Aktionen westlicher Organisationen und Einrichtungen gegen die DDR (2)
21. Juli 1956
Information Nr. 86/56 – Betrifft: Formen und Methoden der Feindtätigkeit gegen die Deutsche Demokratische Republik
Gesamteinschätzung
Die Feindtätigkeit gegen die DDR äußert sich vorwiegend in einer stark anhaltenden organisierten Hetze der Westberliner Agentenzentralen1 gegen die Parteiführung der SED und die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik. Aus dem Inhalt der Flugblätter und Hetzschriften, die in ihrer Mehrzahl mittels Ballon und auf dem Postwege in die DDR gelangen, ist das Bestreben des Gegners ersichtlich, Zersetzung und Unsicherheit in die Reihen der Partei und des Staatsapparates zu tragen, die Partei- und Staatsführung zu diffamieren sowie größere Bevölkerungsteile in Widerspruch zur volksdemokratischen Ordnung und zum sozialistischen Wirtschaftssystem in der DDR zu bringen. Die Tendenz der gesamten Feindpropaganda offenbart die Absicht des Gegners, in der DDR den Boden für weitergehende Provokationen vorzubereiten.
Die feindliche Argumentation stützt sich in erster Linie auf die Kritik am Personenkult, auf die Einhaltung der demokratischen Gesetzlichkeit – sogenannte Rechtsstaatlichkeit – und auf ökonomische Fragen in Industrie und Landwirtschaft. Der Gegner nutzt diese Umstände zu dem Versuch, einen Schlag gegen die Ideologie des Marxismus-Leninismus zu führen.
Obwohl das Hetzmaterial nur in geringem Maße unter die Bevölkerung kommt, gibt es in allen Bezirken Anzeichen, dass die Agentenzentralen bei feindlich eingestellten Elementen Unterstützung finden. Es werden vorwiegend in Industriebetrieben – wenn auch in geringem Maße – gedruckte Flugblätter ausgelegt, selbstgefertigte Hetzschriften verbreitet, Hetzlosungen angeschmiert und feindliche Argumente weitergegeben, die auf den Einfluss westlicher Rundfunkstationen hinweisen.
Zur Tätigkeit der feindlichen Geheimdienste wurde bekannt, dass der amerikanische Geheimdienst (MID – Military Intelligence Department)2 in letzter Zeit zu Massenwerbungen übergegangen ist, deren Gefährlichkeit u. a. auch darin besteht, dass im Ernstfall sofort gesteuerte Agentengruppen bereitstehen, die unter Ausnutzung von Unzufriedenheit innerhalb der Bevölkerung Provokationen auslösen können.
In der Deutschen Demokratischen Republik gibt es noch eine Reihe von Umständen in Wirtschaft und Verwaltung – vor allem in der Versorgung mit Lebensmitteln und Konsumgütern –, die Unzufriedenheit unter der Bevölkerung hervorrufen und eine provokatorische Ausnutzung durch gegnerische Elemente ermöglichen. Es treten teilweise dieselben Schwerpunkte wie im Juni 1953 auf. Andererseits sind in allen Bezirken Konzentrationen von ehemaligen Faschisten und Offizieren und anderen negativen Elementen vorhanden, die – wie auch die Konzentrationen ehemaliger Umsiedler – Ansatzpunkte für Untergrundtätigkeit bilden.
An verschiedenen Hoch- und Fachschulen traten in jüngster Vergangenheit provokatorische Tendenzen an den Tag, die sich hauptsächlich gegen die Regierung und die Parteiführung der SED richteten. Es machte sich besonders stark die Feindargumentation zu den Fragen der Beseitigung des Personenkultes bemerkbar. Eine wesentliche Rolle spielen in diesem Zusammenhang die Studentengemeinden. Die augenblickliche Beruhigung an den Hoch- und Fachschulen ist darauf zurückzuführen, dass bis zu 90 % der Hörer im Praktikum arbeiten und der Rest durch Prüfungen in Anspruch genommen ist.
In Verbindung mit den Provokationen in Poznan wurde festgestellt,3 dass die deutsche evangelische Kirche über zahlreiche kirchendienstliche Verbindungen zu Personen in der Volksrepublik Polen verfügt, die u. a. auch zum Sammeln von Informationen benutzt werden. Ungenügende Beachtung fanden in fast allen Bezirken die kürzlich aus der Haft entlassenen Personen, die Rückkehrer bzw. Asylsuchenden aus Westdeutschland und die Reisebüros in der DDR einschließlich des Touristenverkehrs. In den Industriebetrieben und auf dem Gebiete der Landwirtschaft sind in einigen Bezirken – allerdings vereinzelt nur – Produktionsstörungen und Brände aufgetreten, die auf vermutliche Diversionstätigkeit hinweisen. Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich die Feindtätigkeit – auch nach den Provokationen in Poznan – nicht verstärkt hat. Es muss aber darauf hingewiesen werden, dass feindliche Provokationen nur dann erfolgreich vereitelt werden können, wenn alle Ansatzpunkte der Feindtätigkeit – auch die scheinbar unbedeutenden – richtig und frühzeitig erkannt und mehr beachtet werden.
Hetzschriftenverbreitung
Im Monat Juni 1956 wurden von den verschiedenen Agentenzentralen und Ostbüros4 insgesamt durch Ballons 1 085 901 Hetzschriften und auf dem Postwege 125 558 Hetzschriften in die DDR eingeschleust. Das bedeutet im Vergleich zum Vormonat, dass sich die Hetzschriftenverbreitung auf dem Postwege um rund 22 000 Exemplare erhöhte und die Zahl der eingeschleusten Hetzschriften durch Ballons sogar um rund 680 000 Exemplare angestiegen ist. Die Zahl der gefundenen bzw. gesichteten Ballons im Juni beträgt 1 236 Stück. Das sind 742 Stück mehr als im Vormonat. Das Hetzmaterial gelangte nur in geringem Maße unter die Bevölkerung.
Der Inhalt der Hetzschriften in der ersten Hälfte des Monats Juni befasst sich, soweit es sich um neue Exemplare handelt, mit dem »17. Juni«, wobei Ziel der Hetze war, diesen Tag als einen »Volksaufstand«, der »nicht vergebens« war, darzustellen. Dazu fehlt es auch nicht an der Forderung nach freien Wahlen und der »Erfüllung der gestellten Forderungen vom 17. Juni 1953, die noch ihre volle Gültigkeit haben«. Herausgeber dieser Hetzschriften waren das SPD-Ostbüro, die KgU,5 der NTS6 sowie eine unbekannte Feindzentrale.
Zur Verwirrung der Parteimitglieder sowie zur Diffamierung des Politbüros bringt die sogenannte »SED-Opposition«7 Hetzschriften heraus, die im Text so gehalten sind, als wenn die Verfasser Mitglieder der Partei sind. Das FDP-Ostbüro verbreitet weiterhin vorwiegend den »Luftpostbrief« – »Familie Jedermann«8 – allein im Monat Juni ca. 10 000 Exemplare. Der Inhalt beschäftigt sich mit den »politischen Gefangenen in der Sowjetzone«. Auch im Monat Juni hat das SPD-Ostbüro mit 393 122 Stück den größten Anteil bei der Hetzschriftenverbreitung.
Verbreitung von Hetzschriften durch Auslegen, Ankleben usw.
Die Verbreitung der einzelnen Exemplare von den Feindzentralen, darunter 66 selbstgefertigte Hetzschriften, erfolgt durch Auslegen in Straßen, vor Haustüren und in Briefkästen sowie durch Ankleben an Anschlagtafeln usw. Im Vergleich zum Vormonat ist die Zahl der Fälle gleichbleibend und zwar waren es im Monat Mai 54 Fälle und [im] Monat Juni 56 Fälle.
Feindpropaganda
In letzter Zeit wurden mehrere neue Flugblätter herausgebracht, die sich mit Parteifragen befassen. Sie sind im Text so gehalten, als wenn die Verfasser Mitglieder unserer Partei wären, »die um die Politik der Partei besorgt sind«. Neben der Hetze im Allgemeinen fordern sie die Mitglieder und Funktionäre auf, sich gegen das Politbüro zu richten.
Z. B. wurden die Mitglieder unserer Partei in einem Flugblatt der »SED-Opposition« (Brief 20)9 »zum Handeln« aufgerufen und die Forderung »auf Absetzung jener Funktionäre« erhoben, die »als blinde Werkzeuge Ulbrichts nicht der Partei, sondern dem Personenkult dienen«. Ein anderes Flugblatt, vermutlich von der »SED-Opposition«, mit der Überschrift: »Die Genossen und die opportunistische Politik des Politbüros«, mit der Aufforderung, Alarm zu schlagen und in leninscher Weise vom ZK eine echte Stellungnahme zu erzwingen.
In einem anderen Flugblatt, Herkunft unbekannt, mit der Überschrift »Funktionäre der SED«, heißt es u. a.: »Die volksfeindliche und parteischädigende Politik der Ulbricht-Clique kann einzig und allein durch die Verwirklichung folgender Forderungen durchkreuzt werden:
- –
Volle Nutzanwendung des XX. Parteitages der KPdSU10 auf die SED!
- –
Breite Entfaltung der Diskussion über die Fehler des Politbüros und des Genossen Walter Ulbricht!
- –
Einberufung eines außerordentlichen Parteitages mit garantierter freier Diskussion!
- –
Unerbittlicher Kampf gegen die sektiererische Abkehr des Politbüros vom Prinzip der Kritik und Selbstkritik!
- –
Amtsenthebung aller Funktionäre, die dem Stalinismus Vorschub leisten!«
Die Unterschrift lautet: »Kritisch-unabhängige Genossen«.
Feindliche Handlungen
Im Bezirk Potsdam wurden verschiedene Provokationen bekannt. Als Schwerpunkte sind die Kreise Belzig und Oranienburg anzusehen. In Belzig allein wurden 16 Parolen festgestellt, die alle in Verbindung mit den Ereignissen in Poznan zu bringen sind. Es wurden faschistische Hetzlosungen angeschmiert sowie sowjetische Gräber in Hohen Neuendorf, Oranienburg und Dallgow11 zerstört, bei denen zugleich das »NTS-Zeichen« gemalt wurde.
In Gasteroda, [Bezirk] Suhl,12 wurde dem Parteisekretär Walger vom Kaliwerk »Einheit« bekannt, dass verschiedene Einwohner des Ortes seine Frau und seine Kinder aufmerksam machten, nicht in das Ferienlager zu gehen, da in nächster Zeit Ereignisse wie in Poznan zu erwarten sind.
In Grammentin, [Bezirk] Neubrandenburg, erklärt der Angestellte der VEAB, [Name 1], vor 1945 SA, nach 1945 SPD, jetzt parteilos, wiederholt öffentlich, dass die Deutsche Demokratische Republik nicht mehr lange bestehe und betreibt Mordhetze gegen Funktionäre. Im Juni 1956 mischte er sich unberechtigt in eine Zwangsräumung ein, betrieb ebenfalls Mordhetze, steckte sich ein Hakenkreuzabzeichen an und begab sich damit durch den Ort. In dieser Gemeinde werden RIAS-Nachrichten verbreitet, z. B. bei der Milchabnahmestelle und in den Gastwirtschaften.
Der Rat des Stadtbezirkes Berlin-Friedrichshain und die Kreisleitung der SED in Eilenburg, [Bezirk] Leipzig, erhielten je eine Postkarte mit provokatorischen Äußerungen im Zusammenhang mit den Vorkommnissen in Poznan. Vier Sekretäre der SED-Kreisleitung Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, erhielten Hetzbriefe, deren Inhalt gegen führende Funktionäre der Partei gerichtet ist und auf die Spaltung der Partei abzielt.
Am 23.6.1956 kam es in der Parkgaststätte in Delitzsch, [Bezirk] Leipzig, zu einer Schlägerei zwischen einem VP-Angehörigen und einer unbekannten Person. Letztere hatte den VP-Angehörigen provoziert. Am 28.6.1956 kam es im Karl-Marx-Haus in Delitzsch, [Bezirk] Leipzig, zu einem ähnlichen Vorkommnis mit einem VP-Angehörigen. Nach den bisherigen Ergebnissen der operativen Bearbeitung handelt es sich bei den Provokateuren um ein und dieselbe Person. Außerdem wurde bereits am 21.6.1956, 1.00 Uhr, ein Instrukteur der FDJ-Kreisleitung Delitzsch von zwei unbekannten Tätern niedergeschlagen.
Ein Ober-Zootechniker der MTS Kruge,13 [Kreis] [Bad] Freienwalde, [Bezirk] Frankfurt/O., betreibt Boykotthetze und spricht von einem 17. Juni, der im August des Jahres durchgeführt würde. Zu seinem Verbindungskreis gehört u. a. der im MTS-Bereich Kruge tätige Tierarzt (ehemaliger aktiver Luftwaffen-Offizier). Beide versuchen, ihren Verbindungskreis zu erweitern und Personen mit negativer Einstellung an sich zu ziehen.
Der Inhaber der Gaststätte Gambrinus in Saalfeld, Mitglied der SED, äußerte: »Die Stimmung auf dem Lande ist nicht besonders günstig. Die Lage ist dort wie vor dem 17.6.1953, jedoch braucht man jetzt nicht damit zu rechnen, sondern erst im August, dass besondere Vorfälle eintreten.« Ein in Westdeutschland zu Besuch weilender Ingenieur aus Leipzig brachte von dort die Nachricht mit, dass im August 1956 in der DDR Ereignisse vor sich gehen sollen, die die Absetzung des Genossen Grotewohl nach sich ziehen.
Anzeichen von Untergrundtätigkeit
In Meerane, Kreis Glauchau, existiert eine Widerstandsgruppe »Weimar« mit der Kenn-Nummer 04 567 RST, es handelt sich dabei um einen Gesangsverein, der sich besonders aus Geschäftsleuten, kleinbürgerlichen Elementen und Faschisten zusammensetzt. Über die Arbeit dieser Widerstandsgruppe ist noch nichts Konkretes bekannt.
In den Kreisen Oelsnitz, Plauen und Klingenthal besteht eine illegale Untergrundgruppe, welche Reitsport betreibt. In ihren illegalen Zusammenkünften reden sie von einem neuen 17. Juni und wünschen diesen vorzubereiten. Sie hetzen dabei gegen die DDR, die Regierung und Partei. Sie haben Verbindung nach Westberlin und Hof. Diese Personen sind größtenteils alte faschistische Elemente und gehörten dem SA-Reitersturm an.
Im Bezirk Cottbus versuchen in zwei Fällen jugendliche Zuwanderer aus Westdeutschland »Clubs« (Skatclub) zu gründen. Es ist bekannt, dass einer von dieser Gruppe nicht arbeitet, immer Geld hat und oft nach Berlin fährt.
Im Bezirk Schwerin gibt es zahlreiche Gruppen ehemaliger Faschisten, Militaristen, Großbauern, die bei der Feststellung von Untergrundtätigkeit und Aufklärung zu beachten sind, z. B. in Lübz, Werder, Dümmer,14 Steinhagen, Boizenburg, Lübtheen,15 Wittenförden,16 Krakow,17 Marnitz und Gadebusch. In einzelnen Fällen handelt es sich auch um Angehörige kleinbürgerlicher Parteien.
Im Braunkohlenwerk Greifenhain, [Kreis] Cottbus[-Land], besteht eine illegale Gruppe von sechs Personen, die sich »Blauer Span« nennt. Von dieser Gruppe werden monatlich Beiträge in Höhe von 5,00 DM erhoben. Innerhalb der Gruppe wurde ein Flugblatt verteilt, welches die Arbeiter auffordert, passiven Widerstand zu leisten und langsam zu arbeiten. Ein Angehöriger der Gruppe, ein ehemaliger Häftling, wurde aus der Gruppe ausgeschlossen, weil er seine Norm übererfüllte.
Im Bezirk Suhl besteht eine relativ hohe Zahl illegaler Waffenbesitzer (im Monat Juni wurden 16 Personen festgenommen). Es handelt sich dabei um Jagdwaffen sowie teilweise umgebaute Karabiner und Maschinenpistolen.
SPD-Ostbüro und FDP-Ostbüro
Über die Tätigkeit und die Pläne des SPD-Ostbüros und dessen Agenten gibt es folgende Hinweise: Alle Mitarbeiter des SPD-Ostbüros in Westberlin haben die Anweisung erhalten, alle Flüchtlinge und V-Leute, die das Ostbüro anlaufen, zu befragen, was in der DDR in der Sache Poznan eingeleitet worden ist; insbesondere welche Anweisungen die Kampfgruppen18 in den Betrieben der DDR erhielten. Zzt. ist das SPD-Ostbüro besonders stark an der Wismut interessiert. Nach Äußerung eines führenden Agenten des SPD-Ostbüros ist die verstärkte Flugblattverteilung der Auftakt für die Stilllegung eines Teiles des Wismut-Gebietes. Seine Agenten werden beauftragt, Trafo-Stationen und Starkstromleitungen sowie günstige Angriffspunkte für diese Objekte zu erkunden. Außerdem sollen Angaben über Funktionäre der SED, des FDGB und der VP in diesem Gebiet gebracht werden.
