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Arbeitskräftefluktuation in Handelsbetrieben

4. August 1956
Information Nr. 122/56 – Betrifft: Arbeitskräftefluktuation aus den Handelsbetrieben

Aus den Bezirken Berlin, Neubrandenburg, Potsdam, Magdeburg, Dresden, Karl-Marx-Stadt und Suhl wurde bekannt, dass unter den Handelsangestellten rege Diskussionen über Fragen der Entlohnung geführt werden. Die Handelsangestellten vertreten die Meinung, dass die Entlohnung gegenüber den Industriearbeitern zu niedrig sei und eine bessere Differenzierung der Lohngruppen sowie eine Überprüfung des alten Ortsklassensystems vorgenommen werden müsste.1 Als Beispiel sei hier die Entlohnung der Verkaufsstellenleiter und des Verkaufspersonals angeführt, der Unterschied beträgt ca. 20,00 DM.

Als Folge schlechter Entlohnung kann die zum Teil erhebliche Fluktuation aus den Handelsbetrieben angesehen werden. Der Schritt wird von den Handelsangestellten damit begründet, dass in der Industrie die Verdienstmöglichkeiten besser sind und dass man selbst als ungelernter Arbeiter mehr verdienen würde und außerdem weniger Verantwortung zu tragen hätte. In Berlin wird von den Handelsangestellten dazu noch erklärt, dass sie in der Industrie »keine Hungerkarte« mehr bekämen, sondern in eine höhere Lebensmittelkartengruppe eingestuft würden.2 Durch die Fluktuation war man in verschiedenen Fällen gezwungen Verkaufsstellen zu schließen. Verschärft wurde diese Situation gegenwärtig noch durch die Urlaubsperiode. Viele Verkaufskräfte nehmen jetzt ihren Urlaub, sodass die Gefahr besteht, noch mehr Verkaufsstellen schließen zu müssen. So besteht z. B. im Stadtbezirk Weißensee/Berlin die Gefahr, dass neben einigen HO-Lebensmittelgeschäften auch einige Lebensmittelverkaufsstellen des Konsums während der Urlaubszeit geschlossen werden müssen. Im Stadtbezirk Prenzlauer Berg nimmt die Fluktuation einen immer größeren Umfang an. So sind im I. Quartal 1956 allein aus den HO-Industriewaren 52 Personen ausgeschieden. Im Juni waren es bereits 25 Personen. Um die augenblicklich bestehenden Schwierigkeiten zu überwinden, ging man zunächst zum Einschichtsystem über. In der nächsten Zeit müssen jedoch trotzdem einige Verkaufsstellen geschlossen werden.

Unter den Angestellten des HO-Warenhauses am Alexanderplatz wird über die unterschiedliche Entlohnung innerhalb der Handelsbetriebe diskutiert. Es wird als nicht richtig empfunden, dass eine Verkaufskraft in Industrieläden z. B. für Möbel und Optik genau so viel Gehalt wie ein Verkaufsstellenleiter bei der HO erhält.

Bezirk Potsdam

In der letzten Zeit sind ca. 80 Verkaufsstellen wegen Mangel an Arbeitskräften geschlossen worden. Dem staatlichen und genossenschaftlichen Handel ist es nicht möglich, geeignete Kräfte (Verkaufsstellenleiter vor allem) zu bekommen. Geschulte Kräfte weigern sich, als Verkaufsstellenleiter eingesetzt zu werden, weil sie nur 20,00 DM mehr als eine Verkaufskraft verdienen. Zzt. haben im Kreis Rathenow 160 ausgebildete Kräfte den staatlichen Handel verlassen, um in den Optischen Werken in Rathenow zu arbeiten. Schwierigkeiten diesbezüglich gibt es auch in den Kreisen Zossen, Neuruppin, Pritzwalk, Potsdam-Land und Königs Wusterhausen. Das Schließen von Verkaufsstellen löste unter der Bevölkerung eine gewisse Beunruhigung aus, besonders wenn Lebensmittel- oder Landverkaufsstellen betroffen wurden.

