Neue Flugschriften (2)
27. Juni 1956
Information Nr. 39/56 – Betrifft: Neue Hetzschriften
In einer vierseitig beschriebenen Hetzschrift (Herausgeber unbekannt) mit der Überschrift: »Funktionäre der SED« wird in übler Weise das Politbüro unserer Partei und besonders der Genosse Walter Ulbricht verleumdet. Einleitend heißt es u. a., Walter Ulbricht habe seinen Urlaub angetreten (die Hetzschrift trägt das Datum Mai 1956),1 was bedeuten würde, dass er damit zu verstehen gebe, »dass er die Auswertung des XX. Parteitages der KPdSU2 als abgeschlossen betrachtet, abgeschlossen zumindest in Hinblick auf die Frage des Personenkults«.
Der Text lautet dann weiter: »Kritik und Selbstkritik, Analysen der eigenen Fehler, Eingeständnisse der ernsten Mängel und Schwächen einer verfehlten Politik – das alles soll es nur in den unteren Parteiorganisationen geben, auf keinen Fall aber im Politbüro.« Bei uns habe sich nichts geändert, so heißt es weiter, »wogegen in den Volksdemokratien der XX. Parteitag wesentliche Folgen hatte«. Daran anschließend wird gehetzt: »Nur einmal hatte Moskau Selbstkritik befohlen, nur einmal hatten Ulbricht und Grotewohl gehorcht und öffentlich ihre Fehler eingestanden. Das war am 9. Juni 1953.3 Die Folge war der Aufstand der Arbeiterklasse am 17. Juni 1953. Ein zweites Mal wagt das Politbüro keine Selbstkritik.« Weiter heißt es dann, »um der ständig wachsenden Unruhe in der Partei über die Ablehnung jeder Selbstkritik durch das Politbüro Herr zu werden, begann die SED mit großem Aufwand durchsichtige Ablenkungsmanöver«. Als ein solches Ablenkungsmanöver werden die Artikel in unserer Presse über das Einkerkern von Patrioten und die fortschreitende Faschisierung in Westdeutschland hingestellt.4
Mit einer namentlichen Aufzählung ehemaliger Offiziere der Hitlerwehrmacht, die »führende politische und militärische Funktionen in der DDR ausüben«, wird gegenübergestellt, »wie es in der DDR aussieht«. Wörtlich heißt es: »Das Politbüro der SED hat nicht nur faschistische Methoden übernommen, es stützt seine Macht sogar auf führende Personen des III. Reiches.«
Mit der Aufforderung an die Funktionäre der Partei, »diese Fragen zu diskutieren und die Gelegenheit zu nutzen, ehe es wieder zu spät ist«, heißt es dann abschließend: »Die volksfeindliche und parteischädigende Politik der Ulbricht-Clique kann einzig und allein durch die Verwirklichung folgender Forderungen durchkreuzt werden:
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Volle Nutzanwendung des XX. Parteitages der KPdSU auf die SED!
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Breite Entfaltung der Diskussion über die Fehler des Politbüros und des Genossen Ulbricht!
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Einberufung eines außerordentlichen Parteitages mit garantierter freier Diskussion!
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Unerbittlicher Kampf gegen die sektiererische Abkehr des Politbüros vom Prinzip der Kritik und Selbstkritik!
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Amtsenthebung aller Funktionäre, die dem Stalinismus Vorschub leisten!«
Das Ganze trägt die Unterschrift: »Kritisch-Unabhängige Genossen«.