Von der Verwaltung Berlin19 wird mitgeteilt, dass in der SPD folgende Meinung vertreten wird: »Stalin sei für sie nicht interessant, aber alles muss eingesetzt werden, um parallel zur Frage Stalin den Genossen Walter Ulbricht alle Schwierigkeiten in die Schuhe zu schieben.«
Im Kreis Bernau, [Bezirk] Frankfurt/O., besteht eine Gruppe, die Flugblätter verteilt.
In der Gemeinde Rastow, [Kreis] Schwerin[-Land], ist eine Konzentration von SPD-Mitgliedern vorhanden. 30 % machten dort die Vereinigung zur SED nicht mit und führen heute noch illegale Zusammenkünfte durch. Bei einer Hausdurchsuchung wurden einmal 200 SPD-Zeitungen gefunden. Fast alle Einwohner haben Verbindung nach dem Westen und hören westliche Sender. Aus dieser Gemeinde sind bisher 110 Personen republikflüchtig geworden.
In [Bad] Salzelmen, [Bezirk] Magdeburg, wurden gedruckte Flugblätter vom Ostbüro der SPD an Litfaßsäulen und Gemeindebrettern angeklebt. In Salzelmen befindet sich das Auffanglager für westdeutsche Jugendliche.20
Drei im Zuge der Amnestie entlassene ehemalige Agenten des SPD-Ostbüros aus Kolkwitz, [Kreis] Cottbus[-Land], treffen sich mit anderen alten SPD-Leuten in der Gastwirtschaft. Außerdem liegen Hinweise vor, dass auch Zusammenkünfte in Wohnungen stattfinden. Einen ähnlichen Fall gibt es in Magdeburg.
Kressmann21 von der Berliner SPD und Erler22 (Bundestagsabgeordneter) beabsichtigen im Juli und August 1956 in Versammlungen der SPD im demokratischen Sektor zu sprechen.
FDP-Ostbüro
In der April-Ausgabe des »Luftpostbriefes« vom FDP-Ostbüro wird die Bevölkerung der DDR zu Folgendem angehalten:23 »Wenn jeder von Ihnen nur einmal im Monat einen Brief an die Staatsorgane mit scharfer Kritik an der Versorgungslage und anderen ›nichtpolitischen‹ Erscheinungen schicken würde, wäre sehr bald der ganze Laden so stark in Verwirrung gebracht, dass eine geregelte Tätigkeit in den Verwaltungen und Behörden nicht mehr möglich wäre … Oder schreiben Sie an die Zeitung, an die Nationale Front,24 an die Behörden oder Parteien! Decken Sie die Organe eines Verbrecherstaates mit Kritiken ein, lassen Sie den Bonzen keine ruhige Minute mehr. Die Zeit ist günstig, denn die Genossen sind unsicher geworden!«
KgU/UfJ25
Von der KgU26 ist bekannt, dass sie sich zurzeit sehr stark für das II. Deutsche Turn- und Sportfest interessiert. Besonders und unter allen Umständen versucht sie in den Besitz von Eintrittskarten zu kommen. Außerdem hat die KgU Auftrag gegeben, Adressen von Prämiensparern festzustellen um »ein Ding zu drehen«.
Der UfJ beabsichtigt in Kürze auf Forderung Friedenaus27 den Flugblattvertrieb noch zu verstärken und durch ein spezielles Flugblatt die Angehörigen der Intelligenz in der DDR aufzufordern, die DDR zu verlassen.
Die Arbeit der Geheimdienste
Aus vorliegendem Material ist ersichtlich, dass die Geheimdienste in der letzten Zeit ihre Werbetätigkeit verstärken und zu Massenwerbungen übergehen. Weiterhin gibt es Anzeichen, dass der amerikanische Geheimdienst einzelne Agenten zurzeit nicht arbeiten lässt und davon spricht, dass bald »andere Aufträge« zu erwarten sind.
So haben die Dienststellen des MID in Westberlin in der letzten Zeit ihre Agentenwerbung erheblich verstärkt, wobei je Resident teilweise von 100 bis 150 Neuwerbungen im Monat berichtet wird. Die Werbungen wurden zum Teil wahllos und unqualifiziert durchgeführt. Die Massenwerbung durch den amerikanischen Geheimdienst, besonders am Ring um Berlin, soll vermutlich dazu dienen, Unruhen unter der Bevölkerung zu verursachen, die Aufmerksamkeit des MfS von ihren Hauptagenten abzulenken und ein bestimmtes Agentennetz zu schaffen, auf das der Gegner zu Provokationen zurückgreifen kann.
Im Bezirk Frankfurt/O. gibt es Anzeichen, dass der amerikanische Geheimdienst eine Reihe seiner Agenten zurzeit nicht arbeiten lässt, aber die sogenannten »Gehaltszahlungen« bei den Treffs beibehält. Er vertröstet sie auf eine neue Arbeit zu einem späteren Zeitpunkt. Dabei gibt er zu erkennen, dass bald »andere Aufträge« zu erwarten sind.
Durch die Verwaltung Berlin wird berichtet, dass von einer amerikanischen Residentur im Zusammenhang mit den Ereignissen von Poznan die Äußerung vorliegt, »die haben Mist gemacht da drüben«. Daraus sei der Beweis zu entnehmen, dass die Amerikaner ihre Hände im Spiel hatten.
Die OSI-Dienststelle,28 Westberlin, Auf dem Grad 7, schickt seit zwei Monaten ihre Agenturen laufend in die DDR, um abgebrochene Verbindungen wieder herzustellen. So wurde ein Agent des OSI beauftragt, drei Personen, darunter eine Dolmetscherin, aus dem Industriewerk Dresden nach Westberlin zu bestellen. Drei Aufträge erhielt er nach Karl-Marx-Stadt, wo er zwei Personen aus den Wismut-Ensembles anwerben oder nach Westberlin bringen sollte. Weiterhin wurde diese Person beauftragt, in Zeitungen der DDR Stellenangebote von VEB sowie Bilder von Panzern und Flugzeugen auszuschneiden. Ein anderer Agent der amerikanischen Dienststelle in Westberlin, Clayallee 172,29 erhielt den Auftrag, aus der »Freien Universität« in Westberlin einen Studenten zu werben, den die Dienststelle in ein Kernphysikalisches Institut in der DDR einbauen will. Ferner soll ein Maurer in dem neuen Objekt in Dresden eingeschleust werden. Eine weitere Person, von der französischen Dienststelle »Corel«30 in Westberlin angeworben, erhielt den Auftrag, alle baulichen Veränderungen und die Bewachung im Industriewerk Karl-Marx-Stadt festzustellen. Auch erhielt er ein Funkgerät, mit dem er Nachrichten übermitteln soll, wenn die Grenzen geschlossen sind.
Von der Bezirksverwaltung Schwerin wird mitgeteilt, dass der amerikanische Geheimdienst sich besonders für die militärischen Objekte im Bezirk interessiert und vorwiegend Personen, die aus dem demokratischen Sektor Berlins stammen, mit Spionageaufträgen in dieses Gebiet schickt. Weiter werden Personen aus dem Westen angeschrieben, die in diesen Objekten wohnen oder darin arbeiten. Als besonderes Merkmal der Arbeit des amerikanischen Geheimdienstes wurde in der letzten Zeit festgestellt, dass die Personen neben der Sammlung ihrer üblichen Informationen über die militärischen Objekte besonders Treibstofflager aller Art im Bezirk erkunden sollen. Außerdem wurde bekannt, dass es technisch möglich ist, von Schwerin über Hamburg mit den Zentralen in Westberlin31 zu telefonieren. Dieser Hinweis wurde der Bezirksverwaltung aus Halle gegeben, wo ein Agent aus Neubrandenburg mit der Zentrale in Westberlin über Hamburg gesprochen hat. Als weitere Methode des Geheimdienstes wurde im Juni bekannt, dass dieser seine Agenten mit einer Bescheinigung versieht, wo daraus hervorgeht, dass er angeblich als Vertreter auf Provisionsbasis arbeitet, diese aber in Wirklichkeit nur zur Tarnung seiner Spionagetätigkeit dient.
Das VPKA Schwerin erhielt am 14.6.1956 einen Brief aus Bremen (Absender angeblich amerikanischer Besatzungsangehöriger), worin über eine verstärkte Agenteneinschleusung in die DDR gesprochen wird. Weiter wird darin mitgeteilt, dass auch die Elbe in Froschmann-Ausrüstung durchquert werden soll. Von der Bezirksverwaltung wurden die Angaben sofort überprüft und Sicherungsmaßnahmen getroffen. Bisher wurde nichts über die Einschleusung von Agenten bekannt.
Im Bezirk Suhl tauchte eine neue Form der Nachrichtenübermittlung über die Demarkationslinie hinweg auf.32 Von einem Grenzpolizisten wurde auf dem 10-m-Streifen33 ein künstlich gefertigter grünlicher Stein gefunden, in dem sich eine Glasröhre mit einem Zettel befand. Auf dem Zettel war der Auftrag zum Anlaufen des TBK aus dem Gebiet der DDR angegeben. Durch Beobachtung wurde eine Person festgestellt, die offensichtlich nach diesem Stein suchte.
In der Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt wurde bekannt, dass die Geheimdienste über die Staatsgrenze West Personen durch den Bezirk Karl-Marx-Stadt in die ČSR einschleusen. In vorausgegangenen Fällen wurde über Berlin geschleust.
Ein weiterer Schwerpunkt auf der Linie II34 ist das Kreisgebiet Dresden, wo sich militärische Objekte der Freunde35 und unserer Volksarmee befinden.
Aus den anderen Bezirksverwaltungen liegen keine Unterlagen vor.
Jugend, Studenten und Lehrer
Besonders oft und vielfältig angesprochen werden vom Gegner die Jugendlichen der DDR – inbegriffen die Studenten. RIAS, Freies Berlin,36 die Agentenzentralen UfJ, KgU u. a. versuchen in Sendungen, Hetzschriften und Flugblättern, diese Kreise gegen die DDR und deren Regierung sowie deren Maßnahmen aufzuhetzen. Die Aufforderung des RIAS, bei kommenden Jugendtreffen mit polnischen Freunden sich solidarisch mit den Ereignissen in Poznan zu erklären, ist in diesem Sinne zu werten und wird eindeutig dadurch bewiesen, dass abschließend erklärt wird, auch in der DDR stehen nach wie vor die Forderungen des 17. Juni. Eine weitere Forderung des RIAS war, die jetzige Situation innerhalb der FDJ auszunutzen und Interessenzirkel aller Art zu bilden, da die Leitungen jetzt nichts dagegen unternehmen können.37
Die vorübergehende Beruhigung unter den Studenten ist auf das zzt. laufende Berufspraktikum zurückzuführen. Dass sie in Zukunft stark zu beachten sind, lassen die in der Vergangenheit berichteten Ereignisse und das nach wie vor starke Interesse des RIAS für die Studenten erkennen. In einer Sendung des RIAS »Jugend spricht zur Jugend«38 vom 11.7.1956 ist die Rede davon, dass jetzt die Studenten in die Betriebe gehen, um ihr Praktikum zu machen. Dabei hetzt RIAS: »Sie arbeiten praktisch und gleichzeitig sollen sie die Stimmung erforschen sowie Vorschläge zur Verbesserung der politischen Arbeit in den Betrieben machen.« In diesem Zusammenhang fordert RIAS auf, »soweit es sich bei den Studenten trotz der Schwankungen der letzten Zeit noch um linientreue Mitglieder der FDJ und der SED handelt, ist im Umgang mit ihnen Vorsicht geboten. Es ist besser solche Leute erfahren über die Stimmung im Betrieb wenig oder gar nichts, denn ihre Berichte können trotz Erklärung des ZK über die angebliche Einhaltung der demokratischen Gesetzlichkeit39 Schaden anrichten.«
In der Fachschule für Werkstofftechnik und Materialprüfung, Karl-Marx-Stadt, ist die FDJ-Arbeit sehr schlecht. Die Studenten lehnen die FDJ-Arbeit ab mit der Bemerkung, dass das Fachstudium viel wichtiger wäre. Es werden sogar Diskussionen geführt, dass man die Gewi-Unterricht abschaffen soll.40
An der Hochschule für Maschinenbau Karl-Marx-Stadt wurde von zwei Angehörigen des Senats (Mitglieder der SED) zum Ausdruck gebracht, dass jetzt nach Annahme des Wehrgesetzes in Bonn die Katastrophe in Deutschland nicht mehr abwendbar sei.41 In Studentenkreisen gibt es deshalb die Meinung, »also hat die SPD mit ihrer Politik prinzipiell recht«. Der Prof. Nebel42 als Leiter der ersten Fakultät erklärte bei dieser Aussprache: »Wir Deutschen sind eben zu dumm, um Politik zu machen.«
Im Lehrerbildungsinstitut in Potsdam gibt es Hinweise, dass dort eine Gruppe sogenannter »Freiheitlicher Erzieher« besteht.
Im Bezirk Cottbus herrscht zurzeit eine allgemeine schlechte Stimmung unter den Lehrern. Besondere Unklarheiten gibt es in der Frage Stalin. Sie wissen oft nicht, wie sie auf Fragen vonseiten der Schüler – besonders an den Oberschulen – antworten sollen, weil sie keine klare Linie erhalten. Sie bringen zum Ausdruck, dass sie früher gern zur Kreisleitung der SED gegangen sind, weil ihnen von dort immer geholfen wurde, aber jetzt erhalten sie keine Hilfe mehr, sondern werden nur zusammengehauen und von den anderen Lehrern aus kleinbürgerlichen Kreisen nicht für voll genommen.
Zur weiteren Beeinflussung der Jugendlichen dient der Hinweis des RIAS: »Die ideologisch Knieweichen dagegen sollten von euch den letzten Stoß erhalten. Sie müssen spüren, hören und sehen, was euch bewegt, wie ihr die FDJ und die Partei beurteilt und weshalb nur zwölf Prozent der Grundorganisationen der FDJ in den Großbetrieben und auf dem Lande arbeitsfähig sind.«
Oft wird auch vom RIAS versucht, durch lügenhafte Meldungen – die er als Tatsachen hinstellt – zu erreichen, DDR-schädigende Handlungen und feindliche Diskussionen auszulösen. Z. B. wurde vom RIAS behauptet, dass in der FDJ Mitglieder und Funktionäre der GST in verschiedenen Bezirken forderten, die GST vollkommen aufzulösen bzw. verschiedene Sparten den BSG anzuschließen, dass in der FDJ Bestrebungen vorhanden sind, die helfende Tätigkeit der SED-Genossen und Parteileitungen abzulehnen, dass »die FDJ nichts mit der Partei zu tun haben will«. Die Überprüfung bestätigte keine dieser Behauptungen. Lediglich in Lübz, [Bezirk] Schwerin (wurde vom RIAS nicht genannt), hat ein namentlich nicht bekannter Vertreter des ZK der SED – Abteilung Körperkultur – bei der Vorbereitung der Kreisdelegiertenkonferenz der GST erklärt, dass geplant ist, die GST aufzulösen. Hier wurde jedoch vonseiten der Bezirksleitung der GST widersprochen.
Kirche
Im Zusammenhang mit den Poznaner Ereignissen muss auch die Tätigkeit des »Kirchendienstes Ost« der evangelischen Kirche gesehen werden.43 Die Hauptaufgabe des »Kirchendienstes Ost« besteht in der »Betreuung« der Deutschen jenseits der Oder und Neiße und im ehemaligen »Sudetenland« (ČSR). Darüber hinaus versucht er Verbindungen nach Ungarn, Rumänien und neuerdings zu einzelnen Unionsrepubliken der Sowjetunion zu bekommen. Im Jahre 1954 besaß der »Kirchendienst-Ost« ca. 5 000 Korrespondenzverbindungen nach Polen. Neben der »rein-kirchlichen Betreuung« interessiert sich der »Kirchendienst-Ost« für statistische Angaben (z. B. wie viel Deutsche noch in den einzelnen Orten leben), für das Verhältnis zur polnischen Bevölkerung und zum Staatsapparat, über die Versorgung der Bevölkerung, Arbeitsverhältnisse und für das gesamte kirchliche Leben. Der »Kirchendienst-Ost« verschickt kirchliche Zeitschriften und Bücher, Kalender, gedruckte Nachrichtenblätter und Rundschreiben, in denen u. a. eine »zu erwartende Rückgliederung der verlorenen Ostgebiete« propagiert wird. Prof. Kruska44 vom »Kirchendienst-Ost« erklärte schon im Januar 1955 auf einem Konvent des »Posener Heimatkreises« in Berlin-Dahlem, »… dass der Tag X45 einmal kommen könnte, dann müsste die evangelische Kirche und die Pastorenschaft der ehemaligen Posener Kirche doch bereit sein«.
