Auswertung von Propagandamaterial der Ostbüros
24. September 1956
Information Nr. 216/56 – Betrifft: Auswertung von Hetzschriften
1.) Die August-Ausgabe der Hetzschrift »Familie Jedermann« des FDP-Ostbüro1 befasste sich mit Fragen des Personenkultes im Zusammenhang mit dem XX. Parteitag der KPdSU.2 Ausgangspunkt der Hetze ist dabei die Feststellung, dass »Wohl gewisse Wandlungen eingetreten sind – die Wirklichkeit, wie sie von den sowjetischen Führern von Zeit zu Zeit wieder praktiziert wird, lässt den Verdacht gerechtfertigt scheinen: die Schatten bleiben … Veränderungen machen sich bereits in den Nachbarsatelliten bemerkbar, aber in der DDR ist davon, solange es einen Ulbricht gibt, nichts zu verspüren.«
2.) In einer neuen vierseitigen Hetzschrift – vermutlich von der »SED-Opposition«3 – ist die Rede von einer Krise innerhalb unserer Partei. Der Text ist so gehalten, als ob die Herausgeber Mitglieder unserer Partei seien. Die Krise finde ihren Ausdruck in der »Unfähigkeit des Politbüros« eine klärende Diskussion zu den Fragen des Personenkultes durchzuführen. Bei der ganzen Hetze geht es nur darum, der Partei feindliche Diskussionen aufzuzwingen. Mit der Forderung, die Materialien der »Geheimrede Chruschtschows« den Mitgliedern nicht länger vorzuenthalten, bezweckt der Gegner nur politisches Kapital für sich daraus zu schlagen. Dies wird durch die am Schluss des Hetzblattes vorgeschlagenen Punkte bewiesen, zu denen es einleitend heißt:
»Um die Diskussion auf eine leninistische Weise zu führen, schlagen wir vor:
- 1.)
Veröffentlichung aller wesentlichen Materialien, die im Verlaufe der letzten Monate in den Bruderparteien zur Frage des Personenkultes herausgegeben worden sind. (Man darf hierbei daran erinnern, dass das ›Neue Deutschland‹ die Erklärung des Genossen Togliatti in unzulässiger Weise gekürzt und wesentliche Stellen sogar unterschlagen hat.)4 Da die Erklärung der KPdSU vom 30.6.1956 (die das ›Neue Deutschland‹ veröffentlicht hat)5 mit besonderer Betonung von den brüderlichen Beziehungen der marxistischen Parteien spricht, die untereinander verbunden sind, sollte es sich von selbst verstehen, dass die Stellungnahme hervorragender Führer der Bruderparteien auch in unserer Parteipresse abgedruckt werden.
- 2.)
Veröffentlichung der Geheimrede des Genossen Chruschtschow auf dem XX. Parteitag, damit die Genossen das vollständige Material über die Fehler des Genossen Stalin kennenlernen.
- 3.)
Das ZK muss für eine lange Periode eine freie Diskussion gestatten, in welcher sämtliche Fragen vom Standpunkt des Marxismus-Leninismus gestellt werden dürfen. In dieser Diskussion müssen auch sämtliche Fragen des Personenkultes in unserer Partei frei besprochen werden können. Diese Diskussion muss nach einigen Monaten zu einer Neuwahl sämtlicher Parteiorgane in geheimer Abstimmung führen. Die Partei muss wie in der ČSR die Forderung nach einem außerordentlichen Parteitag erheben, auf welchem nach freier Diskussion das Zentralkomitee in geheimer Abstimmung neu zu wählen ist.6
- 4.)
Die Redaktion des Zentralorganes ›Neues Deutschland‹ muss neu besetzt werden, da die jetzige Chefredaktion offensichtlich außer Stande ist, die Fragen des Personenkultes gründlich zu diskutieren. Ebenso muss die Redaktion des theoretischen Organes ›Einheit‹ neu besetzt werden, da der Genosse Oelßner7 durch seine anderen Tätigkeiten außerstande ist, sich mit den entscheidenden Fragen der gegenwärtigen Parteidiskussion zu befassen.
Dies sind einige Vorschläge, die wir den Genossen als Grundlage für Besprechungen überreichen. Wir wären dankbar, wenn uns aus den Bezirken und Kreisen Ergänzungen bzw. neue Vorschläge gemacht werden würden. Wir müssen alles tun, um die Partei aus der gegenwärtigen schweren Übergangskrise herauszubekommen, sonst werden wir alle ein Opfer dieser Krise.«