Information zur Lage in der DDR (2)
25. Oktober 1956
Information Nr. 276/56 – Betrifft: Lage in der Deutschen Demokratischen Republik
I. Lage in der Industrie
Bezirk Magdeburg
Seit 17.10.1956 besteht im VEB Braunkohlenwerk Unseburg, [Kreis] Staßfurt, eine sehr schlechte Stimmung zu Lohnfragen. Auf einer AGL-Versammlung der Betriebsabteilung »Karl III« erklärte ein Kollege (Name nicht bekannt), »wenn wir [von] unserer Regierung nicht bis zum 1.12.1956 schriftlich Bescheid bekommen, dass es mehr Geld gibt, dann werden wir keine Gewerkschaftsbeiträge mehr zahlen. Ich würde dann selbst zum Schacht ›Marbe‹ fahren und organisieren, dass auch dort keine Beiträge mehr bezahlt werden.«
Bezirk Potsdam
Am 23.10.1956 legten in der Halle 3 des Industriewerkes Ludwigsfelde, [Kreis] Zossen, ca. 15 Schweißer, die mit dem Schweißen der Rollerrahmen beschäftigt waren, die Arbeit nieder. Ursache: An diesem Tage ist der Betriebsarzt mit dem Arbeitsschutzinspektor durch die Halle 3 gegangen und sprach mit den Arbeitern über ihre Forderungen. Da in dieser Abteilung seit sechs Wochen eine 10%ige Erschwerniszulage gefordert wird und bis jetzt keine Entscheidung darüber gefällt wurde, äußerte der Betriebsarzt zu den Kollegen, dass sie es ablehnen sollen, diese öligen und fettigen Rahmen zu schweißen. Diese Äußerung des Betriebsarztes nahmen die Kollegen zum Anlass und stellten die Arbeit an den Rahmen ein. Nach einstündiger Diskussion nahmen die Arbeiter nach Erfüllung ihrer Forderung – 10%ige Erschwerniszulage – die Arbeit wieder auf.
Am 24.10.1956 nachmittags, entstanden in dem Rathenower Optischen Werken, Abteilung Vorfertigung, Diskussionen, die sich mit der Abschaffung der dritten Schicht in der Abteilung beschäftigten. In Gegenwart mehrerer Kollegen erklärte ein parteiloser Arbeiter. »Was wollt ihr machen, wenn die dritte Schicht nicht arbeitet?« Zu erwähnen ist, dass diese Abteilung am 17.6.1953 Ausgangspunkt der Provokationen in Rathenow war.
Berlin
Durch eine Mitteilung wurde bekannt, dass sich bei der BVG (Omnibusbahnhof Weißensee) eine Gruppe gebildet hat, die beabsichtigt, den Omnibusbahnhof lahmzulegen. Zu einem geeigneten Moment (Anfang November 7., 8. oder 9.) soll unter dem Vorwand: schlechter Verdienst, zu wenig Entlohnung, »schlechter und verkehrsunsicherer Wagenpark« als erstes die Telefonverbindung zum und vom Omnibusbahnhof lahmgelegt und zweitens verhindert werden, dass der Betriebsschutz Gegenmaßnahmen einleiten kann.
Im Institut für Medizin und Biologie in Berlin-Buch wurde am 23.10.1956 eine Resolution mit sinngemäß folgendem Inhalt verfasst: »Wir fordern die BGL auf, einen Vertreter der SED an das Institut zu bringen, der uns keine Rede hält, sondern wortwörtlich den Inhalt der Rede Gomulkas1 vorliest und die von uns gestellten Fragen beantwortet.« An der Spitze von ca. 60 Unterschriften zeichnete Dr. Ferdinand Schmidt,2 der auch der Initiator der Resolution ist und dies in einem Gespräch mit dem Verwaltungsleiter zugab. Er erklärte dabei, er habe ein Recht darauf, »die Beschlagnahme der BZ3 sei eine stalinistische Methode und bei uns sitzen noch viele solcher Stalinisten«. Schmidt war bereits zum 17.6.1953 Wortführer.
