Kritische Stimmen zu Walter Ulbricht und anderen (4)
7. Mai 1956
Hetze gegen den Genossen Walter Ulbricht und andere (4. Bericht) [Information Nr. M97/56]
In der Zeit vom 25.4. bis 3.5.1956 wurde aus den Bezirken Berlin, Schwerin, Leipzig, Suhl und Halle erneut eine Anzahl Diskussionen bekannt, die sich gegen den Genossen Walter Ulbricht richten. Die Diskussionen wurden wiederum in der Mehrzahl von Mitgliedern der SED geführt. Im Einzelnen wurden folgende Argumente bekannt:
Bezirk Berlin
In Berlin wurden Diskussionen, die sich gegen Walter Ulbricht richten, von Mitgliedern der SED an der Akademie der Wissenschaften nach der Auswertung der III. Parteikonferenz1 und des parteiinternen Materials des XX. Parteitages2 bekannt. Dazu wurden folgende Meinungen geäußert: »Der Deutsche neigt sehr leicht zum Personenkult. Mithin hat auch das deutsche ZK den Personenkult gefördert und von verschiedenen Ungesetzlichkeiten gewusst und notgedrungen Unrecht walten lassen. Es wäre an der Zeit, dass auch unser erster Sekretär, Genosse Walter Ulbricht, etwas sagt und Schlussfolgerungen aus dem XX. Parteitag zieht.«3 Im Zusammenhang mit den Worten von Walter Ulbricht auf der Bezirksdelegiertenkonferenz Berlin, wo er über das dogmatische Studium der Stalinbiographie sprach,4 spricht man davon, »dass Willi Bredel5 dies zwar richtig gestellt habe auf der Parteikonferenz,6 aber Bredel sei nicht das ZK und auch nicht der Erste Sekretär«. Die Genossin [Name 1] vom Institut für Wirtschaftswissenschaft erklärte zu den Vorschlägen der III. Parteikonferenz: »Was macht denn Ulbricht, er soll doch nicht immer die Arbeiter verkohlen, dann wundern sie sich, wenn ein neuer 17. Juni kommt. Dann aber kneift er, wie am 17. Juni, wo er zu den Bauarbeitern sprechen sollte am Haus der Ministerien.7 Er soll es so machen wie Lenin, einfach, klar und ehrlich den Arbeitern sagen, dass wir eine ernste Zeit durchmachen, dann wird man ihn schon verstehen.« Der Kaderleiter an der Akademie für Wissenschaften erklärte: »Bei uns muss auch was geschehen wegen Personenkult. Für Walter Ulbricht kann man doch Hermann Matern8 nehmen.« Obwohl er das Falsche seiner Diskussion einsah, blieb er doch bei seiner Meinung, dass etwas geschehen müsse.
Zentralbild Berlin
In einer Parteigruppenversammlung erklärte der Genosse [Name 2], »dass es notwendig gewesen wäre, auch bei uns zu überprüfen, ob Maßnahmen vorzunehmen sind, damit Theorie und Praxis übereinstimmen. Ulbricht hat kein Wort darüber gesagt, dass die Situation in Westdeutschland von unserer Parteiführung falsch eingeschätzt wurde. Ulbricht hat von Krisen in Westdeutschland gesprochen und jetzt stellen wir fest, dass in Westdeutschland eine Konjunktur ist.«9 Der Genosse [Name 3] äußerte u. a.: »Wer hat uns den Stalin als klug hingesetzt? Doch das Politbüro, alle die aus der Sowjetunion kamen. In allen Reden von Ulbricht und Grotewohl wurde er uns als groß hingestellt. Unser Politbüro übt keine Selbstkritik.«10
Bezirk Schwerin
Im Bezirk Schwerin erklärte der Vorsitzende der NDPD zur Frage des Personenkultes, »dass die Mitglieder des ZK der KPdSU mitschuldig wären, dass solche Tendenzen auftreten konnten«. Weiter versuchte er, das ZK der SED für diesen Personenkult verantwortlich zu machen.
Bezirk Leipzig
In der Maschinenfabrik Meuselwitz, [Kreis] Altenburg, erklärte der Genosse [Name 4]: »Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht und viele andere sind in der Zeit, in der Stalin die Fehler gemacht hat, in der SU in Emigration gewesen. Sie hätten die Fehler merken müssen. Die Kritik an den Fehlern des Genossen Stalin ist auch eine Kritik an diesen Genossen.«
Bezirk Suhl
Im VEB Plasta Sonneberg, [Bezirk] Suhl, erklärte eine Arbeiterin, als sie das Bild Stalins an der Wand hängen sah: »Das Bild müsste man vernichten, denn Stalin hat die meisten Menschen verhaften lassen.« Daraufhin erklärte die Arbeiterin [Name 5], »da müsste man auch Pieck, Ulbricht und Grotewohl wegbringen, denn das waren die besten Freunde von Stalin«. In Schmalkalden äußerte eine Hausfrau: »Die III. Parteikonferenz hat eindeutig bewiesen, dass die Politik der SED kurz vor dem endgültigen Zusammenbruch steht. Das eindeutigste Bekenntnis hierzu hat Walter Ulbricht in seinem Referat gegeben, indem er gewisse Zugeständnisse in Fragen der SPD machte. Diese Zugeständnisse sind der sichtbarste Beweis des Bankrotts der SED und erfolgten nur, um sich für alle Fälle eine Hintertür offenzuhalten, wenn es einmal anders kommt«.11