Lage in der DDR (35) 15.–16.11.
16. November 1956
Information Nr. 339/56 – Betrifft: Die Lage in der Deutschen Demokratischen Republik, vom 15. November 1956, 8.00 Uhr, bis 16. November 1956, 8.00 Uhr, eingegangenes Material
I. Industrie
Dresden: Der technische Leiter (SED) des VEB Sachsenwerk Radeberg, [Kreis] Dresden[-Land], beabsichtigt seine Funktion niederzulegen, da er sich dieser Funktion nicht gewachsen fühlt. Ebenfalls beabsichtigt der Werkleiter seine Funktion niederzulegen, da er laufend Differenzen mit der HV Finanzen hat.
Rostock: In der Neptun-Werft Rostock musste wegen der Stromversorgung die 2. Schicht von 14.30 Uhr auf 20.30 Uhr verlegt werden. Die gesamte 2. Schicht erschien nicht um 20.30 Uhr, sondern um 14.30 Uhr. Diese Tatsache lässt auf eine organisierte Aktion schließen. Nach Aussprachen mit den Arbeitern wird die 2. Schicht um 20.30 Uhr durchgeführt.
Magdeburg: Unter den neuen Hauern, 48 Personen, des Kombinats »Harzer Eisenerzgruben«, die vor einigen Wochen ihre Prüfung abgelegt haben, herrscht eine große Unzufriedenheit wegen der unterschiedlichen Entlohnung. Diese qualifizierten Hauer mit Facharbeiterprüfung erhalten nur die Lohngruppe 6 bzw. 7, während die weniger qualifizierten alten Hauer alle die Lohngruppe 8 erhalten (200 Personen).1 Weiterhin resultiert die Unzufriedenheit noch daraus, dass seit ca. zwei Monaten an den Genossen Hermann Matern2 ein Schreiben gerichtet worden ist, über seine Meinung zu den unterschiedlichen Lohngruppen. Bis zum heutigen Tage ist jedoch noch keine Stellungnahme eingegangen. Die Kumpels fordern, dass endlich eine verantwortliche Person von Berlin kommt, welche die Dinge auch verändern kann. Zu einer Androhung von Arbeitsniederlegung ist es noch nicht gekommen, jedoch wollen die Kumpel nur diese Arbeit durchführen, die ihnen nach der gezahlten Lohngruppe zusteht.
Erfurt: Die BGL des Privatbetriebes Anschütz und Co. in Erfurt bat den FDGB-Kreisvorstand um Hilfe, wegen Unstimmigkeiten betreffs der Nachtschicht. In diesem Betrieb protestieren ca. 20 Frauen und fünf Männer gegen eine Anordnung des Energiebeauftragten beim Rat der Stadt, wonach die Kollegen des Betriebes jede 2. Woche Nachtschicht machen müssen. Die Kollegen lehnen diese neue Regelung konsequent ab und fordern, dass die Gewerkschaft ihnen in dieser Frage Unterstützung gibt. Ein Kollege erklärte: »Wenn ihr uns dabei nicht helft, dann streiken wir.«
II. Landwirtschaft
Magdeburg: In fünf Wahlversammlungen der VdgB im Kreis konnte festgestellt werden, dass werktätige Bauern eine Kandidatur ablehnen. Die Großbauern nutzten die Gelegenheit aus, um selbst gewählt zu werden. Sie äußern, dass die Wahlordnung keine Ablehnung der Großbauern als Kandidaten enthält.
Halle: Am 14.11.1956 brannte bei dem Großbauern [Name], Hohenmölsen, eine Scheune vollkommen ab. Sachschaden = 40 000 DM, Ursache: durch Kinderhand.
Frankfurt/O.: In Stolpe, [Kreis] Angermünde, fordern die Bauern eine 30%ige Sollherabsetzung in Getreide (Hauptinitiatoren dieser Forderung 3 Altbauern). Ebenso wollen dort die Bauern einen Misstrauensantrag stellen, um den Rat der Gemeinde aufzulösen.
