Information zur Lage in der DDR (3)
26. Oktober 1956
Information Nr. 279/56 – Betrifft: Lage in der Deutschen Demokratischen Republik
I. Lage in der Industrie
Bezirk Gera
Am 25.10.1956 wurde bekannt, dass der BGL-Vorsitzende des VEB Energieversorgung Gera, Sitz Jena, im Namen der Belegschaft eine Höhergruppierung der Lebensmittelkarten für bestimmte Abteilungen und Berufszweige fordert.1 Nach dem abschlägigen Bescheid durch den Rat des Bezirkes verlangte der BGL-Vorsitzende zu wissen, mit welchen Dienststellen darüber gesprochen wurde. Man beabsichtigt, eine Delegation zum Ministerium für Handel und Versorgung zu entsenden. Die gleiche Erscheinung ist im VEB RFT Phönix Rudolstadt2 vorhanden. Über eine Entsendung einer Delegation wurde aus diesem Betrieb nichts bekannt.
Am 24. und 25.10.1956 wurde im VEB Zeiss Jena, Abteilung Feinteilerei, festgestellt, dass Mitglieder der SED von den anderen Werktätigen nicht mehr gegrüßt werden und grundsätzlich zu allen Problemen Schweigen herrscht. In der Stadt Jena wurde am 24. und 25.10.1956 mehreren Mitgliedern der SED von unbekannten Personen und Jugendlichen gedroht, dass »es in der DDR ebenfalls bald losgehe und sie dann dran wären«.
Bezirk Erfurt
Am 25.10.1956 wurden aus dem VEB Kaliwerk »Karl Marx« Sollstedt im Zusammenhang mit der Einführung des Wirtschaftslohn-Gruppenkataloges3 negative Äußerungen gegen die Regierung und die Sowjetunion bekannt. Ein großer Teil der Belegschaft verweigerte die Unterschrift unter den WLK. In der mechanischen Werkstatt wurde die Forderung erhoben, dass die Gewerkschaft die gleiche Stellung bezieht, »andernfalls würde etwas anderes passieren«.
Am 25.10.1956 waren die Beschäftigten im VEB Chema Rudisleben beunruhigt darüber, dass von 6.30 Uhr an sechs sowjetische Soldaten bewaffnet vor dem Betriebsgelände patrouillierten. Der sowjetische Kommandant hatte Anweisung erteilt, das Betriebsgelände zu sichern.
Bezirk Cottbus
Seit Anfang Oktober herrscht Missstimmung unter den Beschäftigten im VEB Süßwaren »Spreewald« Cottbus. Grund: Der Belegschaft wurde mitgeteilt, dass der Betrieb am 31.12.1956 die Produktion einstellt. Ein Teil der Belegschaft ist beunruhigt darüber, dass ihr Einsatz in anderen Betrieben noch nicht restlos geklärt ist.
Objekte der Wismut
Am 25.10.1956 wurde bekannt, dass in der Bohrabteilung 1 Garage Zwirtzschen4 große Unzufriedenheit herrscht. Grund: Es ist beabsichtigt, ledigen und verheirateten Personen keine Trennungsgelder mehr zu zahlen, wenn sie angebotene Wohnungen (auch im Falle des Nichtzusagens der Wohnung) nicht annehmen. Die Kipperfahrer drohen mit Republikflucht.
In Ronneburg führte die FDJ ein Jugendforum im Ernst-Thälmann-Haus durch. Während des Forums wurden provokatorische Fragen wie: Warum gibt es bei uns Störsender? und ähnliche gestellt. Diese Fragen erhielten lebhaften Beifall, während positive Fragen ruhig aufgenommen wurden.
Verkehrsbetriebe
Bezirk Karl-Marx-Stadt
Am 26.10.1956 wurde durch eine Stenotypistin vom VEB Verkehrsbetriebe Karl-Marx-Stadt erklärt, dass sie in den letzten Tagen von ihr unbekannten Personen bei einer Unterhaltung in der Nähe des Hauptbahnhofes gehört habe, dass der Gegner am 28.10.1956 bei uns in der DDR etwas geplant hat.
Berlin
Am 25.10.1956 wurde dem ABV von Dabendorf, [Kreis] Zossen, aus Diskussionen der Bevölkerung bekannt, dass am Sonntag den 28.10.1956 in Berlin eine Demonstration der Eisenbahner stattfinden soll. (Diese Gerüchte wurden in der S-Bahn verbreitet und fanden bisher durch keine Meldung eine Bestätigung.)
Am 25.10.1956 verbreitete ein Beschäftigter des VEB Mode Berlin5 die Meldung, dass die West-BVG in den Streik treten und sich mit einer Solidaritätsaufforderung an die Angestellten der BVG im demokratischen Sektor wenden will. (Diese Meldung fand bisher ebenfalls keine weitere Bestätigung.)
II. Landwirtschaft
Bezirk Dresden
Der Leiter der VdgB/BHG Meißen teilte mit, dass von den Angestellten Anträge auf Gehaltserhöhung gestellt wurden, da die BHG Coswig für Maschinenbuchhalter bis zu 400 DM zahlen, während in Meißen für die gleiche Arbeit 330 bis 350 DM gezahlt werden.
