Meinungen zur Bildung von Arbeiterkomitees (2)
19. Dezember 1956
Information Nr. 388/56 – Betrifft: Meinungen zur Bildung von Arbeiterkomitees (2. Bericht)
Aus vorliegenden Materialien ist ersichtlich, dass die Diskussionen über die Bildung von Arbeiterkomitees unter den Beschäftigten in allen Bezirken stark in den Vordergrund getreten sind.1 Einschätzend kann dazu gesagt werden, dass ein großer Teil der Arbeiter, und im geringem Maße auch Gewerkschafts- und Wirtschaftsfunktionäre, die Bildung von Arbeiterkomitees begrüßen. Es liegen jedoch auch zahlreiche Stellungnahmen dieser Personenkreise vor, in denen unter den verschiedenartigsten Gründen die Bildung von Arbeiterkomitees abgelehnt wird. Eine dritte Art der Diskussion zur Bildung von Arbeiterkomitees ist die – daran sind auch Mitglieder der SED beteiligt – die mangelndes Vertrauen zur SED und Regierung erkennen lassen. Im Einzelnen ergibt sich zu diesen Diskussionen Folgendes:
1.) Zustimmende Meinungen zur Bildung von Arbeiterkomitees
Die Meinungen von Arbeitern wie auch Wirtschafts- und Gewerkschaftsfunktionären, in denen der Bildung von Arbeiterkomitees zugestimmt wird, sind getragen von der Erwägung, dass die Arbeiterkomitees entscheidend auf die Reglung betrieblicher Fragen einwirken werden. Besonders werden dabei die Möglichkeiten erwähnt, die das Arbeiterkomitee hat, auf eine Verbesserung des Produktionsablaufes, die Arbeitsorganisation und andere betriebliche Probleme einzuwirken.
Aufgrund dieser Erwägungen wird – wie in den VEB Wälzlagerwerk Fraureuth, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, und Textilwerk Gößnitz, [Bezirk] Leipzig, – erkannt, dass dafür nur Personen zur Wahl gestellt werden können, »die ehrlich mitarbeiten und gehört werden« und die das Bestreben zeigen, »sich zu qualifizieren, damit sie einen Überblick über die Lage des Betriebes erhalten und ein Wort mitreden können«.
Bedenken werden dahingehend geäußert, dass mit dieser Aufgabe wieder diejenigen betraut werden könnten, die »bisher schon als die fortschrittlichsten Arbeiter in verantwortlichen Funktionen arbeiten«, wie in den VEB Teppichfabrik Wurzen, [Bezirk] Leipzig, und Textilveredelungswerk Elsterberg, [Bezirk] Gera, zum Ausdruck kam.
Zu den Aufgaben der Arbeiterkomitees selbst beschränken sich die Stellungnahmen – bis auf eine aus dem Kunstfaserwerk »Wilhelm Pieck« Rudolstadt, [Bezirk] Gera, worin vorgeschlagen wird, den Mitgliedern des Arbeiterkomitees »Kündigungsschutz« zu gewähren – in der Mehrzahl auf die vom ZK der SED eingebrachten Vorschläge.
Es wurden jedoch auch Meinungen bekannt, in denen, bewusst oder unbewusst, unter unrichtigen oder unsauberen Gesichtspunkten der Bildung von Arbeiterkomitees zugestimmt wird. Zumindest sind diese Meinungen so einzuschätzen, da sie gleiche und ähnliche Argumente enthalten, wie sie die Westsender – SFB und RIAS – verbreiten. Das sind solche Meinungen, in denen wie im VEB Gerätewerk Karl-Marx-Stadt zum Ausdruck gebracht wird, dass »in diesen Komitees die richtigen Leute verankert sein müssen, die auch wirklich die Interessen der Arbeiter vertreten und nicht solche, von denen die Betriebsleitung schon von vornherein weiß, dass sie alles mitmachen«. Oder jene Stellungnahme aus dem VEB Waggonbau Niesky, [Bezirk] Dresden, »bei der Wahl darauf zu achten, dass nicht nur solche Leute gewählt werden, die zu allem Ja sagen, sondern wirklich solche, die die Meinung der Arbeiter durchsetzen«. Daraus ergibt sich für negative Elemente eine gewisse Möglichkeit, die derzeitige Lage in den Betrieben auszunutzen, um als Sprecher der Arbeiter populäre und auch berechtigte, aber zurzeit unerfüllbare Forderungen zu erheben und so das Vertrauen größerer Teile der Betriebsarbeiter zu erschleichen.
Es gibt auch solche Meinungen, die bisher vereinzelt aus den VEB Ölwerke Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, und Ausstellungs- und Werbebetriebe Berlin bekannt wurden, in denen die »Tätigkeit der Arbeiterkomitees mit der der Betriebsräte« gleichgesetzt wird, oder auch, dass »nur Personen gewählt werden könnten, die in höheren Funktionen tätig sind«.
