Aktionen westlicher Organisationen und Einrichtungen gegen die DDR (1)
26. Mai 1956
Formen und Methoden der Feindtätigkeit gegen die DDR [Information Nr. M111/56]
Allgemeine Einschätzung
Die Feindtätigkeit tritt zurzeit in der Hauptsache in Erscheinung als gesteigerte organisierte Hetze gegen die Partei- und Staatsführung. Es wird versucht, durch Entstellung der Ergebnisse des XX. Parteitages1 und der 3. Parteikonferenz2 eine Massenstimmung gegen die führenden Funktionäre zu erzeugen und dadurch die Partei und die Deutsche Demokratische Republik zu schwächen. Diese feindliche Tätigkeit wird bewiesen durch eine Vielzahl verschiedenartiger Hetzmaterialien – zumeist Flugblätter –, die mittels Luftballons und auch auf dem Postwege aus Westdeutschland und Westberlin in die DDR gelangen. Es wurden aber auch – zwar in kleinen Mengen nur – selbstgefertigte Hetzschriften ausgelegt und in Einzelfällen Hetzlosungen gemalt.
Die Einheitlichkeit dieser Hetzkampagne zeigt, im Inhalt als auch in der Zielsetzung, dass bei der HICOG die Gesamtplanung dieser Offensive liegt. Die Hetze wird in breiter Form vor allem vom Ostbüro der SPD3 und dem RIAS sowie der anderen Westsender getätigt. Es sind vereinzelt Anzeichen vorhanden, dass Organisationen (Landsmannschaften, St.-Georgs-Pfadfinder,4 Falken),5 die in Westdeutschland und Westberlin legal existieren, in nächster Zeit versuchen werden, ihre Anhänger in der DDR illegal zu organisieren.
Der Schwerpunkt der Feindtätigkeit liegt auch an den Hoch- und Fachschulen der DDR in der ideologischen Beeinflussung der Studenten und Lehrkräfte. In diesem Zusammenhang muss die Aufmerksamkeit auf das provokatorische Auftreten von Studentengruppen an einigen Hochschulen gelenkt werden. Eine bemerkenswerte Aktivität entwickelt die Evangelische Studentengemeinde (ESG) unter der studentischen Jugend, indem sie versucht, eine feindliche Diskussion gegen den Marxismus-Leninismus zu erregen und ihren Einfluss zu erweitern.
Der amerikanische Geheimdienst gab in letzter Zeit spezialisierte Aufträge an seine Agenten, die sich besonders auf Objekte der Nationalen Volksarmee, der Staatssicherheitsorgane, Verteidigungsindustrie sowie auf das Verkehrsnetz und den Export – Import der DDR konzentrieren.
Es gibt in der Industrie einige Hinweise auf vermutliche Diversionstätigkeit. Vereinzelt wurden auch in einigen Bezirken Fahnen und Schaukästen demokratischer Organisationen beschädigt und Hakenkreuze gemalt.
Es verstärkt sich die illegale Abwanderung, worüber aber ein gesonderter Bericht erscheint.6
Hetzschriftenverbreitung
Im Monat April wurden von den verschiedenen Agentenzentralen7 und Ostbüros8 insgesamt durch Ballons 1 684 363 Hetzschriften und auf dem Postwege 124 219 Hetzschriften in die Deutsche Demokratische Republik eingeschleust. Das bedeutet im Vergleich zum Vormonat, dass sich die Hetzschriftenverbreitung auf dem Postwege um rund 32 000 Exemplare erhöhte, während die Einschleusung durch Ballons zahlenmäßig unverändert blieb. Das Hetzmaterial gelangte nur in geringem Maße unter die Bevölkerung. Der Inhalt befasst sich überwiegend mit der Beseitigung des Stalinkultes in der UdSSR und mit Angriffen gegen die führenden Funktionäre der SED. Es wird versucht, die Bevölkerung und auch speziell die Mitglieder der SED in der Richtung zu beeinflussen, dass in der DDR führende Partei- und Staatsfunktionäre zurücktreten sollen. Das Ostbüro der SPD hat an der Hetzschriftenverbreitung mit 668 944 Exemplaren den weitaus größten Anteil.
Das Ostbüro der FDP9 verbreitet auf dem Postwege und mittels Ballons Hetzschriften, die äußerlich als Luftpostbriefe mit der Anschrift »An Familie Jedermann« aufgemacht sind und deren Inhalt als offizielle Mitteilung des Presseamtes des Ministerpräsidenten gehalten ist.10 Darin heißt es, dass die Regierung der DDR zurücktreten und sich einem Gericht stellen soll.