Der »Kirchendienst Ost« führt eine umfassende Kartei über alle Deutschen in den betreffenden Gebieten, mit denen er Verbindung hat bzw. aufnehmen will. Selbstverständlich unterhält der »Kirchendienst Ost« auch zahlreiche Verbindungen nach der DDR (Zweigstellen in der Pommerschen Evangelischen Kirche und in der Restschlesischen Kirche in Görlitz).46 Dazu schreibt der »Kirchendienst-Ost« selbst: »So wird versucht, die Fäden, die uns mit unseren Restgemeinden verbinden, immer stärker werden zu lassen, damit sie wissen, dass sie nicht allein stehen.«
Prof. Kruska vom »Kirchendienst Ost« steht u. a. mit Bischof Hornig47 in Görlitz in Verbindung, welcher Kontakt zu dem Warschauer Bischof Kotula48 hat. Bischof Hornig bestimmt noch heute über die deutschen Geistlichen jenseits von Oder und Neiße, die zum ehemaligen Gebiet der Schlesischen Kirchenleitung einschließlich Breslau gehören. (Frage der Gehälter, des Ruhestandes, Einsatz von Pfarrern und Ähnliches). Ein Zusammentreffen von Prof. Kruska und dem Bischof Kotula aus Warschau fand im April 1956 in Wien auf einer Tagung des Lutherischen Weltbundes statt.49 An dieser Unterredung nahm auch der Präses der Landessynode der Evangelischen Kirche Polens Michelis50 teil. M. bezeichnete Kruska bei dieser Unterredung als »Chef der Partisanen«.
In der DDR hat der »Kirchendienst-Ost« Verbindung mit Umsiedlern und aus Umsiedlergebieten stammenden Geistlichen. Über solche Personen unterhält der »Kirchendienst-Ost« Verbindungen nach Polen und benutzt deren Adressen auch als Deckadressen. Gleichzeitig führt der »Kirchendienst-Ost« Sitzungen mit Landesumsiedler-Pfarrern in Berlin durch, die die »Umsiedlerbetreuung« zu bestellen haben. Unabhängig vom Einfluss des »Kirchendienst-Ost« gibt es eine Anzahl Pfarrer, die ihre Stellung und ihren Einfluss in den Gemeinden zu übler Hetze gegen die DDR benutzen. Dazu zwei Beispiele:
Am 4.10.1955 wandte sich Pfarrer Ide51 aus Mühlberg, [Kreis] Bad Liebenwerda, mit einem Rundbrief an alle evangelischen Gemeindeglieder im Elternbereich, indem er hervorhob, dass der 17.6.1953 nicht zum Erfolg gekommen sei und deshalb in der DDR in [der] Gegenwart noch die gleichen Verhältnisse bestünden wie 1953. Am 13.11.1955 hat Ide auf einer kirchlichen Gemeindeversammlung in der Kirche Mühlberg erklärt, dass der 17.6.1953 bedauerlicherweise nicht zum Erfolg gekommen sei, aber dass die DDR trotzdem bald beseitigt sein wird. Weiter verbreitet Ide ohne staatliche Genehmigung selbstgefertigte Flugblätter und Plakate.
Am 17.6.1956 äußerte der Pfarrer Goetze,52 Altmittweida, [Kreis] Hainichen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, in einer Predigt Folgendes: »Alle weltlichen Konferenzen, Tagungen, Freundschaftsbesuche, die immer von so großer Herzlichkeit getragen sind, nützen nichts, lasst Euch davon nicht täuschen. Gott allein regiert! Als wir 1914 in den Augusttagen hinauszogen, waren wir alle der festen Ansicht, dass wir spätestens zu Weihnachten wieder daheim sind. Aber seit 1914 hat Gott alles menschliche Gefüge zerschlagen. So war es 1918, 1923, 1933 und 1945 und (hier machte er eine Pause und schrie dann) so werde es immer sein! Alle Rückschläge seien darauf zurückzuführen, weil Gott als Vater der Menschheit mit der Politik der Menschen nicht einverstanden ist. Es gibt keine einheitliche christliche Welt mehr und darüber ist Gott erzürnt. Hier nütze es gar nichts, sich an irgendwelche Konferenzen, Staatsmänner usw. zu klammern. Nur der feste Glaube an Gott könne etwas ändern. Die Staatsmacht ist der Feind Gottes. Dieser Feind ist ein brüllender Löwe, der sich Gott entgegenstellt.«
Goetze stellte dann folgende Forderungen auf: »Die Gemeinde darf auf keinen Fall im Kampf gegen den Feind Gottes – dem brüllenden Löwen – bis zum Jenseits warten, sondern hier auf Erden beginnt der Kampf …« Sein Bittgebet am Schluss des Gottesdienstes hatte folgenden Inhalt: »Gott beschütze und gib ihnen Kraft, dem Herrn Bundeskanzler Dr. Adenauer53 und unserem Erzbischof. Gott beschütze die Kriegsgefangenen in der Fremde, alle schuldigen und unschuldigen Gefangenen. Gott schütze und erleichtere das Leben der Flüchtlinge. Gott führe alle heimat- und obdachlosen Menschen wieder in ihre Heimat.«
Als neue Methode der »Evangelischen Studenten-Gemeinde« ist anzusehen, dass die Studenten-Mission Deutschlands54 mit ihrer Zentrale in Marburg a. d.Lahn, Reitgasse 5, durch Reisesekretäre in Westdeutschland sogenannte »Ost-West-Begegnungen« mit Studenten aus der DDR und Berlin durchführen, mit dem Ziel
- 1.
Kontakt mit Studenten aus der DDR aufzunehmen.
- 2.
Die Studenten aus der DDR zu beeinflussen bzw. sich mit ihnen über den Marx[ismus]-Leninismus auseinanderzusetzen.
- 3.
Unterstützung von republikflüchtigen Jugendlichen aus der DDR.
Dazu sei angeführt, dass die Mitarbeiterin der amerikanischen Flüchtlingsorganisation (Ost-Europäische Mission)55 Charlotte Teubner56 gleichzeitig Mitarbeiterin der Studentenmission ist und ihre Tätigkeit (Reisen in WD) zur Beschaffung von Arbeitsstellen und Unterkünften für republikflüchtige Jugendliche ausnutzt. Sie ist gleichzeitig an der Organisierung der »Ost-West-Begegnungen« beteiligt.
Dass die »Evangelische Studenten-Mission« die Republikflüchtigen unterstützt, beweist eine Äußerung des Reisesekretärs Günter Dulon57 bei einer Zusammenkunft mit Pfarrer Meckel58 vom Evangelischen Jungmännerwerk in Berlin C 2, Sophienstraße 19, wo er sinngemäß erklärte, dass man die Studenten, die die DDR verlassen, nicht nur seelsorgerisch, sondern auch materiell und finanziell unterstützen müsse und die Studenten an die Studentengemeinde in Westdeutschland verweisen soll.
Vom katholischen Pfarramt Bützow, [Bezirk] Schwerin, werden Abwerbungen von Jugendlichen für das Kloster »Zum guten Hirt«59 in Westberlin durchgeführt. Bisher wurden fünf Jugendliche abgeworben. Die Bearbeitung dieser Angelegenheit wurde dem Kreisdienststellenleiter selbst übertragen. Die Kontrolle durch die BV am 10.7.1956 ergab, dass er zwei GI60 angeworben hat, aber mit dem einen drei Wochen keinen Treff durchführte und der andere überhaupt keine Perspektive in dieser Angelegenheit hat.
Umsiedler
Die Stimmung der Umsiedler zu politischen Fragen unterscheidet sich kaum von denen der übrigen Bevölkerung. Dabei ist zu bemerken, dass im Allgemeinen wenig über politische Fragen diskutiert wird. Bei den wenigen politischen Gesprächen ist aber festzustellen, dass die Mehrheit der Umsiedler der Politik der Regierung und Partei in der DDR positiv gegenübersteht; dies trifft vor allem bei den Umsiedlern, die in der Industrie beschäftigt sind, zu und bei denen, die demokratischen Organisationen bzw. Parteien beigetreten sind. Auch über die Oder-Neiße-Friedensgrenze wird nicht mehr in dem Umfang diskutiert, als noch im vergangenen Jahr, sondern man spricht nur noch vereinzelt darüber.
Neben den positiv eingestellten ehemaligen Umsiedlern gibt es auch solche – besonders ältere – die mit der Entwicklung in der DDR nicht einverstanden sind und vereinzelt wird auch noch in negativer Form über die Oder-Neiße-Friedensgrenze diskutiert, wobei man dies in Verbindung mit der Saarfrage bringt,61 oder äußert, dass die Freundschaft zwischen SU, Polen und der DDR nicht echt sei, da man sonst »die Oder-Neiße-Grenze revidieren« würde, was der ehemalige Umsiedler [Name 2] aus Steinbach, [Kreis] Borna, zum Ausdruck brachte. Betont werden muss aber, dass es sich bei den negativen Diskussionen um Einzelbeispiele handelt.
Im Bezirk Neubrandenburg wurde während und nach den Ereignissen in Poznan eine verstärkte Hetze gegen die Oder-Neiße-Friedensgrenze von den ehemaligen Umsiedlern festgestellt. Vom VEB Bau-Union Karl-Marx-Stadt, in welchem ehemalige Umsiedler aus Oberschlesien beschäftigt sind, wurde bekannt, dass dieser Personenkreis auf das Gelingen des Putschversuches in Poznan gewartet habe. Sie hofften dadurch wieder in ihre Heimat zurückzukommen.
Einfluss der Kirche auf die ehemaligen Umsiedler
Die Kirche – besonders die katholische – versucht in verstärktem Maße die ehemaligen Umsiedler an sich heranzuziehen. Vor allem beeinflussen die Pfarrer in den Predigten die ehemaligen Umsiedler, indem sie über diese Gebiete sprechen und sie immer wieder darauf hinweisen, was sie verloren haben. Die Kirche hat mit ihrer Beeinflussung vor allem ältere Menschen für sich gewonnen, so werden auch öfters Heimatabende bzw. Umsiedlertreffen organisiert, mit dem Ziel, bei den Menschen den Wunsch wachzuhalten, in ihre ehemalige Heimat zurückzukehren. (Beispiele siehe Analyse v. 11.7.1956)62
Anlass zu Verärgerungen geben noch häufig die Wohnverhältnisse der Umsiedler. Häufig fühlen sich die Umsiedler gegenüber der anderen Bevölkerung benachteiligt, teilweise auch berechtigt. (Beispiele siehe ebenfalls Analyse v. 11.7.1956)
Konzentration der Umsiedler
Im Bezirk Rostock konzentrieren sich die Umsiedler besonders in den Werften. Dies ist z. B. in der »Mathias-Thesen-Werft« mit ca. 50 % der Belegschaft sowie in vereinzelten Abteilungen der »Neptun-Werft« und der »Warnow-Werft« Rostock der Fall. Diese Personen kommen zum größten Teil aus den ehemaligen Stettiner und Danziger Werften. Bestimmte Anzeichen von konzentriertem Auftreten gegen unsere Regierung sind nicht zu verzeichnen.
Eine Konzentration von Umsiedlern ist beim Rat des Bezirkes Erfurt, wobei es sich hauptsächlich um ehemalige Schlesier63 (Breslau) handelt. Dort sind ca. 50 Personen. Unter diesen Umsiedlern sind Hetzschriften im Umlauf, die durch die Post zugestellt wurden. Es besteht der Verdacht einer Untergrundgruppe. Es existiert aber kein Vorgang und die Bearbeitung dieser Umsiedler ist äußerst mangelhaft.
Im RAW Meiningen in der Kesselschmiede hat sich im Laufe des Jahres ebenfalls eine Konzentration von Umsiedlern bemerkbar gemacht. So ist der heutige Stand ein Drittel Umsiedler = ca. 120 Personen. Die Arbeit in der Kesselschmiede ist allerdings vorbildlich und es sind auch keinerlei negative Momente zzt. bekannt. Eine weitere Konzentration von ehemaligen Umsiedlern aus Ungarn ist in der Gemeinde Tabarz. Diese Umsiedler leben unter noch sehr schlechten Verhältnissen, z. T. in Baracken. Das Gleiche trifft auch für die Gemeinde Ringleben zu. Die Umsiedler werden hier ebenfalls nicht operativ bearbeitet. Die LPG »Hain«, Kreis Erfurt[-Land], besteht fast ausschließlich aus Umsiedlern. Die Mittelbauern, welche anfangs mit in der LPG waren, sind zum großen Teil alle wieder ausgetreten.
In Dessau, [Bezirk] Halle, konzentriert sich eine größere Anzahl von ehemaligen Umsiedlern, so sind z. B. im RAW Dessau 85 % Umsiedler von einer Belegschaftsstärke von 2 000. Dies trifft in ähnlicher Weise auch für den RAW-Betrieb Brandenburg zu. Negative Erscheinungen sind in diesen Betrieben noch nicht aufgetreten.
In der Gemeinde Rehberg, [Kreis] Strasburg, [Bezirk] Neubrandenburg, ist eine starke Konzentration von Umsiedlern vorhanden, diese haben noch Hoffnung, in ihre ehemalige Heimat zurückzukehren, der Bürgermeister (DBD) bestärkt sie in dieser Meinung. Die Gemeinde ist sehr schlecht in der Sollerfüllung, was angeblich auf ungenügende politische Arbeit zurückzuführen ist.
Im Kreis Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg, sind in den Gemeinden Sommersdorf, Lindenberg, Schmarsow, Wüstenfelde und Kruckow64 über 50 % der Einwohner ehemalige Umsiedler. In diesen Gemeinden hat die Kirche großen Einfluss. In der Gemeinde Wüstenfelde ist es nicht gelungen die bestehende ÖLB65 in eine LPG umzuwandeln. Als eine der Ursachen kann angesehen werden, dass unter den Umsiedlern eine Reihe negativer Elemente vorhanden sind, die auf die Einwohner großen Einfluss haben.
In der Kreisdienststelle Rudolstadt, [Bezirk] Gera, besteht ein Operativer Vorgang auf der Linie Umsiedler. Die in diesem Vorgang bearbeiteten Personen stammen aus Schlesien und dem Sudetenland und betreiben Hetze gegen die DDR, die Oder-Neiße-Linie und argumentieren dahingehend, dass sie bald zurückkehren werden. Das System in der DDR erkennen sie nicht an, sie haben auch Verbindung zur Zentrale der Sudetendeutschen in Westdeutschland aufgenommen,66 wo sie Adressenmaterial von anderen Umsiedlern in der DDR zugeschickt bekommen, mit denen sie versuchen in Verbindung zu kommen. Der Organisator der Zentrale sitzt in Hof. Informationen, dass diese Personen bestimmte Parolen verbreiten, sind nicht vorhanden.
Im Bezirk Suhl traten die Umsiedler noch nicht negativ in Erscheinung.
Einzelbeispiele
Ein Umsiedler aus Westdeutschland, welcher in Bückchen, Kreis Lübben, [Bezirk] Cottbus, wohnhaft ist, erklärte am 8.6.1956 auf einer Konferenz der Umsiedler aus Westdeutschland, welche in Cottbus stattfand, dass er von den Großbauern im Ort drangsaliert wird. Sie fordern ihn auf, nach Westdeutschland zurückzukehren. Die gleichen Großbauern hetzen gegen die Regierung der DDR und unsere Staatsfunktionäre. Als sich dieser Umsiedler beim Rat des Kreises – Sekretär Schmerl67 – über diese Zustände beschwerte, erklärte dieser: »Man muss diesen negativen Elementen Funktionen geben, dann haben sie wenigstens keinen Grund, gegen die Regierung zu hetzen.«
Kleinbürgerliche Parteien
Insgesamt gesehen sind nur wenige Anzeichen bekannt, dass in den kleinbürgerlichen Parteien Feindtätigkeit gegen die DDR, deren Regierung und die SED betrieben wird. Auch rein stimmungsmäßig verhält sich der größte Teil loyal bzw. positiv. Am aktivsten in ihrer Parteiarbeit ist – wie schon seit einiger Zeit – die NDP. Die in den kleinbürgerlichen Parteien organisierten Handwerker zweifeln an ihrer »Zukunft«, hervorgerufen durch die Bildung der Produktionsgenossenschaften und die Erhöhung der SVK-Beiträge,68 die von den meisten abgelehnt wird.
