Landesparteitag der SPD und Stellungnahmen zum Ostbüro der SPD (2)
28. April 1956
Sonderinformation – Betrifft: Landesparteitag der SPD in Westberlin und Stellungnahmen von führenden Funktionären der SPD zum Ostbüro der SPD [Information Nr. M93/56]
Im Anschluss an die von verschiedenen Sprechern auf Franz Neumann1 dargebrachten Lobeshymnen ging dieser auf politische Probleme ein.2 Er erklärte, dass auch der »neue Kurs« der kommunistischen Parteien seit dem XX. Parteitag3 – von dem man zwar überrascht ist – nichts an der Stellung der SPD zur SED ändern werde, dass die SPD »nicht auf den seit dem XX. Parteitag ausgelegten Leim geht.« In längeren Ausführungen sprach Neumann über die angeblich ungesetzlichen Verhaftungen von SPD-Mitgliedern und Falken4 in der DDR, die er zum Hauptpunkt seiner Ausführungen und zum Hauptgrund für die Ablehnung einer Annäherung zwischen SPD und SED machte.5 Daran ändert auch die im Politbüro der SED mit »sogenannten Sozialdemokraten« geführte Diskussion nichts und es ist fraglich, »ob diese Leute selbst glauben, was sie eben geredet haben«.
In diesem Zusammenhang dankt Neumann (mit der Anrede »Lieber Stefan«) dem Leiter des Ostbüros der SPD6 – Stephan Thomas7 – für seine Arbeit und erklärt sinngemäß, dass man gar nicht daran denkt, das Ostbüro aufzulösen: »Wir Berliner wissen, dass das Ostbüro keine Agenten-Organisation ist, wie es immer heißt, sondern dass seine Aufgaben von mir umrissen worden sind.« Wörtlich sagte Neumann noch, dass das Ostbüro erst dann »überflüssig wird durch die Tatsache, dass der Parteivorstand der Sozialdemokratie seine politische Arbeit in der sowjetisch besetzten Zone recht bald wieder aufnehmen darf, dann haben wir es nicht mehr nötig, durch illegale Tätigkeit den Menschen in der sowjetisch besetzten Zone und den Angehörigen der Verhafteten ›zu helfen‹ und … ›Zeitungen illegal in die sowjetische Besatzungszone einzuführen‹«.
Auch der nach Neumann sprechende Vertreter des Parteivorstandes der SPD – Wilhelm Mellies8 – äußerte sich zu diesen Fragen und erklärte: »Ich brauche euch nach den Erfahrungen, die ihr damals vor zehn Jahren gemacht habt, nicht zu sagen, dass Verhandlungen nicht infrage kommen mit Vertretern einer Partei und eines Regimes, für die gestern der Sozialdemokratismus noch der Hauptfeind Nummer 1 war und für die morgen und übermorgen – wenn Moskau es befiehlt – der Sozialdemokratismus wieder der Hauptfeind Nummer 1 sein wird.« Zur Frage des SPD-Ostbüros sagte er, dass dieses nach wie vor seine bisherige Tätigkeit fortsetzen wird, wenn nicht »Pankow«9 durch sein Verhalten eine Existenz desselben überflüssig macht. Wörtlich äußerte er sich: »Wir verstehen es, wenn man von Pankow aus die Auflösung des Ostbüros unserer Partei wünscht; wenn man weiß, dass dieses Ostbüro die Stelle ist, in dem die Gewalttaten und Verbrechen des Regimes in der Zone registriert und der Weltöffentlichkeit immer wieder mitgeteilt wird. In dem Augenblick, wo sozialdemokratische Zeitungen in der Zone frei und ungehindert verbreitet werden können, in dem Erich Ollenhauer in Magdeburg,10 in dem ich in Leipzig und in dem alle Sozialdemokraten, die es wünschen, dort drüben in der Zone leben können, in dem selben Augenblick hat das Ostbüro der SPD seine Aufgabe erfüllt, aber keinen Augenblick eher. Solange Menschen, die Sinn für Freiheit haben, dort drüben verfolgt, und Sozialdemokraten wegen ihrer Gesinnung eingekerkert werden, sind wir verpflichtet, durch das Ostbüro weiter diese Dinge registrieren zu lassen, um damit der gesamten Welt zu zeigen, was von den Versprechungen, die heute zur Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit drüben gemacht werden,11 eingehalten wird.«