Um auch Verwirrung in die Reihen der SED-Mitglieder zu tragen, werden vom amerikanischen Geheimdienst Hetzschriften – wie bisher festgestellt 100 Exemplare – versandt, die so aufgemacht sind, als wenn Parteimitglieder die Kritik an Stalin als rechte Abweichung bezeichnen und die Ablösung der führenden Funktionäre der SED fordern.
Nach inoffizieller Mitteilung soll die französische Militärkommandantur Agentenzentralen in Westberlin untersagt haben, vom französischen Sektor aus Hetzballons zu starten. Gleichzeitig wurde bekannt, dass auch die englische Kommandantur die Einstellung der Ballonaktionen auf ihrem Truppenübungsplatz an der Tapiauer Allee11 in Charlottenburg wünscht. Die Ostbüros suchen daher neue Startplätze im amerikanischen Sektor. Trotzdem werden in den letzten Tagen in verstärktem Maße Hetzballonaktionen durchgeführt. Von den Ballons wurden bisher etwa 134 Stück in der DDR aufgefunden, die meist mit Hetzschriften in tschechischer Sprache versehen waren.
Selbstgefertigte Hetzschriften und Anbringen von Hetzlosungen
In den Betrieben der Bezirke Potsdam, Suhl, Leipzig und im Wismut-Gebiet wurden verschiedentlich selbstgefertigte Hetzschriften ausgelegt. Z. B. wurden im VEB Glashütte Torgau zehn handgeschriebene Hetzzettel mit dem Inhalt »Nieder mit der SED – Es lebe die Freiheit« gefunden. Am 8.3.1956 wurde im VEB Mühlenwerk Riesa eine Hetzlosung gegen die SED und die Regierung angeschmiert. Am selben Tage wurden auch im Reifenwerk Riesa sowie in Berlin, Magdeburg, Halle, Karl-Marx-Stadt und Dresden Hetzlosungen gegen führende Parteifunktionäre angeschrieben.
Vereinzelt wurden in verschiedenen Bezirken Hakenkreuze angebracht sowie Fahnen und Plakate demokratischer Organisationen beschädigt.
Rundfunk
Die Rundfunkstationen RIAS und »Freies Berlin«12 versuchen seit dem XX. Parteitag verstärkt die Führung der SED zu diffamieren, indem sie u. a. behaupten, dass es Stimmen in der DDR gibt – in letzter Zeit unter Hinweis auf die Volksdemokratien – die den Rücktritt der führenden Partei- und Staatsfunktionäre verlangen.
Fälschungen
Um die Besichtigung des Spionage-Tunnels in Alt-Glienicke13 zu desorganisieren, wurden an BGL volkseigener Betriebe im Demokratischen Sektor von Berlin und in der DDR gefälschte Einladungen verschickt. Es handelt sich dabei um gefälschte Kopfbogen der HVDVP. Gleichzeitig werden gefälschte Vorladungen versandt, die so aufgemacht sind, als wenn sie von den Kreisregistrierbüros der Nationalen Streitkräfte versandt wurden, und [sie] sollen das Bevorstehen einer allgemeinen Wehrpflicht vortäuschen.14
HICOG
Die Abteilung zur Zersetzung der SED bei der HICOG versucht mit großem finanziellem Aufwand ihr Ziel, Zersetzung in die Reihen der SED zu tragen, zu erreichen. Zu diesem Zweck wurden in den USA amerikanische Offiziere speziell geschult und in Westberlin eingesetzt. Diese Geheimdienstoffiziere benutzen deutsche Residenten, die meist längere Zeit in der SED Funktionen innehatten, zu Verrätern wurden und sich nach Westberlin absetzten.
Die Zielsetzung dieser Abteilung besteht u. a. in:
- 1.)
Anwerbung von Mitgliedern der Partei als Agenten, nach Möglichkeit in führenden Positionen. (mit Vorliebe auch Sekretärinnen);
- 2.)
Studium der Meinungsverschiedenheiten der führenden SED-Funktionäre zur Ausnutzung zu Feindseligkeiten und Sammlung von Informationen;
- 3.)
Führende bzw. ehemals führende Funktionäre der Partei zum Verlassen der DDR zu veranlassen und diese von Westdeutschland oder Westberlin aus gegen die Partei auftreten zu lassen.