In der MTS Schletta, [Kreis] Meißen, haben seit Mitte September neun Traktoristen der MTS gekündigt. Grund: Verärgerungen wegen der Entlohnung. Die Fluktuation hält gegenwärtig noch an. In Oelsa, [Kreis] Pirna, liegen bei der LPG und bei Einzelbauern seit fünf Tagen ca. 800 Ztr. Kartoffeln im Freien. Die zuständige VEAB holt diese nicht ab.
Magdeburg
25.10.1956: Als in der LPG Kalbe der angebliche Streik in Magdeburg bekannt wurde,6 legten am 19.10.1956 ein Genossenschaftsbauer und dessen Ehefrau die Arbeit nieder. Die Frau forderte weitere Mitglieder auf, das Gleiche zu tun, da man sich mit den Magdeburgern »solidarisch« erklären müsste. Die Mitglieder reagierten nicht darauf. Am 22.10.1956 nahmen beide die Arbeit wieder auf. Im Zusammenhang mit dem angeblichen Streik in Magdeburg forderte ein Genossenschaftsbauer der LPG Immekath, [Kreis] Klötze, die anderen auf, langsam zu arbeiten. Er sagte, man müsste vorsichtig sein und erst einmal sehen, was in Magdeburg eigentlich los sei. Der Presse könne man nicht vertrauen, man müsse sich selbst überzeugen.
Erfurt
25.10.1956: In der LPG Vogelsberg, [Kreis] Sömmerda, sollen in der letzten Zeit drei Kühe und ein Jungbulle im Werte von 10 000 DM verendet sein. Ursache: Vermutlich Fremdkörper im Futter.
III. Versorgung
Bezirk Gera
25.10.1956: In Zeulenroda kommt es wegen Mangel an HO-Butter vor den Geschäften zu Schlangenbildung (200 Personen). Dort wird ungefähr wie folgt diskutiert: »Es ist kein Wunder, wenn die Menschen in diesen Ländern meutern,7 denn dort ist der Lebensstandard noch niedriger als in der DDR.« Ein Rentner sagte, dass dies noch nicht der letzte Krach sei, denn es gäre überall.
Bezirk Dresden
25.10.1956: Innerhalb der HO-Gaststätten des Kreises Löbau ist die Stimmung wegen des Lohngefüges sehr schlecht. Dieses Lohngefüge wirkt sich besonders auf die Gaststättenleiter mit Familienvertrag aus. Weiterhin fehlen wegen der geringen Entlohnung Arbeitskräfte. Im Kreis Meißen lagern durch den wahlweisen Bezug von Fett oder Margarine auf die Margarinemarken größere Mengen Margarine, die der Gefahr des Verderbs ausgesetzt sind.
Karl-Marx-Stadt
26.10.1956: Das Kühlhaus (Staatsreserven) Karl-Marx-Stadt erhielt eine Anweisung, den Betriebsschutz auf ein Mindestmaß zu verringern. (Das Schreiben soll vom Ministerium für Nahrung und Genuss kommen.) Eine ähnliche Information erhielt der VEB Baumwolle Mittweida.8 Er wurde von einer HV Baumwolle informiert und soll den Betriebsschutz und in Zukunft auch den Lohnfonds für gesellschaftliche Arbeit reduzieren. (Nach vorläufigen Untersuchungen wurde eine solche Anweisung von den zuständigen Stellen in Berlin schriftlich nicht gegeben.)
Bezirk Potsdam
22.10.1956: Nach einer Mitteilung des Bezirkes Potsdam soll die Bevölkerung von Schönebeck sehr beunruhigt sein. Die Frauen müssten nach Kohle und Kartoffeln anstehen. An einem Geschäft, wo Pampelmusen verkauft wurden, standen ca. 80 Personen an. Die Frauen diskutierten sehr erregt und erklärten, dass die Pampelmusen viel zu teuer seien. U. a. wurde gesagt: »Sie sollen lieber das besorgen, was die Bevölkerung dringend zum Leben braucht. Diese Dinge könnten sie doch nicht kaufen.« Weiterhin wurde erklärt, dass keine Aussicht auf Kohlen und Winterkartoffeln bestünde! Man müsste sich nach jedem Pfund Kartoffeln anstellen. Mehrere Frauen erklärten, dass sie ihre Männer nicht mehr auf Arbeit schicken wollten, wenn das so weiterginge, oder dass die Männer viel zu dumm wären, wenn sie noch auf Arbeit gingen.
Bezirk Halle
23.10.1956: Im gesamten Bezirk wird über die geringe Zulieferung von Braunkohle negativ diskutiert. Die Bevölkerung vertritt die Meinung, dass sowieso alles schon knapp bemessen würde und nun würden nicht einmal die 25 Ztr. Rohbraunkohle ausgeliefert. Die Arbeiter der Kyffhäuserhütte befragen ständig den Parteisekretär, ob er sich nicht dafür einsetzen könnte, dass sie ihre zustehende Braunkohle erhalten.