III. Studenten und Schulen
Magdeburg: In der Lindenhofschule Magdeburg, Klasse 7 b, wurde ein Zettel herumgereicht, mit folgendem Inhalt: »Hier spricht der Freiheitssender Klasse 7 b. Ab sofort werden keine Antworten mehr in Russisch gegeben und keine Hausaufgaben gemacht!« An der Hochschule für Schwermaschinenbau wird weiterhin über den Russisch-Unterricht und das gesellschaftswissenschaftliche Grundstudium diskutiert.3 Dabei stehen besonders die Methoden und die Prüfungen in diesen Fächern im Mittelpunkt.
Leipzig: Von fünf Studenten (3 Studenten von der ABF Jena) wurde an der veterinärmedizinischen Fakultät, 1. Studienjahr, eine Resolution ausgearbeitet und zur Unterschrift unter den Studenten herumgereicht. Sie enthielt Forderungen gegen den Russisch-Unterricht und eine Stellungnahme gegen die Ausführungen des Genossen Schirdewan.4 Am 08.11.1956 reichte ein Student der landwirtschaftlich – gärtnerischen Fakultät, 1. Studienjahr, einen Zettel herum. Inhalt: »Wer ist gegen den Russisch-Unterricht, wir fordern – kein Russisch.«
Halle: In der 6. Klasse der Thälmannschule Sangerhausen protestierten die Kinder gegen Russisch. Sie schrieben an die Wandtafel: »Russisch ist schwer, drum lernen wir nicht mehr.« Zwei Schüler verteilten handgeschriebene Zettel »Nieder mit Pieck«.
Westberlin: In einer Versammlung der »Freien Universität« wurde eine Resolution, in der zum Ausdruck kam, dass sich die Studenten von den Vorfällen am Brandenburger Tor distanzieren, mit der Begründung abgelehnt, dass Studenten freie Menschen sind, die nach der Schule machen können, was ihnen passt. Eine 2. Resolution mit einem Tadelantrag gegen Franz Neumann5 wegen seiner Ausführungen am Schöneberger Rathaus wurde angenommen.6
IV. Besondere Vorkommnisse
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Frankfurt/O.: In Rehfelde, [Kreis] Strausberg, soll sich eine Kampfgruppe gegen den Kommunismus gebildet haben (Überprüfungen erfolgen).
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In Westberlin wird zur Auswanderung nach Kanada mit dem Hinweis geworben, dass ehemalige Ostzonenbewohner ohne Wartezeit zugelassen werden, sofern sie einen Notaufnahmeschein besitzen.7 Erteilung eines Visums erfolgt nach fünf Monaten. Vergünstigungen werden durch die kanadische Regierung gewährt:
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Ein Überfahrtskredit, der zinsfrei und nach zwei Jahren zurückzuzahlen ist.
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Familienbeihilfe = für jedes Kind monatlich (bis 16 Jahre) fünf Dollar = 21,00 DM, Dauer zwölf Monate. Nach einjährigem Aufenthalt in Kanada kann für diese Kinder allgemeine Familienbeihilfe bezogen werden.
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Sechs Zerstörer unter schwarz-rot-goldener Flagge sind im Hafen von Travemünde eingelaufen. Zwei größere Schiffe liegen noch in der Lübecker Bucht.
V. Feindtätigkeit
Berlin
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Am 13.11.1956 wurden im Ministerium für Gesundheitswesen (1) und in der Freienwalder Straße (29) Flugblätter gefunden. Inhalt:
- 1.
»Genosse kehre um« vom Ausschuss für Freiheit und Recht in der sowjetischen Besatzungszone.
- 2.
»BZ am Abend verboten – Veröffentlichung der Rede Gomulkas8 vor dem ZK unerwünscht.«9
- 3.
»Der Terror-Apparat der Partei auf der Anklagebank.« (KgU)10
Ein unter 3. angeführtes Flugblatt wurde am 14.11.1956 am Hause der Einheit Berlin-Mitte gefunden.
