Kundgebung auf Rudolf-Wilde-Platz und Ereignisse am Brandenburger Tor
6. November 1956
Information Nr. 310/56 – Betrifft: Kundgebung auf den Rudolf-Wilde-Platz in Westberlin und Ereignisse am Brandenburger Tor
Die Kundgebung auf dem Rudolf-Wilde-Platz vor dem Schöneberger Rathaus begann am 5.11.1956 um 18.00 Uhr. Die Teilnehmerzahl wird auf ca. 15 000 bis 20 000 Personen geschätzt. Der größte Teil der Besucher waren Jugendliche sowie Angestellte aus den Verwaltungen. Die Kundgebungsteilnehmer, die geschlossen zur Kundgebung kamen, führten Transparente mit folgenden Aufschriften bei sich:
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»Eden ist der Handlanger von Moskau«
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»Ungarns Mörder ist Moskau«3 und
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»Ungarische Studenten unsere Brüder«
Als erster Redner sprach Neumann,4 welcher wiederholt während seiner Ausführungen durch starkes Pfeifen und Johlen unterbrochen wurde, sodass durch den Lärm nicht mehr festgestellt werden konnte, ob Neumann seine Rede eher abgebrochen hat. Außerdem kam es wiederholt, vor allem von Jugendlichen, die unmittelbar an der Tribüne standen, zu Sprechchören, wie z. B.
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»Das haben wir schon alles gelesen, wir wollen was Neues hören.«
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»Freiheit für Ungarn.«
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»Kümmert Euch um Ägypten.«5
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»Wir wollen endlich Taten sehen.«
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»Holt den Redner runter« und
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»Es lebe die Deutsch-Sowjetische Freundschaft.«
Nach Neumann sprachen noch zwei weitere Redner, die ebenfalls nur sehr wenig Anklang bei der Masse fanden. Brandt,6 der ebenfalls zu den Teilnehmern sprach, erklärte, dass am 6.11.1956 von 12.00 Uhr bis 12.03 Uhr eine Arbeits- und Verkehrsruhe in Westberlin eintreten soll. Er äußerte u. a., dass sich die Kundgebungsteilnehmer nach Beendigung der Kundgebung wieder am Brandenburger Tor zusammenfinden sollen. Des Weiteren wurde von einem unbekannten Sprecher aufgefordert, nach dem Brandenburger Tor zu marschieren und das Sowjetische Ehrenmal zu zerstören. Nach Abschluss der Kundgebung gegen 18.40 Uhr zog ein Teil, vor allem Jugendliche und Kinder, mit Fackeln vom Rudolf-Wilde-Platz in Richtung Brandenburger Tor. Während des Marsches zum Brandenburger Tor wurde wiederholt von den Jugendlichen, die von Stupo begleitet wurden,7 gerufen
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»Russen raus, Russen nieder«
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»Gebt uns Waffen«
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»Freiheit – Freiheit für die Ostzone«
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»Rache für Ungarn«
Kurz vor 20.00 Uhr erschien der Demonstrationszug vor dem Sowjetischen Ehrenmal sowie am Brandenburger Tor, wobei sie die sowjetischen Wachposten provozierten und aufforderten, das Ehrenmal freizugeben. Vor dem Brandenburger Tor wurden aus der johlenden Menge, ca. 1 000 bis 2 000 Personen, Stimmen laut, indem sie riefen: »Holt die rote Fahne runter« sowie die bereits bekannten Aussprüche. Unmittelbar an der Sektoren-Grenze am Brandenburger Tor kam es zu Provokationen gegenüber unserer zur Sicherung der Sektorengrenze bereitstehenden Volkspolizei, indem sie die Fackeln in den demokratischen Sektor schleuderten sowie die Volkspolizei mit Steinen bewarfen. Durch den Einsatz von Wasserwerfern vonseiten der VP konnte die randalierende Menge in Schach gehalten und größere Provokationen verhindert werden. Gegen 21.30 Uhr zerteilte sich diese Menge, die ebenfalls durch Lautsprecherwagen von der Stummpolizei aufgefordert wurden Ruhe und Ordnung zu bewahren. Auf Westberliner Seite wurden von den Jugendlichen zwei Sektorenschilder in Brand gesteckt.