Bezirk Leipzig
Am 25.10.1956 erhielt der Werkdirektor des Reichsbahnausbesserungswerkes »Einheit« Leipzig einen Brief von den Arbeitern der Kesselschmiede, mit der Forderung, dass sie keine Nachtschicht mehr machen wollen. Der Brief war von 70 Arbeitern unterschrieben.
Bezirk Karl-Marx-Stadt
Am 23.10.1956, gegen 23.45 Uhr, wurden im VEB Korksteinwerk Brand-Erbisdorf einige Arbeiter mit Steinen beworfen. Als die Arbeiter vom Essen zum Arbeitsplatz zurückkehrten, war an der Bandsäge das Blatt herausgenommen. Der Produktionsausfall betrug drei Stunden. Am 24.10.1956, gegen 22.00 Uhr, ereignete sich der gleiche Vorfall wie am Vortage.
Am 25.10.1956, 6.45 Uhr, legten im VEB Feinstrumpfwerk Oberlungwitz, [Kreis] Hohenstein-Ernstthal, acht Lehrlinge die Arbeit nieder, nachdem sie von einem Jugendlichen unter Hinweis auf die Ereignisse in Ungarn dazu aufgefordert waren.4 Um 7.35 Uhr gelang es dem Parteisekretär des Werkes und dem Lehrausbilder die Lehrlinge zur Wiederaufnahme der Arbeit zu bewegen.
Landwirtschaft
Magdeburg
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24.10.1956: Von einigen Gemeinden der Kreise Zerbst und [Bad] Salzungen wird bekannt, dass verschiedene Bauern unzufrieden sind, weil die DSG die Saatkartoffeln nur schleppend abholt. Die Bauern müssen aus diesem Grunde die Kartoffeln einmieten.
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In der Gemeinde Roßdorf, [Kreis] Genthin, brachte ein Großbauer in der Gaststätte zum Ausdruck, dass alle Bauern streiken müssten, damit die Regierung »Maßnahmen einleitet, den Arbeitskräftemangel in der Landwirtschaft zu beseitigen«.
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Vom Lehr- und Versuchsgut Falkenberg, [Kreis] Seehausen, gingen mehrere Arbeitskräfte in andere Betriebe. Sie waren mit der Entlohnung – 1,00 bis 1,10 DM nicht einverstanden. Am 10.10.1956 erklärten einige Arbeiter des VEG, dass sie ihre Arbeit niederlegen müssten, damit ihnen mehr Lohn ausgezahlt würde. Im VEG ist die Arbeitsmoral sehr schlecht. Zur Arbeitsniederlegung kam es nicht.
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In der LPG Roßdorf, [Kreis] Genthin, haben im Oktober neun Arbeiter gekündigt. Fünf davon wollen in der LPG als Saisonarbeiter weiter arbeiten, da sie so mehr verdienen.
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In der Gemeinde Hobeck, [Kreis] Loburg, haben im Oktober von ca. 100 Abonnenten des »Freien Bauern« 70 die Zeitung abbestellt.5 Als Begründung wird angegeben, dass sich der »Freie Bauer« ausschließlich mit der Entwicklung der LPG und politischen Kommentaren beschäftigten würde; Anleitung für die werktätigen Bauern würde nicht gegeben.
Erfurt
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25.10.1956: In den Morgenstunden des 25.10.1956 wurde in Erfurt, Ecke Clara-Zetkin und Friedrich-List-Straße eine Losung »Wir schlagen los« und ein Hakenkreuz angeschmiert.