Bezirk Cottbus
23.10.1956: Unter der Bevölkerung in Lauchhammer herrscht über die mangelhafte Belieferung mit Kohle eine schlechte Stimmung. Bis zum 1.11.1956 soll keine Hausbrandkohle ausgegeben werden. Durch die Kohlenverteilung in Lauchhammer/Mitte wird das damit begründet, dass die Bevölkerung das Geld jetzt zum Kauf der Winterkartoffeln brauchen würde und jetzt deshalb keine Kohlen angefahren würden. Durch diese Maßnahme werden besonders Familien mit Kleinstkindern betroffen, da diese schon jetzt heizen müssten.
Frankfurt/O.
Am 14.10.1956 wurde in der KG Guben ein Brief abgegeben, indem darüber geschimpft wird, dass die Rückvergütung 1,8 % für 1956 im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren zu niedrig sei. Es wird u. a. darin erklärt: »Glaubt ja nicht, dass wir uns das auf die Dauer gefallen lassen.« Weiterhin wird in diesem Brief, der von 23 Personen unterschrieben sein soll, an Walter Ulbricht und Wilhelm Pieck geschickt würde, wenn »diese Schweinerei« nicht geändert würde.9
IV. Feindtätigkeit
Flugblattverbreitung
Berlin
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Am 24.10.1956 wurde in der Toilette des B-Aufganges im VEB Fortschrittwerk eine »Tarantel« gefunden.10 Diese war mit einem Zettel versehen, der folgende Aufschrift hat: »Nicht für hinterlistige Zwecke, bitte lesen und wieder aufhängen.«
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Am 25.10.1956 wurden im Bezirk Treptow Bärenlauchstraße/Ecke Oberspreestraße ca. 25 Hetzschriften des NTS11 gefunden (alte Exemplare).
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Am 25.10.1956 wurden in Berlin-Alt-Stralau,12 Tunnelstraße 30, Hetzschriften der Zope13 in russischer Schrift gefunden.
Frankfurt/O.
Im Kreisgebiet von Freienwalde wurden mehrere Ballons gesichtet (genaue Anzahl noch nicht bekannt).
Karl-Marx-Stadt
In Plauen konnte beobachtet werden, wie 40 bis 50 Ballons aus Richtung Hof/Westdeutschland in die DDR einflogen.
Hetzlosungen
Frankfurt/O.
In der Nacht vom 24.10.1956 zum 25.10.1956 wurden vor dem VVN-Denkmal in [Bad] Freienwalde folgende Zeichen mit Kreide auf den Boden gemalt: PRP | 14.5. [und] US | 8.
Gera
Am 24.10.1956 wurden im VEB Gummi- und Textilwerk Bad Blankenburg in der Klosettanlage mit Ölkreide folgende Losung angeschmiert:
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»SED Kollegen hängt sie auf.«
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»SED ist Scheiße und Kommunisten sind Lumpen. Es lebe die SED, welche uns in die Scheiße führt. Die SED der DDR ist eine Hure.«
Darunter war ein Hakenkreuz, Größe 15 x 15 cm geschmiert.
Ebenfalls wurde ein Hakenkreuz im VEB Werkzeugfabrik Königsee, [Kreis] Rudolstadt, in der Dreherei angeschmiert.
Im Technischen Raum des Mensafunkes in der Uni Jena war auf einem ca. 14 × 3 cm breiten Papierstück Folgendes geschrieben: »Der Weg nach Moskau führt über Magdeburg.«
Karl-Marx-Stadt
An verschiedenen Mauern der Stadt Hohenstein-Ernstthal wurden am 26.10.1956 folgende Losungen festgestellt:
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»Wir wollen freie Wahlen.«
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»Fort mit den Russen.«
- –
»Seid kampfbewusst, wir werden siegen.«
Gerüchte
Frankfurt/O.
Die Arbeiter der Tiefbaubrigade im EKS verbreiteten das Gerücht, dass die VEAB Wellmitz,14 [Kreis] Fürstenberg/Oder, Getreide für das hungernde Polen aufkauft und den Zentner mit 75,00 DM bezahlt.
