Republikflucht eines FDJ-Funktionärs
19. Juli 1956
Information Nr. 78/56 – Betrifft: Republikflucht eines FDJ-Funktionärs
Am 17.7.1956 wurde bekannt, dass sich der 2. Sekretär der FDJ-Bezirksleitung Magdeburg Lothar Schmidt1 – der für die gesamte Westarbeit im Bezirk verantwortlich war – am 15.7.1956 nach Westberlin abgesetzt hat. Er soll sich zzt. in Berlin, [Straße, Nr.], bei [Vorname Name 1] aufhalten.
Der Republikflucht gingen folgende Vorkommnisse voraus: Am Donnerstag, den 5.7.1956, fuhren Schmidt und der 2. Sekretär der Kreisleitung Magdeburg Gerhard Schumann2 mit einem Pkw nach Berlin. Die Fahrt war an sich privat, jedoch bekam Schmidt von der Bezirksleitung der FDJ einen Pkw, weil er gleichzeitig im ZR der FDJ dienstlich etwas regeln sollte. Auf der Rückfahrt am 7.7.1956, morgens 3.00 Uhr, kam es durch Übermüdung des Fahrers zu einem Unfall auf der Autobahn zwischen Rangsdorf und Michendorf, wobei Schumann verletzt und ins Krankenhaus Zossen gebracht wurde. Schmidt versuchte von Zossen aus mit der Eisenbahn weiterzufahren.
Die Jugendfreundin Ingeburg Köhler2 vom ZR der FDJ, die sich dienstlich in Magdeburg befand, fuhr am 7.7.1956 morgens mit dem Jugendfreund [Vorname Name 2] nach Berlin und traf am Unfallort den Fahrer von Schmidt und Schumann. Sie ließen sich die im Auto befindliche Tasche von Schumann geben und besuchten Schumann im Krankenhaus von Zossen. Unterwegs entdeckten sie in der Tasche zehn Schachteln Westzigaretten. Schumann erklärte, diese hätten sie am Ostbahnhof gekauft, während Schmidt – der noch in Zossen angetroffen wurde – erklärte, die Zigaretten stammen von seinem Großvater aus Berlin.
Der Verdacht, dass Schmidt und Schumann in den Westsektoren waren, entsteht weiter durch die Tatsache, dass sie dem Fahrer nach Ankunft in Berlin, gegen 24.00 Uhr, eine Adresse in Grünau gaben, wo dieser übernachten sollte. Sie selbst stiegen aus und trafen sich erst am Freitag, dem 6.7.1956, um 17.15 Uhr, vor dem ZR der FDJ mit dem Fahrer, obwohl 12.00 Uhr vereinbart wurde. Im ZR hatten beide nicht vorgesprochen. Früheren Informationen zufolge soll Schumann schon einmal in solch eine Zigaretten-Geschichte verwickelt gewesen sein.
Am 13.7.1956 sprachen zwei Mitarbeiter der BV des MfS mit Schmidt über eine Kaderangelegenheit, jedoch kein Wort über die geschilderten Vorfälle. Nur Schmidt fragte in zynischem Ton, warum unsere Genossen so »übereifrig« sind und hinter geschlossenen Türen mit dem Parteisekretär der Bezirksleitung der FDJ verhandeln. (Schmidt kam zufällig ins Zimmer, als unsere Genossen mit dem Parteisekretär sprachen.)
Am Sonnabend, den 14.7.1956, wurde seitens der Bezirksleitung der FDJ mit Schmidt über diese Dinge gesprochen und für Montag, den 16.7.1956, war Schmidt zur BPKK bestellt. Am Sonntag, den 15.7.1956, verließ Schmidt gegen 7.00 Uhr seine Wohnung, erschien ca. 8.00 Uhr in seinem Arbeitszimmer in der Bezirksleitung und entwendete 600 DM West. Seit diesem Zeitpunkt wurde Schmidt nicht wieder gesehen. Zur gleichen Zeit verschwand auch seine Freundin. Schmidt ist zwar verheiratet, führt aber keine gute Ehe. Seine Ehefrau arbeitet bei der Bezirksverwaltung des MfS.