Kundgebungen am 15. Januar 1956
18. Januar 1956
Bericht über Kundgebungen am 15. Januar 1956 [Information Nr. M9/56]
Anlässlich der Wiederkehr des Tages der Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs fanden in Berlin und den Bezirken Leipzig, Suhl und Gera Kundgebungen bzw. Demonstrationen mit Beteiligung der Kampfgruppen1 statt.2 Die Beteiligung war im Allgemeinen gut und die Kampfgruppen wurden positiv aufgenommen. Negative Diskussionen während der Demonstration wurden nicht bekannt. Bei den Einladungen zu den Kundgebungen kam es zu einigen ablehnenden Äußerungen. Besondere Vorkommnisse waren nicht zu verzeichnen. Es kam lediglich infolge organisatorischer Mängel zu kleineren Schwierigkeiten. Zu den einzelnen Demonstrationen wurde Folgendes bekannt:
Berlin
Gegenüber früheren Demonstrationen war eine größere Beteiligung zu verzeichnen. Auch Demonstranten äußerten, dass dies eine der größten Kundgebungen gewesen sei, die sie mitgemacht haben. Über die Beteiligung einzelner Betriebe und Institutionen liegen nur wenige Zahlen vor, die negativer Art sind [sic!].
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Z. B. beteiligten sich vom Vermessungsdienst des Magistrats von Groß-Berlin (280 Beschäftigte) nur 20 Kollegen.
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Von den ca. 1 500 Beschäftigten der Deutschen Staatsoper demonstrierten nur zwölf Genossen mit. Die Kundgebung war dort schlecht propagiert worden.
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Von der DEFA-Wochenschau demonstrierten bei 500 Mann Belegschaft nur 30 Kollegen mit.
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Von der Belegschaft des Sportverlages beteiligten sich nur 10 %.
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Von der Hauptverwaltung Wasserwerke wird nur eine schwache Beteiligung gemeldet. Selbst leitende Funktionäre fehlten. Darüber hinaus hatte der Leiter der Hauptbuchhaltung angeordnet, dass die Angestellten seiner Abteilung nicht an der Demonstration teilnehmen und dafür dringende Arbeiten durchführen sollen. Mit der gleichen Begründung fehlten auch die Kollegen der Abteilung Bau.
Die Stimmung der Demonstranten wird als gut bezeichnet, Abwanderungen wurden nur wenig bekannt. Aus den Reihen der Kampfgruppen wird allgemeine Zustimmung bekannt. Viele Genossen brachten ihre Freude darüber zum Ausdruck, dass die Arbeiterklasse jetzt bewaffnet ist. Ältere Genossen erzählten von ihrem Kampf vor 1933 und verstanden es Jugendliche zu begeistern. Viele Teilnehmer der Demonstration (in den Marschblöcken und am Straßenrand) äußerten, dass sie eine solche gewaltige Kundgebung schon lange nicht erlebt hätten und dass wir es dem Westen zeigen würden, dass mit uns nicht zu spaßen ist. Dabei wurde von Westberliner Teilnehmern mehrmals der Wunsch ausgesprochen, dass die Arbeiter in Westberlin auch eine solche geballte Kraft darstellen müssten. Teilnehmer der Demonstration begrüßten, dass sich zahlreiche Westberliner Arbeiter an der Demonstration beteiligten.