Zu beachtende Konzentrationen ehemaliger NSDAP-Mitglieder in den kleinbürgerlichen Parteien gibt es, doch ist die operative Bearbeitung ungenügend, da auf der Linie kleinbürgerliche Parteien die »offiziellen Kontakte« vorherrschen. Z. B. gibt es in der Gemeinde Marnitz,69 [Bezirk] Schwerin, 60 ehemalige Mitglieder der NSDAP, die jetzt in der CDU und NDP organisiert sind. Vor kurzer Zeit wurde in dieser Gemeinde eine Unterschriftensammlung durch die Kirche durchgeführt, damit ein westdeutscher Pfarrer in der Gemeinde eingesetzt wird. In Warsow,70 [Bezirk] Schwerin, besteht eine Ortsgruppe der CDU mit 42 Mitgliedern. Vom Sachbearbeiter wurde zwar zum Ausdruck gebracht, dass diese Ortsgruppe versucht, die Politik der Partei zu hemmen, etwas Konkretes ist jedoch nicht bekannt.
In der Gemeinde Grammentin, [Bezirk] Neubrandenburg, besteht eine Konzentration ehemaliger Faschisten. In der CDU vereinigen sich negative Elemente, welche die gesamte Bevölkerung beeinflussen. 60 % sind Umsiedler, die mit der Oder-Neiße-Grenze nicht einverstanden sind und deshalb eine ablehnende Haltung gegenüber Partei und Regierung einnehmen. In der Gaststätte begrüßten sich Gäste mit dem faschistischen Gruß. Die SED befindet sich im Schlepptau der CDU.
Aber auch in vielen anderen Gemeinden haben sich ehemalige Faschisten, Militaristen und Großbauern in Gesangs- und Anglervereinen sowie in der freiwilligen Feuerwehr konzentriert.
Post- und Fernmeldewesen
Einen großen Unsicherheitsfaktor in der DDR stellen die 54 Verstärkerämter der Deutschen Post dar.71 Zum größten Teil sind diese Verstärkerämter mit alten »Postbeamten« und sehr oft ehemaligen NSDAP-Mitgliedern besetzt, die kaderpolitisch zwar nicht tragbar sind, aber zurzeit noch nicht ersetzt werden können. Die in den Verstärkerämtern beschäftigten Personen – und das ist auch dem Gegner bekannt – haben die Möglichkeit unkontrollierbar alle, auch die internsten Gespräche, abzuhören und sie im Ernstfall natürlich auch zu unterbinden. In den neun Verstärkerämtern entlang der Demarkationslinie bzw. Grenzen der DDR ist es sogar technisch möglich, alle wichtigen Gespräche (auch die der Partei und des MfS) zum Abhören nach Westdeutschland direkt weiterzuleiten bzw. bei Anwerbung solcher Leute durch den Gegner sehr schwer zu entdeckende ständige Verbindungen (auch in die Volksdemokratien) zu schaffen.
An der Wandzeitung im Erdgeschoss der Bezirksdirektion für Post- und Fernmeldewesen, Berlin W 8, Jägerstraße 67/68, wurde am 29.6.1956 die Ausgabe der Westberliner BZ angebracht. Die Zeitung war so befestigt, dass die Bildreportagen von den Unruhen in Poznan sichtbar waren.72 Nach bisher unüberprüften Angaben erklärte in einer privaten Unterhaltung ein Angestellter des Westberliner Senats, die Flüchtlingslagerstellen hätten ganz eilig einige schon aufgegebene Flüchtlingslager neu eingeräumt. Auch das Aufnahmelager Marienfelde sei für Neuaufnahmen eingerichtet worden.73 Aus dem Möbellager Spenerstraße74 seien am 30.6.1956 mehrere Lkw mit Einrichtungsgegenständen zu den verschiedensten Lagern gebracht worden. Am 29.6.1956 wurde im Speisesaal des Deutschen Fernsehfunks auf einem Tisch ausgebreitet ein Exemplar der Westberliner BZ gefunden. Es handelt sich um die Ausgabe, in der ausführlich über die Ereignisse in Poznan berichtet wurde.
Im Funkwerk Erfurt entstanden aufgrund von Lohnänderungen bei fünf Brigadieren negative Diskussionen. Diese Personen erhielten zwar in der Vergangenheit Lohn für Brigadiere, leisteten aber nie die entsprechenden Arbeiten. Der Brigadier [Name 3] äußerte sich: »… Der Staat würde nur darauf bedacht sein, den Arbeitern immer mehr Geld abzuzapfen. Man sollte lieber den Bonzen und KVP-Offizieren das Geld kürzen, die sowieso nur auf Kosten der Arbeiter existieren. In der SED sind mehr Faschisten wie alles andere. Die alten, ehrlichen Kommunisten sind heute nicht in der SED, sondern entweder hinter Kerkermauern oder sie haben sich vom Parteileben zurückgezogen, weil sie sich das früher alles ganz anders vorgestellt hätten. Ich bin mir klar, dass letzten Endes wir doch die Dummen sind, aber ohne Kampf geben wir nichts her.« Die übrigen Arbeiter im Funkwerk Erfurt diskutieren sehr negativ über die letzte Preissenkung.75
Volkspolizei
In der IV. VP-Bereitschaft Berlin wurden zahlreiche negative Äußerungen zu den Ereignissen in Poznan getan, die eine Gefahr darstellen. U. a. wurden folgende Argumente gebraucht:
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»Dieser Putsch wurde nicht von USA-hörigen Agenten angezettelt, sondern die Arbeiter waren unzufrieden.«
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»Polen ist immer ein guter Freund von England gewesen und wird nie kommunistisch werden. Nur die paar Menschen am Ruder sind kommunistisch.«
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»Ein Putsch hat nur Erfolg, wenn er von der Armee oder Polizei ausgeht.«
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»Wenn die Deutsche Volkspolizei einen Putsch organisieren würde, hätte sie die Unterstützung der Arbeiter.«
In der 2. Abteilung der VPB Halle haben 30 % der Genossen um Entlassung aus der VP ersucht, weil die von der Leitung versprochenen Diensterleichterungen nicht eingehalten wurden. In der 18. Abteilung waren es zehn Genossen und in den anderen Abteilungen sieht es ähnlich aus. Auch ein großer Teil der VP-Angehörigen im Bezirk Karl-Marx-Stadt trägt sich mit Entpflichtungsgedanken. Es handelt sich hauptsächlich um langjährige Mannschaftsdienstgrade. Als Grund führen sie an, dass sie in der Produktion mehr verdienen. Weiter sind Unzufriedenheiten zu verzeichnen in Bezug auf verschiedene Dienstanweisungen und Befehle seitens der HVDVP, »weil sie am grünen Tisch ausgearbeitet werden, ohne praktische Erfahrung an der Basis zu besitzen«. Da verschiedene VP-Angehörige, die sich Verfehlungen zuschulden kommen ließen, auf Befehl der HVDVP nicht mehr entlassen werden, äußert man: »Wir können uns jetzt ruhig etwas erlauben, die schmeißen doch niemand raus.«
Die Hauptdiskussion in der Berliner Volkspolizei gibt es zzt. über die Einführung des Stellenplanes. Bisher war für den Abschnittsbevollmächtigten ein Kommissar vorgesehen, neuerdings Unterkommissar. Die VP-Angehörigen fragen, ob die Bedeutung des Abschnittsbevollmächtigten geringer geworden sei. Die Krankenschwestern im VP-Krankenhaus fordern bessere Entlohnung. Im gesamten Apparat der Berliner Volkspolizei ist nach dem XX. Parteitag eine gewisse Unsicherheit zu verzeichnen, indem man vor Festnahmen zurückschreckt und die Frage der demokratischen Gesetzlichkeit überspitzt oder auch falsch verstanden wird. Die Informationen, welche die Rückkehrerstelle bei ihren Befragungen von Rückkehrern erhält,76 werden nicht richtig ausgewertet.
Vollkommen vernachlässigt wurde die Bearbeitung von Reisebüros und des Touristenverkehrs. In den Bezirken Potsdam, Schwerin, Halle, Suhl besteht darüber keine Übersicht und eine operative Bearbeitung erfolgt auch in allen übrigen Bezirken nicht, obwohl beispielsweise in Karl-Marx-Stadt von Januar bis Juli 1956 ca. 3 650 Anträge auf Auslandsreisen gestellt wurden, davon 75 % in befreundete und 25 % in kapitalistische Länder. In Halle werden Touristen lediglich in der Abteilung XII überprüft.77 Im Bezirk Suhl besteht keine Verbindung zu den zahlreichen FDGB-Ferienheimen und auch dem Reiseverkehr von und nach Westdeutschland wird keine operative Beachtung geschenkt, obwohl es monatlich ca. 1 000 solcher Fälle gibt.
Haftentlassene Strafgefangene
Es ist festzustellen, dass in einzelnen Bezirken kein Überblick über die Tätigkeit und den Verbleib der Haftentlassenen besteht.78 So z. B. in den Bezirken Neubrandenburg, Potsdam, Erfurt, Suhl und Berlin. Aber auch in den anderen Bezirken ist die Bearbeitung mangelhaft und beschränkt sich lediglich auf die Kontrolle durch die Abteilungen.
Aus dem Bezirk Karl-Marx-Stadt wird berichtet, dass von 52 in den Bezirk entlassenen Militärtribunal-Verurteilten79 bereits 13 Personen republikflüchtig wurden. Auch aus anderen Bezirken liegen ähnliche Meldungen ohne Zahlenangaben vor, wonach der größte Teil der Haftentlassenen republikflüchtig wurde.
Zur Stimmung in den Haftanstalten wurde aus der Strafanstalt Luckau, [Bezirk] Cottbus, bekannt, dass unter den Häftlingen, die aus dem Westen kommen, diskutiert wird, dass sie jetzt nach der Annahme des Wehrpflichtgesetzes in Westdeutschland nicht mehr zur Entlassung kommen. Im Bezirk Schwerin wurde unter den Strafgefangenen diskutiert, dass sie körperlichen und seelischen Misshandlungen ausgesetzt waren, was auf die Organe des MfS zurückzuführen sei. Auch wurden die Ereignisse in Poznan mit dem 17. Juni 1953 in der DDR verglichen und zum Ausdruck gebracht, dass dadurch die Verhandlungsgrundlage mit dem Osten und der DDR geschwächt wäre.
Am 15.7.1956 diskutierte in Cottbus ein gewisser [Name 4] aus Calau80 (Haftentlassener), dass er jetzt alles daransetzen wird, um der CDU zur Macht zu verhelfen. Vor seiner Inhaftierung hatte er bereits Denkschriften verfasst zum Sturze der Regierung. Er forderte an diesem Tag einen unbekannten jungen Mann im Wartesaal auf, die Republik zu verlassen und bot ihm als Fahrgeld 20,00 DM an. Er erklärte ihm, dass er in der DDR keine Perspektiven hat, lediglich die eine Perspektive, Soldat zu werden. Außerdem berichtete er mit lauter Stimme über seine Haft beim MfS, und zwar erklärte er, dass er bei den Vernehmungen mit Lampen angestrahlt wurde und Schläge erhalten hat.
Aus Fürstenwalde, [Bezirk] Frankfurt/O., wurde bekannt, dass Haftentlassene Mordhetze gegen Mitarbeiter des MfS betreiben. Nähere Angaben darüber sind nicht vorhanden.
Durch die Verwaltung Berlin wurde Folgendes bekannt: In Treptow wurden für einen Häftling, welcher 1955 im Oktober durch die Kreisdienststelle wegen Spionage festgenommen wurde (Werk für Fernmeldewesen) Unterschriften gesammelt unter einer Forderung, diesen Häftling zu entlassen. Diese Unterschriftensammlung erstreckte sich fast über einen ganzen Straßenabschnitt. Soweit festgestellt wurde, hat diese Unterschriftensammlung eine negative weibliche Person aus dem Wohngebiet durchgeführt, die von einer zweiten Frau, welche in Westberlin arbeitet, hierzu besonders aufgefordert wurde.
Rückkehrer und Asylsuchende
Die Bearbeitung der Rückkehrer und Asylsuchenden durch die Organe des MfS ist äußerst mangelhaft. In den meisten Bezirken besteht kein Überblick über Zuziehende oder Rückkehrer, wodurch die Feindtätigkeit nicht genügend erkannt wird. Von Rückkehrern wurden lediglich zwei Fälle bekannt, wo der Gegner versucht, Agenten einzuschleusen, die in der DDR Terrorakte durchführen sollen. So wurde im Kreis Stralsund, [Bezirk] Rostock, eine Person bekannt, die angibt, als ehemaliger Angehöriger der KgU den Auftrag zu haben, mit anderen Personen Terrorakte durchzuführen. Auch aus Rostock gibt es Hinweise, wo ein Rückkehrer bei seinem Aufenthalt in Westberlin mit der KgU in Verbindung gestanden haben soll.
Negative Diskussionen der Bevölkerung zur Frage der Rückkehrer traten vor allem in den Bezirken Karl-Marx-Stadt und Rostock auf. So sind in Karl-Marx-Stadt Teile der Bevölkerung darüber verärgert, dass diese Menschen großzügige Unterstützungen erhalten. In Rostock wird negativ darüber gesprochen, dass Rückkehrer und Asylsuchende vorrangig mit Wohnungen bedacht werden. So gibt es Beispiele wo Bürger der DDR kurze Zeit republikflüchtig wurden, um nach ihrer Rückkehr [eine] bessere Wohnung zu erhalten.
Industrie und Verkehr
1. Feindtätigkeit81
Die Feindtätigkeit der letzten Zeit in Industrie und Verkehr kam besonders im Anschmieren von Hetzlosungen zum Ausdruck. Diese Losungen hatten zum Inhalt: Sympathieerklärungen an die Arbeiter von Poznan, Warnungen vor gleichen Erscheinungen in der DDR unter Bezugnahme auf den 17.6.1953, Hetze gegen die SED, Forderung nach freien Wahlen und Hetze gegen führende Funktionäre der Regierung, besonders Walter Ulbricht, Otto Grotewohl und Wilhelm Pieck.
Diese Hetzlosungen wurden angeschmiert in folgenden volkseigenen Betrieben:
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Landmaschinenbau Barth, [Bezirk] Rostock,
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Kombinat Böhlen, [Bezirk] Leipzig,
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Zeiss Jena, [Bezirk] Gera (Schwerpunkt 17.6.1953),
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Secura Berlin (Schwerpunkt 17.6.1953),
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Silikat- und Schamottewerk Rietschen, [Bezirk] Cottbus,
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RAW Gotha, [Bezirk] Erfurt,
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Konservenfabrik Frankfurt/O.,
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Werk für Fernmeldewesen Berlin-Oberschöneweide (Schwerpunkt 17.6.1953),
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DHW Rodleben, [Kreis] Roßlau, [Bezirk] Halle,
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Rheinmetall Sömmerda, [Bezirk] Erfurt (Schwerpunkt 17.6.1953),
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Industriewerk Rauenstein, [Kreis] Sonneberg, [Bezirk] Suhl,
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Hebzeugbau Saalfeld, [Bezirk] Gera,
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Zellstoffwerk Gröditz, [Bezirk] Dresden,
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Waggonbau Bautzen, [Bezirk] Dresden,
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Kranbau Eberswalde, [Bezirk] Frankfurt/O. (Schwerpunkt 17.6.1953).
Im VEB Zeiss Jena wurden mehrere Losungen angebracht, in denen der 17.6.1953 und die Provokation von Poznan verherrlicht wurden. Im Kranbau Eberswalde hatte die Losung folgenden Inhalt: »Wir wollen nicht unter dem Joch der Iwans leben. Es lebe die Freiheit. Das war unser Glück (unter einem Hakenkreuz), aber das nicht (unter einem Sowjetstern).«
In letzter Zeit wurden außerdem wieder in einigen Bezirken vereinzelt besondere Vorkommnisse in Industrie- und Verkehrsbetrieben bekannt, die zur Beschädigung von Maschinen und Verärgerung unter den Beschäftigten führten und auf Diversion schließen lassen. So wurde am 26.6.1956 vermutlich von unbekannten Tätern im VEB Vulkanisierwerk Oranienburg, [Bezirk] Potsdam, ein Eisenstück in Ansaugstützen des Kompressors geworfen, wodurch das Saugventil und der Kolbenboden zerschlagen wurden. Schaden 1 500 DM. Am 29.6.1956 haben vermutlich unbekannte Täter eine Niete und eine Mutter zwischen das Antriebsrad der Brandenburger Mühlenwerke geworfen. Durch rechtzeitiges Bemerken wurde größerer Schaden verhindert.
Im VEB Kema Görlitz,82 [Bezirk] Dresden, (Schwerpunkt 17.6.1953) versuchen einige Elemente Unzufriedenheit unter die Belegschaft zu tragen. So wurden am 27.6.1956 in der Nachtschicht die Kaffeetassen der Belegschaftsmitglieder durch Einschlagen von Löchern in die Böden unbrauchbar gemacht. Am 30.6.1956 waren bei sieben Fahrrädern von Arbeitern die Tachometer oder Lampen eingeschlagen.
Im VEB Planeta Radebeul, [Bezirk] Dresden, wurden bei der Montage der Maschine PZO vier Stahlkugeln gefunden. Da diese Kugeln nicht aus dem Betrieb sind, ist anzunehmen, dass sie mutwillig in die Maschine geworfen wurden. Sachschaden entstand nicht.