- 1.
Erfurt
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Am Gebäude der Reichsbahnberufsschule in Erfurt wurde am 14.11.1956 eine Hetzlosung gegen die SED, die sowjetischen Truppen, für freie Wahlen und Adenauer11 festgestellt.
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In Bleicherode, [Kreis] Nordhausen, wurden in der Nacht zum 11.11.1956 sieben handgeschriebene Hetzschriften gefunden. Inhalt: Hetze gegen SU. Unterzeichnet: »Spartakus«.
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In der Gemeinde Ilfeld, [Kreis] Nordhausen, wurden 1 000 Hetzschriften in russischer Schrift gefunden: Einschleusung durch Ballon.
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Am 10.11.1956 wurden 29 Hakenkreuze an der Hauswand der Grundschule in Kerspleben,12 [Kreis] Erfurt[-Land], wahrscheinlich durch Kinder, angeschmiert.
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In der Nacht zum 13.11.1956 wurde in der Kreisleitung der SED in Weimar durch unbekannte Täter ein Doppelfenster eingeworfen.
Halle
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Am 14.11.1956 wurde durch eine Reisende der Trapo in Halle eine Hetzschrift übergeben.
Suhl
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Im VEB Kaliwerk Einheit Dorndorf, Bad Salzungen, Schachtanlage Springen, wurden am 14.11.1956 die Hetzlosungen: »Noch eine Spende für die Russen in Ungarn«13 und »Auch die Freiheit lieben wir« an zwei Förderwagen festgestellt.
Dresden
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Die Kreisleitung der SED Meißen erhielt eine Trauerkarte durch die Post zugestellt, auf der gefragt wird, wann die SED mitsamt den Russen abzieht. Dazu wurde inniges Beileid gewünscht.
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Ein Privatunternehmer aus Lauenstein, [Kreis] Dippoldiswalde, erhält seit längerer Zeit Telefongespräche und Briefe mit der Aufforderung nach Westberlin zu kommen.
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Im Tunnel Glashütte – Bärenhecke,14 [Kreis] Dippoldiswalde, wurden ein Totenkopf sowie »Hier lauert der Tod« und »Rache all denjenigen, die gegen den Ku Klux Klan sind«15 angeschmiert.
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Auf der Straße von Mohorn – Grillenburg, [Kreis] Freital, wurde ein Hakenkreuz (Düngekalk) gestreut.
Leipzig
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Zum zweiten Mal wurden in der Berufsschule Metall in Leipzig neun Hetzschriften mit »Die bolschewistischen Panzer kennen keine Grenzen des Rechts, seid wachsam« gefunden. Die gleichen wurden bereits viermal im Stadtzentrum von Leipzig abgelegt.
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Am 14.11.1956 wurde eine gleiche Hetzschrift in Leipzig Gottsched-/ Ecke Elsterstraße gefunden.
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In der Nacht zum 12.11.1956 wurde das Ehrenmal der Sowjetischen Armee in Mügeln, [Kreis] Oschatz, beschädigt. Zwei Kränze wurden ca. 10 m weit an einen Baum gelegt. An zwei weiteren wurden die Schleifen abgerissen.16
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In der Nacht zum 13.11.1956 wurde im Stadtgebiet von Leipzig an fünf verschiedenen Stellen eine Hetzlosung gegen die revolutionäre Arbeiter- und Bauernregierung in Ungarn geschmiert.
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Am 13.11.1956 wurde in Leipzig N 22 eine Hetzlosung »Nieder mit den Sowjets und ihrem Lakaien Spitzbart«17 angebracht.
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Im Stadt- und Landgebiet Leipzig wurden insgesamt 31 Hetzschriften gefunden. 30 in deutscher und russischer Schrift. Eine Hetzschrift an einen Oberschüler gerichtet.
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Im Kreis Wurzen wurden vom 9. bis 15.11.1956 23 Stück [vom] SPD-Ostbüro »Die Freiheit marschiert« gefunden.18