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In der Nacht zum 25.10.1956 wurden in der MTS Außenstelle Klein Ballhausen, [Kreis] Langensalza, Hetzlosungen angebracht. Am Schweinestall der LPG wurde mit Schulkreide »Weg mit Ulbricht, Pfui« angeschmiert. Einige Meter weiter an der Mühle stand die Losung »Nieder mit der SED«. Am Hoftor zur MTS-Außenstelle war »Freiheit« angeschmiert. Außerdem war noch an einigen Hoftoren viermal »SPD« angeschmiert. In dieser Gemeinde waren in den letzten acht Wochen schon zweimal Schmierereien angebracht worden.
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RIAS vom 24.10.1956: Im Zusammenhang mit den Ereignissen in Polen wurde in der »Sendung für die Landbevölkerung« u. a. erklärt, warum die Ausführungen Gomulkas nicht auf der ersten Seite einer Bauernzeitung, die doch die Interessen der Bauern zu vertreten hätte, abgedruckt worden wären.6 Im »Bauernecho« hätte lediglich etwas von der Begeisterung, die das gesamte polnische Volk dem ZK entgegengebracht hätte, gestanden.7 Diese Begeisterung wäre aber nur durch die Ausführungen Gomulkas ausgelöst worden. Die Rede Gomulkas würde den Lesern nur deshalb vorenthalten, weil in der DDR die gleichen Fehler, die in Polen zum Niedergang der Landwirtschaft geführt hätten, gemacht würden.
Versorgung
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Karl-Marx-Stadt 25.10.1956: Ein Lehrer (SED) an der Schule Oberlungwitz, [Kreis] Hohenstein[-Ernstthal], sagte: »Durch die Ereignisse in Polen hat es das Volk erzwungen, die Lebenslage zu verbessern. Die Folge davon ist, dass die für uns vorgesehene Kohlelieferung ausbleibt und wir dadurch weniger Strom haben. Deshalb besteht auch die Unzufriedenheit unter den Menschen.«
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Berlin 24.10.1956: Von verschiedenen Bürgern wird die Behauptung aufgestellt, die Lebensmittelkarten würden bereits am 1.1.1957 abgeschafft. Im VEB »Aktivist«8 wurde bekannt, dass in der letzten Zeit wiederholt Fremdkörper, wie Nagelklammern, Mörtelklumpen, Stopfnadeln, in Brot und Brötchen gefunden wurden. Solche Fälle wurden am 12.9., 13.9., 15.10. und 17.10.1956 bekannt.
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Neubrandenburg 25.10.1956: Im Zusammenhang mit den Vorkommnissen in Polen und den in einigen Kreisen durchgeführten Truppenübungen werden in den Kreisen Pasewalk, Prenzlau und Templin negative Diskussionen geführt. Im Kreis Pasewalk (Grenzgebiet), besonders in den Gemeinden Krackow9 und Hohenholz, wurden Meinungen laut, dass es nun zu einem Krieg käme. Als in Hohenholz von der dort vorübergehend stationierten Panzertruppe Lebensmittel eingekauft wurde, kaufte die Bevölkerung ebenfalls stark ein. In Nadrensee, [Kreis] Pasewalk, waren die Bauern sehr beunruhigt, weil ein Panzer durch ein Saatfeld gefahren war.
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Gera 25.10.1956: In der Betriebsverkaufsstelle des VEB Berggold [in] Pößneck diskutierten einige Arbeiterinnen wie folgt: »Deckt euch nur genügend mit Lebensmitteln ein, denn es wird nicht mehr lange dauern, dann wird es auch bei uns zum Aufstand kommen. Die Regierung ist selber daran schuld, denn zwölf Jahre nach Kriegsende müsste der Lebensstandard viel besser sein.«
Feindtätigkeit
In der Nacht vom 24. zum 25.10.1956 wurde in der Gaststätte »Weltfrieden« in Magdeburg ein selbsthergestelltes Flugblatt gefunden. Inhalt: »Weg mit Ulbricht«.
