Probleme der Energieversorgung (1)
10. November 1956
Information Nr. 327/56 – Betrifft: Energieversorgung
Die Energieversorgung der DDR ist zu den Spitzenzeiten in ernster Gefahr. Das Erzeugungsaufkommen liegt fast regelmäßig 200 MW unter den in der Energiebilanz den Planträgern beauflagten Werten. Der Bevölkerungsanteil ist in einem derartigen Maße gestiegen, dass zurzeit in der Abendspitze 50 % des gesamten Leistungsaufkommens von den nichtkontingentierten Verbrauchern in Anspruch genommen werden. Da der Bevölkerungsanteil derartig gewachsen ist, stellen die aufgrund der geplanten Erzeugung aufgebauten Industriekontingente bereits scharfe Einschränkungen der Industrieproduktion dar.
Die derzeitige Kürzung der Kontingente der Industrie zur Spitzenzeit, wie sie wegen Nichterfüllung der Erzeugung bald regelmäßig nötig werden, decken nur einen kleinen Anteil der fehlenden Erzeugerleistung. Eine weitere indirekte Belastungseinschränkung wurde durch Frequenz- und Spannungsabsenkung, also Qualitätsminderung, in Höhe von 80 bis 100 MW erreicht. Die letztgenannte Maßnahme der Qualitätsminderung ist als Dauerlösung nicht zu verantworten, da besonders eine Spannungsabsenkung bei den bereits überlasteten Verteilungsnetzen zu unerträglichen Verhältnissen bei den Abnehmern wie folgt führt:
- 1.
Rundfunk- und Fernsehempfang wird beeinträchtigt.
- 2.
Die Lichtstärke der Glühbirnen lässt um ca. 40 % nach.
- 3.
Leuchtstofflampen erlöschen vollkommen.
- 4.
Motore bleiben stehen.
- 5.
Elektrische Kochprozesse dauern doppelt so lange.
- 6.
Die Signalanlagen der Reichsbahn setzen aus.
Die Schwierigkeiten in der Stromversorgung treten hauptsächlich in den Bezirken Dresden, Cottbus, Karl-Marx-Stadt, Gera, Erfurt, Suhl und Magdeburg auf. Z. B. wurde am 7.11. und 8.11.1956 vonseiten der Energieversorgung auf Anweisung der Hauptinspektion Berlin den betreffenden Betrieben in diesen Bezirken mitgeteilt, dass sie nur nach Grundlast, d. h. nur noch so viel Strom zu entnehmen haben, dass die Betriebssicherheit gewährleistet ist und kein Produktionsschaden entsteht.
Des Weiteren tritt in den Spitzenzeiten eine beträchtliche Kürzung bzw. ein vollkommener Entzug des Stromkontingents in verschiedenen Betrieben ein, sodass in diesen Betrieben wiederum mit Schichtarbeit begonnen werden muss, was unliebsame Diskussionen unter den Arbeitern auslöst. Besonders im Bezirk Dresden wirkte die plötzliche Anweisung der Energielastverteilung Berlin am 7.11.1956, 26 MW Leistung im Bezirk zu reduzieren, ohne vorher eine Absprache mit der Partei zu führen, unter einem großen Teil, speziell unter den Arbeitern der Leichtindustrie, große Unzufriedenheit hervor.
Aus verschiedenen Bezirken wird bekannt, dass die Arbeiter eine Aufklärung verlangen, warum so plötzlich so eine starke Energiekontingentkürzung erfolgte. Verschiedentlich wurde in einigen Betrieben eine Kommission gebildet, die den Auftrag erhielt nach Berlin zu fahren, um eine Lösung in der Energiefrage zu erhalten (Fimag Finsterwalde, Schraubenfabrik Finsterwalde, [Bezirk] Cottbus).
Des Weiteren führt die Stromkürzung in verschiedenen Betrieben zu Lohnkürzungen, da die Arbeiter zum Teil auf Wartestunden stehen oder Aushilfsarbeiten durchführen, was ebenfalls zu negativen Diskussionen führt, wie z. B. in folgenden Betrieben:
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VEB Textima Zittau, [Bezirk] Dresden
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VEB Rheinmetall Sömmerda, [Bezirk] Erfurt
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VEB Fortschritt Werk Sebnitz, [Bezirk] Dresden
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VEB Oberlausitzer Baumwollweberei Spremberg, [Kreis] Löbau, [Bezirk] Dresden
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VEB Wälzlager Ronneburg, [Bezirk] Gera
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VEB Felgenwerk Ronneburg, [Bezirk] Gera
Außer den negativen und unzufriedenen Diskussionen über die Energiekürzung wurden keine weiteren negativen Erscheinungen bekannt. Aus den Bevölkerungskreisen wurde lediglich Unzufriedenheit aus dem Bezirk Magdeburg bekannt, wo vielfach geäußert wird, dass es komisch ist, dass man immer in den Arbeitervierteln zuerst mit der Stromabschaltung anfängt.