Hetze der Westsender und Westpresse
RIAS am 25.10.1956, 19.10 Uhr: »Hier, im Ostteil unserer Hauptstadt Berlin, gibt es kommunistische Funktionäre, die glauben, heute noch mit dummen Redensarten Politik machen zu können … Denken diese Leute in Pankow, man könne Millionen Menschen für dumm verkaufen? Als der Korrespondent der sowjetzonalen ›Wochenpost‹ über die Posener Prozesse berichtete, wurde die Ausgabe der ›Wochenpost‹, in der sein Bericht abgedruckt wurde, eingestampft.15 Die sowjetzonale ›BZ am Abend‹, die nur ein Bild des neuen 1. Sekretärs der Polnischen Arbeiterpartei und einen kurzen Auszug aus seiner Rede brachte, wurde eingezogen.16 Ist dieser neue Sekretär der polnischen kommunistischen Partei etwa auch ein Agent? In diesen Tagen fragt man in den Betrieben, Büros, Städten und Dörfern der DDR. Man fragt, warum verschweigt die Partei die Vorgänge in Polen. Man fragt, warum nimmt Ulbricht nicht Stellung zu den Vorgängen in Polen. Aber Ulbricht schwieg. Man muss über die Reaktion der SED auf die Vorgänge in Polen und Ungarn sehr ausführlich sprechen, weil sie mit aller Deutlichkeit offenbart, in welcher geistigen Verfassung sich die Führung der Partei befindet.«
Sender »Freies Berlin« am 25.10.1956, 18.15 Uhr: Im Zusammenhang mit den Ereignissen in Polen und Ungarn wird Ollenhauer17 die Frage gestellt, ob er damit rechne, dass sich diese Ereignisse auch auf die DDR auswirken. Dazu antwortete Ollenhauer: »Sie wissen, dass die Machthaber in Pankow bis zur Stunde der Bevölkerung noch vorenthalten, was sich tatsächlich in Polen und Ungarn abgespielt hat. Man kann überhaupt feststellen, dass die ärgsten Stalinisten zur Zeit noch in Pankow sitzen und dass der Entstalinisierungsprozess die Sowjetzone Deutschlands bisher am wenigsten erfasst hat. Ich glaube aber nicht, dass sich Pankow und vor allem Herr Ulbricht auf die Dauer diesem Prozess werden entziehen können.«
»Der Tag« vom 26.10.1956: »Aus dem Volksaufstand in Ungarn zieht das stalinistische ›Neue Deutschland‹ die Lehre ›Das Banner des proletarischen Internationalismus noch höher zu heben‹ … Das wird nicht ausreichen. Bei Goebbels reichte es auch nicht, wenn er verkündete, dass jeder Stoß, ›der uns nicht umwirft, uns nur noch härter macht‹. Die Leute in Pankow müssen mehr lernen als solche Phrasen, die einen unsagbar dummen Klang haben; und wenn sie nicht lernen, dann wird man sie lehren und zwar gründlich.«18
Anlage 1 zur Information Nr. 279/56
Anhang: Betrifft: Die Lage unter den Studenten
An der Hochschule für Ökonomie und Planung Berlin bestehen in der Parteileitung Diskussionen, dass die Leitung der Partei zu wenig informiert und reagiert und wenig Vertrauen zu den einzelnen Mitgliedern hat. Diese Auffassung vertritt auch der Rektor dieser Hochschule Prof. Lemmnitz.19 Die bessere Gestaltung der Vorlesungen wird verlangt. Sonst müsse gestreikt werden. Ein Teil der Studenten versucht am Polnischen Pavillon bei der Gesellschaft für Kulturelle Verbindungen20 die »Trybuna Ludu«21 zu erhalten. Ebenso sind alle Zeitungen aus Westdeutschland und Westberlin, die im Lesesaal der Hochschule ausliegen, zurzeit vergriffen.
Einige Studenten des 5. Seminars des 4. Studienjahres forderten während einer Unterrichtspause die Absetzung des Genossen Ulbricht mit der Begründung, dass Walter Ulbricht der größte »Stalinist« der Gegenwart ist. Die Volksdemokratien hätten ihre Politik geändert, bei uns in der DDR sei aber alles beim Alten geblieben. In der Versammlung des Seminars, die von der Parteigruppe einberufen worden war, wurde diese Forderung nicht wiederholt. Es fiel die Äußerung, dass die Beschlagnahme der »BZ am Abend« lächerlich sei und unsere Regierung wohl Angst vor der Wahrheit habe. Im 1. und 2. Studienjahr wird der RIAS fast organisiert abgehört. Dort hinken die SED-Mitglieder den Geschehnissen nach. Durch das Lesen der Westpresse wird die Diskussion ebenfalls negativ beeinflusst.
Nach einer Mitteilung ist der 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED bei ihnen gewesen und hat die Funktionäre »zusammengestaucht«, weil kritische Diskussionen und Meinungen über politische, wirtschaftliche, inner- und außerschulische Probleme an die SED Bezirksleitung gegeben worden sind. Durch diese Maßnahme soll zu der Wahlversammlung der Partei keine politische Diskussion zustande gekommen sein. In Gruppen wird diskutiert und den Parteilosen gegenüber nicht immer parteilich aufgetreten. Es herrscht eine ungesunde und erregte Atmosphäre.