Inoffiziell wurde bekannt, dass sich der englische Geheimdienst in der letzten Zeit stark für Personen, die Angehörige der Volksarmee (Luftwaffe u. Seepolizei) sind, interessiert. Er beauftragte seine Agenten über Angehörige der Volksarmee Ermittlungen zu führen und Kontakt herzustellen. Weiterhin wurde festgestellt, dass der CIC10 sowie die Dienststelle der militärischen Aufklärung und Abwehr in der letzten Zeit dazu übergingen, ihre Agenten mit technischen Hilfsmitteln wie z. B. Fotoapparaten mit Teilobjektiven auszurüsten.
Berlin
Am 23.10.1956 wurden in der Nähe des Gaswerkes Köpenicker Chaussee 11 Flugblätter der KgU gefunden: »An die Freiheitskämpfer in Potsdam«. Die Exemplare sind bereits bekannt und wurden durch Ballon eingeschleust.
Neubrandenburg
In der Gemeinde Kleppelshagen, [Bezirk] Neubrandenburg, wurden ca. 100 Flugblätter »Der Kämpfer«11 auf den Feldern verstreut gefunden. Der Inhalt richtet sich gegen die Volksarmee. Der Aufbau der Volksarmee12 wäre sinnlos, der Aufbau der Bundeswehr13 dagegen richtig.
Bezirk Gera
Am 24.10.1956 wurden im Kreis Lobenstein, [Bezirk] Gera, 25 einfliegende Ballons mit einem Durchmesser von ca. 5 m in Richtung Plauen festgestellt. Dabei handelt es sich um Flugblätter der Emigrantenorganisation ZOPE in russischer Schrift.14
Hetzlosungen
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Im Speisesaal im »Kaufhaus der Freundschaft« in Leipzig wurde am 24.10.1956 die Losung »Deutschland erwache« angeschmiert. Ferner wurden im Stadtgebiet Leipzig zwei Hetzlosungen »Weg mit Ulbricht« festgestellt.
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In der Nacht vom 24. zum 25.10.1956 wurde in Erfurt, Clara-Zetkin/Ecke Friedrich-List-Straße folgende Losung vorgefunden: »Pankow aufhängen – Wir schlagen los«.15 Darunter war ein Hakenkreuz geschmiert.
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Am 25.10.1956 wurde im Verwaltungsgebäude der Konsumgenossenschaft Leipzig, Jahnstraße, eine 20 cm große Losung »Hitler erwache« mit Rotstift angeschmiert.
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Eine weitere Losung »Weg mit W. U.« wurde in Leipzig an der Straßenbahnwartehalle Riebeck-Oststraße mit Kreide angeschrieben.
Gerüchte
Unter Arbeitern und Angestellten des EAW Treptow kursiert das Gerücht, dass die sowjetische Delegation in Polen war, um über die Rückgabe der östlich der Oder und Neiße gelegenen Gebiete an Deutschland zu verhandeln.
Am Morgen des 25.10.1956 unterhielten sich zwei Arbeiter in der Eisenbahn auf der Strecke Leipzig – Espenhain, dass »um 10.00 Uhr in Böhlen etwas los geht«. Eine Überprüfung ergab, dass es sich um ein Gerücht handelte.