2.) Ablehnende Meinungen zur Bildung von Arbeiterkomitees
Nicht in der Mehrzahl, aber doch in zu beachtendem Umfang wurden auch ablehnende Stellungnahmen zur Bildung von Arbeiterkomitees unter Arbeitern und Angehörigen der Intelligenz, besonders aber unter Wirtschafts- und Gewerkschaftsfunktionären bekannt.
Am weitesten verbreitet – in den Bezirken Berlin, Leipzig, Suhl, Rostock und Dresden – und zur Begründung bei ablehnenden Stellungnahmen angeführt tritt die Meinung auf, »bei den Aufgaben der Arbeiterkomitees handelt es sich um solche, die selbstverständlich zum Aufgabengebiet der Gewerkschaften gehören«. Deshalb wird die Bildung von Arbeiterkomitees auch mit dem Hinweis abgelehnt, man solle »die Rechte der Gewerkschaft erweitern«, wie Arbeiter und Angestellte z. B. im VEB »7. Oktober« in Berlin2 zum Ausdruck brachten. Es kommt auch zu solchen Meinungen, wie unter Arbeitern und Angestellten der Konsumgenossenschaft Dresden, die behaupten, »die Bildung dieser Komitees bedeute nur eine Verzettelung der Arbeit der Betriebsgewerkschaftsleitungen (BGL) und Betriebsparteiorganisationen (BPO)!«
Eine Ursache zu ablehnenden Stellungnahmen von Angehörigen der Intelligenz und Angestellten in volkseigenen Betrieben ist die Angst, durch die Arbeiterkomitees für Fehler gemaßregelt und in persönlichen Vorteilen benachteiligt zu werden. Deshalb begründen sie z. B. ihre ablehnende Haltung auch mit solchen Stellungnahmen wie: »die Arbeiterkomitees wachsen uns ja über den Kopf« (Angestellte im VEB Emaillierwerk Wurzen, [Bezirk] Leipzig) oder wie Angehörige der Intelligenz im VEB Kunstfaserwerk Rudolstadt, [Bezirk] Gera, behaupten: »Dadurch wird die Voraussetzung geschaffen, dass sich die Arbeiter in alles einmischen werden z. B. in Löhne und Prämien. Dies kann Anlass sein, dass Angehörige der Intelligenz die DDR verlassen werden.«
Beachtenswert – wenn auch bisher nur vereinzelt bekannt geworden – sind jene Meinungen von Arbeitern, die ihre ablehnende Haltung zur Bildung von Arbeiterkomitees mit Zweifeln an den Fähigkeiten der Arbeiter, die gestellten Aufgaben lösen zu können, begründen. Solche Auffassungen, wie im VEB Schott Jena,3 [Bezirk] Gera, »Arbeiter aus der Produktion können doch die ganzen Fragen der Planung und Finanzen gar nicht richtig einschätzen, weil sie das nicht verstehen«, oder wie VEB Tiefbau Berlin, »an die dort oben (gemeint ist die Betriebsleitung) kann man sowieso nicht ran, weil sie alle zusammenhalten und auf ihre Posten bedacht sind«, sind dazu angetan, die Arbeiter von den Auseinandersetzungen über die Aufgaben der Arbeiterkomitees und der Mitarbeit in diesen Komitees abzuhalten. Eine weitere Auffassung ist die, »dass bei weniger als 1 000 Mann Belegschaft die Bildung von Arbeiterkomitees zwecklos ist, da sich die Arbeit der BGL mit der Arbeit der Arbeiterkomitees überschneidet« (Angestellte im Fischverarbeitungsbetrieb Barth, [Bezirk] Rostock).
Als offene feindliche Auffassungen im Zusammenhang mit der Ablehnung von Arbeiterkomitees kann man jene betrachten, in denen zum Ausdruck gebracht wird, »das Arbeiterkomitee stellt einen Gegenpol zur Betriebsleitung dar« oder »die Arbeiterkomitees werden nur gebildet, um die Verantwortung für begangene Fehler auf das Arbeiterkomitee abzulenken und wenn es einmal anders kommt zu sagen: ›Das hat das Arbeiterkomitee gemacht.‹« Diese, aus den VEB Kunstfaserwerk Rudolstadt, [Bezirk] Gera, Bergmann-Borsig Berlin und Elbewerft Boizenburg, [Bezirk] Schwerin, bekannt gewordenen Meinungen sind wohl auf Einfluss der Westsender zurückzuführen.