IM RAW »Wilhelm Pieck« in Karl-Marx-Stadt wurde in letzter Zeit in zwei Fällen bei bereits reparierten Lokomotiven Klopfen im Zylinder festgestellt. Bei nochmaligem Ausbau wurden Fremdkörper darin vorgefunden.
Am 22.6.1956 wurde in der Nachtschicht der Karriere »Philipp Müller« Ronneburg, [Bezirk] Gera, festgestellt, dass der Bagger 22 plötzlich ohne Strom war. Am Kabel wurden zwei defekte Stellen festgestellt, die auf mutwillige Zerstörung schließen lassen. Am 23.6.1956 kam es im gleichen Betriebspunkt und aus gleicher Ursache zum Ausfall des Kompressors.
Eine Verstärkung der Feindtätigkeit ist allgemein in der Industrie und dem Verkehrswesen nicht festzustellen. In der Industrie und im Verkehr gibt es jedoch einige Erscheinungen, die durchaus von feindlichen Elementen ausgenutzt werden können, um Provokationen zu starten. Ständige Faktoren, die zu Unzufriedenheit, negativen Diskussionen und Verhalten unter den Beschäftigten der Industrie und des Verkehrswesens führen, sind die bestehenden Materialschwierigkeiten, Löhne, Prämienverteilung und Neufestsetzungen von Arbeitsnormen. Besonders großen Umfang hatten diese Diskussionen wieder in den Monaten Mai, Juni, Juli 1956. Dabei ist festzustellen, dass diese Fragen in gewissem Maße im Zusammenhang stehen und alle Beschäftigten – sowohl die Arbeiter wie auch Wirtschaftsfunktionäre und die Angehörigen der Intelligenz – erfassen.
1. Materialschwierigkeiten
Die in einem großen Teil der Mehrzahl der VE-Betriebe bestehenden Materialschwierigkeiten und der teilweise vorherrschende Auftragsmangel führen fortlaufend zu Unzufriedenheit unter den Beschäftigten dieser Betriebe, da durch Wartestunden Lohnschmälerungen eintreten und zum anderen es den Betrieben durch Planuntererfüllung auch nicht möglich ist Prämien auszuzahlen. Eine besondere Rolle spielen die Materialschwierigkeiten in den Betrieben, wo diese Schwierigkeiten hervorgerufen wurden dadurch, dass die zuständigen Ministerien und die Außenhandelsorgane zu spät oder nur in geringem Maße die Auftragsgenehmigung für die Produktion erteilten und die Betriebe somit nicht in der Lage waren, ihre Materialien rechtzeitig bei den Zulieferbetrieben zu bestellen. Neben der Missstimmung, die dadurch gegen die Ministerien entsteht und zum Ausdruck gebracht wird, kommt es häufig auch zu Vergleichen mit der kapitalistischen Wirtschaft, wobei die Feststellung getroffen wird, dass es dort besser gelaufen wäre.
Im Schacht 356 der Wismut in Ronneburg, [Bezirk] Gera, bestanden durch schlechte Materiallieferung Förderschwierigkeiten. Diese Erscheinungen führten zu größeren Missstimmungen unter der Belegschaft. Für die Sohlen 60 und 120 minus wurde aus diesem Grunde am 7. und 8.6.1956 eine Versammlung durchgeführt, um mit den Arbeitern über die Schwierigkeiten zu sprechen. Dazu wurde die Schachtleitung eingeladen, die jedoch nicht erschienen ist. Daraufhin äußerte ein Kumpel, dass man auf der 60-er Sohle streiken wolle. Die Überprüfung ergab, dass tatsächlich ein Streik stattfinden sollte, der sich jedoch nicht gegen die Partei und Regierung, sondern vielmehr gegen das ingenieur-technische Personal richten sollte, was durch schlechtes Verantwortungsbewusstsein zu den betrieblichen Dingen wenig Interesse zeigt.
2. Lohnfragen
Besondere Unzufriedenheit entsteht zu Lohnfragen in den Betrieben, wo den Beschäftigten durch Material- oder Auftragsmangel Lohneinbußen entstehen und sie dann die Meinung vertreten, dass ihre Löhne zu niedrig sind. So herrscht z. B. im VEB Bekleidungswerk Bürgel, [Kreis] Eisenberg, [Bezirk] Gera, unter den 600 Beschäftigten infolge ihres geringen Verdienstes große Unzufriedenheit. Durch stockende bzw. nicht rechtzeitige Belieferung der erforderlichen Stoffe ist der Verdienst in den letzten beiden Monaten im Vergleich zum Vorjahr durchschnittlich von 267 DM auf 217 DM gesunken.
Weitere Gründe zu großer Unzufriedenheit zu Lohnfragen sind Änderungen im Lohngefüge sowie Unterschiede in der Lohnzahlung. Bei letzteren spielt besonders das bestehende Ortsklassensystem eine Rolle.83 Dafür folgende Beispiele:
Aus dem VEB Rhönglashütte Dermbach, [Bezirk] Suhl, haben 14 Arbeiter beim Arbeitsgericht Klage erhoben, da ihnen von 1951 bis 1954 die Schwerniszulage nicht gezahlt wurde.
Am 29.6.1956 nahmen 30 Bauarbeiter des VEB Bau (K) Köthen, die im Stickstoffwerk Piesteritz, [Kreis] Wittenberg, [Bezirk] Halle, arbeiten, ihre Arbeit nicht auf. Der Grund dafür war, dass jeder Arbeiter eine Kündigung des Arbeitsentgeltes bekommen hatte, wonach nicht mehr wie bisher die Ortsklasse A gezahlt wird, sondern die Ortsklasse B,84 was eine beträchtliche Lohnschmälerung der Arbeiter bedeutet. Direkte feindliche Äußerungen wurden nicht festgestellt. Durch das Einwirken fortschrittlicher Arbeiter sowie Mitglieder der SED konnten die Arbeiter – bis auf fünf – davon überzeugt werden, dass sie falsch gehandelt hatten. Der Vorfall zeigte nach den Untersuchungen keine Merkmale, die mit der Provokation in Polen in Verbindung zu bringen sind. Die Diskussionen waren rein fachlicher Art und nicht gegen unsere Entwicklung gerichtet.
Am 23.6.1956 sind im DSU-Hafen Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, (Schwerpunkt am 17.6.1953) zwölf Hafenarbeiter für eine Stunde in den Sitzstreik getreten. Sie wollen die Pflegearbeiten an den Gleisen nicht im Stundenlohn ausführen.
Am 28.6.1956 kam es im Kunstseidenwerk Premnitz, [Kreis] Rathenow, [Bezirk] Potsdam, (Schwerpunkt am 17.6.1953) zur Androhung einer Arbeitsniederlegung der Nachtschicht in der Spinnerei 1, wenn keine Regelung über die Bezahlung der durch Arbeitsumstellung erfolgten Lohneinbuße erfolgt.
Im VEB Feuerungs- und Behälterbau Köthen, [Bezirk] Halle, kam es zu einer kleinen Meuterei am 29.6.1956. Die Arbeiter sind mit ihrer Entlohnung nicht einverstanden. Einige Brigaden nahmen deshalb am 29.6.1956 die Arbeit nicht auf, sondern standen in Gruppen herum und diskutierten. Der Anlass dazu war, dass die Lohnscheine von den Brigadieren und der Abt. Technologie nicht zum Lohnbüro weitergegeben werden. Die Arbeiter verlangten deshalb bis 14.00 Uhr eine Klärung in dieser Angelegenheit, andernfalls sie nicht die Arbeit aufnehmen würden. Durch besondere Maßnahmen wurde das Geld ausgezahlt und die Arbeiter nahmen die Arbeit wieder auf.
Am 14.7.1956 legten die Bauarbeiter des Kreisbaubetriebes Großräschen, welche in Großräschen, Freienhufener Straße, die Arbeitersiedlung bauen, für kurze Zeit die Arbeit nieder. Sie gruppierten sich um den Bauleiter und den Schachtmeister und erklärten, dass sie beim Kreisbaubetrieb aufhören wollen, wenn ihnen nicht ihre Arbeit wie im Kombinat »Schwarze Pumpe« nach der Lohngruppe A bezahlt wird. Die Bauarbeiter wurden nach der Lohngruppe B bezahlt.85 Der Bauleiter verließ sofort das Baugelände und vermied die Diskussion mit den Bauarbeitern. Durch den Schachtmeister, welcher die Diskussion weiter führte, wurde versprochen, dafür zu sorgen, dass die Bezahlung nach der Lohngruppe A erfolgt. Nach unüberprüften Berichten soll die Umgruppierung genehmigt sein.
Weitere Hinweise über Arbeitsniederlegungen sind nicht vorhanden.
3. Prämienverteilung
Die Auszahlung von Quartalsprämien oder Sonderprämien ist ebenfalls ein Faktor für ständige Unzufriedenheit, negative Erscheinungen und negative Diskussionen. Besonders die Zahlung der Prämien an die Wirtschaftsfunktionäre und Angestellten löst immer wieder, aufgrund der Höhe der Summen, negative Diskussionen aus. Vereinzelt wurden auch schon Anzeichen bekannt, dass diese Tatsache Anlass für die Arbeiter war, keine FDGB-Beiträge zu zahlen, Betriebsfeiern und Demonstrationen fernzubleiben u. a.m. Dazu folgende Beispiele; die in ähnlicher Form auch in anderen Betrieben und Bezirken auftraten:
Im Sachsenwerk Niedersedlitz, [Bezirk] Dresden, (Schwerpunkt am 17.6.1953), Abt. Dreherei, sind die Arbeiter unzufrieden über die hohe Prämienzahlung an Betriebsleiter, Obermeister und Meister. Sie verstehen nicht, dass die Personen, die bereits ein hohes Gehalt bekommen, noch über 1 000 DM Prämien erhalten, während die Arbeiter, die den Plan erfüllen, schon längere Zeit keine Prämie erhielten. Sie verweigerten aus diesem Grunde den beauftragten Gewerkschaftsfunktionären den Kauf von Maiplaketten.
Dem VEB Schleifmaschinenwerk Dresden-Reick (Schwerpunktbetrieb am 17.6.1953) wurde für die Erfüllung des Planes für das I. [Quartal] 1956 eine Prämie von ca. 48 000 DM für die Intelligenz und Wirtschaftsfunktionäre sowie 5 000 DM für die Belegschaft zur Verfügung gestellt. Nach Aufteilung dieser Prämien erhielt ein Angehöriger der Intelligenz bzw. Wirtschaftsfunktionär eine Prämie in Höhe von ca. 2 000 DM. Ein Arbeiter erhielt je nach Stärke der Abteilung ca. 7,50 DM bis 15,00 DM. Dadurch kam es unter den Arbeitern zu erheblicher Missstimmung, die ihren Ausdruck auch noch in der geringen Beteiligung an der Maifeier des Betriebes am 29.4.1956 sowie an der Maidemonstration am 1.5.1956 fand.
Auf der Baustelle Wünsdorf, [Kreis] Zossen, [Bezirk] Potsdam, bildeten sich am 29.6.1956, am Tage nach den Ereignissen von Poznan, zwei Gruppen von jeweils 15 Arbeitern der Bau-Union Potsdam. Diese tauschten Westzeitungen aus und diskutierten über den Inhalt derselben. Sie sprachen davon, dass die polnischen Arbeiter im Recht seien wenn sie höhere Löhne verlangen und waren der Meinung, dass auch in der DDR eine Regelung im Prämiensystem erfolgen müsste. Weiter erklärten sie, dass es eine Gemeinheit sei, wenn man die Poznaner Textilarbeiterdelegation in Warschau verhaftet. Deshalb wären die Streiks und Demonstrationen in Poznan gerechtfertigt und das Militär hätte nicht in die Reihen der Demonstranten schießen dürfen. Nach diesen Diskussionen gingen die Arbeiter wieder auseinander und verrichteten ihre Arbeit.
4. Neufestsetzung von Arbeitsnormen
Aufgrund von Unklarheiten über Arbeitsnormen, jedoch auch bestimmt durch Material- und Auftragsmangel sowie falsche Erarbeitung von Arbeitsnormen ist die Neufestsetzung von Arbeitsnormen ebenfalls fortlaufend Grund zu erheblicher Unzufriedenheit, negativen Erscheinungen und Diskussionen. Vereinzelt fand diese Unzufriedenheit Ausdruck in Streikandrohungen. Dabei versuchen die Arbeiter ständig ihre Diskussionen sowie ihr ablehnendes Verhalten mit den hohen Preisen für Lebensmittel in der HO zu begründen.
Im VEB Waggonbau Dessau, [Bezirk] Halle, (Schwerpunkt am 17.6.1953) werden zzt. heftige Diskussionen über Normenfragen geführt. In dem Werk ist die Produktion von CGS-Wagen angelaufen, die vom Waggonbau Niesky übernommen wurde. Mit der Übernahme der Produktion erfolgt auch die Übernahme der Normen. Diese Normen, welche in Niesky um einige Prozente höher lagen, wurden im Waggonbau Dessau zum Teil um 30 % gesenkt bzw. ohne mit den Arbeitern zu sprechen und ohne Studium am Arbeitsplatz vom Normbüro administrativ erhöht, was zu negativen Diskussionen und Missstimmung führte.
Ähnliche und gleiche Erscheinungen wie in den angeführten Beispielen ersichtlich sind in folgenden VE-Betrieben der Anlass zu negativen Diskussionen, Streikandrohungen und Unzufriedenheit:
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Nähmaschinenwerk Wittenberge, [Bezirk] Schwerin,
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Werkzeugmaschinenfabrik Zeulenroda, [Bezirk] Gera,
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Stahlgusswerk Fürstenwalde, [Bezirk] Frankfurt/O.,
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Metallbetrieb Beeskow, [Bezirk] Frankfurt/O.,
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Ziegelwerk Hainichen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt,
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Kalksandsteinwerk Niederlehme, [Bezirk] Potsdam,
- –
Ferdinand Kuhnert Schmiedeberg, [Kreis] Dippoldiswalde, [Bezirk] Dresden,
- –
Kraftwerk Rummelsburg, [Bezirk] Berlin,
- –
Schacht 38 der Wismut in Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, wo durch schlechte Arbeitsorganisation des ingenieur-technischen Personals die Brigaden die Normen nur mit 60 bis 80 % erfüllten.
Aus einigen dieser und anderer Beispiele ist ersichtlich, dass entsprechend der Weisung des RIAS gehandelt wird, bei Normenüberprüfungen Arbeitszurückhaltung zu üben.
5. Produktionsumstellung ohne technische Voraussetzungen
Im Industriewerk Ludwigsfelde, [Bezirk] Potsdam, ist die Situation so, dass drei Viertel der Belegschaft, das sind ca. 1 800 Arbeiter, nicht laufend in der Produktion beschäftigt werden. Die Ursache dazu ist, dass die Produktion des Motorrollers »Pitty« eingestellt wurde, der Motorroller »Wiesel« jedoch noch nicht fertig durchkonstruiert ist und noch nicht in die Produktion aufgenommen werden kann.86 Dadurch ist eines der wichtigsten Produkte aus der Produktion herausgenommen und die Arbeiter werden mit nebensächlichen Arbeiten beschäftigt oder sitzen ohne Arbeit im Betrieb herum. Neben einer starken Kritik an der Arbeit der Partei und Wirtschaftsorgane gibt es bereits mehrere ernsthafte Proteste im Industriewerk. So wurde in der Halle 4 ein Transparent mit Leuchtbuchstaben angebracht mit der Losung »Wir fordern Arbeit«. Vor der Halle 4 wurde ein Grabstein aufgestellt mit der Inschrift »Hier ruht die Produktion«. Obwohl bisher keine Anzeichen für Feindtätigkeit vorhanden sind, kann die gegenwärtige Stimmung von Provokateuren ausgenutzt werden und die Belegschaft zu aktiven Protestaktionen in Bewegung setzen.
6. Schlechte soziale Betreuung
In einigen Fällen ist besonders unter Bauarbeitern die schlechte soziale Betreuung Anlass zu Verärgerung, die ebenfalls von Provokateuren ausgenutzt werden kann.
Auf der Baustelle VEB Feinzink Freiberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, sind die sozialen und hygienischen Einrichtungen katastrophal. Für 20 Arbeiter steht nur eine Waschschüssel zur Verfügung. Warmes Wasser ist nicht vorhanden. Der Speiseraum ist in einem sehr schlechten Zustand, das Mittagessen ist ebenfalls schlecht. Von den Wirtschaftsfunktionären wurde bisher nichts zur Änderung unternommen. Es handelt sich um eine Baustelle, die sich am 17.6.1953 an den Ausschreitungen beteiligte und damals die Änderung dieser Zustände forderte. Die gleiche Lage und Stimmung besteht unter einem großen Teil Beschäftigter im Kombinat »Schwarze Pumpe«, wo ähnliche schlechte soziale Verhältnisse vorherrschen.