Dass es ihnen in Einzelfällen schon gelang ihre Pläne zu erreichen, zeigen folgende Beispiele: Am 18.9.1955 ist die Sekretärin bei der Bezirksleitung der SED Groß-Berlin, Abteilung Agitation [Vorname Name 1], und am 28.4.1956 die Sekretärin der technischen Abteilung bei der gleichen Bezirksleitung, [Vorname Name 2], republikflüchtig geworden. Wie die ersten Ermittlungen ergaben, sind beide Agentinnen des amerikanischen Geheimdienstes. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass auch alle anderen Geheimdienste und deutsche Agentenzentralen großen Wert darauf legen, Sekretärinnen leitender Funktionäre des Partei- und Staatsapparates für Agententätigkeit zu gewinnen. Dies zeigt auch die Tatsache, dass die Sekretärin vom Stellvertretenden Ministerpräsidenten Dr. Otto Nuschke,15 Edith Neumann,16 Mitte April 1956 ebenfalls republikflüchtig wurde und jetzt beim amerikanischen Geheimdienst in Westdeutschland fest angestellt ist.
SPD-Berlin
Auf einer Funktionärskonferenz der SPD in Westberlin wurde eine Aktivierung der Parteiorganisationen im demokratischen Sektor gefordert.17 Brandt18 erklärte, die SPD sei daran interessiert, im »Osten« mit öffentlichen Versammlungen aufzutreten. Als weiteren Weg schlug er vor:
- –
Kreismitgliederversammlungen mit Westreferenten und »Gästen« aus Westberlin,
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Plakatierung der »Grundsatzforderungen« der SPD, um die Reaktion der Behörden und Bevölkerung des demokratischen Sektors zu erproben,
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Kundgebungen, wenn sich die ersten Aktionen bewähren.
Zur Prüfung der »Rechtsstaatlichkeit« will Brandt Listen der »politischen Häftlinge« anlegen lassen und SPD-Anwälte als Verteidiger vor unsere Gerichte delegieren. Bemerkenswert ist sein Plan, die Forderungen vom 17. Juni 1953 wieder aufzunehmen und unter der Bevölkerung zu verbreiten. Diese von Brandt entwickelte Gesamtkonzeption fand bei der Mehrheit der SPD-Führer (z. B. Suhr)19 keine Billigung.
Ostbüro der SPD
Das Ostbüro will den Schwerpunkt seiner Tätigkeit vom demokratischen Sektor in die DDR verlegen und dort die Zahl seiner Agenten erhöhen. Dabei misst das Ostbüro u. a. der Ausnutzung schwankender Angestellter in Kulturstätten der DDR und des demokratischen Sektors zur feindlichen Beeinflussung der Bevölkerung große Bedeutung bei. Hierzu zählen vor allem Künstler in Theatern, Varietés und der Gastspieldirektionen. Letztere sollen auch gleichzeitig zur organisatorischen Verbindung zu Betrieben und Dienststellen dienen. Gleichzeitig sollen die Programme im Sinne der SPD-Propaganda beeinflusst und die leichten Unterhaltungsprogramme, die bei der Bevölkerung beliebt sind, besonders ausgenutzt werden. Um dieses zu erreichen, versucht das Ostbüro Personen aus Künstlerkreisen zu gewinnen, insbesondere solche, die selbst in Westberlin wohnen, Verbindungen nach dort haben, aus irgendwelchen Gründen mit der demokratischen Entwicklung oder aus persönlichen Gründen unzufrieden sind.
Die Berliner SPD-Führung plant für das SPD-Ostbüro, die SPD-Kreisverbände im demokratischen Sektor, im Hinblick als Ausnutzung neuer Informationsquellen, zu überprüfen, wobei sie streng darauf achten wollen, dass ihre Mitglieder nicht durch Verbindung mit dem Ostbüro direkt gefährdet werden.
Die Kampagne gegen die Parteiführung der SED, in die Presse, Funk und sog. »Grenz-Veranstaltungen« einbezogen sind, verfolgen das Ziel, eine Massenstimmung gegen die gesamte Parteiführung der SED – besonders gegen Genossen Ulbricht – zu erzeugen. Das Ostbüro will dadurch die Position der SED und der Regierung der DDR schwächen, weil es fürchtet, dass die Anbahnung von Regierungskontakten zwischen der DDR und der Bundesrepublik real und möglich sind.
