Lage in den Industriewerken
22. Oktober 1956
Information Nr. 265/56 – Betrifft: Lage in den Industriewerken (Die Information enthält Material bis September 1956)
Die Lage in den Industriewerken der DDR ist fast die gleiche, wie in den übrigen Industriebetrieben. Dabei treten hauptsächlich folgende Schwierigkeiten auf:
- 1.)
Änderung der Investmittel
- 2.)
Material- und Ersatzteilmangel
- 3.)
Verzögerungen der Projektierung
- 4.)
Laufende Produktionsänderungen
1.) Änderung der Investmittel
In den letzten Wochen wurde im Investplan des Amtes für Technik1 das Bauvolumen um insgesamt ca. 50 Mio. DM gekürzt. Davon wurden der Verwaltung Luftwaffenindustrie ca. 30 % gleich 30 Mio. DM und den übrigen Industriezweigen des Verteidigungsministeriums ca. 50 % gleich 20 Mio. DM gekürzt. Dadurch können die geplanten Objekte für die weitere Produktion im kommenden Jahr nicht gebaut und einige Objekte, die begonnen wurden, nicht fertiggestellt werden. Die für die Einführung der neuen Technik notwendige Investitionssumme für den zweiten Fünfjahrplan2 ist bei Weitem nicht ausreichend für die Betriebsmess- und Regeltechnik, um das Weltniveau in der Automatisierung zu erreichen. Die dafür festgelegte Plansumme beträgt 3 bis 4 % der gesamten Investsumme für die Industrie. Nach übereinstimmenden Berichten von Spezialisten müsste diese mindestens 12 % betragen.
2.) Material- und Ersatzteilmangel
Besonders große Schwierigkeiten gibt es im Fahrzeugwerk »Ernst Grube« Werdau und Karl-Marx-Stadt in der Lieferung von Kooperationsteilen. So wurden z. B. vom Getriebewerk Liebertwolkwitz sehr schleppend Getriebe geliefert. Davon sind noch 60 bis 80 % Ausschuss. Das Gleiche trifft auch auf die Achsschenkel zu, die vom Industriewerk Ludwigsfelde geliefert werden. Des Weiteren fehlt es im Fahrzeugwerk Werdau an Getrieben, die aus dem Getriebewerk Karl-Marx-Stadt3 geliefert werden, sowie an Motoren von Horch Zwickau.4 Es stehen im Fahrzeugwerk »Ernst Grube« Werdau ca. 150 Fahrzeuge im Wert von ca. 12 Mio. DM vom Typ G 5,5 die wegen schlechter Anlieferung von Kooperationsteilen nicht auslieferbar sind.
Im Fahrzeugwerk Karl-Marx-Stadt können durch Ersatzteilmangel 30 Fahrzeuge nicht ausgeliefert werden. In der Flugzeugindustrie bestehen ebenfalls Materialschwierigkeiten. Die Lieferung von Ersatzteilen wie Getrieben und Fahrwerken aus dem Industriewerk Karl-Marx-Stadt erfolgt sehr schleppend. Dies ist einmal mit darauf zurückzuführen, dass Normteile selbst angefertigt werden mussten, die aus der SU kommen sollten, zum anderen fehlen noch insgesamt 1 000 Vorrichtungen, was gleichzeitig eine Auswirkung auf die Produktion hat. Im Industriewerk Dresden bestehen z. B. Rückstände in der Endmontage des dritten und vierten Flugzeuges vom Typ Il 14,6 sodass die Planerfüllung sich um 45 Tage verzögern wird.
Vom Fernmeldewerk Leipzig müssen für ca. 120 000 Westmark Dreschkondensatoren und Sternklappen in Westberlin gekauft werden, die für die Herstellung des Funkgerätes für die Volksarmee benötigt werden. Trotzdem diese Teile im Funkwerk Dabendorf produziert werden, konnten sie von dort nicht bezogen werden, da keine Verträge abgeschlossen wurden.
Im größten Teil der Forschungsinstitute und Entwicklungsstellen unserer Republik gibt es Mängel in der Materialversorgung mit Spezial- und Präzisionsgeräten sowie seltenen Metallen, die aus dem kapitalistischen Ausland eingeführt werden müssen. So fehlen z. B. im Institut Miersdorf,7 [Kreis] Königs Wusterhausen, [Bezirk] Potsdam, DAdW, Widerstände für den Bau des 2-MoV-Generators, der für die Forschung auf dem Gebiet der Kernphysik von großer Bedeutung ist. Zum anderen ist der Bedarf unserer Forschungsinstitute an Ultrarotfotospektrometern aus der eigenen Produktion nicht gedeckt, da der größte Teil der Produktionsauflage vom VEB Zeiss Jena für den Export verwendet wird. Auf der anderen Seite müssen dieselben Apparate aus England zur Deckung des eigenen Bedarfs eingeführt werden.
3.) Verzögerungen der Projektierung
Im Bereich des Amtes für Kernforschung und Kerntechnik treten in den letzten Wochen größere Schwierigkeiten auf, die eine termingerechte Fertigstellung des Zentralinstitutes für Kernphysik in Dresden-Rossendorf8 infrage stellen. Das vorgesehene Bauvolumen soll bis Jahresende realisiert werden. Bei der Überprüfung der einzelnen Objekte z. B. Heizhaus, Gebäude für den Reaktor und das Zyklotron konnte festgestellt werden, dass nicht nur beim Bau, sondern auch bei den anderen beteiligten Firmen eine Realisierung der Termine nicht möglich ist. Als Grund wird der zu späte Abschluss der Projektierung und der Bestellung der Geräte und Artikel angegeben. Für das Heizhaus ist der VEB Starkstromanlagenbau Dresden noch nicht im Besitz der Produktionsunterlagen für den elektrischen Teil.
4.) Laufende Projektierungsänderungen
Nach den neuesten Vorschlägen vom Amt für Technik soll im VEB Fahrzeugwerk Karl-Marx-Stadt die erst angelaufene Produktion des Wagens P2M9 bereits Mitte 1957 wieder auslaufen und eine Neuproduktion von Motorrädern übernommen werden. Nach übereinstimmenden Meinungen von Fachleuten ist diese Umstellung zu verwerfen. Nach den Ausführungen dieser Personen wurde nicht beachtet, was alles dafür notwendig ist, eine Neuproduktion aufzunehmen und die jetzige Produktion des P2M, die eine Gute zu werden verspicht, einfach abzustoppen. Breite Kreise der Intelligenz ziehen Vergleiche zu den vergangenen Jahren im Fahrzeugbau und prägen oft den Satz »Raus aus den Kartoffeln, rein in die Kartoffeln«.
Eine ähnliche Erscheinung tritt im Entwicklungswerk Hohenstein-Ernstthal auf. Nachdem dort die Anfangsschwierigkeiten überwunden sind und sich ein Stamm von Spezialisten zusammengefunden hat, werden Bestrebungen bekannt, das Entwicklungswerk in Hohenstein-Ernstthal mit dem Zentralen Entwicklungs- und Konstruktionswerk Karl-Marx-Stadt zusammenzulegen. Dies bedeutet nach Meinung der Fachexperten eine Wiederholung der bereits in den vorhergehenden Jahren begangenen Fehler.