HO-Butter- und HO-Margarineversorgung
28. Juni 1956
Information Nr. 43/56 – Betrifft: HO-Butter- und HO-Margarineversorgung
In den Bezirken Rostock, Neubrandenburg, Schwerin, Cottbus, Frankfurt/O., Potsdam, Magdeburg, Halle, Leipzig, Karl-Marx-Stadt und Gera besteht ein erheblicher Mangel an HO-Butter und HO-Margarine. Besonders schlecht ist die Situation im Bezirk Schwerin, wo die Lage äußerst angespannt ist und einer schnellsten Änderung bedarf. Bei der Anlieferung dieser Waren kommt es in den Bezirken zur Schlangenbildung.
In größerem Umfang als bisher werden wieder Diskussionen über die Versorgungslage unter allen Schichten der Bevölkerung, besonders unter den Hausfrauen und den Arbeitern in den Betrieben, geführt. Folgende Äußerungen werden dabei immer wieder laut: »Vor Jahren war die Fettversorgung schon einmal besser gewesen« und »so etwas dürfte elf Jahre nach Kriegsende nicht mehr vorkommen«. In den einzelnen Bezirken ist die Lage wie folgt:
Bezirk Rostock
Die bereitgestellten Kontingente an HO-Margarine entsprechen nicht dem Bedarf der Bevölkerung. Trotz der laufenden Aufstockungen von insgesamt 132 t im II. Quartal konnte der Bedarf nicht gedeckt werden. Außerdem ist ein überhöhter Aufkauf an Margarine festzustellen. So wurden am 20.6.1956 in Rostock 8 t und am 21.6.1956 11 t Margarine verkauft.
Bezirk Neubrandenburg
In den Kreisen Anklam, Neubrandenburg, Demmin, Pasewalk u. a. traten größere Versorgungsschwierigkeiten auf. So erhielt z. B. der Kreis Anklam im II. Quartal 7,8 t HO-Butter, was pro Kopf 0,125 kg ausmacht. Zurzeit ist weder HO-Butter noch HO-Margarine vorhanden. In einigen Geschäften provozierten Hausfrauen Frauen von Funktionären (z. B. die Frau des Vorsitzenden des Rates des Bezirks).
Als vor einigen Tagen in Anklam Margarine angeliefert wurde, kam es vor den Geschäften zu Schlangenbildungen. Es wurde sogar der Anlieferwagen bestürmt. Aufgrund der mangelhaften Versorgung der Bevölkerung im Kreisgebiet Anklam wurde mit der Abteilung Handel und Versorgung des Rates des Kreises Rücksprache genommen, wobei sich herausstellte, dass im II. Quartal bereits 7 800 kg HO-Butter und 86 000 kg HO-Margarine verausgabt wurden. Damit ist die Zuteilung für das II. Quartal weit überschritten.
Bezirk Schwerin
Für den Bezirk Schwerin sind für das II. Quartal 120 t Butter eingeplant, wovon bis zum 10.6.1956 96 t an die Bevölkerung ausgeliefert wurden. Im Vorjahr standen zum gleichen Zeitpunkt 160 t zur Verfügung. Davon wurden 152,9 t verkauft. Eine Erhöhung um 80 t wurde vom Ministerium für Handel und Versorgung nicht stattgegeben, da diese Erhöhung im Plan nicht vorgesehen ist. In der Margarineversorgung hat sich trotz Aufstockung von 50 t und Umarbeitung von 40 t Speiseöl in 49 t Margarine nichts geändert.
Bei Anlieferung von HO-Butter und HO-Margarine kam es ebenfalls zu Schlangenbildung und unliebsamen Auseinandersetzungen. In Boizenburg, [Kreis] Hagenow, standen ca. 50 Personen vor der Verteilungsstelle der HO-Lebensmittel und erklärten, solange stehen zu bleiben, bis die Butter angeliefert wäre. Trotz wiederholter Versuche durch die Arbeiterkontrolle und das Verkaufspersonal, diese zum Weggehen zu bewegen, blieben sie. Es wurde dabei geäußert, man solle die Zonengrenzen aufheben, damit sie nach Lauenburg1 gehen könnten, um dort Butter einzukaufen.
Weiterhin wurde festgestellt, dass Hausfrauen Hamstereinkäufe tätigen und ihre Kinder an verschiedenen Stellen anstehen lassen. In Schwerin konnte am Wochenende beobachtet werden, wie die Frauen sich gegenseitig die Butter aus den Taschen holten und das Verkaufspersonal beschimpften.
Bezirk Cottbus
Im gesamten Bezirk reicht die angelieferte HO-Butter bei Weitem nicht aus, da gerade am Monatsende der Bedarf besonders hoch ist.
Bezirk Leipzig
Im HO-Warenhaus Leipzig HO I standen am 22.6.1956 ca. 300 Personen nach HO-Butter an. Trotz Hinweisen durch die Handelsfunktionäre, dass keine HO-Butter vorhanden ist, blieben die Menschen noch einige Zeit stehen, und machten abfällige Bemerkungen wie z. B.: »Ihr verschiebt die Butter; ihr habt genug zu fressen, aber für uns kleine Arbeiter ist keine da. Wir waren im Rathaus und dort wurde uns gesagt, dass das Warenhaus Butter hätte und diese verkaufen soll.« Ähnlich war es auch im HO-Warenhaus II in Leipzig, wo sich am gleichen Tage ebenfalls 300 bis 400 Personen angestellt hatten und auf den Verkauf von Butter warteten. Zur Deckung des Bedarfs in der 3. Dekade im Monat Juni wären noch ca. 20 t Butter notwendig.
Bezirk Gera
In Eisenberg standen am 20.6.1956 ca. 300 Personen vor der HO-Molkereiverkaufsstelle nach HO-Butter an. Eine unbekannte Person fotografierte diese Menschenansammlung.
Besonderes zur Preissenkung2
Im Kreis Rathenow, [Bezirk] Potsdam, tauchen folgende Diskussionen auf: »Auf der einen Seite führt man für Industrie und Textilwaren eine Preissenkung durch und auf der anderen Seite holt man diese Milliarde durch Verteuerung der Backware wieder aus der Bevölkerung heraus.«
Die Ursache für diese Diskussionen ist, dass verschiedene Backwaren, wie z. B. Schillerlocken, Pfannkuchen und Windbeutel, um 10 Pfennige im Preis erhöht wurden. Die HO-Leitung teilte den Verkäuferinnen lediglich mit, dass es sich hierbei um eine Preisregelung handele. Die Bevölkerung und die Verkäuferinnen sind der Ansicht, dass so etwas in der Presse bekannt gegeben werden müsste.
Im Bezirk Frankfurt/O. erhielt die Verkäuferin der Konsumbäckerei in Storkow von dort die telefonische Mitteilung, dass die Streuselschnecken von 0,12 DM auf 0,16 DM erhöht wurden.