Einführung der Ratenzahlung im Einzelhandel (1)
3. Oktober 1956
Information Nr. 230/56 – Betrifft: Ratenzahlung
1.) Stimmung
Da das vorhandene Material darüber noch nicht sehr umfangreich ist, kann eine allgemeine Einschätzung noch nicht gegeben werden. Nach vorliegenden Berichten zu urteilen, ist die Stimmung darüber im Wesentlichen positiv.1 Von der Bevölkerung wird diese Maßnahme begrüßt und zum Ausdruck gebracht, dass man sich dadurch viel mehr anschaffen könnte.
Ein parteiloser Arbeiter vom Sägewerk in Lindow, [Kreis] Neuruppin, sagte dazu: »Ich bin drei Jahre verheiratet und konnte mir von meinem monatlichen Verdienst von 300 DM keine Wohnungseinrichtung nach meinem Wunsch anschaffen. Jetzt ist mir aber die Möglichkeit dazu gegeben.« Ein anderer Arbeiter aus dem gleichen Betrieb: »Diese Maßnahme hätte man schon früher ergreifen müssen, dann wären nicht so viel Arbeiter flüchtig geworden, denn jetzt kann man doch unter günstigeren Bedingungen Möbel kaufen, als es im Westen der Fall ist.«
Es gibt aber auch eine ganze Reihe solcher Diskussionen, wo aufgrund von Unklarheiten erklärt wird, dass noch vor einem Jahr das Ratensystem in Westdeutschland verurteilt wurde und jetzt das Gleiche bei uns eingeführt wird. Folgende Diskussionen können als charakteristisch angesehen werden:
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Der Abteilungsleiter der Abteilung Arbeit des VEB Werkzeugunion, Schmalkalden, [Bezirk] Suhl: »Die Regierung hat in diesem Punkt meiner Meinung nach einen großen Fehler gemacht. Noch vor kurzer Zeit wurde in unserer Presse erläutert, dass die Teilzahlungsgeschäfte ein wesentlicher Faktor bei der Verschuldung Westdeutschlands sind und als typische Machenschaften des Kapitalismus hingestellt wurden.«2
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Ein Arbeiter aus dem VEB Röhrenwerk Neuhaus, [Bezirk] Suhl: »Es ist alles schön und gut, was man zur Erleichterung der Werktätigen neu einführt. Ich bin aber nicht der Meinung, dass man das, was man im Westen verdammte, jetzt nachmacht.«
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Eine Sekretärin aus dem VEB Gasversorgung Leipzig: »Nun gehen wir auch zur Teilzahlung über, wie im Kapitalismus. Da komme ich einfach nicht mehr mit.«
Einzelne Stimmen besagen auch, dass die Ratenzahlung zwar gut und schön wäre, aber sicher nur Ladenhüter verkauft würden, oder dass es nur solange Teilzahlung geben würde, bis das Warenangebot erschöpft sei. In einer Straßenbahn in Potsdam unterhalten sich z. B. einige Personen wie folgt: »Diese Teilzahlung ist zu begrüßen, aber es müsste eine Teilzahlung für alle Waren, die über 200 DM kosten, geben. Aber die Sache wird wohl nicht lange andauern, weil dann die Waren ausverkauft sind und wir erleben das Gleiche, wie mit dem ›Rembrandt‹3.«
2.) Verlauf der Ratenzahlung
Aus den Bezirken Schwerin, Berlin und Potsdam wird z. B. über den Verlauf der Ratenzahlung Folgendes berichtet:
Im HO-Warenhaus Alexanderplatz, Berlin, sind bis jetzt 13 000 Teilzahlungsanträge abgeschlossen worden. In Neuruppin, [Bezirk] Potsdam, kündigte ein großer Teil der Bevölkerung ab 1.10.1956 die Sparverträge.
Der Verkauf von Radios hat sich seit dem 1.10.1956 auf ca. 70 % gesteigert. Bei Möbeln liegt die Steigerung zwischen 30 und 50 %. Wie hierzu bekannt wurde, können die Großhandelskontore für Möbel den Anforderungen des Einzelhandels nicht gerecht werden. Weiterhin fehlen dem Einzelhandel für den Abschluss von Teilzahlungsverträgen Formulare, die bestellten Formulare sind bis jetzt noch nicht eingetroffen.
Im Bezirk Schwerin wurden ebenfalls bereits sehr viele Verträge abgeschlossen. In den Radiogeschäften sind umfangreiche Vorbestellungen aufgegeben worden. Die Radioverkaufsstelle Puschkinstraße, Schwerin, hat ca. 100 Vorbestellungen. Ebenso liegen auch in der Verkaufsstelle Stalinstraße sehr viele Vorbestellungen. Ähnliche Beispiele gibt es in fast allen Kreisstädten des Bezirkes.
Voraussichtlich werden in Schwerin die Allstrom-Geräte4 nicht ausreichen. Da im Plan der Stadt vorgesehen ist, bis zum Jahresende das gesamte Stromnetz auf Wechselstrom umzubauen. Von den Handelsorganen wurden dementsprechend weniger Allstromgeräte eingekauft. Bei Möbeln sind seit Bekanntgabe der Teilzahlung nur ganz geringe oder fast gar keine Bargeschäfte getätigt worden. Es liegen sehr viel Vorbestellungen, hauptsächlich für Küchen vor. Soweit festgestellt werden kann, reichen die vorhandenen Küchen nicht aus. Die größte Nachfrage besteht zzt. nach Staubsaugern, die bei gleichbleibendem Bedarf ebenfalls bald ausverkauft sein werden.
3.) Überplanbestände an Möbeln
Im VEB Möbelindustrie Rabenau-Oelsa, [Kreis] Freital, sind alle verfügbaren Lagerräume überfüllt, sodass der Betrieb sich um Lagerräume in Freital kümmern muss, damit die nicht absatzbaren Polstermöbel untergebracht werden können. Die Stimmung unter den Arbeitern über diesen Zustand ist nicht gut.
Überplanbestände an Möbeln gibt es auch im Kreis Hildburghausen. Dort hat allein der Kreiskonsumverband Überplanbestände von mehr als 100 000 DM. Die Arbeiter des VEB (K) Möbelwerk Themar, [Kreis] Hildburghausen, sehen dadurch einen Rückgang der Produktion in der Möbelindustrie, weil sie praktisch nur noch auf Lager arbeiten und keine Verträge mehr mit dem In- und Ausland abschließen können.
4.) Feindpropaganda
Von der Westpresse wird das Problem der Ratenzahlung aufgegriffen und erklärt, dass sich vor den HO-Läden seit Montag Szenen abspielen würden, die lebhaft an die Nachkriegsjahre erinnern würden. Die Käufer müssten wieder Schlange stehen, was beweisen würde, wie groß die Versorgungslücke und der Warenhunger in der DDR noch sei. Außerdem wird erklärt, dass sich das Warenangebot als völlig unzureichend erwiesen hätte. Als Untermauerung werden einige Beispiele aus dem Warenhaus am Alexanderplatz Berlin, aus Suhl und Schwerin angeführt. Im »Tagesspiegel« vom 27.9.1956 wird erklärt, dass die Einführung der Ratenzahlung in der DDR nichts anderes bedeuten würde, als einmal die Ladenhüter abzustoßen und zum anderen dem privaten Einzelhandel damit weitere Kunden zu entziehen.5