Umsiedler
Die vom Verband der Landsmannschaften (VdL)20 organisierte Gesamterhebung der »Heimatvertriebenen« soll sich auch auf das Gebiet der DDR erstrecken. Die notwendigen Ermittlungen in der DDR sollen durch V-Leute unter Mitarbeit anderer Agentenorganisationen geführt werden. Es ist geplant, dass das V-Mann-Netz grundsätzlich seine Kontakte nach Westdeutschland – nur ausnahmsweise nach Westberlin – hat (z. B. Befragungsstellen in Flüchtlingslagern) und im Endergebnis zur Bildung illegaler Landsmannschaften in der DDR führt. Angeblich wird damit die Absicht verfolgt, am Tage der Wiedervereinigung eine fertige Organisation zur Vertretung der Interessen der Umsiedler auch auf dem Territorium der DDR zu haben.
St.-Georgs-Pfadfinder
Besonders muss auf die katholische Jugendorganisation, die »St.-Georgs-Pfadfinder«, hingewiesen werden, da diese fast wie in vormilitärischer Ausbildung erzogen werden und legal in Westdeutschland existiert und unter Anleitung der Jesuiten steht. Die für religiöse Begriffe merkwürde Aufnahmeprüfung besteht u. a. aus der Anfertigung einer Skizze, einem Werkbesuch mit Bericht und dem Nachweis, morsen und chiffrieren zu können. In der DDR sind Anzeichen vorhanden, dass sich diese Organisation illegal formiert. Einzelne Mitglieder treten in die FDJ ein und nehmen an der militärsportlichen Ausbildung teil. Ein Beispiel aus Dresden zeigt, wie sie negativ auf die Jugendlichen einwirken. Dort stimmten drei Oberschulklassen gegen den Regierungsbeschluss zur Schaffung der Nationalen Volksarmee.21 Als Wortführer wurde ein Stammführer der »St. Georgs-Pfadfinder« festgestellt.
Sozialistische Jugend »Falken« (SJ)
Im Zusammenhang mit der Forderung der Falken nach Zulassung in der DDR wird inoffiziell bekannt, dass sie zur Unterstützung ihres Vorhabens Verbindungen zu FDJ-Funktionären suchen, um diese für sich zu gewinnen. Die Hinweise deuten darauf hin, dass sie besonders an Universitäten und Fachschulen illegale Gruppen bilden wollen. Ein leitender Funktionär der Falken äußerte, dass sie zur Beeinflussung der Jugend ihre Sprecher in die Jugendforen entsenden werden, um dort pazifistisch aufzutreten. Es soll eine Resolution an den Zentralrat der FDJ in Vorbereitung sein, in der eine allgemeine Aussprache im Friedrichstadt-Palast gefordert wird. Eine Teilnahme von 1 500 Falken ist vorgesehen, um auch »demonstrativ« auftreten zu können. Zur Vorbereitung dieser Versammlung wollen die Falken entsprechende Plakate auf den S-Bahnhöfen verbreiten.
Universitäten und Hochschulen
Auf den Universitäten und Hochschulen wirken sich westliche Einflüsse stärker aus. Die demokratischen Organisationen sind nicht in der Lage, dem genügend entgegenzutreten, zumal auch ein Teil der Lehrkräfte diese Tendenzen fördert. Dagegen wurde nur in einzelnen Fällen bekannt, dass feindliche Zentralen unter Studenten Agententätigkeit durchführen. An der Humboldt-Universität Berlin wurden vier Studenten unter dem Vorwand, Übersetzungen anfertigen zu können, mit einem Agenten des NATO Geheimdienstes in Kontakt gebracht. Das Ziel des Agenten war, Spionagematerial über ausländische Missionen zu erhalten, bei denen die Studenten Dolmetscherarbeit geleistet haben. Der Schwerpunkt liegt jedoch in der feindlichen ideologischen Beeinflussung der Studenten und Lehrkräfte.
Unter den Mitgliedern der SED – vorwiegend unter Wissenschaftlern, Studenten und Angestellten – wurden im Wesentlichen folgende Argumente nach dem XX. Parteitag und der 3. Parteikonferenz verbreitet:
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Die Forderung, dass das ZK zu seiner »eigenen schädlichen Arbeit in Bezug auf den Personenkult« Stellung nehmen soll;
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dass das ZK keine eigene Meinung habe, sondern seine Direktiven in Moskau erhält;
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dass die Vorschläge an die SPD nicht ernst gemeint sind und nur eine Taktik der SED darstellen.