Hetzsendungen der Westsender
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RIAS am 24.10.1956, 18.45 [Uhr]: Nach einer Schilderung der Ereignisse in Polen16 und Ungarn befasst sich RIAS mit eventuellen Auswirkungen in der DDR. Dabei wird gehetzt: »Wie steht es unter den gegenwärtigen Umständen mit Herrn Ulbricht? Seinerzeit hat er allen Stürmen des Antistalinismus widerstehen können, wird er jetzt den radikalen Ausbrüchen des Nationalkommunismus zum Opfer fallen? Aber die Schwierigkeit ist die, dass es als Ersatz für Ulbricht keinen sowjetdeutschen Gomulka, Nagy17 oder Tito18 gibt … und dass sich die Bevölkerung in Sektor und Zone keineswegs mit einer nationalkommunistischen Ausgabe des alten verhassten Systems zufriedengeben würde. Läuft das darauf hinaus, dass Herr Ulbricht als Gauleiter Moskaus auf Sowjetbajonetten und Panzerkanonen sitzen bleiben wird? Die weitere Entwicklung innerhalb des Satellitenbereiches wird die Antwort liefern.«
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RIAS am 24.10.1956, 19.10 [Uhr]: »Die Führung der SED täuscht sich, wenn sie glaubt, es käme jetzt nur darauf an, auf das richtige Pferd zu setzen. Die Entwicklung verlangt Entscheidungen, Entscheidungen, die nichts mit Außenpolitik oder mit Bündnissen der SU zu tun haben brauchen, sondern Entscheidungen, die das Los der Völker und die Sache des Kommunismus selbst betreffen.«
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Sender »Freies Berlin« am 24.10.1956, 19.00 [Uhr]: »Die Legitimation Ulbrichts durch die Sowjets reicht nicht aus, da er keine Legitimation bei der Bevölkerung der Sowjetzone besitzt und das Vertrauen seiner eigenen Parteimitglieder von Tag zu Tag mehr einbüßt. Diejenigen Freiheiten und Erleichterungen, die sich das polnische und ungarische Volk in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen erkämpft, stehen für die Sowjetzone noch aus. Es ist eine Frage, ob diese Erleichterungen durch das Regime von oben gewährt oder von unten erzwungen werden. In Polen und Ungarn wurden sie durch eine breite Bewegung der Volksmassen herbeigeführt. Auch die Sowjetzone hat solche Volksbewegungen erlebt. Und das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.«
Anhang: Stimmung zu den Ereignissen in Polen
Die Diskussionen über die Ereignisse in Polen nehmen einen immer größeren Umfang ein und sind meistens negativ. Positive Meinungen gibt es nur vereinzelt. In den negativen Äußerungen werden hautsächlich RIAS-Parolen verbreitet. Die Bevölkerung erklärt: »Wenn unsere Presse und Rundfunk uns nicht über die wirklichen Zustände in Polen unterrichten, sind wir gezwungen die Westsender zu hören.« Argumente sind:
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»Man liest wohl in der Zeitung, dass in Polen etwas los ist, um was es aber geht und was wirklich los ist, kann man sich nur denken.«
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»Unsere Presse betreibt Schönfärberei und traut sich keine eigenen Kommentare zu.«
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»Bei uns hat keiner den Mut, die Tatsachen offen aufzuzeigen und deshalb werden die Nachrichten des RIAS gehört.«
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»Bei uns haben sie Angst, den wirklichen Grund aufzuzeigen.«
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»Die Rede Gomulkas hat unser Rundfunk auch nicht richtig gebracht.«
Viele Menschen wollen gern wissen, wie sie die Lage in Polen einschätzen müssen.
Die positiven Meinungen beinhalten,
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dass die Polen schön dumm sind, wenn sie sich provozieren lassen. Sie müssten doch aus dem 17.6.1953 gelernt haben.
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dass in Poznan nicht richtig durchgegriffen wurde, weil die Hintermänner der Provokateure dieselben sind, die auch jetzt wieder ihre Angriffe gegen Volkspolen richten.
Teilweise gibt es auch Unklarheiten unter der Bevölkerung und auch unter den Mitgliedern der SED, hauptsächlich über die Veränderungen in der polnischen Arbeiterpartei, besonders über die Wahl Gomulkas. Die einen lehnen Gomulka als einen Verbrecher ab, andere wieder erblicken in der Veränderung einen Gegensatz zwischen den sozialistischen Parteien.
Die meisten negativen Diskussionen beinhalten, dass Polen richtig handelt, denn der Lebensstandard sei in Polen sehr niedrig. Vereinzelt gibt es sogar Stimmen, dass es richtig ist, wenn Polen sich nicht mehr von der Sowjetunion kommandieren lässt. Verschiedentlich gibt es Tendenzen, Ähnliches in der DDR zu verlangen.
