Lage in der DDR (43) 24.–25.11.
25. November 1956
Information Nr. 357/56 – Betrifft: Lage in der Deutschen Demokratischen Republik (vom 24.11.1956, 8.00 Uhr, bis 25.11.1956, 8.00 Uhr, eingegangenes Material)
I. Industrie und Verkehr
Gera
Im VEB Wollen- und Seidenweberei Elsterberg, [Kreis] Greiz, herrscht unter den Beschäftigten eine starke Verärgerung über die Prämienzahlung. Hauptsächlich treten unter den Arbeitern solche Diskussionen auf, dass sie die Arbeit machen müssten und die »Anderen« würden die großen Prämien einstecken. Ein Arbeiter aus dem Werk II brachte zum Ausdruck, dass die Kollegen der Weberei den Dreck hinwerfen und streiken müssten.
Erfurt
Im Kaliwerk Volkenroda,1 [Kreis] Mühlhausen, sind die Kumpel mit der Lohngruppe III und IV nicht einverstanden und forderten bei der Abteilung Arbeit eine höhere Lohngruppe.2 Weiterhin wird von den Kumpeln die Herabsetzung der FDGB-Beiträge gefordert. Verschiedene Beschäftigte sind schon mit Beiträgen im Rückstand und wollen auch nicht weiterzahlen. Ähnliche Anzeichen der Nichtzahlung von FDGB-Beiträgen wurden noch aus dem VEB Rheinmetall Sömmerda bekannt. Dort bezahlen in der Abteilung Druckguss von 70 Kollegen nur noch 30 ihre Beiträge und in der Gießerei steht die FDGB-Beitragszahlung bei 52 %.
Neubrandenburg
Am 20.11.1956 brach bei der Privatfirma Metelmann in Neubrandenburg ein Brand aus. Die Brandursache lässt auf Kurzschluss schließen. Schaden ca. 18 000 DM.
II. Schulen und Universitäten
Gera
Von der Universität Jena wird berichtet, dass innerhalb der Fachschaft Chemie verschiedene Studenten versuchen, Großveranstaltungen durchzuführen, in denen über ein Flugblatt diskutiert werden soll. Bei diesem Flugblatt handelt es sich um ein Schreiben der örtlichen Parteileitung, in dem Bürger der verschiedensten Berufe die Machenschaften der Studenten verurteilen und fordern, dass solche Menschen, die auf Kosten der Arbeiter studieren, an unseren Universitäten nichts zu suchen haben. Geplant ist, eine Versammlung sämtlicher Studienjahre der Chemiker am 26.11.1956, 19.00 Uhr, im Hörsaal des Physikalischen Institutes durchzuführen. Von der Universitätsparteileitung und der FDJ wurde dazu keine Erlaubnis gegeben.
III. Westberliner Studenten
Aus dem Westberliner Studentenheim in Friedenau werden folgende Diskussionen bekannt: Titos3 Erklärung, dass die sowjetischen Truppen aus Ungarn abziehen sollen, findet den Beifall der Studenten.4 Daraus schlussfolgern sie, dass Tito mit Ungarn einen Donaublock bilden will, um seinen Einfluss zu vergrößern. Tito hat mit einer Stellungnahme zu den Ereignissen in Ungarn solange gewartet, bis Kádár5 – der ein persönlicher Freund Titos ist – Ministerpräsident wurde. Es wird mit Zweispalt im sozialistischen Lager gerechnet – besonders in [der] DDR – da Tito die Aufgabe hätte, den sozialistischen Block zu sprengen. Die Studenten brachten ebenfalls zum Ausdruck, dass in der jetzigen Lage mit Studenten der DDR nicht verhandelt werden könnte, dass bedürfe erst einer neuen Lage. Dann aber muss mit ihnen verhandelt und agitiert werden. Vorläufig jedoch müsse man sich ruhig verhalten.
IV. Lage beim Gegner
Aus Kreisen des DGB wird bekannt, dass der IBFG6 zu einem Boykott gegen die volksdemokratischen Länder aufrufen will. So wurde z. B. am 2.8.1956 in einem Seminar in Mühlheim bekannt, dass dem Berliner Komitee des IBFG neue Aufgaben zugefallen seien, die noch über den Rahmen der DDR hinausgehen und sich nicht nur mit Propaganda, sondern auch mit anderen Aufgaben beschäftigt. [sic!] Es werden ebenfalls Hetzschriften des IBFG an Betriebe der DDR versandt, deren Herausgeber der IBFG Brüssel ist.
