Berliner SPD
16. Juli 1956
Information Nr. 74/56 – Betrifft: Berliner SPD
Aus dem Stadtbezirk Weißensee wird bekannt, dass auf Beschluss des SPD-Kreisvorstandes in den Monaten Juli und August keine Abteilungs- und Kreisversammlungen sowie andere Zusammenkünfte stattfinden.1 Diese Maßnahme wird vom Kreisvorstand damit begründet, dass die Mitglieder zum größten Teil in ihren Kleingärten genug Arbeit haben und die Funktionäre einmal ausruhen wollen. Äußerungen verschiedener Mitglieder ist zu entnehmen, dass diese über den Beschluss ihres Kreisvorstandes erfreut sind.
Auch die Jungsozialisten stellen während dieser Zeit ihre Zusammenkünfte ein.2 Zuvor wollen sie jedoch noch die Rede des Genossen Chruschtschow, die er anlässlich des Besuchs der französischen Regierungsdelegation in Moskau gehalten hat und in der er den Standpunkt der Sowjetunion zur Deutschland-Frage darlegt,3 behandeln. Dieses Thema wurde den Jungsozialisten aber vonseiten des Kreisvorstandes untersagt. Als Begründung wurde angeführt, dass die politische Atmosphäre so mit Spannung geladen sei, dass es sich die SPD nicht erlauben könne, aufzufallen. Es würde sich bei der Behandlung dieses Themas eine Diskussion ergeben, deren Tragweite über das zu verantwortende Maß hinausgeht.
In einer Diskussion brachten ein SPD-Funktionär und einige Mitglieder aus dem Kreis Weißensee zum Ausdruck, dass sie in Opposition zur Politik der Parteiführung, und zwar besonders zur Politik der Berliner SPD-Führung stehen. Nach Meinung des Funktionärs verbürgerlicht die SPD immer mehr und es sei an der Zeit, solche Gestalten wie Jung (1. Vorsitzender des Kreisvorstandes Weißensee),4 Willy Brandt5 u. a. das Handwerk zu legen. Die alten Genossen werden immer mehr an die Wand gedrückt und mit ihnen die alten Ideale. – Zum Schluss erklärte dieser Funktionär, dass er im nächsten Jahr keine Funktion mehr annehmen wird.
In den Abteilungen6 5, 14 und 15 des Kreisverbandes Friedrichshain mehren sich die Stimmen von Mitgliedern, die von ihren Funktionären fordern, mit der SED ins Gespräch zu kommen. So haben z. B. Mitglieder der Abteilung 15 in ihrer Abteilung eine Unterschriftensammlung durchgeführt, in der sie fordern, solche Gespräche aufzunehmen. Der größte Teil der Mitglieder dieser Abteilung hat hierfür seine Unterschrift gegeben.
Betr.: Referat Falken in Westberlin7
Das Referat Falken in Westberlin hat das Ostbüro der SPD8 in Westberlin um finanzielle Unterstützung angegangen. Stephan Thomas,9 der Leiter des Ostbüros der SPD in Bonn, hat diese finanzielle Unterstützung für die Falken abgelehnt und dementsprechend Anweisung dem Ostbüro der SPD in Westberlin gegeben.