Betriebsschließungen
22. Juni 1956
Information Nr. 29/56 – Betrifft: Betriebsschließungen
Im VEB Süßwarenfabrik Spreewald Cottbus ergibt sich folgende Situation: Durch eine Kommission, die sich aus Werkleitern und Spezialisten der Süßwarenindustrie zusammensetzte, wurde ein Gutachten über den Gebäudezustand des Betriebes abgegeben. Dabei wurde festgestellt, dass der Betrieb für eine Spezialisierung in der Süßwarenindustrie nicht geeignet ist. Zum Umbau dieses Betriebes würden schätzungsweise 800 000 DM benötigt werden, was aber nicht zu verantworten ist, da andererseits genügend ungenutzte Räume in anderen Betrieben zur Verfügung stehen. Das heißt in der Endkonsequenz, dass der Betrieb 1957 die Produktion einstellen wird.
Bei der Kommission war auch eine Kollegin [Name 1] von der Hauptverwaltung pflanzliche Erzeugnisse anwesend. Diese Kollegin wurde aufmerksam gemacht, dass es verfrüht wäre, jetzt schon eine Belegschaftsversammlung durchzuführen, da man nicht in der Lage ist den Arbeitern zu sagen, wo sie ihre neuen Arbeitsplätze aufnehmen können. Der Belegschaft wurde lediglich gesagt, dass der Betrieb für eine Spezialisierung nicht infrage kommt und 1957 auslaufen wird. Für neue Arbeitsplätze wäre gesorgt. Diese Feststellung schlug bei den Arbeitern wie eine Bombe ein. Es wurde gefragt: »Wie ist so etwas möglich, unser Betrieb hat nur mit Gewinn gearbeitet und dem Staat beim Aufbau geholfen und nun soll die gesamte Produktion eingestellt werden?« Diese Mitteilung, die bestimmt verfrüht der Belegschaft bekannt gegeben wurde, führte dazu, dass sehr starke Diskussionen auftreten und die Arbeitsproduktivität ständig sinkt.
Spezialisten auf diesem Gebiet sehen mit der Schließung dieses Betriebs ihre Entwicklung abgeschlossen. So äußerte sich z. B. ein Obermeister, der selbst bisher eine sehr gute Arbeitsmoral gezeigt hat, »wir haben schon sehr viele Kollegen, die schon über zehn Jahre in diesem Betrieb arbeiten und alles zum Wohle des Betriebes gegeben haben und jetzt als Dank dreht man dem Betrieb das Genick um«.
Die negativen Stimmungen und Meinungen und vor allem die Unsicherheit unter den Arbeitern, was wird mit uns, hätte nicht sein brauchen, wenn man sich vonseiten der Kommission erst ernsthaft Gedanken gemacht hätte, wie und wo können die Arbeiter untergebracht werden, oder aber, welche Produktion wird in diesem Betrieb anlaufen. Die Kollegin von der Hauptverwaltung versprach der Belegschaft, im August nochmals zu einer Belegschaftsversammlung zu kommen und ihnen dann Bescheid zu geben, wo sie eingesetzt werden können. Bemerkt werden muss, dass in diesem Betrieb zu 90 % Frauen beschäftigt sind.
Auf der Steinkohlenschachtanlage Doberlug-Kirchhain, Kreis Finsterwalde, ergibt sich folgende Situation: Am 1.6.1956 wurde unter Anwesenheit verschiedener Vertreter wie z. B. staatliche geologische Kommission Berlin, VEB Schachtbau Nordhausen, vom TBI Berlin und Senftenberg, HV Steinkohle Zwickau u. a. in Doberlug-Kirchhain eine Sitzung durchgeführt. Auf der Tagesordnung standen die Untersuchungsarbeiten auf der Schachtanlage Doberlug-Kirchhain. Vonseiten der geologischen Kommission wurden die Untersuchungsarbeiten auf dieser Schachtanlage als beendet erklärt. Die HV Kohle Zwickau wurde beauftragt, nun dieses Projekt zu übernehmen. Mit dieser Maßnahme erklärte sich der Vertreter der HV Kohle nicht einverstanden, er forderte vielmehr eine genaue Vorratsberechnung der vorhandenen Kohle. Der Leiter der geologischen Kommission erklärte dazu u. a., dass sie zzt. keine genauen Angaben über die Vorräte geben können, da zur Berechnung der Vorräte noch einige Bohrungen nötig wären, die ca. erst in einem Jahr beendet sein können. Wenn nach dem Vorschlag der HV Kohle Zwickau gearbeitet würde, könnte erst nach drei Jahren mit dem Abbau der Kohle gerechnet werden.
Nach Schätzungen der staatlichen geologischen Kommission können ca. 50 Mio. t Kohlenvorkommen vorhanden sein. Des Weiteren zeigen verschiedene Bohrungen, die noch weiter vom Schacht abgehend durchgeführt werden, die gleichen Ergebnisse. Der Betriebsleitung Doberlug-Kirchhain ist es daher unverständlich, zumal die Ergebnisse klar vorliegen, dass man unbedingt zu den genannten Vorratsberechnungen noch weitere Bohrungen benötigt. Die Betriebsleitung ist vielmehr der Meinung, dass es bereits an der Zeit wäre, weitere Vorbereitungsarbeiten für einen späteren Kohlenabbau zu beginnen. Es muss daher nochmals auf den gefassten Beschluss hingewiesen werden, der besagt, dass ab sofort die Erkundungsarbeiten eingestellt werden, d. h., dass durch diesen Beschluss 85 % der Belegschaft auf anderen Schachtanlagen bzw. in anderen Industriezweigen weitere Beschäftigungen finden müssen. So soll ab 1.7.1956, wenn kein anderer Beschluss vorliegt, die Schachtanlage Doberlug-Kirchhain für ein Jahr stillgelegt werden. Die dadurch entstehenden Diskussionen unter den Arbeitern und die damit verbundene politische Auswirkung ist äußerst negativ. Die alten Arbeiter, die bereits schon 35 Jahre im Bergbau arbeiten, können es nicht verstehen, dass durch diesen Beschluss der HV Kohle Zwickau ihr Betrieb, den sie von Anfang an mit aufgebaut haben, stillgelegt werden soll.
Aus dem VEB Schieferbergbau Seifhennersdorf, [Kreis] Zittau, [Bezirk] Dresden, wurde bekannt, dass am 9.6.1956 in einer Besprechung beim Rat des Bezirkes Dresden vom Vertreter des Ministeriums für Aufbau mitgeteilt wurde, dass der Betrieb auf unbegrenzte Zeit stillgelegt werden soll. Die Grube selbst soll jedoch laufend unterhalten werden, sodass jederzeit mit der Förderung begonnen werden kann. Diese Maßnahme ist unverständlich, da seit 1951 die Erschließungsarbeit und der Ausbau der Grube durchgeführt wurden. Insgesamt wurden bisher ca. 2 Mio. DM investiert und die Grube hat im I. Quartal 1956 bzw. im II. Quartal 1956 mit ihrer laut Plan festgelegten Förderung begonnen. Noch unverständlicher wird diese Maßnahme wenn man bedenkt, dass die Unterhaltung der Grube jährlich ca. 100 000 DM kostet, ohne dass dabei ein wirtschaftlicher Nutzen vorhanden ist.