bezirk] Suhl, sagte: »Wir haben unbedingt Vertrauen zu unserem geliebten Präsidenten, weil wir wissen, woher er kommt, und weil er sein ganzes Leben für das Wohlergehen der Werktätigen seine ganze Kraft eingesetzt hat. Das müssen wir bei den Staatsmännern der kapitalistischen Länder anzweifeln.«
- –
Ein Eisenbahner aus Großenhain, [Bezirk] Dresden, brachte zum Ausdruck, dass er heute (am 3.1.1956) in Berlin sein möchte, um so eine Feier mitzuerleben. Er ist der Meinung, dass ein Mann wie Wilhelm Pieck sich dieses auch verdient hat. Man müsste bedenken, dass er in seinem hohen Alter sehr große Leistungen vollbringt.
In den nur sehr vereinzelt auftretenden negativen Diskussionen spricht man verächtlich von den Feierlichkeiten und lehnt diese ab. Vereinzelt kam es auch zu negativen Äußerungen über die Aufmärsche der Kampfgruppen6 und der GST.
- –
Als in der Maxhütte Unterwellenborn zu den Feierstunden eingeladen wurde, kam es zu einzelnen negativen Äußerungen wie: »Wenn es eben sein soll, dann gehen wir hin.« Wir feiern den 3.1.1956, aber hoffentlich feiern wir auch am 5.1.1956 Adenauers Geburtstag7 (parteiloser FDJler).
- –
Zwei Jugendliche der Pädagogischen Hochschule Potsdam sagten: »Wenn wir Geburtstag haben, wird nicht so viel Wind gemacht.«
- –
Ein Einzelhändler aus Kyritz, [Bezirk] Potsdam äußerte, dass der Geburtstag von Jahr zu Jahr immer größer aufgezogen wird und er sich gar nicht wundere, wenn eines Tages wieder Parademärsche durch große militärische Formationen durchgeführt werden.
- –
In Berlin sagte ein Bürger beim Aufmarsch der GST: »Man braucht sich nicht über den Westen aufzuregen,8 denn bei uns laufen schon die Schulkinder mit Gewehren herum.«
III. Diskussionen über ausländische Delegationen
Zu den ausländischen Delegationen wird nur ganz vereinzelt, aber positiv Stellung genommen.9 Eine Angestellte der MTS Wiederoda, [Kreis] Oschatz, [Bezirk] Leipzig, sagte: »An den zahlreichen Delegationen aus den Ländern erkennt man klar, wie hoch das Ansehen und die Achtung der DDR im Ausland gestiegen ist.« Ein Genossenschaftsbauer der LPG »Solidarität« in Mendhausen,10 [Kreis] Meiningen, [Bezirk] Suhl, sagte: »Wir haben zu unserem Präsidenten immer mehr Vertrauen, weil er sich für die Erhaltung des Friedens in der ganzen Welt große Achtung erworben hat. Ein deutlicher Beweis dafür ist der Besuch der vielen Delegationen zu seinem Geburtstag aus der ganzen Welt.«
IV. Besondere Vorkommnisse und Feindtätigkeit
Besondere Vorkommnisse größeren Umfanges sind nicht bekannt geworden. Eine Verstärkung der Feindtätigkeit anlässlich des 80. Geburtstags ist nicht zu verzeichnen.
- –
In Stalinstadt fiel während der Festveranstaltungen (ca. 350 bis 400 Teilnehmer) das Bild Wilhelm Piecks auf der Bühne um (Ermittlungen werden noch geführt).
- –
Von der Wandzeitung der FDJ-Gruppe des Rates des Kreises Apolda, [Bezirk] Erfurt, wurde ein Bild des Genossen Wilhelm Pieck abgerissen.
- –
Im Holzhafen Wismar, [Bezirk] Rostock, traf ein Eisenbahnwaggon11 aus Döbeln ein, an welchen folgende Hetzlosungen standen: »Nieder mit den Massenmördern Pieck und Grotewohl«, »Ostzonale Regierung, Verräter an Deutschland«.