Im Gebiet von Neubrandenburg ist unter den Bauarbeitern eine verstärkte Unzufriedenheit festzustellen. Sie sind seit langer Zeit schon in Baracken untergebracht und brachten verschiedentlich schon zum Ausdruck, dass sie bei Fertigstellung neuer Bauobjekte ohne Genehmigung des Wohnungsamtes diese Räume beziehen wollen.
Im Objekt 101 der Wismut in Zwickau waren heftige Diskussionen festzustellen, da die zusätzliche Lebensmittelkarte 487 an die Angehörigen der Wismut nicht mehr ausgegeben werden sollte. Dieses wurde jedoch geklärt in dem Sinne, dass diese Karten weiter ausgegeben werden sollen. Als das am 29.6.1956 im Objekt 101 bekannt gegeben wurde, entstand folgende Diskussion: »Dies haben wir nur erreicht, weil in Polen dieser Aufstand war, damit es hier nicht auch so kommt.«
Landwirtschaft
I. Ersatzteilmangel in den MTS
Durch Mangel an Ersatzteilen in dem größten Teil der MTS bestehen Schwierigkeiten in der Fertigstellung von Maschinen und Geräten. So war aus diesem Grunde zum Tag der Erntebereitschaft ein großer Teil Maschinen noch nicht einsatzbereit.88 Es fehlen vor allem folgende Ersatzteile: Laufwerke, Achsschenkel und Kugellager für die Raupe KS 62,89 Messerplatten, Grasmähfinger, Ausgleichgetriebe, Zahnräder und Knüpferscheiben für Binder, Anbaumähbalken sowie Schrauben und Muttern jeder Größe. Aufgrund dieser Tatsache stehen in den MTS Maschinen, die nicht eingesetzt werden können, weil die Ersatzteile dazu fehlen.
II. Entlohnung in den MTS
In verschiedenen Kreisen und Bezirken werden Missstimmung und negative Diskussionen unter den Traktoristen und Arbeitern gemeldet, da diese mit der Entlohnung nicht einverstanden sind. Die Ursachen liegen darin, dass ab 1.4.1956 keine Überstunden mehr bezahlt werden und dass der Grundlohn der Brigade auf 13,50 DM täglich festgelegt ist. Vor dieser Maßnahme erhielten sie einen Stundenlohn von 1,92 DM. Das führt dazu, dass laufend Kündigungen von Beschäftigten der MTS eingehen, da diese wegen des geringen Verdienstes lieber in der Industrie arbeiten wollen. Solche Beispiele wurden aus den Bezirken Neubrandenburg, Halle, Karl-Marx-Stadt, Potsdam und Cottbus bekannt.
So haben in der MTS Mylau, [Kreis] Reichenbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, von den fünf vorhandenen Brigaden bereits drei die Arbeit aufgegeben. Die anderen zwei haben ihre Kündigung eingereicht. In der MTS Großraschütz, [Kreis] Großenhain, [Bezirk] Dresden, ist ein Brigadier ausgeschieden. Zwei weitere haben ihre schriftliche Kündigung eingereicht. Die anderen Brigadiere wollen ebenfalls kündigen. Im Bezirk Rostock gibt es vor allem Diskussionen unter den Brigademechanikern und den Brigadieren der MTS. Das neue Lohnsystem führte zum Teil zu Lohnminderung, wodurch bereits 35 Brigadiere und acht Brigademechaniker ihre Stellung kündigten. Zum Teil gibt es auch Missstimmung über die Einführung der Intelligenzgehälter.
III. Erhöhung der SVK-Beiträge
Durch die Erhöhung der SVK-Beiträge gibt es in der Landwirtschaft, besonders unter den Einzelbauern, unzufriedene Diskussionen. Am weitesten verbreitet sind folgende Diskussionen: »Durch Erhöhung der SVK-Beiträge will man uns in die LPG zwingen und uns kaputtmachen.« »Durch die Aufstellung der Volksarmee braucht der Staat Geld für die Aufrüstung.«90 Solche Diskussionen wurden aus allen Bezirken bekannt.
Heftige Diskussionen gab es im Kreis Seelow, [Bezirk] Frankfurt/O., wo in den Gemeinden Platkow und Quappendorf ganz offen gesagt wurde: »Wenn ich die SVK-Beiträge nicht mehr bezahlen kann und keine Saat für ausgewinterte Flächen bekomme, dann kaufe ich mir eine Fahrkarte nach Westberlin«. In der Gemeinde Zaußwitz, [Kreis] Oschatz, [Bezirk] Leipzig, wurde ein Schreiben an den Kreisverband der VdgB verfasst, in dem vom Kreisverband gefordert wird, dass er zur Herabsetzung der SVK-Beiträge Schritte unternehmen soll. Das Schreiben war von 25 Bauern unterschrieben. Beim Rat des Kreises Hildburghausen, [Bezirk] Suhl, sind bei der Abteilung Finanzen mehr als 100 Protestschreiben eingegangen. In der Gemeinde Cotta, [Kreis] Pirna, [Bezirk] Dresden, wurde die Forderung auf Änderung der SVK-Beiträge von feindlichen Elementen gemeinsam mit anderen Forderungen ausgenutzt, um eine Protestdemonstration der Bauern zur Kreisstadt zu organisieren.91
Die Missstimmung wegen erhöhter Zahlung der SVK-Beiträge hat jetzt auch auf Mitglieder einzelner LPG übergegriffen. Die größte Unzufriedenheit unter den LPG-Mitgliedern herrscht darüber, dass sie im Krankheitsfalle kein Krankengeld erhalten und nicht wissen, wie sie in derartigen Fällen ihre Familie ernähren sollen. Unstimmigkeiten über die Erhöhung der SVK-Beiträge treten in der gleichen Form auch unter den Handwerkern auf.
IV. Streichung der Sollrückstände
Aus einem großen Teil der Bezirke wird bekannt, dass jetzt des Öfteren die Forderung nach Streichung der Sollrückstände aus dem Vorjahr und Streichung des Solls für die durch Hochwasser stark betroffenen Gebiete erhoben wird.
In der Gemeinde Gröden, [Kreis Bad] Liebenwerda, [Bezirk] Cottbus, kamen sieben Großbauern ihren Ablieferungsverpflichtungen nicht nach. Von den dort ansässigen Bauern werden in der Regel ebenfalls nur 50 % der pflanzlichen Produktion abgeliefert. Nach Aussagen eines ehemaligen VdgB-Vorsitzenden besteht im Ort eine sogenannte 50%-Bewegung, die zum Ziel hat, nur 50 % der Produktion abzuliefern.
Einige Vorkommnisse in den Bezirken lassen erkennen, dass einige Bauern versuchen, gegen Maßnahmen der DDR zu rebellieren. In der zurzeit laufenden Versammlungskampagne in verschiedenen Gemeinden des Kreisgebietes Eilenburg, [Bezirk] Leipzig, beschäftigen sich die Bauern mit der Frage der Sollstreichung. In der Gemeinde Strelln wurde in der Versammlung am 8.6.1956 ein offener Kampf gegen die LPG geführt. Die Stimmung der Bauern in den Gemeinden des Kreises Eilenburg hat sich nicht geändert. Die Angelegenheit wird noch untersucht. Zu bemerken sei noch, dass es auch im Bezirk Karl-Marx-Stadt ähnliche Diskussionen gegen die LPG gibt. Hier traten zum Beispiel in den Gemeinden Rußdorf92 und Bräunsdorf verschiedene Bauern in provozierender Weise gegen die Bildung von LPG auf. Vermutlich besteht hier aber eine Beeinflussung durch Freunde eines republikflüchtigen Bauern.
V. Feindtätigkeit
In der Landwirtschaft waren in der Zeit vom 6. bis 19.6.1956 18 Brände und in der Zeit vom 20.6. bis 7.7.1956 15 Brände. Obwohl ein großer Teil der Brände durch Blitzschlag verursacht wurde, gibt es auch eine Reihe vermutliche und vorsätzliche Brandstiftungen. Als vorsätzliche Brandstiftung in der Zeit vom 6. bis 19.6.1956 wurde der Strohmietenbrand im VEG Stolpe, [Kreis] Oranienburg, [Bezirk] Potsdam, geklärt, der von einem Jugendlichen aus Hennigsdorf, [Kreis] Oranienburg, angelegt wurde.
In der LPG »1. Mai« in Weigmannsdorf, [Kreis] Brand-Erbisdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, mussten am 1.7.1956 drei Milchkühe wegen Vergiftungserkrankung notgeschlachtet werden. Als Ursache wird angenommen, dass durch das Versuchsspritzmittel FFO Nr. 3365 aus dem VEB Fewa Fettchemie Karl-Marx-Stadt, das ein Schädlingsbekämpfer verwendete, die Kühe vergiftet wurden. Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen. In der LPG in Falkenhagen, [Kreis] Pritzwalk, wurden in einem maschinell geschlossenen Papiersack mit Viehsalz zwei Drahtstücke gefunden. Der Sack wurde vom Staatlichen Kreiskontor geliefert. In der LPG »Goldener Morgen« in Kahmer,93 [Kreis] Greiz, [Bezirk] Gera, wurden von unbekannten Tätern die Reifen eines Mähbinders zerschnitten. Die Tat wurde am 5.7.1956 festgestellt. In der LPG »Rotes Banner« in Görlitz, [Bezirk] Dresden, wurde eine Handvoll Scherben im Klee in der Futterkammer festgestellt. Täter unbekannt. Am 17.7.1956 wurden bei einem Kleinbauern in Oederan, [Kreis] Flöha, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, zwei Rinder notgeschlachtet. Es besteht der Verdacht der Viehvergiftung. Innereien wurden zur Untersuchung an das Bakteriologische Institut geschickt. In der MTS Wiederoda,94 [Kreis] Oschatz, [Bezirk] Leipzig, wurde festgestellt, dass sich in der Ölwanne eines Mähdreschers, der zur Reparatur in Liebertwolkwitz war, Drahtreste befanden. In der MTS Burkartshain,95 [Kreis] Wurzen, [Bezirk] Leipzig, wurde im Stützpunkt Wurzen der Traktor Typ IFA-Pionier durch Herausreißen der Zündspule beschädigt. In der Nacht vom 11.7.1956 wurden im Brigadestützpunkt Ponitz, MTS-Bereich Schmölln, an einer neuen Piko-Presse96 sowie an einem luftbereiften Anhänger von unbekannten Tätern die Einsatzventile entfernt.
In der LPG im Ortsteil Adamsdorf, Gemeinde Liepen, [Kreis] Neustrelitz, [Bezirk] Neubrandenburg, sind einige Kühe durch Arsenvergiftung verendet. Die Kühe waren zum Weiden auf brachliegendes Ackerland getrieben worden, auf dem sich am Wegrand ein ursprünglich vergrabener Sack mit Kalkarsen befand. Der Eigentümer dieses Sackes ist noch nicht ermittelt. Im Juni 1956 hatte die LPG Pieverstorf97 auf diesem Brachland ebenfalls ihre Kühe gehütet. Ihr waren in der Folgezeit auch drei Kühe verendet.
VI. Konzentration von Großbauern
Im Bezirk Neubrandenburg gibt es Beispiele, dass sich Großbauern und negative Kräfte in LPG, Gesangsvereinen und Feuerwehren konzentrieren. Besonders zu erwähnen sind die Gemeinden Buchholz, Templin, Storkow, Wismar und Knüppeldamm,98 Kreis Röbel.
In der Gemeinde Levitzow, [Bezirk] Neubrandenburg, argumentieren Bauern mit freier Wirtschaft. Sie fordern mehr Dünger und lehnen die LPG ab. Am 8.7.1956 veranstalteten sie ein Heimatfest, von dem der Rat des Kreises und die Kreisleitung der SED keine Kenntnis hatten.
Ländliches Bauwesen
Aufgrund des ungenügenden zur Verfügung stehenden Materials ist es nicht möglich, eine umfassende Darstellung über den gegenwärtigen Stand des ländlichen Bauwesens zu geben. So liegt z. B. nur Material aus den Bezirken Rostock, Schwerin, Neubrandenburg, Potsdam, Gera, Halle und Magdeburg vor. Zahlen und Angaben über den gegenwärtigen Erfüllungsstand wurden nur von den Bezirken Rostock mit 12,2 % und von Potsdam mit 38 % angegeben. Dass aber der Erfüllungsstand meistenteils ungenügend ist, beweisen einmal das zurzeit vorliegende Material sowie die Beispiele, die der Abteilung Information laufend aus den Bezirken gemeldet werden. Nach unvollständigen Angaben sind die Ursachen der schlechten Planerfüllung im ländlichen Bauwesen:
- 1.)
Allgemeine Materialschwierigkeiten unterschiedlichen Umfangs – besonders fehlt es an Zement, Kalk, Dachpappe, Holz und Ziegelsteinen und
- 2.)
das Fehlen von Projektierungsunterlagen,
- 3.)
Arbeitskräftemangel, wobei aber keine konkreten Beispiele angegeben wurden, sowie
- 4.)
örtliche Schwierigkeiten.
Zu 1)
In welchem Umfang die Materialschwierigkeiten in Erscheinung treten und welche Auswirkungen sich zeigen, wird durch nachstehende Beispiele bewiesen.
Im Kreis Oschersleben, [Bezirk] Magdeburg, werden für das gesamte Kreisgebiet von der Baugenossenschaft vom I. bis III. Quartal 1956 insgesamt 160 000 qm Dachpappe benötigt. Zugeteilt wurden jedoch nur für den gleichen Zeitraum 31 000 qm Dachpappe und eingegangen sind bis jetzt 12 000 qm. Dabei benötigt die LPG Gröningen allein für ihren Getreidespeicher 14 000 qm. Des Weiteren stehen Stallungen fertig bis auf das Decken mit Dachpappe. Der Kreisbaubetrieb Oschersleben, [Bezirk] Magdeburg, erklärte, dass zzt. 60 % der Bauten für ländliches Bauwesen aus Mangel an Dachpappe nicht fertiggestellt werden können. Im Kreis Wanzleben, [Bezirk] Magdeburg, fehlt es an Zement, Dachpappe und Kalk. Von 184 000 qm eingeplanter Dachpappe sind bis Juni erst 59 000 qm geliefert worden.
Auch vom VEB Bau (K) Oschersleben, [Bezirk] Magdeburg, werden aus gleichen Gründen die Termine nicht eingehalten. Die schleppende Materialversorgung wird damit begründet, dass der Bau des Kombinats »Schwarze Pumpe« sehr viele Materialien beansprucht und die Kontingente im Bezirk entsprechend ausfallen. Durch die hierdurch eingetretenen schlechten Verdienstmöglichkeiten macht sich hier eine starke Fluktuation zur Bau-Union Magdeburg bemerkbar.
Im Kreis Salzwedel gibt es Schwierigkeiten in der Beschaffung von Zement und Steinen. So soll z. B. in der Gemeinde Kuhfelde eine Schule neu erbaut werden, die am 1.9.1956 fertig sein sollte. Wegen Materialschwierigkeiten ist bis heute noch nicht einmal der Grundstein gelegt. Beim Ausbau des Brigadestützpunktes der MTS Liesten in Mechau, Kreis Salzwedel, fehlt es ebenfalls an Zement und Kalk. In mehreren Diskussionen der Bauarbeiter wurde darüber gesprochen, dass es nicht richtig sei, den Zement auszuführen, z. B. nach Westdeutschland, wo wir ihn selber sehr nötig brauchen.
Der Viehaufzuchtplan im Bezirk Potsdam kann auch in diesem Jahr nicht erfüllt werden. Dies liegt besonders daran, dass das ländliche Bauwesen im Durchschnitt nur zu 38 % erfüllt ist, d. h., dass im gesamten Bezirk Potsdam sowohl Wohnungen als auch Stallungen in einem dermaßen schwachen Verhältnis zum Plan gebaut werden, dass die Produktions- und Viehaufzuchtpläne selbstverständlich unter diesen Bedingungen in Abhängigkeit dazu geraten und zu stärkeren negativen Diskussionen im gesamten Bezirk, besonders aber in den Schwerpunktorten führen.
Besonders schlecht ist die Lage im ländlichen Bauwesen im Bezirk Rostock. Zurzeit liegt der Erfüllungsstand bei 12,2 %. Dies bedeutet, dass der Viehbestand nicht wie vorgesehen erhöht werden kann und sich dieses auch auf die Produktion auswirken wird. Die Bauern äußern sich hierüber äußerst negativ und brachten vereinzelt zum Ausdruck, nicht ihr Soll zu erfüllen. Die Hauptursache des schlechten Erfüllungsstandes liegt an der schlechten Arbeit der Abteilung Aufbau beim Rat des Bezirkes. Außerdem bestehen Materialschwierigkeiten und die schlechte Arbeit der Projektierungsbüros (nicht termingemäß) wirkt sich besonders aus. Weiterhin wurde festgestellt, dass sich die Baukosten laufend erhöhen. So kostete z. B. ein Mähdrescherschuppen mit acht Boxen 1955 64 000 DM, während er jetzt 132 000 DM kostet.
