Neue Flugschriften (3)
5. Juli 1956
Information Nr. 60/56 – Betrifft: Neue Hetzschriften
1.) Die »SED-Opposition« (Brief 20)1 wendet sich mit einem zweiseitig bedruckten Flugblatt an die Mitglieder unserer Partei mit dem Ziel, sie gegen das ZK aufzubringen. Bezugnehmend auf den Artikel im ND »Die Leninsche Geschlossenheit unserer Partei«2 heißt es: »Entgegen dem erklärten Willen einer überwältigenden Mehrheit aller Genossen sind Ulbricht und die Politbüro-Mitglieder zu feige, die Konsequenzen aus ihren Fehlern, Verstößen und ihrem Versagen zu ziehen, mit dem sie in der Vergangenheit die SED in Misskredit gebracht haben und in eine totale Isolierung von der Arbeiterklasse und vom Volk geführt haben.« Abschließend werden die Mitglieder zum Handeln aufgerufen und die Forderung auf »Absetzung der Funktionäre« erhoben, die »als blinde Werkzeuge Ulbrichts nicht der Partei, sondern dem Personenkult dienen«.
2.) Ein vermutlich ebenfalls von der »SED-Opposition« verfasstes vierseitiges Hetzblatt trägt die Überschrift: »Die Genossen und die opportunistische Politik des Politbüros«. Wie schon die Überschrift besagt, ist das Ganze gegen unsere Parteiführung gerichtet und gleichzeitig wird der Versuch unternommen, innerhalb unserer Partei feindliche Diskussionen auszulösen. Einleitend heißt es z. B.: »… dass der Versuch der Parteiführung, prinzipielle Diskussionen, die sich im Anschluss an den XX. Parteitag3 innerhalb unserer Partei entwickelten, mit organisatorischen Methoden zu verhindern«, gescheitert sei.
Mit der »Feststellung«, dass in den Bruderparteien die Situation eine ganz andere sei, in dem dort »Funktionäre für die vergangene Epoche zur Verantwortung gezogen und offene Diskussionen geführt« würden, lautet der Text weiter: »Von einer solchen Stellung ist unsere Partei außerordentlich weit entfernt und es ist daher einleuchtend, dass die Genossen in den Bezirken und Kreisen mit der bisherigen Entwicklung der Diskussion, wie sie durch das ZK bestimmt wird, zutiefst unzufrieden sind.« Des Weiteren wird die Selbstkritik des Genossen M. Rákosi4 hervorgehoben und gleichzeitig erklärt, dass die Stellungnahmen der Genossen Ulbricht und Grotewohl unbefriedigend seien. Außerdem wird festgestellt, dass »zur Enttäuschung großer Teile der Parteimitgliedschaft O. Grotewohl seit Jahren mit W. Ulbricht durch Dick und Dünn geht und seine selbstständige politische Rolle, die er noch in den ersten Jahren gelegentlich betonte, leider völlig aufgegeben hat.«
An anderer Stelle wird die Frage aufgeworfen, was mit den Genossen Kreikemeyer5 [und] Lex Ende6 geschehen sei und dass über die Aussagen von Leo Bauer7 die Mitglieder der SED erschüttert seien. Wörtlich heißt es dann weiter: »Die Erklärung des Genossen Bauer macht klar, dass hier in unserer Republik grausame Gesetzes-Verletzungen begangen worden sind um falsche Geständnisse zu erpressen.« Daran anschließend wird gehetzt: »Es ist hohe Zeit, dass bei der Wiederherstellung der Leninschen Normen der sozialistischen Gesetzlichkeit solche Genossen wie Mielke,8 H. Benjamin9 und Dr. Melsheimer10 zur Verantwortung gezogen werden.«
Das Ganze endet mit der »Aufforderung« an die Mitglieder unserer Partei, »Alarm zu schlagen und in leninistischer Weise vom ZK der Partei eine echte Stellungnahme zu erzwingen«.
3.) Ein Hetzblatt des UfJ11 mit der Überschrift: »An alle Partei- und Staatsfunktionäre« beschäftigt sich mit der Abkehr vom Personenkult, was als »Kampf gegen die alten Getreuen Stalins« bezeichnet wird. Ausgehend von den »Säuberungsaktionen« in den Volksdemokratien wird gegen unsere Parteiführung wie folgt gehetzt: »Nur in der Sowjetzone tut Ulbricht vorläufig noch so, als sei nichts geschehen. Wohl war er der erste, der den toten Stalin kritisierte, aber es scheint, dass er der letzte sein soll, der daraus die Konsequenzen zu ziehen hat.« Mit dem Versuch Partei- und Staatsfunktionäre zu beeinflussen, wird folgendermaßen gehetzt:
- 1.)
Verdienste in Partei und Staat, die in der Ära Stalins erworben wurden, haben nur noch bedingten Wert. Sie können durchaus als Begründung für eine Abberufung und völlige Kaltstellung dienen.
- 2.)
Die Kaltstellung oder Verhaftung ausgesprochener Stalinisten bleibt nicht ohne Folgen für deren Anhänger.
- 3.)
Die früher auf einen bloßen Wink oder geheimen Befehl der Partei begangenen Rechtsbeugungen und Verletzungen von Gesetzen oder der Verfassung können heute entsprechend dem taktischen Erfordernis als Grund zur Einleitung eines Strafverfahrens dienen.
- 4.)
Die Autorität der damals führenden Stalinisten wird nicht als Entschuldigung für ihre heute von den Säuberungen betroffenen Werkzeuge anerkannt.
Zum Schluss wird folgender Hinweis gegeben: »Für jeden Funktionär besteht die einzige Chance in dem festen Entschluss, künftig die rechtstaatlichen Prinzipien peinlichst genau zu achten und alle entgegengesetzten Weisungen und Befehle der kleinen und großen Ulbrichts unter Berufung auf die oft, aber niemals so klar wie jetzt proklamierte ›demokratische Gesetzlichkeit‹ zurückzuweisen.«12
4.) Vom Ostbüro der FDP13 stammt ein Hetzblatt, welches die Überschrift trägt: »An alle, die es angeht!« Das Ganze ist gegen unsere demokratische Gesetzlichkeit und dient der Beeinflussung der Richter und Staatsanwälte, die besonders angesprochen werden. »Im Namen der unterdrückten mitteldeutschen Bevölkerung wird Freiheit für alle politischen Gefangenen und für die Zukunft eine unabhängige, nur dem Gesetz unterworfene, parteipolitisch ungebundene Justiz« gefordert. Für diese Forderung sollen sich alle »Funktionäre und Träger des Systems« einsetzen, denn mit den »Überprüfungen und Korrekturen« könne sich kein »aufrechter Deutscher und die gesamte freie Welt nicht zufriedengeben«.
Sämtliche angeführten Hetzschriften wurden von den Feindzentralen auf dem Postwege verschickt.14