Neubrandenburg

Im Kreis Prenzlau mussten ebenfalls Verkaufsstellen geschlossen werden. Es handelt sich hierbei vorwiegend um Landverkaufsstellen. Im Kreis Pasewalk ist speziell unter den Lagerarbeitern die Fluktuation groß.

Magdeburg

In der KG-Fleischerei Klötze haben im Juli fünf Fleischer gekündigt. Sie begründen ihre Kündigung damit, dass sie zu wenig verdienen und mit diesem Geld keine Familie ernähren könnten. Im Fleischerei-Betrieb wird nur nach Stundenlohn gearbeitet, sodass die Fleischer nur mehr verdienen können, wenn sie Überstunden machen.

Karl-Marx-Stadt

Im Kreis Flöha sind in der Zeit vom 1.6.1956 bis 10.7.1956 59 Kräfte ausgeschieden, um in der Textilindustrie zu arbeiten. In den Kreisen Klingenthal und Karl-Marx-Stadt geht der größte Teil der Handelsangestellten in Büros, weil die Arbeitszeit nur bis 17.00 Uhr geht und die Bezahlung besser ist.

Dresden

In den kommunalen Handelsbetrieben sind in der Zeit von Januar bis Juni 1956 125 Personen abgegangen. Es gibt Schwierigkeiten in der Beschaffung neuer Verkaufskräfte, Transportarbeiter, Reinigungskräfte.

Im KG-Verband Görlitz ist die Kaderfrage bereits zu einem ernsten Problem geworden. Die Kaderleiterin brachte zum Ausdruck, dass sie diese Aufgabe bald nicht mehr lösen könne, da laufend Kollegen republikflüchtig werden bzw. in die Industrie gehen. Z. B. sind in der Zeit vom 1.1.1956 bis 20.6.1956 zehn Kollegen aus dem Fuhrpark republikflüchtig geworden. Eine Reihe von Handelsangestellten wartet bereits jetzt auf die Fertigstellung der Vorbereitungen zum Bau des Großkraftwerkes in Hagenwerder,3 um dann dort Arbeit aufzunehmen.

In der KG Bautzen mussten bereits zwei Verkaufsstellen geschlossen werden. In der Stadt Meißen sind im II. Quartal 1956 19 Verkaufskräfte abgegangen. Der Vorstand der KG Meißen hat an das ZK einen Brief geschrieben, in dem die Missstände aufgezeigt wurden. So sind z. B. im 1. Halbjahr 66 Personen ausgeschieden. In der KG Coswig sind drei Verkaufsstellen geschlossen worden. Die Verkaufskräfte gingen ausschließlich in die Produktion.

Gera

In den Kreisen Eisenberg und Rudolstadt besteht ein Mangel an Verkäuferinnen. Deswegen musste bereits eine KG-Verkaufsstelle in Thalbürgel, [Kreis] Eisenberg, geschlossen werden. Weiterhin kam es in Schleiz, Lobenstein und Jena zu starken Abwanderungen und Kündigungen. Im KG-Verband Lobenstein-Schleiz haben z. B. in der letzten Zeit 37 Arbeitskräfte, vorwiegend qualifizierte Verkäuferinnen, gekündigt. In Jena sind von Januar bis Ende Juni 119 Verkäuferinnen ausgeschieden. Bei den 100 Zugängen im gleichen Zeitraum handelt es sich vorwiegend um ungelernte Kräfte. Ebenfalls kündigten 80 % der Putzfrauen, weil sie in der Stunde nur 0,91 DM verdienen, während in der Industrie mehr bezahlt wird.

Suhl

Im Kreis Hildburghausen herrscht besonders unter den Verkaufsstellenleitern und dem Verkaufspersonal der ländlichen Verkaufsstellen eine negative Stimmung. Bei der HO-Lebensmittel in Barchfeld, [Kreis] Bad Salzungen, haben fünf Einkäufer gekündigt.

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    4. August 1956
    Information Nr. 127/56 – Betrifft: Ergänzung zur Information Nr. 103/56 vom 27. Juli 1956 über Vorkommnisse in der Gemeinde Ziegenrück, [Kreis] Schleiz, [Bezirk] Gera

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    4. August 1956
    Information Nr. 120/56 – Betrifft: Situation im VEB Industriewerk Ludwigsfelde, [Bezirk] Potsdam