Die Materiallage im Bezirk Rostock ist allgemein unbefriedigend. Der geplante Bedarf an Zement wurde im ersten Halbjahr 1956 nicht einmal zu 50 % gedeckt. Ähnlich ist es mit Stabstahl, Kalk und Ziegelsteinen.99 Aufgrund der schwierigen Materiallage steht zzt. die Frage der Einstellung der volkswirtschaftlich nicht unbedingt nötigen Bauvorhaben, unter welchen auch das Wohnungsbauprogramm zu werten ist.
Zu 2)
Wie das Fehlen von Projektierungsunterlagen das planmäßige Vorangehen der ländlichen Bauten behindert, zeigen nachfolgende Beispiele:
Im Bezirk Gera zeigt sich besonders als Hemmnis im ländlichen Bauwesen gegenüber anderen Bauvorhaben, dass die Projektierungen nicht rechtzeitig vorliegen. So konnte z. B. der Kreisbaubetrieb Gera mit dem Bauvorhaben der LPG Großebersdorf100 und dem Bau des Rinderstalles in Brahmenau noch nicht beginnen, da die Projektierungen noch nicht vorliegen. Im Kreis Schleiz sieht es besonders schlecht aus, da 80 % der Projektierungen fehlen, sodass die Bauvorhaben in der MTS Tanna, in der LPG Vanaka101 und in der Schweinemastanstalt Schleiz noch nicht begonnen werden konnten. Ähnliche Erscheinungen treten im Bezirk Schwerin auf, sodass durch Fehlen von Bauunterlagen in der MTS Mestlin, [Kreis] Parchim, in der LPG Grube, der LPG Roddan,102 der LPG Goldberg,103 der MTS Roggendorf, der MTS Groß Molzahn und Bülow, [Kreis] Gadebusch, sowie in der MTS Bützow die Arbeiten noch nicht bzw. nur die Vorarbeiten aufgenommen werden konnten.
Im Kreis Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, war der Anlauf des Bauprogrammes 1956 im ländlichen Bauwesen vollkommen ungenügend. Bei den LPG-Bauten konnte das Auswinkeln nicht vorgenommen werden, da sämtliche Projektierungsunterlagen fehlten.
Zu 3)
Wie bereits erwähnt, liegen zu den Problemen Arbeitskräftemangel, außer den nachstehenden, keine konkreten Beispiele vor.
Im Kreis Sangerhausen, [Bezirk] Halle, ist vorgesehen, im Jahre 1956 ein Wohnungsbauprogramm von 10 000 000 DM durchzuführen. Bis Ende des Jahres können im Höchstfalle nur 2 500 000 DM verwendet werden. Die Ursache liegt am Mangel von Bauarbeitern, die es vorziehen in dem benachbarten Kreis Querfurt am Bau des Zementwerkes Karsdorf104 mitzuarbeiten, weil dort eine höhere Lohnstufe ausgezahlt wird.
Zu 4)
Die unter diesem Punkt angeführten Beispiele zeigen, dass die Verzögerungen im ländlichen Bauwesen sowie auftretende Mängel bei den fertiggestellten Bauten vielfach örtlichen Charakter tragen und nicht allgemein zutreffend sind.
1952 wurde im VEG Endorf, [Kreis] Hettstedt, eine Schweinemastanstalt gebaut, die verschiedene Fehler und Mängel aufweist. Schon seit Jahren ist den verantwortlichen Stellen dieser Umstand bekannt, doch bis zum heutigen Tage hat sich noch nichts geändert. Das Projekt für den Bau dieser Mastanstalt wurde zwar von Berlin genehmigt, doch entspricht es in keiner Weise den Erfordernissen einer Schweinehaltung.
1. Bei der Projektierung wurden keine Jauchengruben eingeplant, sodass die Jauche durch das Dorf gefahren werden muss, um auf den Feldern ausgeschüttet zu werden. Dort bilden sich Schwärme von Fliegen und es besteht dadurch eine absolute Seuchengefahr. Außerdem sind die vorhandenen Jauchenbehälter so klein und dadurch tritt eine fortwährende Versumpfung des Stallbodens in Erscheinung.
2. Die Ställe sind mit Langlochziegeln ohne Isolierung und ohne Zwischendecken gebaut worden und so konnte es passieren, dass in den Wintermonaten durch die Temperaturschwankungen Dachziegel entzweigingen und in die Ställe konnte es ungehindert regnen und schneien. Oft herrschte in den Ställen 2 bis 3 Grad Kälte und durch diesen Umstand starben vom Januar bis April 1956 717 Schweine mit einem Durchschnittsgewicht von 50 bis 60 kg.
Der Rat des Kreises Hettstedt und die Staatliche Kontrollkommission105 hat sich diese Zustände wohl angesehen, doch ein positives Ergebnis hat sich noch nicht gezeigt. Die Genossen der Staatlichen Kontrollkommission zuckten nach der Besichtigung die Schultern und gaben den guten Rat: »Ihr könnt höchstens noch eine Delegation nach Berlin zum Genossen Ulbricht schicken«. Der Leiter dieser Mastanstalt will auch dieses noch versuchen, dann stellt er den Antrag, die Mastanstalt aufzulösen. Im VEG selbst ist man der Meinung, dass sich wohl alle Stellen dafür interessieren, aber keine etwas unternimmt, damit diese Zustände abgeschafft werden.
Es müssten dort noch folgende Arbeiten durchgeführt werden:
- 1.
Isolierung der Liegeplätze für die Schweine;
- 2.
Wandverstärkung der Umfassungswände von 25 cm auf 38 cm;
- 3.
Bau einer zentralen Jauchengrube;
- 4.
Einbau einer Zwischendecke.
In den VEG Hundisburg, Tundersleben und Brumby, [Kreis] Haldensleben, gibt es große Schwierigkeiten in der Ferkelaufzucht. Grund: Die 1953 gebauten Ferkelställe – Typ Börde – haben in den Holzwänden eine Isolierschicht aus Glaswatte, welche vollkommen abdichtet und eine Atmung der Ställe nicht zulässt. In den Wintermonaten wird die Kälte in diesen Räumen erhöht. Dadurch sind große Ferkelverluste entstanden, so im VEG Hundisburg ca. 10 %106 der gesamten Jahresferkelproduktion und bei den VEG Tundersleben und Brumby ca. 20 %.
Beim Bau des Kuhstalles der LPG Parey, [Kreis] Genthin, [Bezirk] Magdeburg, trat durch Baugrunduntersuchung eine fast zweimonatige Verzögerung ein. Die Arbeiten sind noch nicht wieder aufgenommen, da eine Bohrprobe am 31.5.1956 vom Entwurfsbüro Magdeburg nach Berlin in das Untersuchungslabor geschickt wurde, wo sie heute noch liegt.
Im Kreis Hohenmölsen werden für die Mitglieder der LPG Zörbitz, [Bezirk] Halle, Eigenheime gebaut. Laut Konstruktionsunterlagen sollten diese 27 000 DM kosten. Trotzdem genau nach der Projektierung gebaut wurde, setzte der Kreisbauhof die Preise für jeden Erwerber auf 32 000 DM hoch. Die Mitglieder dieser LPG sind darüber sehr verärgert.
Unzufriedenheit über das Fehlen von notwendigen Wohnungs- und Stallbauten
Aus dem Bezirk Schwerin wird berichtet, dass in den Landgemeinden eine Unzufriedenheit über die Wohnungsknappheit besteht. So wurde z. B. in der »Beratungsstelle für Mutter und Kind« Parchim erklärt, dass viele Mütter verärgert sind und die Meinung vertreten, dass sie keine Kulturhäuser brauchen, wenn sie nicht wissen, wohin sie die Betten für ihre Säuglinge stellen sollen.
Ein großer Teil der Landarbeiter ehemaliger Umsiedler im Bezirk Neubrandenburg ist in menschenunwürdigen Räumen untergebracht, die bereits vor Jahren seitens der Baupolizei wegen Einsturzgefahr gesperrt wurden. Außerdem wurde vom Hygieneinstitut mehrfach gegen die Bewohnbarkeit dieser Räume Einspruch erhoben und die Forderung gestellt, die Räume zu sperren. In Ueckermünde z. B. kündigen laufend die auf dem VEG Fleethof beschäftigten Landarbeiter, die in Gebäuden der LPG Sandhagen wohnhaft sind. Seitens der LPG wurden sie aufgefordert, die Wohnungen zu räumen oder in der LPG ihre Arbeit aufzunehmen. Da das VEG nicht den nötigen Wohnraum zur Verfügung hat, sehen sich die Arbeiter gezwungen, ihr Beschäftigungsverhältnis zu wechseln.
In der LPG Ziesendorf, [Kreis] Rostock[-Land], ist zzt. kein Rinderstall vorhanden; obwohl mit dem Bau dieses Stalles am 15.4.1956 begonnen werden sollte, ist bis heute noch keine Baufirma beauftragt worden, sodass es technisch unmöglich ist, in diesem Jahr den Rinderstall fertigzustellen. Das bedeutet, dass die Rinder der LPG Ziesendorf den Winter über draußen bzw. in verfallenen Ställen untergebracht werden müssen, wodurch ein Großteil der Rinder eingehen würde. Der überwiegende Teil der Genossenschaftsbauern ist deshalb sehr verärgert und schenkt der Politik der Partei und Regierung keinen Glauben. Ähnlich wie in der LPG Ziesendorf sieht es in der LPG Buchholz, [Kreis] Rostock[-Land], aus. Hier hat man mit dem Bau des Rinderstalles im April begonnen und wird ihn in diesem Jahre noch nicht fertigstellen. Auch dieses führte zur Verärgerung der Mitglieder der dortigen Produktionsgenossenschaft. Es ist hierbei zu erwähnen, dass in beiden letztgenannten Fällen genügend Baumaterial vorhanden ist.
Im VEG Deutsch Wusterhausen, [Kreis] Königs Wusterhausen, [Bezirk] Potsdam, wurde schon mehrmals vonseiten der Volkspolizei das Fehlen von Schlauchmaterialien, die schadhaften Blitzableiter sowie der schadhafte Tiefbrunnen beanstandet.107 Der vorhandene Giftraum ist auch nicht in Ordnung. Dieser Raum, in dem Gifte für die Schädlingsbekämpfung lagern, besitzt keine Decke und liegt gleich neben dem Wasserbassin für die Selbsttränkeanlage. Feindlichen Elementen wäre es also leicht möglich, Gift in das Wasser zu schütten und der gesamte Rindviehbestand könnte dadurch vergiftet werden. Zur Behebung dieser Mängel wurden beim Rat des Bezirkes, Abteilung Landwirtschaft, Referat VEG, bereits im vergangenen Jahr und erneut im März 1956 finanzielle Mittel angefordert. Bis heute hat das VEG aber vom Rat des Bezirkes noch keine Antwort erhalten.
Versorgung
I. Warenmangel
Die laufenden Versorgungsschwierigkeiten besonders bei Grundnahrungsmitteln, wie HO-Butter, HO-Margarine, HO-Fleisch- und Fleischwaren, HO-Zucker, Marmelade usw., rufen unter der Bevölkerung negative Diskussionen hervor. Der Mangel an diesen Waren besteht schon sehr lange, wobei zu bemerken ist, dass diese oder jene Ware zeitweilig stärker fehlt. Das beweist die letzte Zeit, als zum Beispiel zunächst zum überwiegenden Teil durch ungenügende Erfassung nicht genügend Fleisch zur Verfügung stand. Als die gröbsten Schwierigkeiten behoben waren, nahm der Mangel an HO-Butter und HO-Margarine einen großen Raum ein.
Hierzu kann gesagt werden, dass die Schwierigkeiten trotz der Aufstockung von 2 000 t Margarine und 500 t Butter noch nicht behoben sind, dass diese Mengen bei Weitem nicht ausreichen, den Bedarf der Bevölkerung restlos zu decken. Besonders schwierig ist die Lage in den Bezirken Rostock, Neubrandenburg, Schwerin, Cottbus, Frankfurt/O., Potsdam, Magdeburg, Halle, Leipzig, Karl-Marx-Stadt und Gera. Bei der Anlieferung von HO-Butter und HO-Margarine kommt es vor den Geschäften zur Schlangenbildung. Die Bezirke klagen über die niedrigen Kontingente, die zum Teil wesentlich niedriger als die zum gleichen Zeitpunkt im Vorjahr liegen. Als charakteristisch können hierbei folgende Bezirke angesehen werden:
Rostock
Die bereitgestellten Kontingente an HO-Margarine entsprachen nicht dem Bedarf der Bevölkerung. Die laufenden Aufstockungen im II. Quartal von insgesamt 132 t reichten zur Bedarfsdeckung nicht aus. Außerdem konnte ein überhöhter Aufkauf an Margarine besonders im Kreis Grevesmühlen festgestellt werden. Das ist vor allem mit darauf zurückzuführen, dass die stellvertretende Vorsitzende des Rates des Bezirkes – Änne Kleinke108 – in der »Ostseezeitung« einen Artikel über die Versorgungslage veröffentlichte, in dem sie darauf hinwies, dass im II. und III. Quartal erhebliche Versorgungsschwierigkeiten auftreten würden.109 Dieser Artikel rief unter der Bevölkerung heftige Diskussionen hervor. Es wurde erklärt, dass man mit solchen Artikeln die Bevölkerung nur beunruhigen würde und es nicht richtig sei, derartige Artikel zu veröffentlichen.
Schwerin
Hier ist die Lage besonders schwierig, da die bereitgestellten Kontingente nicht ausreichen, eine kontinuierliche Versorgung zu gewährleisten. Sehr schlecht ist die Versorgung der Landbevölkerung, da zurzeit 948 Erntehelfer aus den südlichen Bezirken mit versorgt werden müssen. Es gab Fälle, wo man den Erntehelfern nichts aufs Brot schmieren konnte. Besonders negativ wirkt sich die schlechte Versorgungslage auf westdeutsche Besucher aus, da diese keine Marken erhalten und sich auf HO-Basis versorgen müssen.
Leipzig
Im Bezirk Leipzig fehlen noch erhebliche Mengen Butter (180 t) Margarine (60 t) und auch andere Lebensmittel. Die Situation ist umso gefährlicher, da durch die Landwirtschaftsausstellung,110 das II. Turn- und Sportfest111 und durch Vorbereitungslehrgänge für das II. Turn- und Sportfest die Versorgung nicht gewährleistet ist, wenn dem Bezirk die noch fehlenden Mengen nicht geliefert werden.
Potsdam
Schwerpunktkreise sind hier Oranienburg, Kyritz, Königs Wusterhausen, Nauen, Neuruppin (hier vorwiegend die Stadt Rheinsberg, wo viele Westbesucher sind), Hennigsdorf.112 Hier gibt es ständig Stockungen in der Versorgung. Eine reibungslose Versorgung ist aber umso wichtiger, da Hennigsdorf unmittelbar an den französischen Sektor grenzt und die Arbeiter die Mangelwaren aus dem Westsektor holen. Auch in den anderen Randgemeinden des Bezirkes ist die Lage ähnlich wie in Hennigsdorf.
Suhl
Aus dem Bezirk Suhl wurde bekannt, dass in der Hauptabteilung III113 kein Überblick über die Versorgungslage des Bezirkes vorhanden ist, da es keinen Mitarbeiter gibt, der sich mit diesen Fragen beschäftigt.
Frankfurt/O.
Aus dem Bezirk Frankfurt/O. wird berichtet, dass nach Berichten der Kreisdienststelle Bernau dort Anzeichen einer Untergrundbewegung vorhanden sind. Maßnahmen diesbezüglich wurden eingeleitet. Zur Versorgungslage sei noch zu erwähnen, dass bereits Anzeichen von Verärgerungen bezüglich der Kohlenversorgung, speziell Rohkohle, unter der Bevölkerung vorhanden sind. Untersuchungen wurden eingeleitet.
Gegenwärtig sind bereits wieder Anzeichen vorhanden, dass HO-Zucker nicht im genügenden Maße vorhanden ist. Das macht sich besonders stark in den Landgemeinden bemerkbar, wo viele Selbstversorger nur wenig Zucker (200 Gramm monatlich) erhalten und deshalb auf HO-Zucker angewiesen sind. Ähnlich sieht es auch bei Marmelade aus.