Es wird bekannt, dass das »Ostbüro der FDP« bald wieder Ballons mit Hetzschriften ablassen will.7 Begründet wird es damit, dass zzt. in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg der Rücktritt des Parteivorsitzenden Dehler8 gefordert wird, da er im Bundestag mit seinen Äußerungen »Ungarn zerfleischt sich im Bruderzwist«,9 die auf Koalition mit der CDU abzielte, [sic!] die Krise in der Partei noch verschärft hat.10 So wird z. B. vom »Ostbüro der FDP« die Äußerung des Prinz von Löwenstein,11 der zu einer Konterrevolution in der DDR aufgerufen hat, unterstützt.12
V. Feindtätigkeit
Berlin
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Im Postamt N 4 wurde an einer Zimmertür ein Hetzzettel mit folgender Anschrift angebracht: »Wir haben genug von der SED, wir sagen zu Ulbrichts Lügen ›Nee‹. Wir haben genug! Gebt freie Wahlen, der SSD13 soll am Galgen bezahlen«.
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Im Bezirk Treptow wurde an der Glienicker-/Ecke Wassermannstraße auf dem Fahrdamm die Hetzlosung »Nieder mit der UdSSR« festgestellt.
Dresden
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Auf der Wehlener Straße in Dresden wurde die Hetzlosung »Freiheit für Ungarn« angeschmiert.
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Im Klosett des VEB Edelstahlwerkes Freital die Hetzlosung »Tod der SED«.
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An den Fenstern des Spritzenhauses des VEB Lederfabrik Freital wurden zwei Hakenkreuze angeschmiert.
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Am 20.11.1956 wurde am Sowjetischen Ehrenmal in Dresden am Platz der Einheit eine Frau gestellt, die Kränze durcheinander warf. Diese befand sich im angetrunkenen Zustand. Sie gab an, dass sie von zwei Arbeitskollegen zu dieser Tat aufgehetzt wurde.
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Im VEB Waggonbau Bautzen wird das Gerücht verbreitet, dass Kollegen, welche sich zum Wiederaufbau freiwillig nach Ungarn gemeldet haben, unterwegs durch Angehörige der Roten Armee verhaftet werden. Auch sollen Sanitätswagen aus der DDR nicht nach Ungarn hineingelassen werden.
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Ein Förster aus Cunnersdorf,14 [Kreis] Löbau, (CDU) erklärte bei einer Kollektivjagd, dass seine Frau, welche sich in der UHA Görlitz befand und bei einem Arbeitskommando in Berzdorf war, von der Aufseherin erschossen worden sei, weil sie sich negativ gegen unseren Staat geäußert hat.
Rostock
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In der Nacht zum 24.11.1956 wurde auf der Helling15 III der Neptun-Werft Rostock an einem Frachter die Losung »Freiheit« angeschmiert. Am 23.11.1956 wurde am Mauerpfeiler des Einganges zum Objekt der Roten Armee in Rostock ein Hakenkreuz eingeritzt.
Potsdam
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In der Nacht zum 24.11.1956 wurde in Falkensee, [Kreis] Nauen, zwischen zwei Bäumen in ca. zwei Meter Höhe ein gespanntes Fahnentuch festgestellt. Dieses Fahnentuch ist 1,70 m lang und 1,30 m breit. Das Fahnentuch hat die Farbe grün, weiß und braun. Auf dem weißen Teil des Fahnentuches ist das Wort »Freiheit« mit Tinte geschrieben. Die Schrift ist 1,20 m lang und 35 cm hoch. Ca. ein Meter vor dem Fahnentuch war eine brennende Teerfackel auf einem Weidenstock aufgestellt, die das Fahnentuch beleuchtete. Des Weiteren wurde an derselben Stelle eine Hetzschrift mit der Überschrift »Hilferuf an die freie Welt« gefunden.
Neubrandenburg
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Am 21.11.1956 wurden in Stavenhagen, [Kreis] Malchin, ca. 50 selbstgedruckte Hetzschriften in mehreren Straßen gefunden. Der Text der Hetzschriften lautet: »Wir sind ein Volk, sprechen eine Sprache und deshalb gehören wir zusammen. Darum fordern wir eine gesamtdeutsche Regierung … Abzug aller Besatzungstruppen«. Am 24.11.1956, zwischen 18.00 und 19.00 Uhr, wurde in Neubrandenburg in der Beseritzer Straße16 6 an der Innenseite der Haustür eine Hetzschrift mit folgendem Wortlaut angebracht: »Morgen beginnt die Nacht der langen Messer.«17