Auswertung internen Materials des SPD-Ostbüros
26. Juni 1956
Information Nr. 34/56 – Betrifft Auswertung internen Materials des SPD-Ostbüros
Nachstehende Argumente sind dem »Ostspiegel – Sozialdemokratischer Pressedienst« des SPD-Ostbüros1 entnommen und wurden als »Einschätzung« dem SPD-Parteivorstand sowie dem engeren Funktionärkörper der SPD zugestellt.
In der Nr. 23 wird im Leitartikel unter der Überschrift »Hintergründe der Pankower Preispolitik« zur 17. Preissenkung in der DDR Stellung genommen.2 Darin wird die durchgeführte Preissenkung als »Beweis« betrachtet dafür, »dass das Ulbricht-Regime zurzeit nichts nötiger als eine Stärkungsspritze hätte«. Weiter wird darin behauptet, dass die »Auswirkungen der in Moskau verhinderten Entstalinisierung und der in den Satellitenstaaten ergriffenen Maßnahmen im Sinne einer Säuberung der kommunistischen Staatspartei von stalintreuen Funktionären … die Vertrauenskrise innerhalb der SED – von der Bevölkerung überhaupt nicht zu sprechen – auf einen neuen Höhepunkt gebracht« habe. Daraus zieht das Ostbüro der SPD dann die Schlussfolgerung: »Nichts lag daher für Ulbricht und seine Regierung näher, als wieder einmal die eigene souveräne Stärke zu beweisen, von der selbst gegenüber der breiten Parteimitgliedschaft nicht mehr viel übrig geblieben ist.« Die Preissenkung selbst wird in den weiteren Ausführungen nur als »Propagandamanöver« bezeichnet, wobei man sich auf die im »Neuen Deutschland« veröffentlichten Verpflichtungen der Werktätigen in der DDR beruft. Bezugnehmend auf eine Tagung des Genossen Fred Oelßner3 mit »Finanzfunktionären des Finanzministeriums«, auf der angeblich das Finanzministerium kritisiert wurde, »weil es mit der Preisherabsetzung für angestaute Waren zu lange gewartet habe«,4 wird dann weiter behauptet, »was also groß als Preissenkung für Industriewaren hingestellt wird, entlarvt sich schnell als ein geschickter Schachzug, um für schwer absetzbare Waren doch noch Käufer zu finden.«
In der gleichen Ausgabe wird unter der Überschrift »Zurück nach Moskau« gegen führende Funktionäre in der DDR gehetzt.5 Ausgehend von der Erklärung des sowjetischen Außenministeriums, dass eine doppelte Staatsbürgerschaft nach sowjetischem Recht unmöglich sei, die aufgrund der Machenschaften der Bonner Botschaft zur »Rückführung« von Personen aus der UdSSR nach Deutschland abgegeben wurde, wird behauptet, »Ulbricht z. B. hat nicht nur während seiner Emigration die Sowjetbürgerschaft angenommen, sondern auch noch den Rang eines Ehrenobersten der Armee und das Mitgliedsbuch der KPdSU. Mit Pieck sieht es nicht besser aus, und Wandel6 ist nicht das einzige ZK-Mitglied, das zurückkehren musste.« Weiter wird dann in diesem Zusammenhang gehetzt, dass, »wenn das sowjetische Außenamt seine eigenen Anordnungen ernst nähme, in Pankow das große Revirement einsetzen müsste. Die Gruppe Ulbricht müsste die Koffer packen und wieder das sowjetische Flugzeug besteigen.«
Im Leitartikel der Nr. 24 wird unter der Überschrift »Drei Jahre später« zur faschistischen Provokation am 17. Juni 1953 Stellung genommen.7 Neben der Forderung, »die Sowjets mögen ihre Deutschlandpolitik« genau so »revidieren, wie sie Stalin entthront haben«, wird darin behauptet: »Heute, drei Jahre nach dem 17. Juni 1953, grollt es in den Betrieben der Zone erneut. In diesen Wochen flammten in einer Reihe von Betrieben erneut lokale Streikkämpfe auf. Die Zeichen deuten auf Sturm. Die Arbeiterschaft der Zone, die an den Juniaufstand nicht als eine Niederlage, sondern als einen Beweis ihrer unerschütterlichen Stärke zurückdenkt, sieht die Veränderungen in der UdSSR, die auch ein Erstarken der sowjetischen Arbeiter im Kampf gegen ihre Diktatur darstellen. Die Welt hat sich gewandelt und niemand kann sagen, ob ein neuer Juni den Ostblock nicht ganz anders erschüttern würde, als es 1953 der Fall war.«
In der gleichen Ausgabe wird unter der Überschrift »Einer Pankower Krise entgegen?« zu einem Artikel im »Neuen Deutschland« Stellung genommen.8 Der Artikel, der sich mit falschen Meinungen über die Beschlüsse des XX. Parteitages9 – speziell zu Parteifragen – befasst,10 wird darin so kommentiert, als wäre eine »Rebellion« innerhalb der SED im Gange bzw. bestände eine Opposition innerhalb der SED gegen den Genossen Walter Ulbricht. So wird u. a. darin behauptet, »die Generaloffensive, die innerhalb der Partei gegen die oberste Leitung ausgebrochen ist, wendet sich in erster Linie gegen Ulbricht und diejenigen, die mit ihm zusammen nach Stalins Vorbild die gesamte Politik dekretierten. Ulbrichts überraschender Urlaubsantritt,11 der ohne Zweifel von den ZK-Machthabern als Versuch gedacht war, den SED-Chef für eine Zeitlang aus der Schusslinie der Parteiopposition herauszunehmen, hat den Ansturm der Rebellen nur noch verstärkt.« Die Tatsache, dass Walter Ulbricht seinen Urlaub nicht in der SU, sondern in der ČSR verbrachte, wird zum Anlass genommen zu behaupten, »die Moskauer Regierung habe Ulbrichts Wunsch, seine Urlaubstage in der Sowjetunion zu verbringen, kategorisch abgelehnt, sodass der SED-Chef mit der ČSR als Urlaubsdomizil vorlieb nehmen musste. Die Form, in der das geschah, ist dabei nicht einmal wichtig, allein die Tatsache, dass Ulbricht erstmalig nicht in die SU reiste, wiegt schwer genug.«