Auch bei Industriewaren können die Wünsche der Bevölkerung nicht restlos befriedigt werden. Es sind dies vor allem Popeline-Artikel, gute Schuhe und Fahrradersatzteile (besonders Fahrradketten). Wie schon wiederholt berichtet, macht sich dieser Mangel besonders in den ländlichen Gegenden bemerkbar, wo die Arbeiter [darauf] angewiesen sind, mit Rädern zur Arbeit zu fahren. Es gab Beispiele dafür, dass in Betriebsversammlungen von den Arbeitern eine Klärung dieser Frage gefordert wurde. Im MTS-Bereich Dretzel, [Kreis] Genthin, [Bezirk] Magdeburg, liegen sechs Urlaubsgesuche für drei bis acht Tage vor. Als Begründung wurde angegeben, sich von irgendwoher Fahrradketten zu besorgen. Der größte Teil der Kollegen dieser MTS kommt von den umliegenden Ortschaften mit Rädern zur Arbeit. Im Bezirk Dresden wird besonders von den Arbeitern des Kreises Niesky Klage geführt. Ein Arbeiter aus Groß Krauscha, beschäftigt im VEB Dachsteinwerk Kodersdorf,114 erklärte, er wolle in diesem Betrieb seine Arbeit niederlegen, wenn er keine Unterstützung erhält.
II. Importlieferungen
In der letzten Zeit wurden häufig Fälle bekannt, wo Waren, die vom Ausland in die DDR geliefert werden, von minderwertiger Qualität bzw. zum Teil verdorben sind. Die häufigsten Meldungen kommen dazu aus dem Bezirk Dresden. Die Arbeiter, die diese Importlieferungen ausladen bzw. lagern sollen, sind darüber sehr empört und erklären, dass unsere Außenhandelsorgane besser arbeiten müssten.
III. Mangel an Fahrzeugen, Fernsehapparaten
Besonders unter den Angehörigen der Intelligenz ist die Nachfrage nach Fahrzeugen sehr hoch. So sind zum Beispiel von 2 000 in Jena beschäftigten Intelligenzlern mit Einzelvertrag allein im Jahr 1956 600 Bestellungen für Pkw aufgegeben worden. Von den Werktätigen in Stalinstadt wurden 100 Bestellungen für den sowjetischen Pkw Pobeda115 aufgegeben. Schätzungsweise könnten in der DDR sofort 30 000 Pkw abgesetzt werden. Das Ministerium für Handel und Versorgung erhielt aber im Monat Mai lediglich vier Kraftfahrzeuge und im Juni fünf. Eine ähnliche Lage bahnt sich auch in Dresden an. Die Atomphysiker protestieren, weil sie nicht die Möglichkeit erhalten, Kraftfahrzeuge vom Typ »Wartburg«116 und Pobeda zu erwerben. Sie drohen damit, dass sie ihr Geld für entsprechende Fahrzeuge auch in anderen Teilen Europas loswerden.
IV. Diskussionen über Änderung der Preise für Arbeitsbekleidung
Heftige Diskussionen löst die Änderung der Preise für Arbeitsbekleidung aus. Da der Bevölkerung nur bekannt gegeben wurde, dass die Berufsbekleidung nach Wegfall der Bezugsscheine zum gleichen Preis verkauft wird,117 herrscht darüber eine allgemeine Empörung. Man erklärt sich mit den Preisen nicht einverstanden, noch dazu, wo vonseiten der Regierung von einer Preiserhöhung nichts erwähnt wurde. Besonders werden diese Diskussionen in den Betrieben geführt. So wurde zum Beispiel bei der Abteilung Handel und Versorgung beim Rat des Bezirkes Karl-Marx-Stadt von den BGL laufend angerufen, um sich über diese Maßnahmen zu erkundigen. Die Diskussionen über die Preisänderung für Arbeitsbekleidung werden vor allem noch aus folgenden Bezirken bekannt: VEB Megu, Leipzig, VEB Kombinat Böhlen, VEB Klappstuhl Waldheim, [Kreis] Döbeln, [Bezirk] Leipzig, Cottbus, Erfurt und Berlin.
Zur Preissenkung allgemein ist noch zu sagen, dass in den Bezirken wieder Diskussionen auftauchen, in denen die Bevölkerung ihrer Verärgerung über die teilweise bereits wieder eingetretene Preiserhöhung bei bestimmten Waren Ausdruck gibt. Als Hauptargument wird angeführt, dass man nicht von einer Preissenkung reden könne. Die Praxis hätte bewiesen, dass nach sämtlichen Preissenkungen die Preise wieder angestiegen seien. Dazu werden von der Bevölkerung Beispiele angeführt.
V. Diskussionen unter den privaten Einzelhändlern
Den privaten Einzelhändlern wurde bei der Durchführung der Preissenkung nicht bekannt gegeben, dass sie die Kosten für die Abwertung ihrer Warenbestände selbst tragen mussten. Als sie bei der Unterabteilung Finanzen der Räte der Bezirke um Rückerstattung der abgewerteten Summe baten, wurde dieser Bitte nicht stattgegeben. Aus diesem Grunde kam es unter den privaten Einzelhändlern zu Verärgerungen und negativen Diskussionen. Verschiedene wollten ihre Gewerbegenehmigung zurückgeben, da sie nach ihrer Meinung den durch die Abwertung eingetretenen Verlust nicht tragen könnten. Diskussionen diesbezüglich wurden vor allem aus den Bezirken Karl-Marx-Stadt, Cottbus, Frankfurt/O. und Neubrandenburg bekannt.
VI. Stimmung unter den Handelsangestellten
Unter den Handelsangestellten nehmen die Diskussionen über Fragen der Entlohnung einen großen Raum ein. Es wird erklärt, dass die Entlohnung gegenüber den Industriearbeitern zu niedrig sei und eine bessere Differenzierung der einzelnen Lohngruppen vorgenommen werden müsste. Die Folge der schlechten Bezahlung sind Fluktuationen aus dem Handelsapparat zum privaten Handel, in die Industrie usw. Dieser Schritt wird meist damit begründet, dass man in der Industrie nicht so viel Verantwortung wie im Handelsapparat zu tragen habe und man außerdem noch mehr Geld verdienen würde. Die Fluktuation geht zum Teil soweit, dass in verschiedenen Bezirken die Gefahr besteht, infolge Personalmangel Verkaufsstellen zu schließen.
Als Beispiel kann hierfür Jena angesehen werden. Hier haben in den ersten fünf Monaten dieses Jahres aus dem staatlichen Handel 200 Verkaufskräfte ihre Arbeit aufgegeben, um in den Großbetrieben Zeiss Jena, Schott Jena und Jenapharm, zu arbeiten. Als die Kreisleitung der Partei den Kaderleitern dieser Betriebe verbot, Arbeitskräfte aus dem Handel einzustellen, scheiden die Verkaufskräfte für fünf bis sechs Wochen aus dem Arbeitsprozess aus und melden sich dann bei den genannten Betrieben als bisher nicht berufstätig.
VII. Feststellungen, die bei der Überprüfung der operativen Arbeit getroffen wurden
Allgemeine Feststellungen
Das Netz der inoffiziellen Mitarbeiter wird in nahezu allen Bezirken als unzureichend bezeichnet.
Während es auf der Linie III118 in der Regel zahlenmäßig ausreichend geheime Informatoren gibt, die allerdings oft qualitativ ungenügend sind, werden solche wichtigen Gebiete wie Umsiedler, Hochschulen, kleinbürgerliche Parteien, Kirche, ehemalige Faschisten und Offiziere völlig ungenügend bearbeitet. In keinem Bezirk besteht eine genaue Übersicht über die Haftentlassenen, die Besucher aus Westdeutschland bzw. Asylsuchende und die Tätigkeit der Reisebüros einschließlich des Touristenverkehrs. Infolgedessen kommen wenig Informationen herein. Die mangelhafte Information wird auch dadurch hervorgerufen, dass bei einer Reihe von Mitarbeitern diese Arbeit unterschätzt wird und das vorhandene GI-Netz nicht voll für die Sammlung von Informationen ausgenutzt wird.
Zur Frage der Wachsamkeit ergeben die eingegangenen Überprüfungsberichte nur allgemeine Feststellungen, die nicht zur Einschätzung ausreichen. Nur aus einer Verwaltung (Groß-Berlin) wird berichtet, dass sich unter den hauptamtlichen Mitarbeitern des MfS nach dem XX. Parteitag eine gewisse Resignation und Gleichgültigkeit bemerkbar machte und die Wachsamkeit nachließ. Verschiedentlich werden die politischen und fachlichen Qualitäten der Genossen Mitarbeiter – hauptsächlich auf dem Gebiet der Landwirtschaft – bemängelt. Mehrfach wird von den Bezirken angeregt, ihnen mitzuteilen, was aus ihren Informationen wurde und ob sie sich als wichtig erwiesen.
1. Mängel im Netz der geheimen Informatoren
Über die Bezirke Potsdam, Schwerin, Frankfurt/O., Magdeburg und Suhl wird berichtet, dass das Informatorennetz unzureichend ist. Die Kreisdienststelle Neuruppin, [Bezirk] Potsdam, besitzt mit 1 : 8 operativen Mitarbeitern 55 GI und zwei GHI.119 Es gibt sechs MTS-Bereiche, 60 LPG und sechs VEG, die im Südteil des Kreises liegen. Der Nordteil des Kreises, der kaum sozialistische Betriebe enthält, ist ohne Kontrolle. In fast allen Kreisen des Bezirkes Potsdam fehlen die Sachbearbeiter in der Richtung V (Massenorganisationen, Blockparteien, Schulen, Staatsapparat). Im Bezirk Frankfurt/O. ist das GI-Netz der Abteilung II und III (Landwirtschaft) ungenügend. Die Abteilung II (12 operative Mitarbeiter) verfügt über acht GM, vier GI und zwei GHI. Die Linie III hat bei Weitem nicht ausreichend die landwirtschaftlichen Objekte besetzt. Das zeigt sich besonders in den Agrarkreisen Seelow, Angermünde und Strausberg.
Im Bezirk Schwerin wird die Überprüfung des gesamten GI-Apparates empfohlen und Neuwerbungen für erforderlich gehalten. Die Mitarbeiter der Abteilung V vernachlässigen die Treffs, führen keine Neuwerbungen durch und überprüfen ihre KW nicht. So kam es, dass die Inhaberin einer KW einen vorfristig entlassenen Strafgefangenen heiratete. Dem Mitarbeiter wurde dieses nicht bekannt und er führte weiter dort seine Treffs durch.
Im Bezirk Erfurt wird die Arbeit mit GHI bemängelt, da diese in der Regel nicht mit GI arbeiten. Dieses gilt für die Arbeit auf den Linien III, V120 und XIII.121 Der Hauptmangel des Informatorennetzes der Linie III im Republikmaßstab liegt auf dem Gebiete der sozialistischen Landwirtschaft und in den Landgemeinden überhaupt. Das zeigte sich in Cotta, [Kreis] Pirna, [Bezirk] Dresden, wo es bisher keinen GI gab. In Suhl besteht eine Schwäche darin, dass das GI-Netz in den LPG (114 LPG) noch unzureichend ist. Solche Beispiele werden aus der Mehrzahl der Bezirke angeführt.
Die Bearbeitung der Objekte und Konzentrationen feindlicher Elemente in Richtung V ist völlig unzureichend. Das Informationsnetz in den kleinbürgerlichen Parteien, der Kirche, unter den Umsiedlern und ehemaligen Offizieren sowie Faschisten ist allgemein schwach entwickelt. Besonders trifft das für die Bearbeitung der Universitäten, Hochschulen, Fachschulen und Institute zu. Dazu einige charakteristische Beispiele:
An der Universität Halle waren unter den Studenten starke Bestrebungen vorhanden, in den Ferien nach Westdeutschland zu fahren. Schwerpunkte waren die Naturwissenschaftlichen Fakultäten. In diesen Fakultäten waren keine GI vorhanden. An der Medizinischen Akademie in Magdeburg122 tritt die Evangelische Studentengemeinde noch in Erscheinung. In diesem Objekt, das seit einem dreiviertel Jahr von der Abteilung V bearbeitet wird, gibt es nur zwei GI, nämlich einen FDJ-Funktionär und einen Angesiedelten. Im Bezirk Erfurt ist der stellvertretende Leiter V nicht in der Lage, eine Einschätzung zu den Hochschulen zu geben. An der Finanzschule123 mit 1 000 Studenten gibt es keinen GI und für die gesamte Medizinische Akademie sind zwei äußerst schwache GI vorhanden. Das Informationsnetz an der Hochschule für Elektrotechnik in Ilmenau, [Bezirk] Suhl, ist so unzureichend, dass über die »Studentengemeinde« nichts festgestellt werden konnte. Die Bezirksverwaltung Neubrandenburg wird erst nach den Semesterferien mit der Bearbeitung des Lehrerbildungsinstitutes Templin124 beginnen. Es sind noch keine GI vorhanden.
2. Informationsarbeit und Berichterstattung
In nahezu allen Bezirken wird die informatorische Arbeit ungenügend durchgeführt. Das ist zurückzuführen auf:
- a)
ein unzureichendes Informationsnetz,
- b)
die Unterschätzung der informatorischen Arbeit,
- c)
die unqualifizierte Arbeit mit GI, die nicht zur Erlangung von Informationen benutzt werden,
- d)
die noch teilweise mangelhafte politische und fachliche Ausbildung der operativen Mitarbeiter, die die Bedeutung der Informationen nicht einschätzen können.
Daher ist die Berichterstattung nicht kontinuierlich. Es besteht darin die Gefahr, dass die Einschätzungen der Lage am Kern vorbei gehen oder völlig entstellt werden. Nur wenige Informationsgruppen, zum Beispiel Potsdam, sind in der Lage, ihren Bezirk umfassend einzuschätzen. In einigen Fällen, zum Beispiel Groß-Berlin, ist die Unterstützung der Informationstätigkeit durch die Dienstvorgesetzten nicht ausreichend. Unterschätzung der Informationstätigkeit kommt auch in der mangelhaften personellen Besetzung der Informationsgruppen in den Bezirken zum Ausdruck.
3. Wachsamkeit in den Bezirken
Über die Objektsicherung in den Bezirken ist den Überprüfungsberichten nur wenig Material zu entnehmen, sodass eine Einschätzung unmöglich ist. Zum Teil ist diese Frage mit der Charakterisierung des Informationsnetzes beantwortet. Dazu einige Einzelbeispiele:
Die Sicherung der Objekte in Neubrandenburg ist ungenügend. Systematische Absicherung der militärischen Objekte ist nicht vorhanden. Es sind auch nicht alle – nur die wichtigsten – Objekte bekannt. Das Gleiche gilt für die Objekte der Linie III und V. Im Bezirk Schwerin wird die Sicherung der Objekte des MfS als ausreichend bezeichnet. Die Wachen in den Kreisen wurden verstärkt. Alarmplan und genügend Waffen sind vorhanden. Dagegen konnte in Cottbus das Dienstgebäude ohne Vorzeigen des Dienstausweises verlassen werden. In Groß-Berlin hat die Wachsamkeit unter den Mitarbeitern nach dem XX. Parteitag nachgelassen und ist einer gewissen Gleichgültigkeit gewichen, wie die Abteilungsleiter äußerten.
4. Schlussfolgerungen zur operativen Arbeit
- a)
Das Informationsnetz muss weiter gefestigt und qualifiziert werden. In Linie III muss geprüft werden, inwieweit das Netz die Teile der Bevölkerung erfasst, die in den Landgemeinden und Kleinstädten leben und nur teilweise im sozialistischen Sektor arbeiten. Es muss erreicht werden, dass alle Kreise ihr Arbeitsgebiet umfassend einschätzen können.
- b)
Auf Linie V muss die GI-Arbeit durch qualifizierte Neuwerbungen verstärkt werden. Das gilt für die gesellschaftlichen und staatlichen Objekte – besonders aber für die Lehranstalten und Konzentrationen feindlicher Elemente. Die bisher vernachlässigten Objekte – Reisebüros, Touristenverkehr, entlassene Strafgefangene, Asylsuchende und Rückkehrer aus Westdeutschland – sind sofort in Bearbeitung zu nehmen.
- c)
Die Arbeit mit dem GHI muss verbessert und erweitert werden.
- d)
Auf der Grundlage des Informatorennetzes ist die Informationsarbeit wesentlich zu verbessern und kontinuierlich zu gestalten. Es muss allen Mitarbeitern klargemacht werden, welche Bedeutung rechtzeitige Informationen für die Sicherheit und Leitung des Staates haben. Die Dienstvorgesetzten müssen dringlich in dieser Richtung wirken. Jede Gleichgültigkeit auf diesem Gebiet ist dem Gegner von Nutzen und gibt ihm große Möglichkeiten für Feindtätigkeit. Schnelle Berichterstattung ermöglicht rechtzeitige Gegenmaßnahmen.
- e)
Die Wachsamkeit darf nicht erlahmen. Es darf dem Gegner keine Schwäche geboten werden, denn er wird sie sofort ausnutzen. Die Objektsicherung muss überprüft und verbessert werden.
- f)
Es ist notwendig, gemeinsam mit den Parteiorganisationen durch politische Erziehung und fachliche Qualifikation der Mitarbeiter die Durchführung dieser Aufgaben zu sichern.