3.) Meinungen zur Bildung von Arbeiterkomitees, die mangelndes Vertrauen zur SED und Regierung zum Ausdruck bringen
Ziemlich umfangreich ist auch die Art der Diskussion, aus deren Inhalt keine Zustimmung, aber auch keine Ablehnung erkenntlich ist. Solche Äußerungen – auch von Mitgliedern der SED – aus Berliner Großbetrieben, vereinzelt aber auch aus Betrieben der Bezirke Halle, Rostock und Suhl sind insofern nicht ungefährlich, weil in diesen Fällen in einer Weise nach den Gründen des ZK-Vorschlages gesucht wird, die das Vertrauen zur SED und Regierung untergraben kann. Die Sprecher dürften – wie weiter unten zu vergleichen ist – ihre Argumentation zu einem großen Teil aus den Sendungen westlicher Rundfunkstationen beziehen.
Obwohl das nicht in jedem Falle bewusst geschehen mag, sind doch solche Stellungnahmen wie sie aus dem VEB Werk für Fernmeldewesen Berlin bekannt wurden, dazu angetan, das Vertrauen zu untergraben, wenn darin erklärt wird, »die Bildung von Arbeiterkomitees in den Betrieben ist eine Schwäche der Regierung, weil man im Zusammenhang mit den Ereignissen in Polen4 und Ungarn5 dem Druck der Bevölkerung nachgibt«, oder wie im Werkzeugmaschinenwerk Zerbst, [Bezirk] Halle, davon spricht, dass »die Bildung von Arbeiterkomitees in den Betrieben ein Angstmanöver der Regierung sei«. Gleiche und ähnliche Meinungen wurden auch aus den VEB Rohrleitungsbau Berlin, Bauelemente Großbreitenbach,6 [Bezirk] Suhl, und Alubau Wismar bekannt, in denen von einem »neuen Kurs der Regierung«, von »Zwang durch die Ereignisse in Ungarn« und von »Zugeständnissen aus Angst« gesprochen wird.
Beachtung müssen derartige Meinungen auch dahingehend finden, da sie feindlichen und negativen Elementen die Möglichkeit bieten, Diskussionen zu entfachen, aus denen im Ergebnis Forderungen gestellt werden, denen im Interesse einer richtigen Wirtschaftslenkung nicht stattgegeben werden könnte. Anzeichen sind dafür vorhanden, indem schon vereinzelt solche Diskussionen geführt werden wie, »es wird hier etwas unternommen, was bei uns nicht zu dem Erfolg führt wie z. B. in Polen« (VEB »7. Oktober« Berlin) oder »dem Komitee muss das Recht gewährt werden, die zentrale Gesamtplanung zu beeinflussen« (Berliner Ausstellungs- und Werbebetriebe), in denen die Forderung nach Autonomie zum Ausdruck kommt.
Anlage zur Information Nr. 388/56
Feindpropaganda zur Bildung von Arbeiterkomitees
Die Feindsender »Freies Berlin« und »RIAS« versuchen weiterhin, durch ihre Sendungen Einfluss auf die gegenwärtigen Diskussionen über die Bildung von Arbeiterkomitees in den Betrieben der DDR zu nehmen. Nach der durchgeführten Arbeiterkonferenz in Berlin7 lassen sich aus den Kommentaren dieser Sender im Wesentlichen folgende zwei Ziele erkennen:
- 1.)
sollen durch diese Kommentare Zweifel an der ehrlichen Absicht des ZK der SED und der Regierung erweckt werden, durch die Bildung von Arbeiterkomitees zur weiteren Demokratisierung beizutragen;
- 2.)
soll dadurch erreicht werden, dass die Arbeiter in der DDR gleiche Rechte für die Arbeiterkomitees fordern, wie sie die Arbeiterräte in Jugoslawien und Polen besitzen. Dazu gehört auch die Bemühung, den Arbeitern für diese Komitees die Bezeichnung »Arbeiterräte« aufzuzwingen.
Im Einzelnen sollen folgende Sendungen und Argumente erwähnt werden:
In einer vom RIAS am 7.12.1956 in deutscher Sprache vom Londoner Rundfunk8 übernommenen und übertragenen Sendung wird gehetzt, dass es nicht im Interesse der Partei gelegen habe, die Bildung von Arbeiterkomitees vorzuschlagen, sondern dazu die Ereignisse in Polen und Ungarn gezwungen hätten. Wörtlich erklärte der Kommentator John Allen: »Wenn es wahr ist, dass die vorgeschlagenen Reformen und vor allem die neuen Arbeiterkomitees schon von der 3. Parteikonferenz beschlossen wurden,9 wieso hat man dann in der Zone erst davon gehört, nachdem die polnischen Arbeiter solche Reformen durchgesetzt hatten und die ungarischen Arbeiter einen revolutionären Aufstand durchführten? Weil die kommunistische Regierung solche Reformen nicht durchführen wollte.« Auf diese Weise – ähnliche Argumente wurden auch in Kommentaren des SFB und RIAS verwendet – versuchen die Feindsender Zweifel an der Aufrichtigkeit der Politik des ZK der SED und der Regierung unter die Arbeiter zu tragen.
