Kritische Stimmen zu Walter Ulbricht (1)
23. März 1956
Hetze gegen den Genossen Walter Ulbricht (1. Bericht) [Information Nr. M63/56]
In mehreren Fällen wird Genosse Walter Ulbricht mit Stalin verglichen. Er spiele die gleiche Rolle bei uns wie dieser in der Sowjetunion (Parteisekretär des Gästehauses der Regierung, Angestellte (SED, früher SPD) des Wohnungsamtes Malchow, Kreis Waren, [Bezirk] Neubrandenburg, Mittelbauern in Schwerin).
Genossen der Akademie der Wissenschaften äußern, dass sie eine Selbstkritik des Genossen Walter Ulbricht vermissen. Er müsste auf der III. Parteikonferenz eine Stellungnahme abgeben,1 dass er sich auch am Personenkult beteiligt und Stalin verherrlicht habe. Niemand würde ihm dann etwas übel nehmen und die Sache wäre in Ordnung. Man solle nicht über die kleinen Genossen diskutieren, wenn man selbst auch Fehler gemacht hat.
Im D-Zug Erfurt – Leipzig brachte eine männliche Person zum Ausdruck: »So wie Stalin nach seinem Tode gestolpert ist, wird auch Walter Ulbricht in Kürze stolpern, denn er ist doch der glühendste Verehrer und Verfechter der Lehren Stalins und ist genauso diktatorisch wie dieser.«
Genossin Steinert, Kaderleiterin des Instituts für Medizin und Biologie Berlin-Buch, sagte, dass man von der III. Parteikonferenz allgemein eine kritische Stellungnahme zur innerpolitischen Lage in der DDR erwartet und jetzt schon der Meinung ist, dass der Genosse Walter Ulbricht nicht wieder als 1. Sekretär des ZK unserer Partei gewählt werden dürfe.
Am 19.3.1956 sagte der Parteisekretär im BKW Hirschfelde, [Kreis] Zittau, dass unter die [sic!] Arbeiter des Werkes starke Diskussionen von der Grube Turów2 über die Frage des Genossen Stalin herübergebracht werden. Auch in der DDR herrsche Personenkult und zwar, dass Genosse Walter Ulbricht ein noch schlimmerer Diktator sei als der Genosse Stalin. Wenn man den Ulbricht nicht bald absetzte, so wäre es an der Zeit, einen neuen 17.6.1953 vom Zaune zu brechen.
Der Sachbearbeiter [Name 1] des Press- und Schmiedewerk »Heinz Fink« in Wismar, [Bezirk] Rostock, äußerte: »Ich spreche Walter Ulbricht überhaupt die Fähigkeit ab, über Stalin als Klassiker zu urteilen. Er hat sich in der Vergangenheit immer auf Stalin berufen und es ist nicht richtig, wenn man sich in gewissen Zeitabständen immer revidiert.«
Der Student [Name 2] von der Pädagogischen Hochschule Potsdam: »Nichts gegen Walter Ulbricht. Aber ich sage, es wäre auch nicht schlecht, wenn wir bald einen anderen Theoretiker finden würden.« Der Student [Name 3], ebenfalls Pädagogische Hochschule Potsdam: »Gerade er muss das sagen. Ich glaube, dass man einiges, was man zu Stalin gesagt hat, auch ihm sagen müsste.«
Aus Jena wird uns berichtet, dass an der Universität in den Parteiversammlungen zum XX. Parteitag fast ausschließlich nur über den Genossen Stalin und die Stellungnahme des Genossen Walter Ulbricht gesprochen wird.3 Bei den Historikern stellt man die Frage: »Was treibt man mit dem Genossen Stalin? Wie kann Genosse Ulbricht zu einer solchen Meinung kommen?«4 Die Genossen Slawisten haben im Parteilehrjahr festgelegt, dass sie sich von den Ausführungen des Genossen Walter Ulbricht über den Genossen Stalin distanzieren, weil sie sich nicht damit einverstanden erklären können. Bei den Genossen Juristen wurde die Frage gestellt, ob der Artikel des Genossen Ulbricht seine persönliche Meinung sei oder ob es sich um die Meinung des gesamten ZK handele. Die Genossen Biologen fassen ihre Meinung gegen den Artikel des Genossen Walter Ulbricht5 wie folgt zusammen: »Genosse Walter Ulbricht soll nicht mit Steinen werfen, wenn er selbst im Glashaus sitzt.«
Im VEB Motorradwerk Zschopau sagte ein parteiloser Arbeiter Folgendes: »Stalin wurde aus der Politik ausgeschaltet, Pieck muss aber auch weg – wir brauchen eine neue Regierung. Es wird ja hier immer schlimmer. Während der Nazizeit sind Illegale abgehauen. Wenn Thälmann6 noch wär, würde es bei uns ganz anders aussehen.«