Auch an der Universität Rostock wird das späte Reagieren der Presse bemängelt. Unter den Romanisten wird über die Ereignisse in Polen und Ungarn wenig diskutiert, da sie durch Presse und Rundfunk wenig erfahren hätten. Unter ihnen gibt es die Meinung, dass wohl unsere Regierung sehr viel aus dem 17.6.1953 gelernt haben müsse, denn sonst wären in der DDR wohl ähnliche Anzeichen zu verzeichnen wie in Polen und Ungarn. In der Philosophischen Fakultät diskutiert man heimlich über die Vorgänge in Polen und Ungarn. Einige Studenten brachten zum Ausdruck, dass zwischen Polen und der Sowjetunion große Spannungen beständen, die einen Prestigeverlust der SU bedeuteten und die »Sache des Kommunismus« ins Wanken bringen würden.22 Unter den Biologiestudenten wird darüber gesprochen, dass die ungarischen Studenten die Abschaffung des gesellschafts-wissenschaftlichen Studiums durchgesetzt hätten. Es wurde im 2. Studienjahr der medizinischen Fakultät eine Resolution gegen den Russisch-Unterricht verfasst, die von den einzelnen Studenten unterschrieben ist. Die Ursache dafür ist angeblich der Zeitmangel.
Die Anglistikstudenten der Universität Greifswald brachten zum Ausdruck, dass die Ereignisse in Polen und Ungarn auf den niedrigen Lebensstandard dieser Länder zurückzuführen seien. Es wird zwar über diese Probleme gesprochen, sie werden jedoch als innere Angelegenheit der einzelnen Länder betrachtet. Zum Teil wird die Meinung vertreten, sich objektiv zu orientieren. Dazu müssten auch westliche Sender gehört werden.23
In der Abteilung Gerätebau der Hochschule für Bildende und angewandte Kunst in Berlin-Weißensee wurde die Aussprache mit Hermann Axen24 über das ND gefordert. Nach Nichterscheinen eines Vertreters wurde gefordert, geschlossen zum ND zu ziehen. In dieser Zeit wurde ebenfalls eine Versammlung der FDJ einberufen, wo Hermann Axen erwartet wurde. Da er jedoch nicht kam, wurde die Versammlung nicht durchgeführt. Studenten äußerten, dass sie eine Verbindung zwischen FDJ-Leitung ihrer Hochschule und der Humboldt-Universität nicht brauchten, da sie ihre eigene Verbindung haben. Sie sagten weiter, wenn jetzt keiner vom ND kommt, »werden sie was erleben«. Diese Diskussionsgruppen verliefen sich, eine Demonstration kam nicht zustande. Den Diskussionen in der Hochschule gingen Unterhaltungen mit einer polnischen Studentendelegation am 18.10.1956 voraus, die sich sinngemäß äußerte, dass in der DDR die freie künstlerische Entfaltung gehemmt sei.25 Die Kreisleitung der SED – und durch diese die Volkspolizei – wurde verständigt. Durch die Unterstützung der Kreisleitung der SED wurde ein größeres Ausmaß der vorgenannten Dinge verhindert.
An der Karl-Marx-Universität in Leipzig wurde in einer Versammlung der Parteiorganisatoren, Agitatoren und Parteiaktivisten der juristischen Fakultät besonders hervorgehoben, dass unbedingt bei den höheren Leitungen auf mehr Information zu allen Fragen gedrungen werden soll. Das sei notwendig, da sich ein großer Teil von Studenten nach Westsendern orientiert. Folgende Diskussionen wurden bekannt:
- –
Die Veränderungen im ZK der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei seien aus antisowjetischer Stimmung heraus erfolgt.26
- –
Der Einsatz sowjetischer Truppen in Ungarn sei taktisch unklug. Damit würden dem Westen günstige Argumente gegeben.
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Die Delegation der KPdSU sei vom ZK der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei gar nicht oder nur unfreundlich empfangen worden.27
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Westdeutschland hat Polen ein großes Preisangebot in der Lieferung von Kohle gemacht, damit Polen nicht mehr an die DDR, sondern nur an Westdeutschland liefert.
Bei der Volkspolizei in Leipzig ging ein anonymer Anruf ein, dass sich am 26.10.1956 bei der Universität etwas ereignen würde (Streik) ausgehend von der chirurgischen Klinik.
An den Direktor der Universität traten polnische Studenten mit Forderungen heran, vor den Studenten Aufklärung über den Standpunkt Gomulkas28 zu geben. Diese Angelegenheit wurde unterbunden.
Von der Fakultät der Assistenzärzte (4. und 5. Semester) gibt es folgende Diskussionen:
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der Spitzbart wird auch bald gehen müssen.
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ist der sozialistische Handel überhaupt in der Lage den Bedarf zu decken? Es ist an der Zeit, auch bei uns einen Wechsel zu vollziehen,
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wird das Neue sich auch bei uns Bahn brechen.
Die letzten Aussprüche traten besonders unter Juristen und Philosophen auf. [sic!]
Die Philosophische Fakultät und das 4. Studienjahr des Franz-Mehring-Institutes haben an das ZK der SED Begrüßungsschreiben zur Weiterleitung nach Polen und Ungarn abgesandt, in denen sie den Studenten der beiden Länder danken, dass sie in den schweren Tagen treu zur Partei gestanden haben.