In einer Sendung am 7.12.1956 behauptet SFB, zu der stattgefundenen Arbeiterkonferenz der SED wäre keiner der Konferenzteilnehmer von den Arbeitern selbst delegiert worden. Ausgehend davon wird gehetzt, es wäre die Absicht der SED, »die Arbeiterkomitees zu einem gefügigen Anhängsel der Betriebsgewerkschaftsleitungen und der Betriebsparteileitungen zu machen«. Aus diesem Grunde wird den Arbeitern geraten, »sofort eigene Kandidatenlisten« für die Komitees aufzustellen, auf denen »vertrauenswürdige parteilose Arbeiter« enthalten wären. »Diese Kandidatenlisten müssen (so heißt es weiter) später mit denen der Funktionäre gekoppelt werden. Die so entstandene Gesamtkandidatenliste muss etwa die doppelte Anzahl Kandidaten enthalten, wie später das Arbeiterkomitee braucht. Bei einer echten Wahl müssen sich dann die Funktionäre unweigerlich in der Minderheit befinden.« Damit erhofft der Kommentator, jeden Einfluss der Parteiorganisationen auf die Arbeiterkomitees auszuschalten und unterbreitet für die spätere Arbeit dieser Komitees die Weisung, dass erreicht werden müsse, dass die Komitees die gleichen Vollmachten wie die Parteileitung und BGL besitzen. Deshalb müssten die Komiteemitglieder »sofort Ausschüsse für Personalfragen, Plankontrolle und Sozialpolitik bilden, und diese Ausschüsse müssten umgehend mit den Arbeitern diskutieren.« Ferner sollten die Arbeiterkomitees verschiedener Betriebe untereinander in Kontakt treten, um gemeinsame Interessen gegenüber den Ministerien zu vertreten, »denn (so wird behauptet) ohne kollektive Gegenpläne wird es nach Lage der Dinge unmöglich sein, gegen die auf ihr Einspruchsrecht pochenden Ministerien anzukommen«.
RIAS, der sich am 10.12.1956 in einer Sendung mit der Arbeiterkonferenz befasst, behauptet, die Arbeiterkonferenz der SED sei eine »Absage an die Forderungen der Arbeiter nach einem Selbstbestimmungsrecht«. Zur Begründung wird angeführt, W. Ulbricht habe den Ausdruck »Produktionsbeiräte« in die Debatte geworfen. Daraus zieht der Kommentator den Schluss, das wäre der Standpunkt der Partei und erklärt wörtlich, »ob sie nun Arbeiterkomitees oder tatsächlich Produktionsbeiräte heißen werden, geplant sind Organe, die nicht die Arbeiter der Betriebe gegenüber der Wirtschaftsbürokratie vertreten, sondern die Forderungen und Weisungen des Staates an die Betriebe und Belegschaften durchführen helfen«. Die Tatsache, dass mehrere Diskussionsredner besondere Betonung auf die Besetzung der zukünftigen Arbeiterkomitees mit treuen, der DDR ergebenen Arbeitern gelegt hätten, ist im Folgenden dann Anlass zu der Hetze, die Partei fürchte die Arbeiterkomitees. Wörtlich wird dazu angeführt, »das ZK der SED will anscheinend nicht einmal mit solchen Belegschaftsorganen die Herrschaft über die Betriebe teilen, die das Programm der Partei akzeptieren«. Der Grund dafür, so wird behauptet, »waren die Ereignisse in Polen und Ungarn, wo Arbeiterräte auch ohne Kommunisten entstanden sind und wo sie jetzt Befugnisse ausüben, die einer Arbeiterselbstverwaltung näherkommen. Das vermeintlich Notwendige, nämlich ein formelles Zugeständnis an die Arbeiter der Zone, bevor sie sich selbst zu helfen versuchen, mit dem Nützlichen zu verbinden, ist jetzt das Ziel der SED.« Die Arbeiter – so wird zum Schluss behauptet – würden jedoch in den Arbeiterkomitees nichts anderes als »Blitzableiter für den Unwillen der Belegschaft über unpopuläre Maßnahmen«, und einen »Beschwichtigungsversuch« sehen. Dazu wird erklärt, »die Belegschaften wollen Arbeiterräte als Auftraggeber der Werksdirektoren, nicht Produktionsbeiräte als ›Hilfsorgan der Betriebsleitungen‹«. Damit soll unter den Hörern der Eindruck entstehen, als wäre für die vom RIAS gegebene Einschätzung tatsächlich eine Massenstimmung vorhanden, um so eventuell derartige Forderungen unter die Arbeiter hineinzutragen.