Diskussionen über die Regelung der Teilselbstversorgung
25. Oktober 1956
Information Nr. 273/56 – Betrifft: Diskussionen über die Anordnung für die Regelung der Teilselbstversorgung
Aus den Bezirken Suhl, Magdeburg, Leipzig und Gera wird berichtet, dass diese Anordnung unter den Teilselbstversorgern heftige Diskussionen ausgelöst hat.1 Das Gesetz besagt, dass z. B. bei Schlachtungen usw. nicht mehr nur eine Person als Selbstversorger, sondern alle Familienangehörigen in die Vollselbstversorgung mit einbezogen werden. Somit werden auch von allen Familienangehörigen die Zuteilungen für Fett und Fleisch auf Lebensmittelkarten abgezogen.2 Unter den Teilselbstversorgern – es sind vielfach Arbeiter und Genossenschaftsbauern – wird aus diesem Grund die Meinung vertreten, dass diese Maßnahme unverständlich sei und mit dem 28. Plenum und der Abschaffung der Lebensmittelkarten nicht in Einklang zu bringen sei.3 Aus den Bezirken wird dazu Folgendes berichtet:
Bezirk Suhl
Es wird z. B. im Kreis Bad Doberan4 zum Ausdruck gebracht, dass diese Maßnahme 1949/50 verständlich gewesen wäre, aber heute nicht mehr. Ein großer Teil der Belegschaft des VEB Westglas/Schönbrunn,5 [Kreis] Hildburghausen, erklärt: »Das ist wohl der Anfang des sich stets steigernden Lebensstandards? Will man bewusst die Arbeiter verärgern oder sitzt in Berlin irgendeiner, der keine Ahnung hat und [sich] solche Sachen ausdenkt. Man soll doch lieber gleich sagen, ihr müsst die Schweine abliefern.«
Unter der Bevölkerung in Barchfeld, [Kreis] Bad Salzungen, wird dahingehend diskutiert, ob vielleicht ein Agent in der Regierung säße, der wieder einen neuen 17. Juni inszenieren wolle. Aus Immelborn, [Kreis] Bad Salzungen, wird bekannt, dass diese Gesetze 1944 schon einmal herausgegeben wurden.6 Man hätte es jetzt wieder hervorgeholt. Die Arbeiter aus dem Hartmetallwerk Immelborn, [Kreis] Bad Salzungen, wollen kein Kleinvieh mehr halten und ihr Land aufgeben. In diesem Werk haben von 800 Beschäftigten ca. 500 ein Schwein aufgezogen. Diese erklärten, sie wollten ihr Schwein einem Bauern verkaufen. Als die Volkskammerabgeordnete Minna Köhler7 eine Gaststätte aufsuchte, wurde sie wegen dieses Gesetzes von zwei angetrunkenen Personen auf das Übelste beschimpft und als Neuhäuser Bonze, die der Bevölkerung alles wegfrisst, bezeichnet.
Im Kreis Genthin, [Bezirk] Magdeburg, gibt es deswegen vor allem unter den LPG-Mitgliedern, die individuelle Viehhaltung betreiben, und unter den Arbeitern, die sollfreie Flächen haben, Verärgerung. Sie erklären, mit solchen Anordnungen nicht einverstanden zu sein. Das Lebensniveau würde dadurch sinken. In der Gemeinde Glesien,8 [Kreis] Delitzsch, [Bezirk] Leipzig, fand eine Versammlung des Ziegenzuchtvereins statt, an der ca. 40 Personen teilnahmen. Von diesen wurde heftig über diese Verordnung diskutiert9 und es wurde fast einstimmig geäußert, warum jetzt noch so eine Anordnung herausgegeben würde, da doch im nächsten Jahr sowieso die Lebensmittelkarten abgeschafft werden sollen. Wenn diese Verordnung in Kraft tritt, wäre es besser, kein Vieh mehr zu halten. Auch die Anordnung, dass jede dritte Ziege, die gehalten wird, bei der Fettversorgung angerechnet würde, wäre nicht richtig. Sie wollen nur noch zwei Ziegen halten und die übrigen abschlachten.
Ähnlich wird unter Kleintierhaltern von Königsee,10 [Kreis] Rudolstadt, [Bezirk] Gera, diskutiert. Die Diskussionen darüber haben solchen Umfang angenommen, dass vom Rat des Kreises eine Ratsvorlage erarbeitet werden soll. In der LPG Gerbisdorf, [Bezirk] Leipzig, wurde eine Vollversammlung von ca. 80 % der Genossenschaftsbauern erklärt, dass sie aus der LPG austreten, wenn diese Verordnung in Kraft tritt.