In der Universität Jena werden Bestrebungen beobachtet, unter Studenten und Lehrern Unruhe zu tragen. So erklärte ein Professor einem Studenten, der im Unterricht ins Stocken geraten war: »… Na reden Sie doch weiter, bei uns knallt es doch nicht.« Einzelne Studenten stellen die Frage:
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Wer ist Gomulka, war er inhaftiert und welches Programm vertritt er? –
- –
Wird in Polen und Ungarn nach diesen Ereignissen der Aufbau des Sozialismus abgelehnt?29
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Sind es in Ungarn wirklich nur Provokateure gewesen, woher haben sie die Waffen? –
Beachtenswert ist die Erklärung eines Dozenten (SED) (Historiker, der Veränderungen in der Parteiführung der SED (Ablösung des Genossen Ulbricht), gefordert hatte, aber nach den Ereignissen in Polen und Ungarn seine Meinung revidierte. Er erklärte, dass er sein Verhalten in der letzten Zeit bedaure, die Partei völlig Recht habe und er in Zukunft so etwas nicht mehr mitmachen werde. Am 23.10.1956 erhielt der Sekretär der PO der Universität einen anonymen Anruf mit folgendem Inhalt: »Du und Deine Genossen, sage ihnen, sie werden auch bald fallen.«
Im Institut für Körpererziehung der Universität in Halle wurde darüber diskutiert, dass 3 000 bis 7 000 ungarische Studenten aus dem Jugendverband ausgetreten seien.30 Ebenfalls wird die Informierung durch Presse und Rundfunk als lückenhaft bezeichnet. Diskussionen zu den Ereignissen in Magdeburg treten weniger in Erscheinung, da diese Dinge mehr eine »Normsache« seien und es den Arbeitern »mal gestunken hat«.
Im Chemischen Institut wurden Stimmen laut über eine Ablösung des Genossen Ulbricht. Die Vorgänge in Budapest waren über Westsender bereits bekannt. Vor allem wird jedoch jetzt ein Rückspiel der 1. Fußballmannschaft des SC Wissenschaft in Ungarn zum Anlass für Diskussionen verwandt.31 In diesem Institut nahm auch ein Professor mit Studenten in angetrunkenem Zustand eine unbegründete »Brandschutzkontrolle« vor.
In der Zeit vom 14. bis 20.10.1956 hielt sich eine zehnköpfige Studentendelegation aus Westdeutschland, an der Universität auf. Sie versuchten nach einer Vorlesung gegen unsere DDR (Regierung der DDR ist unrechtmäßig, freie Wahlen sind notwendig, damit auch der Sturz des Genossen Ulbricht, Hitler sei 1933 notwendig gewesen, sonst wäre Deutschland kommunistisch geworden, die westdeutschen Arbeiter haben durch die Konzerne Vorteile, die KPD bedrohe Westdeutschland, daher auch Bundeswehr usw.) zu hetzen. Einige Studenten der Universität unterstützten sie eifrig bei der Diskussion.32
Im 2. Studienjahr der medizinischen Fakultät fordern die Studenten in einem Schreiben die Abschaffung des obligatorischen Russisch-Unterrichts. An der Arbeiter- und Bauernfakultät der Universität wurden Gerüchte über die Herabsetzung der Gehälter der Dozenten und die Auflösung der ABF festgestellt.
Diskussionen lassen erkennen, dass bürgerliche Kräfte »Morgenluft« wittern. So z. B., der Sozialismus sei lange abgeschrieben, er sei eine wacklige Geschichte, hoffentlich hört der Einfluss des großen Bruders bald auf, damit wir unsere eigene Politik machen können, hoffentlich wird die Oder-Neiße-Grenze korrigiert. Die Diskussionen zeugen davon, dass der westliche Rundfunk von vielen gehört wird. Mitglieder der SED erklären z. B.: »Ich habe den BBC und den NWDR gehört.«
In der Nacht vom 24. zum 25.10.1956 wurden zwei Wissenschaftler des Hygiene-Instituts der Universität von der VP verhaftet, weil sie in angetrunkenem Zustand den Schaukasten der »Freiheit«33 demoliert und hetzerische Äußerungen gegen führende Funktionäre der SED gemacht haben. Einer erklärte, dass er, wenn das Bild Walter Ulbrichts im Schaukasten gewesen wäre, »ihm die Fresse eingetreten hätte«. Die beiden Personen wurden noch in der gleichen Nacht aus der Haft entlassen, um keinen Anlass zu Provokationen zu geben. Weitere Bearbeitung erfolgt.
An der Bauhochschule in Weimar erklärte eine Person, dass es ihm in amerikanischer Kriegsgefangenschaft gut gefallen habe und ihm gleich ein gehobener Posten angeboten worden sei. Er erklärte zu einem späteren Anlass, dass sich die FDJ-Gruppe an andere Hochschulen wenden werde, um eine Diskussion für die Schaffung einer unabhängigen Studentenorganisation zu erreichen. Die FDJ vertritt die Interessen der Studenten nicht. Auch in Westdeutschland wird sie nicht anerkannt. Da es in Polen und Jugoslawien auch eine Studentenorganisation gebe, wäre es bei uns auch notwendig.
