Lage in der DDR (45) 26.–27.11.
27. November 1956
Information Nr. 362/56 – Betrifft: Lage in der Deutschen Demokratischen Republik (26.11., 8.00 Uhr, bis 27.11.1956, 5.00 Uhr, eingegangenes Material)
I. Industrie und Verkehr
Dresden
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Im VEB Flachglas Uhsmannsdorf, [Kreis] Niesky, fehlen 1 400 t Braunkohlenbriketts. Wenn keine Zuweisung erfolgt, fällt Anfang Dezember ein Schmelzaggregat und Ende Dezember die gesamte Produktion aus.
Suhl
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Am 23.11.1956 fiel der Hauptventilator im VEB »Ernst Thälmann« in Merkers, [Kreis] Bad Salzungen, aus. Grund: Durch ständige Belastung hatte sich von der Elevatorkette ein Becher losgerissen, der durch einen anderen Becher hochgezogen und in die Überlaufschurre geworfen wurde. Dadurch verstopfte dieselbe. Schaden: Erlösausfall ca. 13 000 DM.
Potsdam
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In Brandenburg brannte am 25.11.1956 im Wohnlager des VEB Ingenieur-Tiefbau eine Baracke mit Inventar sowie mit persönlichem Eigentum von 65 Kollegen ab. Grund: Vermutlich fahrlässige Brandstiftung durch einen Zimmermann, der im Bett geraucht hatte. Schaden: ca. 3 000 DM und 18 500 DM (persönliches Eigentum), drei Personen mussten wegen Rauchvergiftung und Brandwunden in ein Krankenhaus gebracht werden.
Leipzig
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Dem VEB Nahrungsmittelkombinat »Albert Kuntz« in Wurzen wird ab sofort in der Zeit von 6.00 bis 22.00 Uhr kein Fremdstrom mehr geliefert, wodurch der Betrieb seinen Plan nicht erfüllen kann. Ab 1.12.1956 tritt dadurch ein Produktionsverlust von 180 t Keks, 800 t Roggenmehl und 1 000 t Weizenmehl ein.
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Im VEB Spinnerei Naunhof, [Kreis] Grimma, fehlen 6 t Schwefelnatrium zur Aufrechterhaltung des Produktionsplanes. Weiter ist dem Betrieb ein Schaden von 30 000 DM entstanden, da die gelieferte Zellwolle 25 % tote Fäden enthielt. Der damit gefertigte Stoff kann nicht abgesetzt werden.
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Im VEB Zellstoff Trebsen,1 [Kreis] Grimma, muss die Produktion eingestellt werden, wenn nicht schnellstens eine ausreichende Waggonbereitstellung erfolgt. 500 t Zellwolle lagern bereits wegen Waggonmangel. Von täglich 13 benötigten Waggons werden nur drei bis vier zur Verfügung gestellt.
Magdeburg
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Am 19.11.1956 im Tagebau Harbke,2 [Kreis] Oschersleben, ein Zusammenstoß zwischen zwei Abraumzügen. Grund: Die Signaleinrichtung wurde verkehrt bedient. Schaden: ca. 13 000 DM.
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Am 21.11.1956 stürzte im VEB Betonschwellenwerk Güsen, [Kreis] Genthin, ein Kran aus unbekannter Ursache um. Schaden: ca. 30 000 DM.
Dresden
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Auf der Strecke Dresden – Riesa wurden zwischen den Kilometern 50 und 60 bei einer Prüfung des Gleisoberbaues 19 Anbrüche und drei schadhafte Stellen an den Schienen festgestellt. Da erst 1957 mit einzelnen Ausbesserungen zu rechnen ist, muss die Fahrtgeschwindigkeit für Schnellzüge auf dieser Strecke von 80 auf 60 km/h herabgesetzt werden.