Beispiele der Auswirkung der ideologischen Beeinflussung zeigten sich u. a. an der Universität Leipzig und der Musikhochschule in Weimar, der Hochschule für Körperkultur und Sport in Leipzig, in Karl-Marx-Stadt und an der landwirtschaftlichen Fakultät in Leipzig.
Am 2.5.1956 demonstrierten in Weimar ca. 200 Studenten und ca. 100 andere Jugendliche gegen den Komponisten Herbert Roth.22 Die Demonstration wurde von vier Studenten der Musikhochschule Weimar organisiert. Die Absicht der Studenten war der Schulleitung wie auch dem Parteisekretär bekannt, konnte aber auch durch Aufklärung dieser nicht verhindert werden. Der Demonstrationszug führte vier Transparente mit und an der Spitze des Zuges befand sich eine Kapelle. Durch Eingreifen des Schnellkommandos der VP – bei dem es zu leichten tätlichen Auseinandersetzungen kam – entstanden Äußerungen unter den Studenten gegen die VP und »Demokratie«.23
Die »Evangelische Studentengemeinde« (ESG) hat in ihrer Hetze gegen den Marxismus-Leninismus die Unterstützung der Lehrkräfte, die auf den Versammlungen die Referate übernehmen (z. B. Berlin und Leipzig). Die Funktionäre der ESG haben in Westberlin Deckadressen. Evangelische Studentengemeinden der DDR haben Patengemeinden in Westdeutschland und werden vom evangelischen Hilfswerk finanziell unterstützt. Für 1956 sind gemeinsame Sommerlager in Westdeutschland geplant. Oberschüler und Abiturienten werden zu sogenannten »Rüstzeiten« nach Westberlin gezogen.
Unter der Losung »Die Kirche geht in die Fabrik« sollen Studenten nach Beendigung ihres Studiums sechs Monate in der Produktion arbeiten, um
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die Arbeiter zur »Rettung des Privatlebens« aufzufordern,
- 2.)
Unmöglichkeit der Planerfüllung und »Ausbeutung« durch den Staat zu beweisen,
- 3.)
Gruppen der Jungen Gemeinde zu bilden.
Der ESG angeschlossen ist der »Arbeitskreis für Mission« (AfM),24 der eng mit der »osteuropäischen Mission« (Zentrale Pasadena25/Kalifornien)26 zusammenarbeitet. Die Mitarbeiterin dieser osteuropäischen Mission Teubner27 bearbeitet die Westberliner Flüchtlingslager28 in Hinsicht auf Gewinnung republikflüchtiger Studenten für Feindtätigkeiten. Die Berliner Gruppe des AfM leitet die Amerikanerin Evelyne Peters,29 Berlin W 18, Fasanenstraße 46. In der Stöckerstiftung, Berlin-Weißensee,30 finden sogenannte »Freizeiten« statt, wo Studenten aus Ost und West teilnehmen. Vom 24. bis 31. August 1956 werden Dulon31 (Reisesekretär des AfM) und ein gewisser Sundermeier32 dort eine »Freizeit« organisieren. Das Geld liefert die westdeutsche Organisation zu einem Teil. Zur Tarnung soll ein Vikar aus der DDR als Leiter fungieren.
Spionage
Die Agenten des amerikanischen Geheimdienstes erhalten folgende Aufträge:
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Aufklärung der Standorte von Einheiten der sowjetischen Armee, der KVP und der Volksarmee,
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deren Stärke,
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deren Truppenteile und Waffengattungen,
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ferner der Betriebe der Verteidigungsindustrie,
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Treibstofflager, Kraftfahrzeugparks und Nachschublager.
Weiter wird gefordert auszuspionieren, wo ferngelenkte Waffen wie Raketen usw. konstruiert bzw. gebaut oder zusammengesetzt werden und wo sich Versuchsgebäude befinden sowie wer dort beschäftigt ist.
Besonders umfangreich sind die erteilten Aufträge über das gesamte Verkehrswesen der DDR. Es werden dabei Fahrpläne, Bahnhofsfahrordnungen, Dienstvorschriften der Reichsbahn, Daten über Streckenbelastungen, Bahnhofspläne, Verkehrskarten usw. verlangt. Dabei interessiert auch das Verkehrswesen Polens und der ČSR. Die Wirtschaftsspionage interessiert sich verstärkt für den Ex- und Import der DDR. Außerdem interessiert sich z. B. eine amerikanische Dienststelle u. a. für VP-Ämter, Parteibüros und Gebäude des MfS in verschiedenen thüringischen Städten. Ein spezielles amerikanisches Geheimdienstbüro plant besondere Einsätze zur Beobachtung konspirativer Wohnungen der Staatssicherheit.