Humboldt-Universität
Die am 25.10.1956 stattgefundene Parteiaktivtagung der Universität ist als Erfolg anzusprechen34. Der 1. Sekretär der SED Bezirksleitung war in seinem Referat etwas zurückhaltend, gab jedoch den anwesenden Mitgliedern eine klare Linie.
In den Diskussionen traten zwei Linien auf. Der Genosse Neumann35 forderte, den Gegner anzugreifen. Der Genosse Prof. Havemann36 vertrat die Auffassung, erst in der Partei alles ins Reine bringen. Er sprach in seiner Diskussion über »gute« und »schlechte« Parteimitglieder. Diejenigen, die Kritik üben, sind die »Schlechten«, die nicht kritisieren die »Guten«. Er forderte eine Parteiaktivtagung »Wie ist die Situation in der Partei«. Das Ergebnis dieser Versammlung war eine Resolution, die beinhaltet, allen Provokateuren »aufs Maul zu schlagen« und die Verbindung mit den Massen zu festigen. Unruhe trat im Saal auf, wenn ein Diskussionsredner die Forderung des Genossen Neumann vertrat. Der Verlauf der Aktivtagung war reibungslos. Nachdem ein Appell der GST stattgefunden hatte (sie verteilten sich im Anschluss im Gebäude) und Kampfgruppen37 mehrere Male an der Universität vorbeimarschiert waren, traten keine Schwierigkeiten mehr auf.
Im Studentenheim Biesdorf wurden Forderungen über die Abschaffung des Gesellschaftswissenschaftlichen Grundstudiums und des obligatorischen Russisch-Unterrichts laut.
Am 25.10.1956 hatte die Hochschule für Bildende und angewandte Kunst die Studenten der Humboldt-Universität aufgefordert, an einer regierungsfeindlichen Demonstration teilzunehmen.
Ergänzung zu der Partieaktivtagung der Humboldt-Universität:
In der Diskussion kam es zu offenen feindlichen Äußerungen gegenüber der Parteiführung und Politik der SED und der KPdSU, besonders durch Prof. Havemann, aber auch durch andere Professoren. Hauptpunkte ihrer Diskussionen:
- –
der veröffentlichte »Prawda«-Artikel erinnere an die finsterste und unseligste jüngste Vergangenheit –38
- –
Die Massen drängen nach Demokratisierung. Wenn dieser Prozess gehemmt wird, kann es zum Stau kommen, wie am 17.6.1953 –
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die Einschätzung des 17.6.1953 war oberflächlich –
- –
die Zurückziehung der »BZ am Abend« ist ein Ausdruck des Bremsens –, gebremst wird, weil viele Karrieristen und Bonzen im Staatsapparat sitzen –
- –
alles, was wir seit dem XX. Parteitag39 erreicht haben, soll verloren gehen –
- –
Vertrauen zum ZK soll da sein, hat [das] ZK zu den Mitgliedern Vertrauen.
Am Ende der Diskussion wurde Professor Havemann zurückhaltender. Im Widerspruch zu seinen vorhergehenden Äußerungen erklärte er, dass er volles Vertrauen zum ZK der SED habe.
Anlage 2 zur Information Nr. 279/56
Anhang: Lage in den bürgerlichen Parteien
CDU
Nachdem die Ereignisse in Ungarn bekannt wurden, war der Generalsekretär der CDU Götting40 stark beunruhigt. Er fragte danach die Mitarbeiter der Parteileitung, wie sie die Ereignisse in Ungarn einschätzen und was wir noch »zu erwarten« hätten. Von den Mitarbeitern der Parteileitung wird wenig über die Ereignisse in Polen und Ungarn diskutiert. Die wenigen Äußerungen lassen die Auffassung erkennen, dass es sinnlos sei, die Volksdemokratien stürzen zu wollen.
LDPD
Die Mitarbeiter der Parteileitung der LDPD sind ziemlich zurückhaltend. Was nach Meinung Gerlachs41 seine Gründe darin hat, dass unsere Presse und der Rundfunk erst zu spät bzw. ungenügend diese Angelegenheit kommentiert haben. Die Maßnahmen, die in Polen zur weiteren Demokratisierung eingeleitet wurden, fanden bei den Funktionären der LDPD Zustimmung. Alle Angriffe, die sich gegen die SU richten, wurden verurteilt. Die in Poznan ausgesprochenen Urteile werden abgelehnt, weil sie angesichts des Tatbestandes zu niedrig sind. Die LDPD-Funktionäre äußerten weiter, dass trotz der politischen Festigung der DDR eine Reihe weiterer Maßnahmen zur Demokratisierung durchgeführt werden müssten. Dr. Loch42 äußerte, dass Chruschtschow weg muss, da seine Politik falsch ist. Die Entstalinisierung würde sich sehr negativ auswirken. Z. B. Polen und Ungarn. Das russische Volk brauche immer jemanden, zu dem es aufschauen könne und diese Person hat man ihm jetzt genommen.43
Anlage 3 zur Information Nr. 279/56
Anhang: Stimmung zu den Ereignissen in Polen und Ungarn
Obwohl die Diskussionen an Umfang zunehmen, sind im Wesentlichen keine neuen Argumente aufgetaucht. Über die Ereignisse in Ungarn wird ähnlich wie über die Ereignisse in Polen gesprochen. Diskutiert wird unter allen Kreisen der Bevölkerung. Hauptsächlich aber von den Arbeitern, Angestellten und Studenten. Es wird gefragt, warum unsere Presse und der Rundfunk nicht ausführlicher die wirklichen Zustände kommentieren, denn sonst würden verstärkt die westlichen Sender gehört. Die negativen Argumente sind auch zum größten Teil Argumente des RIAS oder anderer westlicher Sender und überwiegen bei Weitem die positiven. Viele Mitglieder der SED erklären, dass sie in Diskussionen schlecht argumentieren können, weil die Presse nichts Genaues bringt. Sie sind nicht in der Lage über Gomulka Auskunft zu geben, sodass die parteilosen Arbeiter sich durch die Westsender informieren.