Magdeburg
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Am 22.11.1956 fuhr der N 9048 im Bahnhof Kalbe, Strecke Salzwedel, auf den P 1296 auf, wodurch sämtliche Wagen des P-Zuges entgleisten. Grund: Der Lokführer des N 9048 hatte das Signal nicht beachtet und brachte den Zug nicht mehr zum Halten. Schaden: acht Leichtverletzte.
Halle
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Am 27.11.1956, 1.50 Uhr, Brand in der Wagenwäscherei im RAW Delitzsch. Ursache: noch unbekannt. Schaden: zwei Wagen total verbrannt, ca. 80 000 DM.
II. Landwirtschaft
Dresden
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Von den Bauern in Cotta, [Kreis] Pirna, wurde ein Brief an den stellvertretenden Ministerpräsidenten P. Scholz3 gesandt, worin sie sich über die gegebenen Versprechungen beschweren und verlangen, dass der Minister erneut nach Cotta kommen soll. Der Brief trug 50 Unterschriften.4
Potsdam
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Am 24.11.1956 brannte in Zeestow, [Kreis] Nauen, die Scheune eines werktätigen Bauern nieder. Dabei verbrannten: zwei landwirtschaftliche Maschinen, Getreide, Kartoffeln, ein Schaf und ein Schaflamm. Ursache: vermutliche Brandstiftung, Schaden: ca. 5 000 DM.
III. Versorgung
Magdeburg
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Die Wäscherei der BHG Möckern, [Kreis] Burg,5 muss in den nächsten Tagen die Arbeit einstellen, wenn keine Kohlenlieferungen erfolgen. In der Gemeinde Schenkenhorst muss der Kinderhort schließen, wenn er keine Kohlen erhält. Brennstoffe fehlen auch besonders in den HO- und Konsumverkaufsstellen, die noch keinen Wintervorrat an Kohle haben. Weitere Versorgungschwierigkeiten bestehen in fast allen Kreisen des Bezirks an Frischfleisch, Fischkonserven, Käse, Eiern, Margarine und Gewürzen.
IV. Besondere Vorkommnisse
Potsdam
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Am 19.11.1956, gegen 0.30 Uhr, wurde ein Wachmann (SED) der Funkstelle Oranienburg, Nebenstelle Ziesar, auf seiner Streife von zwei männlichen Personen angepöbelt und tätlich angegriffen. Dabei sagten sie: »Das Kommunistenschwein schlagen wir nieder!« Beide Personen wurden festgenommen.
Leipzig
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In der Hochschule für Binnenhandel wurden in den letzten vier Wochen laufend Störungen an der Übertragungsanlage bei Vorlesungen festgestellt. Täter wurden bisher noch nicht festgestellt.
V. Feindtätigkeit
Dresden
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Am 24.11.1956 im Postamt Görlitz eine selbstgefertigte Hetzschrift, die sich gegen die SED richtet und die Konterrevolution in Ungarn begrüßt.6
Suhl
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In Rosa, [Kreis] Schmalkalden: ein Hakenkreuz angeschmiert. In Schönbrunn, [Kreis] Hildburghausen, wurden Bilder von Lenin und Stalin sowie von Moskau und der Sowjetarmee (Zeitungsausschnitte) an Hauswänden angeklebt, die mit verschiedenen Texten versehen waren. So z. B. »Moskau meine Heimat«. Vier Bilder waren beim OPO-Sekrektär der SED und weitere an HO-Geschäften angebracht.
Potsdam
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An einem Bretterzaun in Nauen wurde eine 6,25 m große Hetzlosung mit Ölfarbe angeschmiert: »Nieder mit dem Kommunismus«; dazu waren Hakenkreuze und ein Pfeilkreuz gemalt.7 In Ziesar war eine Losung für die Konterrevolution in Ungarn angeschmiert.
Leipzig
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Am SED-Sichtwerbungskasten der WB-Gruppe 2 Geithain wurden zum zweiten Mal die Scheiben eingeschlagen. Gleichzeitig wurden zwei Schmierereien angebracht.