Vereinzelt wurde bemängelt, dass sich keine KVP-Einheiten beteiligten. Z. B. sagte ein Arbeiter beim Vorbeimarsch der Kampfgruppen: »1930 sind wir demonstriert gegen den Krieg, mit dem Spazierstock in der Hand. Aber so wie die Kampfgruppen hätten wir damals marschieren müssen. Bewaffnung der Arbeiter, das ist die Sprache, die man nur den Kriegstreibern entgegenstellen kann. Dasselbe muss auch in Westdeutschland geschehen, nicht nur bei uns.« Eine Hausfrau äußerte: »Diese Demonstration zeigt uns, wie viele hinter unserer Republik stehen.« Ein Mitglied der CDU sagte: »Auf unsere Kampfgruppen kann man jetzt schon stolz sein. Es ist doch eine wahre Freude, wie sie hier demonstrieren.«
Aus einzelnen Betrieben wurden negative Erscheinungen im Zusammenhang mit der Aufforderung zur Demonstration bekannt. Als der Parteisekretär des Rettungsamtes Marienburger Straße am 13.1.1956 Flugblätter mit dem Aufruf zur Demonstration verteilte, lehnte ein Kraftfahrer die Annahme ab. Als er aufgefordert wurde das Flugblatt an andere Kollegen weiterzugeben, nahm er es, warf es dem Parteisekretär vor die Füße und stieß diesen zur Seite, sodass er bald zu Fall gekommen wäre. (In den nächsten Tagen findet dort eine Belegschaftsversammlung dazu statt.) Infolge schlechter Organisation kam es auch diesmal wieder zu Stockungen (besonders am S-Bahnhof Lichtenberg) und längeren Wartezeiten. Missfallen erregte die schlechte Arbeit der S-Bahn und der BVG. Z. B. stauten sich auf dem S-Bahnhof Stalinallee größere Menschenmassen, da der Ausgang zu schmal war und keine andere Möglichkeit zum Verlassen des Bahnhofes gegeben wurde. Besondere Vorkommnisse, Flugblattverteilung und andere Feindtätigkeit wurden nicht bekannt.
Leipzig
Am 14.1.1956 wurde in Leipzig eine Großveranstaltung zu Ehren von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht durch die FDJ durchgeführt. Das Referat hielt Genosse Generalmajor Johne,3 (KVP Leipzig). Ferner sprach am Schluss der Veranstaltung der Volkskammerpräsident Dr. Johannes Dieckmann4 zu den Anwesenden. An der Veranstaltung nahmen ca. 15 000 Personen teil. Es wurde festgestellt, dass die Disziplin der Teilnehmer zu wünschen übrig ließ und viele Anwesende vor Beendigung der Veranstaltung den Kundgebungsplatz verließen. Besondere Vorkommnisse wurden nicht bekannt.
Suhl
In der Bezirksstadt Suhl und den Kreisstädten fanden Demonstrationen mit den Kampfgruppen und der Volkspolizei statt. Teilnehmer:
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Suhl ca. 600 Personen,
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Schmalkalden ca. 400 Personen,
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Ilmenau ca. 600 Personen.
Die Aufmärsche ließen erkennen, dass die Kampfgruppen bisher eine gute Ausbildung hatten. Die Bevölkerung beteiligte sich kaum daran, da nicht genügend auf die Demonstration hingewiesen worden war.
Am 16.1.1956 fand im »Ernst Thälmann«-Haus Suhl eine Jugendkundgebung statt, an der über 700 Jugendliche teilnahmen. Die Jugendlichen forderten die Schaffung einer Volksarmee und es wurde auch eine Entschließung angenommen. Der 1. Bezirkssekretär, Genosse Kurt Schneidewind,5 und der Bezirkssekretär der FDJ, Genosse Karl Vogel,6 sprachen zu den Jugendlichen, und drei Jugendliche forderten unter dem Beifall der Anwesenden die Schaffung einer Volksarmee zum Schutze und zur Verteidigung unserer Heimat. Spontan marschierten dann die Jugendlichen durch die Straßen Suhls.
Gera
Am 15.1.1956 fand in Gera eine Demonstration der Kampfgruppen, GST, VP und der Bevölkerung statt. Teilgenommen haben ca. 8 000 bis 10 000 Personen. Besondere Vorkommnisse oder Störungen wurden nicht bekannt. Im Kultursaal des VEB Lederfabrik Hirschberg, [Kreis] Schleiz, wurde am 15.1.1956 eine Kundgebung durchgeführt, auf welcher der Betriebsleiter zu ca. 180 Anwesenden sprach. Auch hier waren keine besonderen Vorkommnisse zu verzeichnen.