Unter den Umsiedlern gibt es in diesem Zusammenhang Spekulationen, dass die Oder-Neiße-Grenze revidiert wird, weil Gomulka angeblich erklärt hat, dass Polen die ganzen Gebiete nicht bewirtschaften kann. Argumente sind:
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»Die Polen lassen sich nicht gefallen, dass ihnen die Russen in der Außenpolitik Vorschriften machen. Polen hätte es gleich so, wie Jugoslawien machen müssen.«
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»Die Volksdemokratien wollen ihren eigenen Sozialismus aufbauen. Sie lehnen eine Diktatur der SU ab.«
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»Mit den Polen kann der Russe nichts anfangen, die machen alleine Politik.«
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»Gomulka schlägt eine andere Richtung in der Politik ein. Er fordert sogar den Abzug der sowjetischen Besatzungstruppen.«
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»Gomulka ist mit der Oder-Neiße-Grenze nicht einverstanden und erkennt diese auch nicht an. Das Gebiet Pommern und Schlesien wurde Polen unrechtmäßig durch die SU übergeben. Polen ist nicht in der Lage dieses Land zu bewirtschaften. Alle ausgewiesenen Personen können wieder in ihre Himat und erhalten ihr Eigentum zurück.«
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»In Polen wird jetzt ein freier demokratischer Staat aufgebaut. Von der SU hat sich Polen schon getrennt. Wenn diese Entwicklung so weitergeht, wird dies bei uns auch geschehen.«
Die SED-Mitglieder des Lehrkörpers der juristischen Fakultät der Humboldt-Universität äußerten: »Gomulka wäre einer der wenigen gewesen, die den Mut aufgebracht hätten, gegen den Stalin-Kurs aufzutreten. Er hätte seinen Mut mit Freiheitsberaubung bezahlen müssen.«
Zu Walter Ulbricht wurde folgende Meinung geäußert: »Walter Ulbricht hat den Stalin-Kult bei uns mitgemacht und vertreten und als 1. Sekretär der Partei auch entscheidende politische Fehler gemacht. Aus diesem Grunde wäre es taktisch richtig, wenn Walter Ulbricht zurücktreten würde, da ja auch in einigen volksdemokratischen Ländern die ersten Sekretäre der Partei zurückgetreten wären.«
Ein Student der pädagogischen Hochschule Potsdam stellte den Antrag, als Kandidat unserer Partei gestrichen zu werden. Er gab folgende Begründung: »Ich kann nicht in einer Partei sein, durch die Verbrechen verübt wurden. Erst wurde Rajk umgebracht und jetzt wird er umgebettet und andere Dinge mehr.19 Auch mit vielen Fragen innerhalb unserer Partei bin ich nicht einverstanden.«
Einige Angestellte des Rates des Kreises Prenzlau erklärten, dass es in Polen zu Auseinandersetzungen zwischen der Sowjetarmee und den Polen gekommen ist. Ein Bühnenarbeiter der Staatsoper erklärte: »Die Arbeiter in Magdeburg haben Recht gehabt. Der 17. Juni war noch zu mild. In Magdeburg waren die richtigen Leute dran, die wollten für die Arbeiter was herausholen.20 Im VEB Zeiss wurde zum Ausdruck gebracht, dass wir wirtschaftlich nicht weiterkommen könnten, weil die SU unverschämte Reparationen gefordert habe, dagegen seien die Westmächte großzügiger gewesen und darum stände auch Westdeutschland heute besser da als wir.«
Stimmung der Bevölkerung
Bezirk Cottbus
Aus Guben wird bekannt, dass die polnischen Eisenbahner, die für den Grenzverkehr zuständig sind, in Guben einkaufen und dabei schlechte Stimmung über den polnischen Staat verbreiten. Die Meinungen der polnischen Eisenbahner führen dazu, dass Unruhe und negative Diskussionen unter der Bevölkerung der Stadt Guben auftreten.