Die meisten negativen Äußerungen beinhalten, dass Polen und Ungarn sich aus dem sozialistischen Lager gelöst haben und dass die Auswirkungen auf die DDR nicht ausbleiben werden. Vor allen Dingen müsse im ZK der SED einiges verändert werden. Vereinzelt gibt es Stimmen, da es verschiedene Wege zum Sozialismus gebe, gelte auch der deutsche Weg, der von Ackermann seiner Zeit vorgeschlagen worden sei.44 Weiterhin wird zum Teil geäußert, dass die Ereignisse in Polen und Ungarn nicht von westlichen Agentenzentralen45 angezettelt wurden, sondern die Menschen in diesen Ländern mit dem System der Volksdemokratie nicht einverstanden sind.
Vereinzelt wird von Mitgliedern der SED geäußert, dass es falsch war Stalin zu kritisieren. So sind z. B. im VEB Wema in Zeulenroda, [Bezirk] Gera, Mitglieder der SED der Meinung, dass es falsch gewesen sei, Stalin in so einer negativen Form zu kritisieren, wie es geschehen ist. Unter Stalin wären solche Ereignisse nicht vorgekommen. Mit der Kritik an Stalin habe man die gegnerischen Kräfte ermuntert und nun sei es soweit, dass solche Leute wie Gomulka wieder einflussreiche Positionen bekämen. Der Kaderleiter vom VEB Stahlwerk Olbersdorf, [Kreis] Zittau, sagte, dass sich jetzt bestätigt, was Stalin schon immer gesagt hat, nämlich, dass sich beim Fortschreiten des Sozialismus der Klassenkampf verstärkt und dass nicht alles falsch gewesen ist, was Stalin gesagt hat.
Neue negative Argumente sind:46
- –
Die Polen sind wohl mit dem Sozialismus einverstanden, aber nicht mit dem russischen Kommunismus. Dasselbe trifft auch für die DDR zu. Für das rückständige Russland war diese Entwicklung richtig, aber für die weiterentwickelten Länder falsch.
- –
Wenn Gomulka wieder oben ist, dann ist auch der Ackermannsche deutsche Weg zum Sozialismus richtig.
- –
Gomulka macht die gleiche Politik wie Tito.47 U. a. Anleihen vom Amerikaner annehmen, um damit schneller vorwärtszukommen.
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Wenn sich die DDR an den Westen anschließen würde, wären wir in unserer wirtschaftlichen Entwicklung schon viel weiter.
- –
Aufgrund der jetzigen Situation muss auch Walter Ulbricht abtreten.
- –
In der DDR müsste es auch wieder zu einem Aufstand kommen. Im Volk gärt es schon.
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Die Bevölkerung in Polen und Ungarn will keinen Bolschewismus und die DDR auch nicht.
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Polen fordert einen freien Kommunismus, wie Jugoslawien.
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Immer mehr Völker befreien sich von der Diktatur durch die SU.
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In Polen und Ungarn werden die sowjetischen Truppen abgezogen, warum sollten wir es bei uns nicht auch schaffen.
Im VEB Gummiwerk Ballenstedt, [Kreis] Quedlinburg, [Bezirk] Halle, erklärte ein Kraftfahrer: »In Ungarn ist ganz schön was los und wenn die ›Russen‹ nicht gewesen wären, dann wären 1953 und 1956 die DDR, Polen und Ungarn schon vergessen, so aber hat es noch einmal zugunsten der anderen geklappt.« Der Inhaber eines kleinen Produktionsbetriebes aus Quedlinburg sagte, dass auch seine Belegschaft der Meinung ist, wenn die Sowjetarmee nicht wäre, dann wären viele Länder des Sozialismus schon wieder kapitalistisch. Er ist weiter der Meinung, dass alle Handwerker des Kreises Quedlinburg das kapitalistische System zurückwünschen.
Im Verlag »Die Wirtschaft«48 besteht unter einigen Redaktionsmitgliedern die Meinung, man sollte den Genossen Ulbricht und die Genossin Benjamin49 abberufen. Anstelle von Genossen Ulbricht sollte man den Genossen Dahlem50 setzen.