Ausbau neuer Feindzentren
Nach der 3. Parteikonferenz der SED wurde eine neue Hauptabteilung III mit der Bezeichnung »Wirtschaft und Arbeit« beim UfJ33 geschaffen, deren einzelne Abteilungen und Referate die Bezeichnungen haben wie: Industrie-, Land- und Forstwirtschaft, Eisenbahn usw. Ihre Hauptaufgabe besteht im Abzug von technischen Kräften und Jungingenieuren. Es wird versucht junge Kader abzuziehen, da man der Meinung ist, dass diese dem bestehenden Wirtschaftssystem in Westdeutschland noch angepasst werden können und billiger sind.
Auf dem Gebiet des Fernmeldewesens ist in Westberlin in der Oberpostdirektion Winterfeldtstraße eine Dienststelle eingerichtet worden. Der Verantwortliche ist der Leiter der Personalstelle der Oberpostdirektion Westberlin, Schwerdfeger,34 der vorher Präsident der Oberpostdirektion Schwerin war und 1949 republikflüchtig wurde. Alle sogenannten »alten Postler« werden aufgefordert, sich bei der genannten Stelle registrieren zu lassen, wenn sie ein Anrecht auf eine Pension haben wollen. Wer mindestens 6 Wochen nach 1945 auf dem Gebiet der Post tätig war und sich registrieren lässt, erhält eine Pension in Höhe von DM 120. Ein Teil unserer Postangestellten ist dieser Aufforderung nachgekommen und hält Verbindung mit dieser Stelle.
Vermutliche Diversionshandlungen und Brandstiftungen
Beschädigungen von Maschinen wurden in einigen Betrieben der Bezirke Dresden, Erfurt, Frankfurt/O., Leipzig, Neubrandenburg und des Wismut-Gebietes festgestellt. In den meisten Fällen rührten sie von Fremdkörpern her, die in den Maschinen vorgefunden wurden.
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Im VEB Waggonbau Görlitz fiel am 24.4.1956 in der Schmiede des Werkes II die Presse aus. In der Spindelpresse wurde als Fremdkörper ein Stück Eisen gefunden.
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Am 2.5.1956 wurde dem VEB Maschinenbau Görlitz mitgeteilt, dass in einer an die Neptun-Werft Rostock gelieferten Dampfmaschine im Dampfüberstromkanal zwischen Mitteldruck- und Niederdruckschieber eine Mutter M 24 gefunden wurde. Die Maschine sollte in ein Hebeschiff für die SU eingebaut werden.
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Im VEB VTA Leipzig ist in der Woche zum 23.3.1956 eine Karusselldrehbank zum fünften Mal ausgefallen, weil die Ölzufuhr unterbrochen wurde.
Beschädigungen an Waggons und Lokomotiven der Deutschen Reichsbahn traten in den Bezirken Halle, Schwerin und Potsdam auf. Die Steuerung der am 9.2.1956 im RAW Halle überholten Lok 83 10 22 ließ sich am nächsten Tag nicht mehr betätigen, weil in der Kunschenschleife eine Schraube lag.
Anzeichen von vorsätzlicher Brandstiftung und Diversion wurden in den Monaten März bis April aus dem Wismut-Gebiet bekannt:
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Am 23.3.1956 brach in einem Bohrturm der Wismut in Bernsbach, [Kreis] Aue, ein Brand aus, der nach den Brandspuren auf Brandstiftung zurückzuführen ist.
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Am 2.3.1956 wurden bei einer Reparatur am Wasserturm des Objektes 31 Auerbach unter dem Fußboden drei Flaschen Benzin, ein Paket Watte und eine Schlafdecke gefunden.
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Am 17.4.1956 wurde in der Garage Johanngeorgenstadt unter einem Übertragungswagen des FDGB ein Sprengkörper entdeckt.
In der Nacht vom 9. zum 10.5.1956 wurden im VEB Ostseeholzwerk in Schwerin durch einen Großbrand drei gerade erst fertiggestellte Hallen vernichtet. In den nächsten Tagen sollte darin die Serienproduktion von Fenstern aufgenommen werden. Vorher war bekannt geworden, dass ein Teil der Beschäftigten nach Aufnahme der Serienanfertigung nicht mehr benötigt würde und entlassen werden sollte.